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Der Mord von Kandel – nur Totschlag?

Die ganze Republik ist erschüttert über den Mord von Kandel: Ein Afghane hat eine 15-jährige, seine frühere Freundin, in einem Drogeriemarkt erstochen. Auch der Täter soll nicht älter sein, wobei sich daran mittlerweile gewisse Zweifel ergeben haben.

Für völliges Unverständnis sorgt aber nun bei Vielen die Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft Haftbefehl wegen Totschlags und nicht wegen Mordes beantragt hat. War das also vielleicht gar kein Mord? Wie kann das sein?

Zunächst einmal muss man sich den Unterschied zwischen Mord und Totschlag vor Augen führen: Dieser liegt nicht etwa darin, dass der Totschlag ohne Planung oder gar ohne Vorsatz geschehen ist. Mord und Totschlag sind beides vorsätzliche Tötungsdelikte. Ob geplant oder nicht, danach unterscheidet das deutsche Recht nicht mehr.

Seit den 1940er-Jahren liegt der Unterschied woanders, nämlich in den sogenannten Mordmerkmalen. Diese sind extrem umstritten, aber geltendes Recht. § 211 Abs. 2 StGB lautet:

Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

Liegt eines dieser Mordmerkmale vor, ist die Strafe zwingend lebenslänglich. Liegt keines vor, handelt es sich „nur“ um Totschlag, der – je nach Schweregrad – mit Freiheitsstrafe von einem bis zu 15 Jahren oder ebenfalls mit lebenslanger Freiheitsstrafe geahndet wird. Im Jugendstrafrecht gelten diese Strafrahmen nicht unmittelbar, sind aber für die Strafzumessung natürlich auch von Bedeutung.

Diese Mordmerkmale, insbesondere die subjektiven, sind oft sehr schwer nachzuweisen. Wie sollte man auch in den Täter hineinschauen und bspw. feststellen können, ob er nun „mordlustig“ war? Die Beweisführung kann dann oft nur über objektive Indizien geschehen, die einen gewissen Rückschluss auf die Motivlage zulassen.

Die Rechtsprechung zu diesen Mordmerkmalen ist völlig ausufernd. Das liegt schon allein an diesem großen Unterschied im Strafmaß und der zwingenden lebenslangen Freiheitsstrafe. Zudem sind die aufgezählten Mordmerkmale eher willkürlich und führen nicht immer zu „gerechten“ Ergebnissen. Dies wird teilweise dadurch abgemildert, dass man die Mordmerkmale sehr eng auslegt.

Ob aber Mordmerkmale vorliegen, kann erst im Prozess wirklich geklärt werden – und ist dann von der Überprüfung durch den Bundesgerichtshof abhängig.

Im Fall von Kandel befinden wir uns erst wenige Tage nach der Tat. Noch kein Gericht hat über die Schuld des Täters entschieden, nur die Staatsanwaltschaft hat erste Ermittlungen aufgenommen. Noch kann einfach niemand wissen, ob es Mord oder Totschlag ist.

Ziemlich sicher dürfte nur sein, dass „weniger“ als Totschlag, bspw. eine Körperverletzung mit unbeabsichtigter Todesfolge, unwahrscheinlich ist. Denn wer mit einem 20 cm langen Küchenmesser auf eine andere Person einsticht, noch dazu in lebenswichtige Körperpartien, hat naheliegenderweise in aller Regel Tötungsvorsatz.

Die Frage, ob nun Mord oder Totschlag vorliegt, war für den Erlass eines Haftbefehls nicht von besonderer Bedeutung. Ein Haftbefehl kann erlassen werden, wenn dringender Verdacht einer Straftat besteht (hier wohl unstrittig) und ein Haftgrund wie Flucht- oder Verdunklungsgefahr (§ 112 Abs. 2 Strafprozessordnung – StPO) vorliegt.

Für die Fluchtgefahr spielt das Strafmaß zwar eine gewisse Rolle – wer nur eine Geldstrafe bezahlen muss, wird höchstwahrscheinlich nicht untertauchen oder sich ins Ausland absetzen. Hier ist aber in jedem Fall eine ganz erhebliche Freiheitsstrafe zu erwarten. Auch, wenn das Urteil auf Totschlag lautet, und auch, wenn der Täter wirklich noch minderjährig sein sollte, wird er kaum unter vier oder fünf Jahren Jugendstrafe davonkommen.

Außerdem gibt es noch eine Sonderregelung für schwere Straftaten in § 112 Abs. 3 StPO:

Gegen den Beschuldigten, der einer Straftat nach (lange Aufzählung von Paragraphen) dringend verdächtig ist, darf die Untersuchungshaft auch angeordnet werden, wenn ein Haftgrund nach Absatz 2 nicht besteht.

Zwar bedeutet diese Vorschrift nicht, wie ihr Wortlaut eigentlich sagt, dass gar kein Haftgrund vorliegen muss. Allerdings sind die Voraussetzungen deutlich geringer bzw. legt der Verdacht einer schweren Straftat schon von sich aus nahe, dass ein Haftgrund gegeben sein wird. Wer also einer dieser Taten verdächtig ist, wird fast immer in Untersuchungshaft gehen und meistens bis zum Prozess nicht mehr herauskommen.

In dieser langen Aufzählung von Paragraphen sind aus dem Strafgesetzbuch sowohl § 211 (Mord) als auch § 212 (Totschlag) umfasst. Also ist es auch insofern ziemlich egal, was von beiden nun vorliegt.

Übrigens ist auch für beide Straftaten das gleiche Gericht zuständig, eine auf Tötungsdelikte spezialisierte Strafkammer des Landgerichts, die aus historischen Gründen „Schwurgericht“ genannt wird. Im Jugendstrafverfahren übernimmt diese Aufgaben eine besondere Jugendkammer gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 1 Jugendgerichtsgesetz (JGG).

Und weil Mord und Totschlag im Ermittlungsverfahren bis zur Anklageerhebung praktisch völlig gleich behandelt werden, ist es hier noch nicht notwendig, sich auf eines der Delikte festzulegen. Das passiert im Endeffekt erst im Urteil, hat dann aber eben ganz erhebliche Konsequenzen und wird im Prozess meistens heiß umkämpft sein.

Ein Haftbefehl wegen Totschlags schließt jedenfalls noch lange nicht aus, dass eine Verurteilung wegen Mordes erfolgen wird.

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