Eine Ehe in Deutschland, eine in Syrien
Die tatsächlichen Hintergründe sind relativ einfach: Der Kläger ist syrischer Kurde und kam 1999 nach Deutschland. Dort hat er eine durchaus akzeptable Berufslaufbahn hingelegt und zunächst das Abitur gemacht, danach studiert und schließlich als Bauingenieur gearbeitet. Im April 2008 heiratete er in Deutschland eine deutsche Staatsbürgerin. Im Juni 2008 heiratete er in Syrien eine syrische Staatsbürgerin (seine Cousine), mit der er einige Jahre zuvor ein außereheliches Verhältnis hatte.
2010 wurde er eingebürgert; dabei gab er bei der Frage nach „früheren Ehen“ die syrische Ehe nicht an. Ende 2013 nahm die Staatsangehörigkeitsbehörde die Einbürgerung zurück, nachdem sie von der Zweitehe erfahren hatte.
Täuschung bei der Beantragung der Staatsangehörigkeit?
Das Gericht musste nun nicht abstrakt prüfen, ob sich deutsche Staatsbürgerschaft und mehrere Ehefrauen vertragen. Vielmehr war die Frage, ob ein Rücknahmetatbestand aus dem Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) erfüllt war.
Der wesentliche Tatbestand dafür ist § 35 Abs. 1 StAG:
Eine rechtswidrige Einbürgerung (…) kann nur zurückgenommen werden, wenn der Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung oder durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben, die wesentlich für seinen Erlass gewesen sind, erwirkt worden ist.
Wäre er trotzdem eingebürgert worden?
Nun muss dadurch aber auch eine rechtswidrige Einbürgerung erwirkt worden sein. Das ist dann der Fall, wenn der Antragsteller bei voller Kenntnis der Behörde nicht eingebürgert worden wäre, aufgrund seiner falschen Angabe aber doch. Somit stellt sich also schon die Frage, ob ein Ausländer mit zwei Ehefrauen Deutscher werden kann.
Wann jemand eingebürgert werden kann, sagt § 10 StAG. Danach sind folgende Voraussetzungen notwendig:
- rechtmäßiger gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland seit mindestens acht Jahren
- Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung
- unbefristetes Aufenthaltsrecht
- selbstständige Bestreitung des Lebensunterhalts ohne Sozialleistungen
- Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit (soweit keine doppelte Staatsbürgerschaft möglich)
- keine Vorstrafen
- ausreichende Sprachkenntnisse
- Kenntnisse in Landeskunde
Die Einbürgerung hätte also nicht erfolgen dürfen, wenn die „Doppelehe“ dazu geführt hätte, dass irgendeiner dieser Punkte bei der Einbürgerungsentscheidung nicht erfüllt gewesen wäre. Das Bestehen von maximal einer Ehe ist aber nirgends ausdrücklich aufgeführt.
Eine Vorstrafe liegt schon deswegen nicht vor, weil der Kläger nicht wegen seiner doppelten Ehe gemäß § 172 StGB verurteilt wurde. Tatsächlich ist es aber auch nicht nach deutschem Recht strafbar, wenn man im Ausland eine dort erlaubte zweite Ehe schließt. Ob und wie eine solche Ehe dann in Deutschland anerkannt wird und welche Wirkungen sie hat, ist freilich wieder eine andere Sache.
Verstoß gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung?
Denkbar wäre auch, und das hat die Behörde vorgetragen, dass die Vielehe mit dem Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht vereinbar wäre. Hierfür ist es aber nötig, dass die FDGO gerade die „Einehe“ beinhaltet.
Weder der Begriff noch der Umfang der FDGO sind aber gesetzlich oder verfassungsmäßig definiert. Das Gericht geht davon aus, dass dieser Begriff in verschiedenen Rechtsnormen (vom Ausländer- über das Beamtenrecht bis hin zum Grundgesetz) eine ähnliche, aber nicht zwingend identische Bedeutung besitzt.
Für das Staatsangehörigkeitsgesetz sei die Umschreibung in § 4 Abs. 2 des Bundesverfassungsschutzgesetzes am treffendsten. Danach gehören zur FDGO:
- das Wahlrecht
- die Bindung der Staatsorgane an Recht und Gesetz
- das Recht auf Opposition
- die Abwählbarkeit der Regierung
- die Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament
- die Unabhängigkeit der Richter
- der Ausschluss jeder Gewalt- und Willkürherrschaft
- die Grundrechte
Verletzung relevanter Grundrechte?
Zunächst hat der VGH jedoch festgestellt, dass gar nicht alle Grundrechte für die FDGO relevant sind. Vielmehr seien nur diese heranzuziehen, die für die wehrhafte Demokratie von Bedeutung seien, die also die momentane Verfassung gegen ihre Gegner verteidigen helfen. Dies seien jedenfalls die Vereinigungsfreiheit, die freie Meinungsäußerung, die Rundfunk-, Presse- und Informationsfreiheit und die Religionsfreiheit. Diese sind von der Mehrehe sicher nicht betroffen.
Art. 6 nicht relevant, Art. 3 nicht verletzt
Art. 6 GG schützt zwar die Ehe und damit – ohne, dass dies ausdrücklich im Grundgesetz stehen müsste – ausschließlich die hierzulande traditionelle Einehe, ohne polygame Heiraten. Insoweit ist Art. 6 nicht nur ein Grundrecht, sondern er erklärt auch, wie die Gesellschaft aufgebaut ist. Dieses Grundrecht und das dahinter stehende Staatsstrukturprinzip seien aber eben nicht Teil der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.
Bundesverwaltungsgericht wird entscheiden
Zusammengefasst: Mehrere Ehen sind kein Indiz für eine Ablehnung tragender Grundrechte des Grundgesetzes und damit für Verfassungsfeindlichkeit. Weil keine Verfassungsfeindlichkeit vorliegt und auch keine andere Voraussetzung für die Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft verletzt ist, war die damalige Einbürgerung trotzdem rechtmäßig. Weil die Einbürgerung rechtmäßig war, führt auch die mögliche Täuschung über die Doppelehe nicht zu einer Rücknahme der Einbürgerung.
Ob diese Argumentation Bestand hat, wird das Bundesverwaltungsgericht aller Voraussicht nach entscheiden. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision zugelassen und man kann davon ausgehen, dass der Staat dieses Rechtsmittel auch nutzt.