Von der Beleidigung über Landfriedensbruch und Diebstahl bis hin zur schweren sexuellen Nötigung – die Delikte, die in der Silvesternacht in Köln begangen worden sein könnten, führen quer durch das Strafgesetzbuch. Auch, wenn es noch keine gesicherten Informationen über den genauen Hergang gibt, steht doch eines fest: Bagatellkriminalität ist das nicht mehr.
Noch immer ist nicht klar, was in der Nacht vom 31. Dezember 2015 auf den 1. Januar 2016 in der Kölner Innenstadt eigentlich passiert ist. Die Berichte über Anzahl, Hintergrund und Motivation der Täter sowie über die Art der begangenen Straftaten sind noch sehr unsicher. Demgegenüber gibt es aber bereits zahlreiche Forderungen, Schuldzuweisungen, politische Instrumentalisierungen und juristische Einschätzungen des Ganzen.
Diese erreichen – wie so oft – das gesamte Spektrum. Manche davon kann man anhand der vorliegenden Erkenntnisse als Dramatisierungen, andere aber auch als Verharmlosungen einordnen. Nicht selten wurde bereits gemutmaßt, die in Rede stehenden Straftaten seien nicht besonders tragisch oder – aus anderer Perspektive gesehen – würden vom deutschen Strafgesetzbuch nicht ausreichend geahndet. Dieser Text soll daher einen groben Überblick über die hier möglicherweise einschlägigen Straftatbestände geben.
Richtig ist sicher, dass die mediale Aufmerksamkeit für die Geschehnisse am Kölner Dom bzw. Hauptbahnhof nicht in erster Linie der Schwere der einzelnen Straftaten, sondern viel mehr dem modus operandi geschuldet ist: Dass eine Vielzahl von Privatpersonen mitten in einer Großstadt die Herrschaft übernimmt und nach ihrem Belieben Macht über ihre Mitmenschen ausübt, ist etwas Neues, unabhängig davon, welche Straftaten nun begangen wurden. Bei einer anderen Begehungsweise hätte dies alles sicher nicht zu einer derartigen öffentlichen Reaktion geführt. Trotzdem handelt es sich bei den wohl begangenen Gesetzesbrüchen nicht etwa ausschließlich um Vergehen mit dem Unrechtsgehalt eines Supermarktdiebstahls.
Diebstahl: Geldstrafe bis zehn Jahre Freiheitsstrafe
Zunächst ist natürlich genau an diese Straftat zu denken: Der Diebstahl (§ 242 Abs. 1 StGB) unterscheidet nicht danach, ob er im Kaufhaus oder auf der Domplatte begangen wurde. Das mittlerweile etwas anachronistische Strafmaß geht bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe. In der Praxis wird die Masse der Fälle mit Geldstrafe geahndet, Freiheitsstrafe steht nur bei unbelehrbaren Wiederholungstätern oder hohem Schaden ernsthaft zur Debatte. Auch diese wird selten über ein Jahr hinausgehen und regelmäßig zur Bewährung ausgesetzt werden.
Sollten die Täter hingegen gewerbsmäßig gehandelt haben, sich also eine dauerhafte Einnahmequelle aus Diebstählen schaffen wollen, liegt ein besonders schwerer Fall des Diebstahls (§ 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3) vor, für den die Mindeststrafe bereits drei Monate Freiheitsstrafe oder drei Monatsgehälter Geldstrafe und die (meist unrealistische) Höchststrafe zehn Jahre beträgt.
Hatte der Täter eine Waffe oder ein ähnlich gefährliches Werkzeug dabei (ohne es einzusetzen), liegt der Strafrahmen gemäß § 244 Abs. 1 Nr. 1 schon bei sechs Monaten bis zehn Jahren Gefängnis, eine Geldstrafe ist nicht mehr möglich.
Haben sich mehrere zur Begehung solcher Straftaten auf Dauer verbunden, spricht das Gesetz von einer Bande. Dann geht der Strafrahmen wieder von sechs Monaten bis zu zehn Jahren (§ 244 Abs. 1 Nr. 2). War ein Bandenmitglied bewaffnet, erhöht sich die Mindeststrafe gemäß § 244a Abs. 1 schon auf ein Jahr – die Tat ist dann ein Verbrechen.
Raub: ein Jahr bis fünfzehn Jahre
Denkbar ist aber auch ein Raub. Gegenüber dem Diebstahl kommt hinzu, dass die Wegnahme beim Raub „mit Gewalt gegen eine Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben“ begangen wurde. Zwar wird nicht jedes der dort begangenen Eigentumsdelikte automatisch ein Raub gewesen sein, dass aber auch Gewalt ausgeübt wurde, dürfte nach den Schilderungen feststehen. Bei einem Raub geht der Grundstrafrahmen ohne irgendwelche erschwerenden Umstände bereits von einem bis zu fünfzehn Jahren.
Im Übrigen sind die Qualifikationen ganz ähnlich denen des Diebstahls, nur natürlich mit höheren Strafrahmen: Bei bewaffnetem Raub (§ 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchstaben a und b) und Bandenraub (§ 250 Abs. 1 Nr. 2) steigt die Mindeststrafe jeweils auf drei Jahre, bei bewaffnetem Bandenraub (§ 250 Abs. 2 Nr. 2) auf fünf Jahre. Eine höhere Mindeststrafe als fünf Jahre gibt es im StGB praktisch nur noch bei Tötungsdelikten, wir befinden uns hier also schon bei den Schwerverbrechen.
Sachbeschädigung: Geldstrafe bis zwei Jahre
Sofern die fremden Sachen nicht entwendet, sondern lediglich beschädigt oder zerstört wurden, kommt eine Strafbarkeit wegen Sachbeschädigung in Frage. § 303 Abs. 1 StGB sieht dann eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe von maximal zwei Jahren vor. Qualifikationen mit höheren Strafdrohungen sind hier nicht gegeben.
Sexuelle Nötigung: ein Jahr bis fünfzehn Jahre
Auch die sexuelle Nötigung, bei der eine andere Person mit Gewalt oder Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben zu sexuellen Handlungen missbraucht wird (§ 177 Abs. 1), ist bereits ein Verbrechen und wird mit Freiheitsstrafe von einem bis zu fünfzehn Jahren bestraft. Die bandenmäßige Begehung gibt es hier nicht, da sich die Täter im sexuellen Bereich – im Gegensatz zu Eigentums- und Vermögensstraftaten – selten in einem dauerhaften Verbund zusammenschließen; vielmehr reicht bereits die gemeinschaftliche Begehung gemäß § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2, damit das Mindestmaß auf zwei Jahre steigt. Liegt eine Vergewaltigung (Geschlechtsverkehr oder eine andere mit einem Eindringen in den Körper verbundene Handlung, Abs. 2 Nr. 1) vor, beträgt die Mindeststrafe in jedem Fall zwei Jahre. Bei Mitführung einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs ist die Freiheitsstrafe mindestens drei Jahre (Abs. 3 Nr. 1 und 2), bei Verwendung dieses Werkzeugs sogar fünf Jahre (Abs. 4 Nr. 1).
Ob die Sexualstraftaten hier tatsächlich das Ziel der Täter waren oder nur als „Ablenkungsmanöver“ begangen wurden, um die Diebstähle zu ermöglichen, ist dabei völlig irrelevant.
Körperverletzung: Geldstrafe bis zehn Jahre
Soweit die Handlungen den Tatbestand nicht erreichen, insbesondere, weil keine derartige Gewalt angewandt wurde, liegt dagegen grundsätzlich kein Sexualdelikt vor. Eine allgemeine Strafbarkeitsnorm des sexuellen Missbrauchs oder der sexuellen Belästigung gibt es im deutschen StGB nicht. Allerdings kann es sich ggf. um eine Körperverletzung (§ 223 Abs. 1) mit Strafrahmen von Geldstrafe bis zu fünf Jahren Gefängnis handeln. Bei gemeinschaftlicher Begehung liegt – unabhängig von der tatsächlichen Gefährlichkeit – eine gefährliche Körperverletzung vor, deren Strafrahmen schon sechs Monate bis zehn Jahre beträgt (§ 224 Abs. 1 Nr. 4).
Beleidigung: Geldstrafe bis zwei Jahre
Jedenfalls wäre aber eine tätliche Beleidigung (§ 185, zweite Alternative) mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren gegeben. Denn wer das Opfer ungefragt anfasst, verletzt dessen Würde dadurch, dass er suggeriert, es sei Freiwild und mit ihm könne man es ja machen.
Landfriedensbruch: Geldstrafe bis zehn Jahre
Denkbar wäre auch noch ein Landfriedensbruch (§ 125 Abs. 1), da eine Menschenmenge Gewalttätigkeiten und Drohungen „in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise mit vereinten Kräften“ begangen hat. Der Strafrahmen liegt hier bei Geldstrafe oder Gefängnis bis höchstens drei Jahren, im Falle der bewaffneten Begehung, bei bedeutenden Schäden oder in anderen besonders schweren Fällen (§ 125a) bei sechs Monaten bis zu zehn Jahren.
Strafmilderungen
Soweit besonders mildernde Umstände bei der Begehung der Tat oder hinsichtlich des Täters vorliegen, sehen manche der genannten Straftatbestände einen geringeren Strafrahmen („minder schwerer Fall“) vor. Mindeststrafen von zwei bis fünf Jahren sinken dann regelmäßig auf ein Jahr herab, solche von einem Jahr auf sechs Monate, niedrigere Mindestfreiheitsstrafe auf Geldstrafe. Die Höchststrafen sinken sehr viel moderater, meist von fünfzehn auf zehn bzw. von zehn auf fünf Jahre. Die Milderung ändert also nichts daran, dass innerhalb des gesenkten Strafrahmens immer noch erhebliche Freiheitsstrafen möglich sind.
Für Gehilfen, die selbst nicht Täter waren, sondern nur zur Tat beigetragen haben, sieht das Gesetz ähnliche Strafmilderungen vor (§ 27 Abs. 2, § 49 Abs. 1).
Jugendliche Täter werden nach dem Jugendstrafrecht (JGG) beurteilt, wobei die normalen Strafrahmen nicht gelten. Trotzdem können auch sie zu einer Freiheitsstrafe nach Jugendrecht („Jugendstrafe“) bis fünf bzw. zehn Jahren verurteilt werden. Unter Umständen gilt das auch für Heranwachsende bis zu 21 Jahren.
Tateinheit oder Tatmehrheit?
Sofern einzelne Beteiligte mehrere dieser Straftaten begangen haben, werden diese natürlich alle berücksichtigt. Handelt es sich um die Begehung durch dieselbe Handlung (was juristisch nicht immer einfach festzustellen ist und wobei eine nähere Darstellung hier zu weit führen würde), wird der höchste relevante Strafrahmen genommen und in diesem eine einzelne Strafe festgesetzt (Tateinheit, § 52). Dabei werden aber andere mitverwirklichte Straftaten berücksichtigt, sodass das Strafmaß in der Regel etwas höher ausfällt als wenn nur diese eine Straftat begangen worden wäre. Handelt es sich um verschiedene Handlungen (Tatmehrheit, § 53), so werden lauter einzelne Strafen aus den jeweils einschlägigen Strafrahmen festgesetzt, dann aber zu einer Gesamtstrafe zusammengefasst, die deutlich niedriger als die rechnerische Summe der Einzelstrafen liegt. Das absolute Höchstmaß sind hier 15 Jahre Freiheitsstrafe (§ 54 Abs. 2).
Strafaussetzung zur Bewährung
Wird – egal, ob wegen einer einzelnen Straftat, wegen Tateinheit oder Tatmehrheit – eine Freiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren verhängt, kann diese gemäß § 56 zur Bewährung ausgesetzt werden, muss also vorerst nicht verbüßt werden. Allerdings könnte man hier durchaus daran denken, dass die Verteidigung der Rechtsordnung (§ 56 Abs. 3) einer Strafaussetzung entgegensteht.
Keine Bagatellen
Man weiß natürlich nicht, welche Straftaten hier nun tatsächlich verwirklicht wurden. Ob es sich um eine „neue Qualität von Verbrechen“ handelt, wie teilweise behauptet wurde, ist keine juristische Frage. Aber wenn die Schilderungen zu den Vorkommnissen nur ansatzweise stimmen, dann handelt es sich ganz sicher nicht um Bagatellen, sondern um massive Straftaten, die im Bereich mehrjähriger Freiheitsstrafen anzusiedeln sind.