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    Categories: Anwaltsrecht

Von Werten und Kosten

Stellen Sie sich vor, Sie bestellen einen Elektriker zur Reparatur einer Steckdose. Er kommt, werkelt an ein paar Drähten herum, schließt einiges neu an, bastelt das Gehäuse wieder drauf und ist nach 15 Minuten fertig. Sie freuen sich, dass es nur die Anfahrt und einer viertel Arbeitsstunde kosten wird. Kurz darauf sind Sie aber überrascht, da er kein Geld will, sondern erst einmal in aller Ruhe durch die Wohnung marschiert. Er durchmißt die Zimmer vor seinem geistigen Auge und notiert überschlagsmäßig Quadratmeterzahlen. Wertgegenständen schenkt er besonderes Interesse, mustert sie genau von allen Seiten und läßt die Zahlenkolonnen auf seinem Notizblock wachsen. Sie fragen trotz aller Irritation ganz höflich “So, wieviel soll es denn jetzt kosten?” Der Elektriker winkt lächelnd ab: “Ich kann doch so schnell den Gegenstandswert nicht ausrechnen. Die Rechnung kriegen Sie dann per Post.” Gegenstandswert? “Ja, schauen Sie, ich rechne erstmal aus, was der Gegenstand wert ist.” – “Die Steckdose?” – “Nein, Ihre Wohnung. Danach kann ich aus der Tabelle die Gebühr ablesen. Aber keine Sorge, nachdem das so schnell ging, verlange ich von Ihnen nicht die übliche 0,50-Gebühr, sondern nur eine 0,43-Gebühr.” Sie sind nicht ganz sicher, ob das nun eine gute Nachricht ist, aber erwidern vosichtshalber das Lächeln des Handwerkers, bevor Sie ihn zur Tür geleiten. Was in diesem Beispiel geradezu surreal klingt – eine Dienstleistung berechnet sich nach dem Wert der Sache -, ist in juristischen Angelegenheiten die Regel. Sei es Anwalt, Notar oder Gericht, die Kosten richten sich fast ausschließlich nach dem Streitwert, nicht nach dem tatsächlichen Aufwand. Das in Sekunden geschehene Ausdrucken eines Standardbriefs kann mehrere tausend Euro einbringen, das wochenlange Betreiben eines komplizierten Prozesses kann dagegen als Ein-Euro-Job enden. Für die Gebührenfestsetzung nach Streitwert bestehen im wesentlichen zwei Argumente: Zum einen wird es als sozial empfunden, wenn Streitigkeiten um kleinere Summen weniger kosten sollen. Dies dürfte aber schon deswegen fraglich sein, da es wohl keinen allgemeinen Erfahrungssatz gibt, dass ärmere Menschen um geringere Werte streiten. Vielmehr werden sie gerade davon abgehalten, größere Ansprüche einzuklagen, da das Kostenrisiko dann auch entsprechend wächst. Im übrigen vereinbaren findige Anwälte, um dem oben genannten Risiko des Ein-Euro-Jobs zu entgehen, bei kleinen Summen regelmäßig besondere Honorare außerhalb der Gebührenordnung. Vom Gegner können dann aber nur die normalen Kosten verlangt werden, auf der Differenz bleibt der Auftraggeber selbst sitzen; das soziale Moment wird also, wenn man es schon im Gegensatz zur gesamten sonstigen Wirtschaft gerade bei der Juristerei anwenden will, ad absurdum geführt. Daneben wird aber auch angeführt, dass sich das Haftungsrisiko eines Anwalts bei höherem Streitwert ebenfalls vergrößert. Dann müssten die Kosten aber proportional steigen; ansonsten würde ja ein penibleres und weniger fehleranfälliges Arbeiten eines Anwalts bei höheren Werten impliziert. In Zeiten der gesetzlich vorgeschriebenen Berufshaftpflichtversicherung sind all diese Berechnungen aber ohnehin nur Makulatur. Anwälte sollten endlich als normale Selbständige behandelt werden und Stundenlöhne erhalten; würden sich die Juristengebühren aus Arbeitsentgelt (und ggf. einer geringen streitwertabhängigen Versicherungsprämie) zusammensetzen, wäre dies ein Dienst für Transparenz und anwaltlichen Berufsethos. Auf welche Höhe sich der Stundenlohn einpendelt, soll der Markt entscheiden; billiger würde es – und insofern prophezeiht dieser Vorschlag auch kein mandantisches Schlaraffenland – insgesamt nicht unbedingt. Manche Auftraggeber müssten wohl mehr zahlen, manche weniger; aber alle werden nur noch für das zahlen, was sie auch wirklich an anwaltlicher Leistung in Anspruch genommen haben. Bisher haben wir nur das Verhältnis zwischen Auftraggeber und Anwalt betrachtet. Nicht selten tritt aber noch ein Dritter hinzu, der oft genug auch noch die Anwaltskosten im Endeffekt bezahlen soll. Dieser Dritte muss davor geschützt werden, dass ihm eine unbillig hohe Rechnung präsentiert werden soll; bis dato ist dies im übrigen gang und gäbe, da dann gerne ein Aufschlag von 30 % kassiert wird – das Maximum, für das der Anwalt gerade noch keine besondere Begründung liefern muss. Hier wäre ein Regelsatz (der wohl kaum unter 100 Euro/Stunde liegen dürfte) denkbar, von dem der Anwalt jede Abweichung nach oben erläutern muss; besondere Berufserfahrung, spezielle Aus- und Fortbildung und sonstige Kenntnisse würden dabei sicher auch höhere Preise rechtfertigen. Würde man hier noch eine schnelle und informelle Beschwerdemöglichkeit zur Rechtsanwaltskammer ermöglichen, wäre der Mandant auch vor einer allzu phantasievoll berechneten Stundenzahl geschützt. Vielleicht ist es aus meiner Sicht – der des künftigen Anwalts – nicht besonders geschickt, die Axt an bequeme berufsständische Einnahmequellen zu legen. Aber ich bin mir jedenfalls sicher, dass ich lieber für geleistete Arbeit ein angemessenes Entgelt beziehe als dass ich mit ominösen Gebührentabellen hantiere und am Schluß die Kosten für die Steckdose nach der Größe des Gartens ausrichte.

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