Über Sinn, Berechnung und Verhängung der Gesamtstrafe haben wir bereits geschrieben. Diese kommt zur Anwendung, wenn mehrere Straftaten desselben Angeklagten vor demselben Gericht verhandelt werden. Daneben gibt es aber noch die Möglichkeit der nachträglichen Gesamtstrafe, § 55 StGB. Diese ist zwar sehr viel seltener, wirft aber ganz eigene Probleme auf.
§ 55 StGB sagt:
Die [Vorschriften über die Bildung der Gesamtstrafe] sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat.
Es geht also um die Situation, dass mehrere Straftaten zusammentreffen, die eigentlich in einem Verfahren und damit mit einer Gesamtstrafe hätten abgeurteilt werden müssen. Dies ist aber nicht geschehen – warum auch immer; häufig wohl deswegen, weil das Gericht nicht wusste, dass noch ein anderes Verfahren anhängig ist, oder, weil die Straftat noch nicht einmal entdeckt war. Allein dieser Aspekt macht das Urteil, das wegen „nur“ eines Teils der Taten erfolgt ist, aber keineswegs ungültig.
Vielmehr versucht man, die Situation herzustellen, die bei Berücksichtigung aller Straftaten erfolgt wäre. Daher wird eine sogenannte nachträgliche Gesamtstrafe gebildet. Der Verurteilte soll also weder besser noch schlechter dastehen als wenn er „im normalen Verfahren“ verurteilt worden wäre.
Prozessual erfolgt dies durch Beschluss des zuständigen Gerichts ohne mündliche Verhandlung, § 462 Abs. 1 Satz 1. Der Verurteilte hat ein Recht darauf, angehört zu werden (schriftlich oder auf Anordnung des Gerichts auch mündlich), mehr aber auch nicht. Ein Austausch von Argumenten wie in der Hauptverhandlung findet nicht statt. Dies ist schon deswegen ungewöhnlich, weil der Grundsatz der mündlichen Verhandlung ein eherner Pfeiler des Strafrechts ist und davon nur abgewichen werden kann, wenn der Angeklagte zumindest schlüssig zustimmt, z.B. durch Verlassen der Hauptverhandlung oder durch Annahme eines Strafbefehls. Dass er hier zwingend auf den Beschlussweg verwiesen wird, ist nicht unproblematisch.
Die Sache wird dadurch etwas abgemildert, dass es ja bereits mindestens zwei in ordentlicher Verhandlung gefällte Urteile gibt, gegen die er alle für ihn sprechenden Gesichtspunkte einwenden konnte. Auch wird die Gesamtstrafe zwangsläufig niedriger als die Einzelstrafen, sodass der Verurteilte davon in jedem Fall profitiert. Trotzdem ist die Höhe der Gesamtstrafe ein rechtlicher Gesichtspunkt, zudem der Verurteilte auch entsprechendes Gehör verdient hätte.
Schwer erträglich sind aber auch die Rahmenbedingungen für die Bildung der Gesamtstrafe. Dass die Zahl der Tagessätze der Gesamtstrafe die höchste Einzelstrafe überschreiten muss, haben wir bereits festgestellt. Nach der Rechtsprechung muss aber auch die Summe der Einsatzstrafe erhöht werden. Und dies kann zu Problemen führen, wenn sich das Einkommen des Angeklagten verändert.