Renovatio imperii – die Rückkehr des Obrigkeitsstaats

Letzten Sommer hat uns noch der Feinstaub gemeuchelt, zwischendrin haben wir das Gammelfleisch überlebt, aber mittlerweile führen sogar schon Glühbirnen den Weltuntergang herbei – wenn wir uns nicht vorher alle auf Flatrate-Parties totsaufen. Gegen all diese Untragbarkeiten des täglichen Lebens wird immer öfter nach dem Staat gerufen. Dieser solle doch verbieten, einschränken, überwachen oder sonst für unser aller Wohlbefinden sorgen. Dabei leben wir doch bereits in einem Staat, in dem Jura-Studenten bei durchschnittlichen Klausuren auf durchschnittlichen Tischen kaum noch die erlaubten Hilfsmittel (Bücher mit einfachen Gesetzestexten, ganz ohne Anmerkungen, Erläuterungen oder gar Kommentare) unterbringen. Die liebevoll “Ziegelsteine” genannten Loseblattsammlungen bestehen bereits aus 4100 (”Schönfelder”, Zivil- und Strafgesetze) bzw. 3800 Seiten (”Sartorius”, Öffentliches Recht); trotz einer Papierdicke, die jedem Telephonbuch alle Ehre machen würde, bringen sie 2,5 bzw. 2,2 kg auf die Waage. Und trotzdem scheint es immer, wenn irgendetwas medienträchtiges passiert, gerade kein richtiges Gesetz zu geben. „Renovatio imperii – die Rückkehr des Obrigkeitsstaats“ weiterlesen

Kein Glück für nomadisierende Studenten

Vor einigen Wochen hat das Verwaltungsgericht München (Aktenzeichen und genaues Entscheidungsdatum noch unbekannt) einen eher skurrilen Fall aus dem Hochschulrecht zu beurteilen gehabt: An einer oberbayerischen Universität war für Studenten aus einem naturwissenschaftlichen Bereich eine Prüfung angesetzt. Als sie sich zur festgelegten Zeit am festgelegten Hörsaal einfanden, mussten sie feststellen, dass dieser unerwartet belegt war. Aufgrund eines Versehens schrieb hier bereits ein anderes Kurs seine Klausur. Diese war bereits im Gange und sollte nicht über Gebühr gestört werden, sodass die Prüflinge auch nicht auf freie Plätze im Saal vertröstet werden konnten.

Also zogen der Professor und seine Studenten durch die Universität und suchten nach einem freien (und passenden) Raum. Als sie schließlich einen fanden, mussten hier noch die Tische, die von einer anderen Veranstaltung an den Rand des Zimmers geschoben waren, in eine klausurgeeignete Anordnung gebracht werden. Der ganze unerwartete Aufwand führte schließlich zu einer Verspätung von ca. 35 Minuten, die aber selbstverständlich bei der Bearbeitungszeit berücksichtigt wurde. Aufgrund der ganzen Umstände, die die Konzentration der Studenten sicher nicht förderte, räumten die Korrektoren einen etwas vorteilhafteren Benotungsmaßstab als üblich ein, der laut den Angaben der Universität den Schnitt um ca. 0,2 Notenstufen verbesserte.

Dies reichte einem der Prüfungsteilnehmer aber nicht. Er forderte die Annullierung der Prüfung, hilfsweise eine stärkere Anhebung seiner Note. Nachdem die Hochschule dafür keinen Anlass gesehen hatte, reichte er Klage beim zuständigen VG München ein. Das Gericht stellte sich in seiner Entscheidung auf die Seite der Universität und wies die Klage ab:

Zunächst ist die spontane Verlegung, die zwar grundsätzlich zu vermeiden ist, kein derart grober Eingriff in die Ordnungsmäßigkeit der Prüfung, dass diese komplett aufgehoben werden müsse. Es handelt sich vielmehr um eine normale Unannehmlichkeit, wie sie desöfteren vorkommt. Der einzelne Studierende hat keinen Anspruch darauf, dass eine Prüfung stets nur so wie angekündigt oder überhaupt nicht stattfinde. Ansonsten hätte der Professor den Termin absagen und – mit angemessener Frist – neu ankündigen müssen, was eher zu größeren Problemen geführt hätte als die streitgegenständliche Verschiebung um eine halbe Stunde.

Auch eine Verbesserung der Note über den ohnehin abgemilderten Bewertungsmaßstab ist nicht angezeigt. Für einen echten Härteausgleich fehlt es an einem tragfähigen Grund. Es ist allgemein anerkannt (…), dass auch das Studium auf den Beruf vorbereiten soll. Im Berufsleben sind spontane Änderungen der Pläne, Überraschungen und Unwägbarkeiten eher die Regel als die Ausnahme. Von jedem Berufstätigen (und auch von Studierenden) kann eine gewisse Flexibilität erwartet werden. Macht ein Prüfungsteilnehmer geltend, dass eine derartige Abweichung vom angekündigten und erwarteten Lauf der Dinge bereits eine unzumutbare Störung seiner Konzentration und eine Beeinträchtigung seiner Fähigkeiten zur Folge habe, handelt es sich dabei vielmehr um einen Leistungsmangel seinerseits.

Ein Freibrief für Universitäten zu einer schlampigen Prüfungsplanung (an der sie sicher auch selbst kein Interesse haben) ist das Urteil aber nicht: Wenn die Störungen erheblicher gewesen wären, also die Prüfung bspw. von den Vormittag auf den Nachmittag verschoben worden wäre oder überraschend eine Woche früher stattgefunden hätte, wäre es möglicherweise anders ausgegangen. Das VG München bestätigt aber einmal mehr die wohl in der ganzen Bundesrepublik geltende Leitlinie, dass es im Hochschulrecht sehr schwer ist, auf dem Rechtsweg zu besseren Noten zu kommen.