Das Staatshaftungsrecht beschäftigt sich mit der Frage, ob, wann und wie der Staat für Fehlverhalten seiner Amtsträger und Organe Schadenersatz an betroffene Bürger leisten muss. Auf Bundesebene sind die Normen, die sich damit beschäftigen, äußerst überschaubar:
Artikel 34 Satz 1 Grundgesetz
Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht.§ 839 BGB
(1) Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Fällt dem Beamten nur Fahrlässigkeit zur Last, so kann er nur dann in Anspruch genommen werden, wenn der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag.
(2) Verletzt ein Beamter bei dem Urteil in einer Rechtssache seine Amtspflicht, so ist er für den daraus entstehenden Schaden nur dann verantwortlich, wenn die Pflichtverletzung in einer Straftat besteht. Auf eine pflichtwidrige Verweigerung oder Verzögerung der Ausübung des Amts findet diese Vorschrift keine Anwendung.
(3) Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden.
Das war’s. Diese zwei Vorschriften sollen das ganze Staatshaftungsrecht regeln? 146 Wörter – zum Vergleich: das „Gesetz zur Bereinigung der Rechtsverhältnisse an Verkehrsflächen und anderen öffentlich genutzten privaten Grundstücken“ hat 2858 Wörter.
BGB: Haftungsbegründung – GG: Haftungsverlagerung
Als erstes muss man feststellen, wie sich diese beiden Rechtsvorschriften überhaupt zueinander verhalten.
Das BGB verrät, dass ein Beamter für Amtspflichtverletzungen haftet. Und zwar persönlich. Der Geschädigte muss sich also den Beamten heraussuchen, von dem er sich verletzt fühlt, und diesen dann vor Gericht zerren.
Diese Regelung ist natürlich völlig absurd und nützt niemandem. Der Bürger bekommt unter Umständen einen kleinen Sachbearbeiter mit geringem Einkommen als Schuldner, der ihm auch in den nächsten 100 Jahren seinen Schaden nicht vollständig ersetzen kann. Der Beamte müsste tagtäglich mit einem riesigen Haftungsrisiko leben, gegen das er sich wahrscheinlich nicht einmal versichern könnte. Und der Staat würde nur noch Menschen einstellen können, die genug finanziellen Wagemut für eine Stelle im öffentlichen Dienst aufbringen.
Daher ordnet Art. 34 GG auch an, dass die Verantwortlichkeit die staatliche Körperschaft (Bund, Land oder Kommune) trifft, für die der Beamte tätig geworden ist. Völlig unstreitig ist, dass diese Regelung die BGB-Vorschrift verdrängt, sodass nur der Staat haftet und der Beamte selbst vollständig entlastet ist. Damit sieht § 831 BGB also über den Umweg des Art. 34 GG vor, dass der Staat für alle Pflichtverletzungen seiner Beschäftigten haftet.
Die meisten Fragen können nur auf Umwegen beantwortet werden
Darüber hinaus verraten diese 146 Wörter noch nicht einmal viel: Wie wird Mitverschulden behandelt? Was ist, wenn neben dem Staat noch private Dritte haften? Welcher Verschuldensmaßstab gilt? Was passiert bei gesetzgeberischem Unrecht?
Wie man sich leicht vorstellen kann, gibt es noch sehr viele andere Rechtsquellen, die helfen, dieses Rechtsgebiet zu erschließen. Zum einen natürlich Richterrecht – also Grundsatzurteile. Vieles ist auch gewohnheitsrechtlich anerkannt. Und dann gibt es auch noch die wohl unwahrscheinlichste denkbare Entscheidungsgrundlage, die man sich im 21. Jahrhundert vorstellen kann: Das Preußische Allgemeine Landrecht aus dem Jahr 1794.
All diese Rechtsquellen kaschieren nur ein Problem, das weiterhin besteht: Entschieden wird in erster Linie nach dem Bauchgefühl der Richter. Man versucht natürlich, sich durch rechtliche Verrenkungen den Anschein von Objektivität zu geben. Tatsächlich sind die allermeisten Urteile reine Einzelfallentscheidungen, die kaum einen Rückschluss auf allgemeine Grundsätze zulassen. Dabei sind die Urteile – neutral gesehen – wohl in aller Regel durchaus gerecht. Aber eine verlässliche Rechtsprechung sieht anders aus.
Das Staatshaftungsgesetz von 1982
Um die Richter nicht mehr völlig im Regen stehen zu lassen, kam man Anfang der 80er-Jahre auf die Idee, endlich ein richtiges Staatshaftungsgesetz zu schaffen. Dieses wurde durch den Bundesgesetzgeber erlassen und trat zum 1. Januar 1982 in Kraft. Das Gesetz war sicher kein „großer Wurf“, aber es kodifizierte endlich die meisten anerkannten Regeln des Rechtsgebiets und klärte einige offene Fragen. Es war ein durchaus brauchbares Fundament, das mit der zu erwartenden Präzisierung durch die Rechtsprechung und der Weiterentwicklung durch den Gesetzgeber die Staatshaftung auf vernünftige Beine hätte stellen können.
Man hatte nur eines übersehen: Der Bund war dafür gar nicht zuständig. Es gab keine Norm im Grundgesetz, die es dem Bund erlaubt hätte, so ein Gesetz zu verabschieden. Damit lag das allein in der Kompetenz der Länder. Nach nicht einmal zehn Monaten Gültigkeit trat es am 18. Oktober 1982 wieder außer Kraft, weil es vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt wurde.
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Und damit sind wir wieder bei der Rechtslage, die bis zum 31. Dezember 1981 gegolten hatte, einschließlich aller ihrer Unwägbarkeiten und zusammengeschusterten Regelungen.
Mittlerweile wurde das Grundgesetz zwar geregelt, sodass der Bund nun ein Staatshaftungesetz erlassen könnte. Hiervon wurde aber bisher kein Gebrauch gemacht. Einige Bundesländer haben für ihre eigenen Zwecke entsprechende Gesetze verabschiedet, die aber keine wirklich umfassenden oder gar revolutionären Kodifikationen bedeuten.
Insgesamt bleibt das Staatshaftungsrecht ein Stiefkind der Gesetzgebung. Und das, obwohl es für das Verhältnis zwischen Staat und Bürger durchaus eine erhebliche Bedeutung hat. Langsam wäre es an der Zeit, diese peinliche Situation zu beheben.