Die Entschädigung für überlange Verfahren

Seit einigen Jahren gibt es im deutschen Recht Möglichkeiten, sich gegen überlange Gerichtsverfahren sowie staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren in Strafsachen zu wehren. Hier stellen wir überblicksartig dar, welche Möglichkeiten es hierfür gibt.

Wann liegt eine Verfahrensverzögerung vor?

Von Verfahrensverzögerungen im engeren Sinne spricht man nur, wenn die Staatsanwaltschaft oder ein Gericht (egal, ob Zivil-, Straf- oder Verwaltungsgericht) ein Verfahren nicht mit der gebotenen Eile vorantreiben. Eine feste zeitliche Schwelle gibt es nicht, man kann also bspw. nicht sagen, dass jedes Zivilverfahren innerhalb von einem Jahr zum erstinstanzlichen Urteil gelangt sein muss. „Die Entschädigung für überlange Verfahren“ weiterlesen

Lanka gegen Bardens – der Masern-Virus-Prozess

virus-1812092_1920Stefan Lanka, ein Alternativmediziner, hatte ein Preisgeld von 100.000 Euro ausgesetzt, um einen Beweis für das Masern-Virus zu erhalten. Diesen Nachweis hatte der Arzt David Bardens seiner Ansicht nach geführt und verlangte die Zahlung. In zweiter Instanz wurde seine Klage vom OLG Stuttgart abgewiesen.

Worum ging es in dem Fall?

Auf seiner Homepage legte er folgende Regeln für die Auszahlung fest:

Das Preisgeld wird ausgezahlt, wenn eine wissenschaftliche Publikation vorgelegt wird, in der die Existenz des Masern-Virus nicht nur behauptet, sondern auch bewiesen und darin u.a. dessen Durchmesser bestimmt ist.

Rechtlich handelt es sich damit um eine sogenannte Auslobung gemäß § 657 BGB. Dabei wird von einer Person eine Belohnung (das Preisgeld) versprochen, wenn eine andere Person eine bestimmte Handlung (Vorlage einer bestimmten Publikation) vornimmt.

Streitig war nun, ob die Vorlage der insgesamt sechs Fachartikel dem genügt oder nicht.

Was hat das Landgericht Ravensburg entschieden?

Das LG war der Ansicht, dass die vorgelegten Artikel gemeinsam sowohl die Existenz des Virus belegten als auch dessen Durchmesser darstellten. Damit seien die Bedingungen der Auslobung erfüllt, der Kläger Herr Bardens habe sich folglich das Preisgeld verdient.

Was hat das Oberlandesgericht Stuttgart entschieden?

Das OLG sah dies anders. Die Auslobung sei auf „genau eine“ Publikation gerichtet gewesen. Damit hätten die verlangten Nachweise alle im selben Text erbracht werden müssen, eine Aufspaltung auf mehrere Publikationen sei nicht ausreichend.

Hat das Gericht damit festgestellt, dass es das Masern-Virus nicht gibt?

Nein, im Gegenteil. Die Existenz des Virus war und ist völlig unumstritten – wenngleich die Auslobung natürlich den Zweck hatte, zu zeigen, dass niemand den Nachweis erbringen könne. Tatsächlich wurde der Nachweis aber ohne Weiteres erbracht, der Kläger ist nur an einer Formalie gescheitert – er hat nämlich zu viele Beweise vorgelegt, wohingegen der Beklagte Herr Lanka nur einen einzigen Beweis haben wollte.

Welches von beiden Urteilen gilt nun?

In der Juristerei gilt das Prinzip „Ober sticht Unter“, das Berufungsurteil des Oberlandesgerichts ist also das maßgebliche Urteil, das Landgerichtsurteil wurde hingegen durch dieses aufgehoben.

Allerdings will der Kläger nun in Revision zum Bundesgerichtshof gehen. Die Revision muss allerdings erst noch durch den BGH selbst zugelassen werden.

Wie hat die Rechtswissenschaft das Urteil aufgenommen?

In der wissenschaftlichen Diskussion spielte das Urteil keine große Rolle, eher in der medialen. Juristisch waren hier keine besonders wichtigen Fragen zu klären, denn medizinische Auslobungen kommen in der täglichen Praxis nicht gar so häufig vor.

Das OLG-Urteil wurde teilweise als sehr gnädig angesehen. Die Richter wollten wohl dem Beklagten, der nicht wirklich umrissen hatte, wie leichtfertig er 100.000 Euro für eine minimale Gegenleistung faktisch verschenkt hatte, entgegenkommen. Indem sie die Anforderung „eine Publikation“ absolut wortwörtlich ausgelegt haben, haben sie den normalen Sinngehalt des Ausdrucks schon sehr gedehnt.

Es bleibt abzuwarten, wie der BGH entscheidet.

(Nachtrag: Der BGH hat mittlerweile das Berufungsurteil des OLG bestätigt. Die Zahlungsklage ist damit rechtskräftig abgewiesen.)

Die staatsanwaltschaftliche Abschlussverfügung

Dieser Text richtet sich in erster Linie an Rechtsreferendare, vor allem in Bayern, die regelmäßig (im Schnitt fast einmal pro Examenstermin) staatsanwaltschaftliche Abschlussverfügungen entwerfen müssen. Als Beschuldigter eines Ermittlungsverfahren ist es vielleicht auch ganz interessant, zu sehen, wie die Entscheidungsfindung der Staatsanwaltschaft funktioniert, allerdings erhält man selbst nur das Ergebnis dieses Prozesses – den Einstellungsbescheid oder die Anklageschrift. Ebenso bekommt das Opfer einer Straftat nur die Ladung als Zeuge zur Verhandlung oder die Mitteilung, dass das Verfahren eingestellt wurde, und eine Begründung hierfür. Die Abschlussverfügung selbst bleibt ein Behördeninternum, sie ist quasi eine Arbeitsanweisung an die Geschäftsstelle, welche Dokumente sie erstellen und an wen sie diese schicken muss.

Heute stellen wir an einer umfassenden (und selbstverständlich fiktiven) Verfügung dar, wie diese aussehen und welche Regelungen sie beinhalten können. „Die staatsanwaltschaftliche Abschlussverfügung“ weiterlesen

Grundzüge des Immissionsschutzrechts

Das Immissionsschutzrecht ist im Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) und den zugehörigen durchummerierten Verordnungen (BImSchV), von denen vor allem die 4. und die 9. bedeutsam sind, festgelegt. Dieses Rechtsgebiet ist einerseits sehr wissenschaftlich ausgelegt, da es häufig um technische Standards, chemische Verbindungen und messbare Werte geht. Andererseits hat es in Zeiten wachsender Sorge vor schädlichen Umwelteinflüssen aber eine erhebliche Bedeutung, gerade auch für Privatpersonen.

Grundlagen

Grundbegriff des Immissionsschutzrechts ist – wenig überraschend – die Immission. Im Gegensatz zur Emission, bei der es auf den Ausstoß ankommt, ist die Immission die Einwirkung an einem bestimmten Ort. Der Rauch, der aus dem Kamin einer Fabrik ausströmt, ist nicht interessant, immissionsschutzrechtlich relevant wird er erst, wenn er irgendwo nachteilig wirkt. Immissionen sind dabei nur sogenannte „unwägbare Stoffe“, also nicht fassbare oder besonders feine Einwirkungen: Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen, Licht, Wärme, Strahlen und ähnliche Umwelteinwirkungen (§ 3 Abs. 2). „Grundzüge des Immissionsschutzrechts“ weiterlesen

Schiedsgerichte – die Privatisierung des Rechts

Insbesondere im Zusammenhang mit internationalen Verträgen (aktuell z.B. TTIP oder CETA) sowie mit Auseinandersetzungen im Profisport (Fall Pechstein) werden Schiedsgerichte erstmals häufiger in der Öffentlichkeit diskutiert. Dabei spielen Schiedsgerichte eine enorme Rolle in der Rechtspraxis – allerdings agieren sie meist im Verborgenen und ihre Urteile („Schiedssprüche“) dringen selten nach außen. Für ihre Einschaltung gibt es gute Gründe – und darum wird diese Art der Streitentscheidung in Zukunft immer mehr Bedeutung bekommen.

Das Zehnte Buch der Zivilprozessordnung regelt in den §§ 1025 bis 1066 das schiedsrichterliche Verfahren. Obwohl im staatlichen Prozessrecht geregelt, handelt es sich dabei gerade um kein staatliches Gericht, das hier in Aktion tritt. Vielmehr benennen die Parteien jeweils – meistens – einen Schiedsrichter und diese beiden einigen sich dann auf eine dritte Person als Vorsitzenden. Die Schiedsrichter sind also keine Richter oder Beamten, sondern private Streitschlichter. „Schiedsgerichte – die Privatisierung des Rechts“ weiterlesen

Die Top Ten für den Juni 2016

Auf urteilsbesprechungen.de ging es um den Beschluss des Oberlandesgerichts München (29 W 542/16), der die Verpflichtungen von Filehostern nach erfolgter Abmahnung bzw. Unterlassungsverurteilung näher ausgeführt hat.

Die Begriffe „Fahrerlaubnis“ und „Führerschein“ werden im Alltagsleben synonym verwendet. Dass es dagegen ein großer Unterschied ist, ob man die Fahrerlaubnis oder nur den Führerschein verliert, erklären die Verkehrsrecht-FAQ. „Die Top Ten für den Juni 2016“ weiterlesen

Grundzüge des Sicherheitsrechts

Das Sicherheitsrecht ergänzt im Wesentlichen das Polizeirecht und hat die gleiche Zielrichtung, nämlich die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung. Im Gegensatz zum Polizeirecht werden die Sicherheitsbehörden aber dann tätig, wenn kein sofortiges Einschreiten notwendig ist. Die Tätigkeit der Sicherheitsbehörden wird nicht durch das Polizeiaufgabengesetz festgelegt, sondern durch das Landesstraf- und Verordnungsgesetz (LStVG), das mit vollständigem sperrigen Namen „Gesetz über das Landesstrafrecht und das Verordnungsrecht auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ heißt.

Sicherheitsbehörden sind gemäß Art. 6 LStVG die Gemeinden, die Landratsämter als Staatsbehörden, die Regierungen und das Innenministerium. Dabei gibt es weder eine Hierarchie im Sinne einer Weisungsbefugnis noch einen Zuständigkeitsvorrang der einen Behörde gegenüber der anderen. Allerdings wird die Zuständigkeitsnorm des Art. 44 LStVG, wonach grundsätzlich die unterste Ebene zuständig ist, als Rechtsgedanke angewandt. Zugleich bedeutet ein Verstoß gegen diesen Subsiaritätsgrundsatz aber nicht die Rechtswidrigkeit der Maßnahme. „Grundzüge des Sicherheitsrechts“ weiterlesen

Das Computergrundrecht

Seit einigen Jahren gibt es ein neues Grundrecht, das „Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme“, kurz „Computergrundrecht“. Dieses Recht steht nicht im Grundgesetz, sondern wurde vom Bundesverfassungsgericht aus der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) im Wege der Schutzbereichsverstärkung entwickelt – man könnte auch sagen, dass Karlsruhe dieses Grundrecht „erfunden“ hätte.

Mehr dazu auf http://grundrechte-faq.de/kategorie/computergrundrecht/.

Dabei geht es in erster Linie um die Abwehr staatlicher Überwachung und Manipulation von EDV-Anlagen, z.B. durch den sog. „Bundestrojaner“. „Das Computergrundrecht“ weiterlesen

Grundzüge des Polizeirechts

Tiefgehendere Informationen zum bayerischen Polizeirecht finden Sie auf http://bayerisches-polizeirecht.de.

Das Polizeirecht regelt die Frage, wann und wie die Polizei handeln darf. Das wesentliche Gesetz hierfür ist das Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Bayerischen Staatlichen Polizei (Polizeiaufgabengesetz, PAG). Einige wenige relevante Regelungen finden sich auch noch im Gesetz über die Organisation der Bayerischen Staatlichen Polizei (Polizeiorganisatioonsgesetz, POG).

Polizei im Sinne des Polizeirechts ist grundsätzlich die gesamte Vollzugspolizei, also das, was man auch gemeinhin als Polizei versteht (Art. 1 PAG). Dies bezeichnet man als eingeschränkt-institutionellen Polizeibegriff.

I. Zuständigkeit der Polizei „Grundzüge des Polizeirechts“ weiterlesen

OLG München: Schmerzensgeld für einen Mordversuch

Das Münchner Oberlandesgericht verhandelt in zweiter Instanz die Klage eines Opfers gegen den jugendlichen Schläger. Das Gericht hat versucht, auf einen Vergleich hinzuwirken und eine Einigung unterhalb der geforderten Summe von 200.000 Euro Schmerzensgeld zu erreichen. Das ist juristisch üblich und richtig. Denn es ist alles andere als sicher, dass der Kläger seine gesamte Forderung realisieren kann – und trotzdem ist es absolut verständlich, dass er keinen Grund für ein Entgegenkommen sieht.

„Was ist ein zertrümmertes Gesicht wert – und was eine Zukunft?“ fragt der Nachrichtensender N24 auf seiner Internetseite. Dabei geht es um einen Berufungsprozess über zivilrechtliche Ansprüche wegen einer Körperverletzung. Ein Geschäftsmann wurde vor mittlerweile sieben Jahren durch einige schweizer Jugendliche, die sich auf Klassenfahrt in München befanden, angegriffen und schwer misshandelt. „OLG München: Schmerzensgeld für einen Mordversuch“ weiterlesen