Ein Blick auf das Impressum der Internetseite des Deutschen Bundestags hat bei manchem gewisse Irritationen ausgelöst. Dort ist eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer (USt-ID) verzeichnet, nämlich DE 122119035. Über diese Zahlenkombination wird gemeinhin die Zahlung der Umsatzsteuer (auch Mehrwertsteuer genannt) abgewickelt und kontrolliert. Damit sollen Betrügereien mit der Mehrwertsteuer, zum Beispiel indem Firmen sich Umsatzsteuern erstatten lassen, die nie gezahlt wurden, verhindert werden. Wofür braucht aber nun ein Parlament eine derartige Nummer, die doch eigentlich nur Unternehmen benötigen? Machen unsere Volksvertreter etwa krumme Erwerbsgeschäfte, während sie doch eigentlich für ihre Wähler arbeiten sollen?
Grundsätzlich ist es richtig, dass nur Unternehmer eine Umsatzsteuer-ID benötigen. Die Bundesrepublik Deutschland ist als Staat eine sogenannte juristische Person des öffentlichen Rechts. Ein Staat ist ja schon rein begrifflich kein Unternehmer und damit eigentlich auch das Verfassungsorgan Bundestag nicht. Wer im Sinne der Umsatzsteuer Unternehmer ist, definiert aber § 2 UStG:
(1) Unternehmer ist, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt.
(3) Die juristischen Personen des öffentlichen Rechts sind nur im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art (§ 1 Abs. 1 Nr. 6, § 4 des Körperschaftsteuergesetzes) und ihrer land- oder forstwirtschaftlichen Betriebe gewerblich oder beruflich tätig.
§ 4 KStG definiert diese gewerblichen Betriebe:
(1) Betriebe gewerblicher Art von juristischen Personen des öffentlichen Rechts im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 6 sind vorbehaltlich des Absatzes 5 alle Einrichtungen, die einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen außerhalb der Land- und Forstwirtschaft dienen und die sich innerhalb der Gesamtbetätigung der juristischen Person wirtschaftlich herausheben. Die Absicht, Gewinn zu erzielen, und die Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr sind nicht erforderlich.
(5) Zu den Betrieben gewerblicher Art gehören nicht Betriebe, die überwiegend der Ausübung der öffentlichen Gewalt dienen (Hoheitsbetriebe).
Wenn dementsprechend der Bundestag Betriebe unterhält, die nicht zu seinen hoheitlichen Kernaufgaben zählen (also die unmittelbare Parlamentsarbeit), und er daraus laufend Einnahmen erzielen will, dann ist er dafür auch umsatzsteuerpflichtig. Gewerbliche Betriebe des Bundestags kommen viele in Betracht, wenn man etwas nachdenkt: Die Kantine, der Souvenirladen, Eintrittskarten, Saalmieten für Veranstaltungen Dritter, der Verkauf ausrangierter Dienstwagen usw. Der Bundestag ist eben auch ein Touristenziel, er betreibt Räumlichkeiten und ist in seiner Gesamtorganisation ein ganz bedeutender Wirtschaftsteilnehmer.
Natürlich ist das ganze gewissermaßen ein „Linke Tasche/rechte Tasche“-Spiel. Ein Staatsorgan führt Steuern an den Staat ab. Man könnte den Bundestag also praktisch auch steuerfrei stellen. Das übersieht aber die Tatsache, dass die Umsatzsteuer zwar vom Unternehmer abgeführt wird, sie aber eigentlich den Kunden belasten soll. Und wer beim Deutschen Bundestag eine Flasche Wasser aus dem Automaten kauft, muss eben sein normale Mehrwertsteuer darauf bezahlen. Dafür, den Bundestag zum Duty-Free-Shop zu erklären, gibt es keinen Grund.
Der Bundestag braucht also schon deswegen eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer, weil er teilweise auch gewerblich tätig ist.
§ 27a Abs. 1 Satz 2 des Umsatzsteuergesetzes sieht aber noch eine andere Einsatzmöglichkeit für die USt-ID vor:
Das Bundeszentralamt für Steuern erteilt auch juristischen Personen, die nicht Unternehmer sind oder die Gegenstände nicht für ihr Unternehmen erwerben, eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer, wenn sie diese für innergemeinschaftliche Erwerbe benötigen.
Man braucht also unter Umständen auch für den grenzüberschreitenden Erwerb eine Identifikationsnummer. Der Grund dafür ist die Konzeption der Umsatzsteuer in der EU: Sie fällt immer im Land des Leistungsempfängers an, also des Käufers bzw. Auftraggebers. Das nennt sich „Bestimmungslandprinzip“ und es gilt auch für die Einfuhr von Waren aus anderen Staaten. Darum kann man sich als Tourist auch die Umsatzsteuer für im Ausland gekaufte Waren beim dortigen Zoll auszahlen lassen, muss dafür aber die inländische Einfuhr-Umsatzsteuer bei der Einreise bezahlen.
Wenn nun also beispielsweise eine belgische Firma einen neuen Teppichboden im Bundestag verlegt, dann muss sie keine belgische Umsatzsteuer zahlen, sondern nur die deutsche Mehrwertsteuer. Um diese Zahlungsflüsse (und die Tatsache, dass überhaupt irgendwo Steuer gezahlt wird) darzustellen, muss die belgische Firma den belgischen Behörden die deutsche Umsatzsteuer-ID ihres Auftraggebers mitteilen.
Theoretisch würde es auch ohne diese Identifikationsnummer gehen. Dann müsste der Auftragnehmer aber die belgische Umsatzsteuer in Rechnung stellen und an das belgische Finanzamt weiterleiten, da er ja nicht nachweisen kann, dass im Bestimmungsland die deutsche Mehrwertsteuer entrichtet wird. Der deutsche Fiskus würde dann also leer ausgehen und der Bundestag würde einem fremden Land Steuern bezahlen – dieses Ergebnis kann der deutsche Staat nicht wollen.
Um eine Auftragsvergabe an ausländische Firmen kommt der Bundestag oft nicht herum: Bei einem Auftragsvolumen von mindestens 130.000 Euro (ab 2014: 134.000 Euro) besteht eine Pflicht zur europaweiten Ausschreibung. Deutsche Verfassungsorgane, Behörden und Körperschaften sind also notgedrungen gesamteuropäische Wirtschaftsteilnehmer.
Der Bundestag benötigt also auch eine Umsatzsteuer-ID, um keine ausländische Umsatzsteuer zahlen zu müssen.
Soweit der Bundestag aber Geschäfte abschließt, die nicht zur gewerblichen, sondern zur hoheitlichen Tätigkeit gehören, kann er die Umsatzsteuer, die dafür möglicherweise anfällt, gemäß § 4a UStG zurückerstattet bekommen:
(1) … juristischen Personen des öffentlichen Rechts wird auf Antrag eine Steuervergütung zum Ausgleich der Steuer gewährt, die auf der an sie bewirkten Lieferung eines Gegenstands, seiner Einfuhr oder seinem innergemeinschaftlichen Erwerb lastet
Und sobald man Umsatzsteuer zurückbekommen will, braucht man natürlich eine ID, über die die Abwicklung bewerkstelligt werden kann. Wenn es nur um den Bundestag ginge, wäre das vielleicht nicht notwendig, da die Abwicklung relativ übersichtlich wäre. Wir reden bei den juristischen Personen des öffentlichen Rechts aber nicht nur über den Bund und seine wenigen Verfassungsorgane, sondern auch über hunderte Landkreise und kreisfreie Städte und zehntausende Gemeinden in ganz Deutschland. Wenn die Umsatzsteuer-ID dazu beitragen soll, eine klare Zuordnung von Steuerleistungen und Wirtschaftsteilnehmern zu ermöglichen, dann wird sie selbstverständlich auch dafür eingesetzt.
Der Bundestag braucht also auch eine Umsatzsteuer-Identifikation, um in den Genuss von Steuervergünstigungen zu kommen.
Warum der Bundestag eine Umsatzsteuer-ID braucht, ist nun klar. Eine letzte Frage bleibt aber noch: Warum steht diese auf der Homepage des Bundestags?
Die Antwort ist einfach. Weil dies die Pflicht eines jeden ist, der eine Internetseite betreibt. § 5 des Telemediengesetzes (TMG) sagt:
(1) Diensteanbieter haben für geschäftsmäßige, in der Regel gegen Entgelt angebotene Telemedien folgende Informationen leicht erkennbar, unmittelbar erreichbar und ständig verfügbar zu halten:
in Fällen, in denen sie eine Umsatzsteueridentifikationsnummer nach § 27a des Umsatzsteuergesetzes oder eine Wirtschafts-Identifikationsnummer nach § 139c der Abgabenordnung besitzen, die Angabe dieser Nummer
Wer sich also darüber ärgert, dass sich der Bundestag in puncto Gesetzgebung oftmals ganz bewusst an der Grenze des gerade noch verfassungsmäßig Erlaubten bewegt, der kann wenigstens in einer Sache ganz zufrieden sein: Steuerlich halten sich unsere Volksvertreter in Berlin strikt an Recht und Gesetz. Immerhin.