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Politik in Springfield

Nicht alles, was Zeichentrick ist, ist nur für Kinder. Und so bin ich ein großer Fan der Simpsons. Die Serie ist eine wunderbare kulturelle Erscheinung, die das Leben in den USA und das Zeitgeschehen meisterhaft parodiert. Und dazu gehört natürlich auch die Politik – und wie die dargestellt wird, wollte ich mal kurz zusammenfassen. Fortsetzung folgt vielleicht, denn vieles, an das ich mich jetzt noch dunkel erinnern kann, hab ich noch nicht gefunden bzw. keiner Episode zuordnen können.

Die Demokraten: Die demokratische Partei der USA ist im Grunde ein großer Haufen desinteressierter Weicheier einerseits (ein besonderes Beispiel dafür ist Springfields Dauer-Bürgermeister Quimby, siehe unten) und hoffnungslos verkopfter Intellektueller andererseits. Auf ihrem Parteitag hängen Transparente mit „We can’t govern“ und „We hate life and ourselves“.

Die Republikaner: Ihre Wahlsprüche sind „We want what’s worst for everyone“ und „We’re just plain evil“. Und sie bestehen auch tatsächlich aus den übleren Gestalten der Serie: Mr Burns, Sideshow Bob und der namenlose Rich Texan, ein dekadenter, waffenverrückter Öl-Millionär. Man sieht daran schon, dass die Sympathie der Macher definitiv nicht der konservativeren Seite gehört. Interessant sind aber zwei andere Mitglieder der Republicans: Krusty the Clown (eig. Herschel Krustofsky), ein jüdischer Show-Biz-Titan. Dazu muss man wissen, dass die amerikanischen Juden wohl aus Tradition ganz überwiegend die Demokraten wählen (z.B. im Jahr 2000 waren 79 % der jüdischen Wähler für Al Gore, von allen Wählern nur 48 %). Andererseits gehören sie ebenso überwiegend der gebildeten Oberschicht an, die ihrerseits mehrheitlich republikanisch wählt. In dem Spannungsfeld steht Krusty auch. Ob er deswegen gleich ein Menetekel des Bruchs alter Bindungen ist, darf man freilich bezweifeln. Denn schließlich meinte er auch zu Clinton: „I campaigned for the other guy, but I voted for you!“ Ähnlich ist es auch beim schwarzen Arzt Dr Hibbert, der gewissermaßen ein Prototyp des bodenständigen Aufsteigers ist.

Diamond Joe Quimby: Ein unmoralischer, inkompetenter und populistischer Bürgermeister, der sich durch alle Betten der Stadt schläft und bei jeder Gelegenheit die Hand aufhält. Er hat keinerlei Prinzipien und wird allgemein verachtet, bleibt aber die einzige Konstante der Springfielder Politik. So ca. einmal pro Staffel wird er verhaftet, flüchtet, muss sich einem Mißtrauensantrag stellen oder wird abgesetzt. Seine Gegenkandidaten sind in aller Regel so illuster wie die gesamten Bewohner von Springfield – und oft genug kandidieren auch fast alle für das Amt. Am Ende der Folge ist Quimby freilich stets wieder in Amt und Würden.

Der Stadtrat: Soetwas gibt es in Springfield nicht. In einer Folge wird eine Art Expertengremium anstatt des geflohenen Bürgermeisters eingerichtet, das aber gerade nicht den Volkswillen repräsentiert. Entscheidungsfindungsprozesse in Gremien gibt es in der Simpson’schen Politik aber allgemein nicht. Wenn der Kongress, was selten genug der Fall ist, einmal vorkommt, dann eigentlich nur als das, was man in der Weimarer Republik verächtlich „Quasselbude“ genannt hat; es wird zwar geredet, aber Zählbares kommt nie raus, und sei es auch nur deswegen, weil ein sinnvoller Antrag aus unerfindlichen Gründen mit einem völlig themenfremden Gesetz verbunden werden soll.

Das Volk: Ein leicht beeinflussbarer und irrationaler Haufen. Bürgerversammlungen, die ohne irgendeine erkennbare Grundlage immer mal wieder einberufen werden, stehen oft genug am Anfang eines Übels. Und wer seine Argumente in einem schönen Liedchen verpackt, hat deutlich bessere Chancen. (Noch ein Grund, da nicht hinzuziehen…) Musik kann übrigens auch helfen, wenn ein mit Mistgabeln und Fackeln bewaffneter Mob ein Bordell niederbrennen will. Umgekehrt wählt man dann aber auch mal den leicht debilen Achtjährigen Ralph Wiggum in der Primary zum Präsidentschaftskandidaten.

Fox und die Liberals: Der Sender Fox, auf dem die Simpsons in den USA ausgestrahlt werden, ist die Speerspitze gegen die „Liberals“, die in erster Linie in der Demokratischen Partei beheimatet sind. Gleichzeitig werden damit aber völlig andere Werte gemeint als diejenigen, die wir uns unter liberal vorstellen. „Tax and spend“ ist das Mantra des letzten verbliebenen Demokraten; und beispielsweise hat Bush im TV-Duell 2000 Gore vorgeworfen, dieser wolle eine gesetzliche Krankenversicherung einführen – „that’s what Liberals do“. Der Kontrast zwischen Fox und den Demokraten wird dabei in aller Regel zugunsten der letzteren betont.

Kompetenzen: Gibt es nicht. Die Stadt ist so ziemlich für alles zuständig, was in der Welt passiert. Sie kann die Prohibition einführen, baut eigene Gefängnisse, errichtet Bären-Patrouillen mit Tarnkappenbombern, weist Immigranten aus, streicht die Evolution von den Lehrplänen und führt die Homo-Ehe ein. Springfield ist ein eigener Mikrokosmos, der sich selbst regiert und reguliert; das ist aber auch ein Teil der tatsächlich politischen Kultur der USA, die sich nicht selten gegen „die da oben“ und vor allem gegen die Zentralregierung in Washington richtet – daraus ist schließlich schon mal ein ganzer Bürgerkrieg geworden.

Die Vereinten Nationen: „Do you kids wanna be like the real U.N., or do you just wanna squabble and waste time?“ – Ohne weiteren Kommentar. Politische Konzepte: Nicht weniger als Personen, Ämter und Parteien werden auch die Ideologien, die die amerikanische Politik prägen, persifliert. Bspw. äußert sich die Political Correctness in den USA nicht nur durch die hierzulande beliebten kindischen Neologismen („Studierende“), orthographischen Barbareien (Binnen-I) oder verschämten Worthülsen („Migrationshintergrund“), sondern hat auch einen handfesten tatsächlichen Charakter. Und so wird Rektor Skinner dann auch zum Assistant Groundskeeper degradiert. Er hat freilich daraus gelernt, denn „I don’t have any opinions anymore. All I know is that no one is better than anyone else, and everyone is the best at everything“.

Fazit: Politik bei den Simpsons ist in erster Linie so gestrickt, dass sie in eine 20-minütige Episode paßt. Es gibt im Grunde keine festen Strukturen der Stadtverwaltung. Die Wähler lassen sich von Versprechungen jedweder Art mitreißen, sind dann aber wütend bis gewalttätig, sobald alles genau so kommt, wie es von vornherein kommen musste. Die Einsicht packt sie freilich erst dann, wenn bspw. der neugewählte Abfallbeauftragte Homer Simpson das Müllabfuhrbudget des gesamten Jahres bereits Ende Januar ausgegeben hat. Umgekehrt wird aber allgemein erwartet, dass ein Politiker (oder auch der örtliche Polizeichef) durch und durch korrupt ist. Man regt sich darüber nur auf, wenn man gerade – vor allem wieder in der Masse – empört sein will; ansonsten gehört es zur Normalität des Amtes. Einen positiven Aspekt von Macht und Machtausübung gibt es eigentlich nicht – das kann man aber auch von einer rein satirischen Sendung kaum erwarten. Eine der wenigen Ausnahmen ist vielleicht Ray Patterson, der frühere Müllbeauftragte. Er charakterisiert sich folgendermaßen: „Alright, fine. If you want an experienced public servant, vote for me. But if you want to believe some crazy promises, then vote for this sleazy lunatic“. Unnötig zu erwähnen, dass der Mann abgewählt wurde. Um in Springfield erfolgreich zu sein, braucht man ein sicheres Gespür für den Willen des Volkes und das Talent, den Willen des Volkes für sich zu kanalisieren. Das schafft man mit einfachen Botschaften, lustigen Sprüchen und ohne stringente Logik. Etwas Pathos und ein bißchen „ur-amerikanische“ Überheblichkeit schaden auch nicht. Damit ist die Springfielder Situation in vielem sehr nahe an dem, was Aristoteles mit der Urbedeutung von „Demokratie“ als einer zur „Pöbelherrschaft“ ausgearteten Staatsform gemeint hat. Die Massen lechzen nach jemandem, der ihnen schöne Vorschläge unterbreitet, wollen andererseits aber mit den daraus entstehenden Problemen nichts zu tun haben. Innerhalb von 20 Minuten wird aus der Lichtgestalt ein Sündenbock – und über all dem schwebt dann doch wieder Quimby als der altbekannte, aber irgendwie bewährte Versager. Allgemein hängt sehr vieles an Personen – ein durchaus realistischer Ausdruck des US-Wahlrechts, das fast ausschließlich Mehrheitswahlen kennt. Parteien kommen hauptsächlich in Form von Stereotypen vor, treten aber gegenüber ihren Repräsentanten deutlich zurück. Viele Aspekte sind in der Tat nicht ganz aus der Luft gegriffen. Das Heilandspotential, das von und über Obama aufgebaut wurde, hätte mit Sicherheit auch in der Welt der Simpsons Anklang gefunden. Repräsentativ für das amerikanische (oder irgendein) Wahlvolk sind die Einwohner von Springfield in ihrer teilweise kolossalen Einfachheit und Manipulierbarkeit freilich trotzdem nicht.

Insgesamt… 1. sind die Springfieldianer zur Demokratie schlicht unfähig, 2. bekommen sie dafür auch die unfähigen Politiker und schlechten Gesetze, die sie verdienen, 3. fahren sie damit aber gar nicht mal so schlecht.

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