Die Stadt S besitzt eine Stadthalle, die regelmäßig für verschiedene kulturelle, soziale und politische Zwecke genutzt wird. Als die Partei P die Stadthalle für ihren Landesparteitag anmieten will, lehnt der Bürgermeister B dies jedoch ab. Zwar sei die Halle zum vorgesehenen Datum noch frei. Da die P-Partei jedoch verfassungswidrig sei, komme eine Vermietung keinesfalls in Frage.
So ähnlich beginnen jedes Semester unzählige Universitäts- und Examensklausuren im juristischen Studium. Dieses absolute Standardproblem des öffentlichen Rechts darf keinem Studenten oder gar Examenskandidaten fremd sein.
Nur BVerfG darf Verfassungswidrigkeit feststellen
Die Lösung lautet im Ergebnis so, dass die Verfassungswidrigkeit einer Partei nur im Parteiverbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht überprüft wird. Solange die Partei nicht von diesem verboten worden sei, dürfe sie nicht anders behandelt werden als andere Parteien auch. Ansichten von Amtsträgern oder Politikwissenschaftlern sind dafür unerheblich. Das sogenannte Parteienprivileg (Art. 21 Abs. 2 GG) schützt Parteien davor, dass ihre Verfassungstreue durch die Verwaltung beurteilt wird und sie daraus Nachteile erfahren.
Wäre die Partei schon verboten gewesen, hätte sich die Klausurfrage erledigt gehabt, denn eine nicht mehr existente Partei hat wenig Bedarf für Parteitagshallen.
Heutiges Urteil eröffnet neuen Graubereich
Dazwischen konnte es nichts geben – bis heute. Denn heute hat das Bundesverfassungsgericht sein Urteil zum NPD-Verbotsverfahren gefällt. Während sich nach anfänglichen Irritationen mittlerweile alle Medien einig sind, dass das Gericht ein Verbot im Ergebnis abgelehnt hat, ist die Begründung äußerst interessant:
Zwar strebt die NPD die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung an und will die bestehende Verfassungsordnung durch einen autoritären Staat ersetzen. Sie arbeitet auch planvoll auf die Umsetzung dieser Ziele hin. Aber sie wird deswegen nicht verboten, weil es keine Anhaltspunkte für Erfolgschancen der Partei gibt.
Einfache gegen qualifizierte Verfassungswidrigkeit
Damit ist die Hürde, die Art. 21 Abs. 2 GG für ein Parteienverbot aufstellt, nicht übersprungen. Denn die hierfür erforderliche qualifizierte Verfassungswidrigkeit verlangt, dass nicht nicht nur eine verfassungswidrige Programmatik vorliegt, sondern die Partei auch die Verfassungsordnung gefährdet. Liegt diese „qualifizierte Verfassungswidrigkeit“ nicht vor, kann die Partei auch nicht verboten werden.
Das bedeutet, um zu unserem Klausursachverhalt zurückzukommen, dass sich er Bürgermeister nun darauf berufen könnte, dass die Verfassungswidrigkeit doch ausdrücklich festgestellt wurde. Nun ist es nicht mehr seine persönliche Einschätzung, sondern das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, dass die antragstellende Partei verfassungswidrig ist. Das BVerfG hat lediglich aus einem anderen Grund, nämlich der Durchsetzungsfähigkeit der Partei, von einem Verbot abgesehen.
Neuauflage der Stadthallenfälle
Wahrscheinlich wird man eher zu dem Schluss kommen, dass jede nicht verbotene Partei unter das Parteienprivileg fällt. Die Verbotsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts wäre demnach eine einheitliche. Das Urteil kann nur die Verfassungswidrigkeit und das Verbot feststellen oder den Antrag ablehnen. Dass ein Teil des für das Verbot notwendigen Tatbestands (Bekämpfung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung) erfüllt ist, der anderen (konkrete Gefährdung der Verfassungsordnung) dagegen nicht, führt dazu, dass die Gesamtfrage der „qualifizierten Verfassungswidrigkeit“ zu verneinen ist. Für eine Ungleichbehandlung bestünde dann kein Anlass, eine „einfache Verfassungswidrigkeit“, die zwar kein Verbot, aber eine Ungleichbehandlung durch staatliche Behörden rechtfertigt, gibt es wohl nicht.
Studium: Exaktes Argumentieren gefragt
Trotzdem ist könnte diese Frage, die im Grenzbereich zwischen Kommunal- und Verfassungsrecht angesiedelt ist, nun Stoff für viele Klausuren in der Vorgerücktenübung im Öffentlichen Recht sowie im Examen liefern. Auf die perfekte Lösung, die dann irgendwann durch die Gerichte bis hinauf zum Bundesverfassungsgericht erarbeitet werden wird, kommt es dabei ohnehin nicht an. Vielmehr wird ein exaktes Argumentieren verlangt. Und dafür gibt es in diesem Fall sehr viel Raum.
Man darf gespannt sein, wann das Thema zum ersten Mal in den einschlägigen Examensberichten auftaucht.