Zum Wesen des Eigentums an einer Sache gehört es, dass der Eigentümer frei darüber verfügen kann. Er selbst kann entscheiden, was er mit seinem Eigentum macht und wer es benutzen darf. Gegen unberechtigte Eingriffe kann er sich zur Wehr setzen. Kernvorschrift hierfür ist § 1004 BGB, der einen „Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch“ verbürgt. (Dieser Paragraph wird leider auch für missbräuchliche Abmahnungen analog verwendet, in seiner ursprünglichen Form ist er aber sehr sinnvoll.) § 1004 Abs. 1 BGB lautet:
Wird das Eigentum (…) beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.
Dementsprechend wollte es ein Grundstückbesitzer (nennen wir ihn Herrn A) auch nicht dulden, dass die Katze seines Nachbarn (nennen wir ihn Herrn B) in seinen Garten läuft. Er zog vor Gericht und so musste das Landgericht Nürnberg-Fürth (Urteil vom 26. Juni 1990, Az. 13 S 1664/90) über die Sache entscheiden. Das Urteil ist ersichtlich schon etwas älter, aber trotzdem interessant.
In einer kleinen, ländlich geprägten Ortschaft in der Erlanger Gegend lief der Nachbarskater ständig über das Grundstück von Herrn A. Er richtete dort verschiedene Schäden an (die aber für unsere Betrachtungen nicht weiter interessant sind) und störte den A im Allgemeinen, sodass ihn dieser nicht mehr auf seinem Grundstück sehen wollte.
Das Gericht (in erster Instanz das Amtsgericht, in der Berufungsinstanz das Landgericht) sollte dem B auferlegen, dass dieser sein Tier vom Grundstück des A fernzuhalten habe. Die Gerichte gaben dem Kläger im Prinzip Recht: Er kann verlangen, dass sein Eigentum nicht durch den Nachbarn gestört wird. Störungen durch seine Katze hat Herr B selbstverständlich ebenfalls zu verantworten.
Trotzdem scheiterte er mit seinem Anspruch aus § 1004 BGB. Denn obwohl dessen Voraussetzungen erfüllt waren, musste er sich vorhalten lassen, dass die Grundsätze des „nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnisses“ die Anwendung des Paragraphen in diesem Falle ausschließen.
Was ist nun dieses „nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis“? Es besagt im Grunde, dass die Nachbarn eine Art Schicksalsgemeinschaft darstellen. Wenn Menschen nahe nebeneinander wohnen, müssen sie aufeinander Rücksicht nehmen und können nicht jedes Recht, das sie formal haben mögen, auch buchstabengetreu umsetzen.
Im Rahmen dieses Verhältnisses mussten also die Interessen von A und B gegeneinander abgewogen werden. Für A sprach das Interesse, seinen Garten von fremden Katzen freizuhalten. B brachte vor, dass seine Katze seit vielen Jahren „Freigänger“ sei, es also gewohnt sei, durch die Gegend zu spazieren. Sie nun in eine Wohnungskatze „umzuwandeln“ sei kaum möglich. Und auch das Umfeld der Grundstücke wurde in die Überlegungen miteinbezogen: Es handelte sich um eine dörfliche Siedlung, die von Grünanlagen und Äckern umgeben war. Hier war es üblich, dass die Katzen der Anwohner frei herumliefen.
Anhand dieser Argumente entschied das Gericht darum auch für den Beklagten Herrn B.
Daran sieht man, dass das Recht nicht immer eine reine Subsumtionsarbeit, also ein bloßes Durchprüfen der gesetzlichen Regelungen ist. Es werden in vielen Fällen Wertungen und Interessenlagen gegeneinander gewichtet.
Häufig passiert es auch wie hier, dass ein Anspruch dem Grunde nach bejaht wird, aber im Gegenzug gefragt wird, ob er diesen auch durchsetzen kann oder ob er in diesem Fall nicht vielmehr ein Duldungsanspruch der anderen Seite besteht.
Dieser Duldungsanspruch ergab sich hier aus der Wohnumgebung, die das konkrete nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis entscheidend prägt und daher festlegt, welche Störungen man akzeptieren muss und welche nicht. Die Sache wäre möglicherweise ganz anders zu entscheiden gewesen, wenn die Katze städtisch geprägten Gegend unterwegs gewesen wäre.