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Katalonien: Selbstbestimmung ist nicht zu verbieten

Es handelt sich um ein altes philosophisches Problem: Warum gibt es den Staat und wie begründet er seine Macht?

Für dieses Problem gibt es bis heute keine Lösung. Man kann allenfalls empirisch feststellen, dass es auf der ganzen Welt Staaten gibt und dass sie zumindest in ihren Grundanlagen überall gleich funktionieren. Der Staat übt durch seine Organe auf dem als das seine begriffenen Territorium Staatsgewalt aus, meist anhand der von ihm festgesetzten Regeln, vulgo Gesetze. Aber dieser „Es ist eben so“-Schluss ist sicherlich nicht befriedigend.

Der Gesellschaftsvertrag als fiktive Begründung von Macht

Am populärsten waren und sind wohl Modelle des Gesellschaftsvertrags: Alle Menschen schließen miteinander eine Übereinkunft, wonach sie Teile ihrer Selbstbestimmung an den Staat übertragen. Dieser Staat wieder garantiert dafür, dass seine Bürger in Sicherheit und unter gleicher Geltung der Gesetze leben können. Um dies sicherzustellen, werden die Organe des Staates von den Bürgern gewählt oder zumindest legitimiert.

Das hört sich natürlich recht schön an und ist zumindest einigermaßen nachvollziehbar. Nur ist es eben reine Fiktion. Niemand von uns hat einen Gesellschaftsvertrag geschlossen und ein solcher Vertrag mit einem auch nur minimalen Inhalt ist völlige Utopie. Niemals könnte sich eine gewisse Zahl von Menschen, und sei es auch nur auf Gemeindeebene, auf einen solchen Gesellschaftsvertrag einigen.

Auch die Mehrheit bindet keine Minderheiten

Und ein nur mehrheitlich geschlossener Vertrag könnte unmöglich begründen, warum auch diejenigen, die dem Vertrag nicht zugestimmt haben, ihm trotzdem unterworfen sein sollen. Man denke an das alte Bild: Zwei Wölfe und ein Schaf entscheiden mehrheitlich darüber, was es zum Abendessen gibt.

Auch wurde kaum eine Verfassung dieser Welt durch eine Mehrheit der heute lebenden Staatsbürger verabschiedet. Über die allermeisten Grundgesetze der Welt gab es niemals eine Volksabstimmung, und wenn doch, ist diese meist schon etwas länger her. Nicht einmal durch das Mehrheitsprinzip können die Bürger an eine derartige Rechtsordnung gebunden sein.

Spanien: Kriegserklärung der Zentralregierung

Nach dieser längeren Vorrede schauen wir uns die spanische Verfassung an: Diese wurde 1978 mit einer Mehrheit der Stimmberechtigten angenommen, immerhin mit knapp 59 % bei einer Wahlbeteiligung von rund 67 %. Sie ist also demokratisch durchaus legitimiert. Aber diese Legitimation ist eben schon 40 Jahre alt.

Mit Blick auf diese legitimierte Verfassung will die spanische Politik den Katalanen nun verbieten, ihre Unabhängigkeit zu erklären. Mehr noch: Sie will der katalanischen Regierung sogar verbieten, ihre Bürger zu befragen, ob sie unabhängig sein wollen. Der Staat geht mit Gewalt, sogar mit Waffengewalt gegen seine Bürger vor.

Das ist, ganz klar gesagt, eine offene Kriegserklärung der Zentralregierung an einen Landesteil. Dass ein solches Vorgehen innerhalb der EU, innerhalb Europas, innerhalb der Gemeinschaft der zivilisierten Länder stattfindet, ist schwer begreiflich.

Katalonischer statt spanischer Gesellschaftsvertrag

Gehen wir zurück zum Gesellschaftsvertrag: Nehmen wir an, dass die Bürger des derzeitigen spanischen Staates einen solchen Vertrag geschlossen haben. Dass sie die Verfassung und die herrschenden Politiker legitimiert und zugleich festgelegt haben, wann es Volksabstimmungen geben darf und wann nicht.

Mit welchem Recht will man dann den katalanischen Bürgern verwehren, sich nicht mehr zu dieser Übereinkunft und zu diesem Staat zu bekennen? Wie kann das, was vor Jahrzehnten auf Ebene des Zentralstaats entschieden wurde, über dem stehen, was ganz aktuell die Bürger eines historisch gewachsenen Landesteils, einer eigenen Nation, wünschen? Und wie kann ein Staat, der sich für demokratisch hält, es den gewählten Repräsentanten einer Region verwehren, die Bürger um ihre Meinung zu fragen?

Spanien hat Katalonien spätestens jetzt verloren

Die Politik in Madrid weiß natürlich eines: Eine Abstimmung, in der die zu erwartende überwältigende Mehrheit für einen Austritt aus Spanien stimmt, ist nicht zu ignorieren. Es gäbe dann kein denkbares Argument mehr für eine Verhinderung der Sezession. Das wäre ein weiterer Schritt in Richtung Eigenstaatlichkeit für die Katalanen.

Und darum greift die Regierung nun zu Mitteln, die eines totalitären, faschistischen oder sozialistischen Staates würdig sind. Die Guardia civil schießt, so hört man, mit Gummigeschossen in die Menge. Auch, wenn sich Deutschland und die EU bisher noch taub stellen und diese Entwicklungen großteils ignorieren: Diese Schüsse verhallen nicht ungehört, dessen kann man sich sicher sein. Gerade die Katalanen, die bisher vielleicht noch gewisse Vorbehalte gegen die Unabhängigkeit hatten, wissen das zu deuten.

Madrid hat Katalonien spätestens heute endgültig verloren. Wir werden sehen, wie viel Blut noch fließen wird, bis sich die Regierung das eingesteht.

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