Bisher ist es so, dass das Gericht gemäß § 105 Abs. 1 des Jugendgerichtsgesetzes (JGG) bei diesen „Heranwachsenden“ die persönliche Reife des Angeklagten abschätzen muss. Dementsprechend entscheidet es dann, ob hier eher Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht heranzuziehen ist. Relativ häufig, je nach Region und Deliktskategorie bis zu 90 %, wird dann das Jugendstrafrecht angewandt.
Ob das immer angemessen ist, wird schon seit Langem diskutiert. Hinter der Infragestellung dieser Praxis steht meist die Vorstellung, das Jugendstrafrecht sei milder als das Strafgesetzbuch (StGB) für Erwachsene. Heranwachsende würden also oft eine unverdiente Milde vor Gericht bekommen. Aber stimmt das auch?
Jugendstrafrecht ist flexibler
Im Erwachsenenstrafrecht gibt es im Wesentlichen zwei Strafarten: Geldstrafe und Freiheitsstrafe. Letztere kann auch zur Bewährung ausgesetzt werden, das ändert aber nichts daran, dass es sich um eine Freiheitsstrafe handelt. Welche dieser Strafen, bei Freiheitsstrafe von welcher Mindest- bis zu welcher Höchstdauer, steht im Strafgesetzbuch.
Das Jugendstrafrecht ist dagegen sehr viel flexibler. Es gibt erziehende Weisungen, die dem Täter eher helfen als ihn bestrafen sollen, aber auch eine gewisse Leistung (z.B. die Teilnahme an einem sozialen Trainingskurs) abverlangen können. Es gibt Geld- und Arbeitsauflagen („Sozialstunden“), aber auch Arrest bis zu vier Wochen, etwas archaisch als „Zuchtmittel“ bezeichnet. Die einzige „echte“ Strafe ist die Freiheitsstrafe, hier als Jugendstrafe bezeichnet. Die Strafrahmen des StGB gelten hier aber nicht, das Gericht ist also auch bei schwereren Straftaten an kein Mindestmaß gebunden (§ 18 Abs. 1 Satz 3 JGG).
Diese Freiheit und Flexibilität bedeuten aber nicht, dass die Sanktionen grundsätzlich milder wären. Die Zeiten, in denen jugendliche Intensivtäter mit Segelkursen in der Karibik „bestraft“ worden wären, sind jedenfalls vorbei.
Richtig ist, dass ein Jugendlicher, der wegen einer Straftat verurteilt wird, nicht so leicht „weggesperrt“ wird wie ein Erwachsener. Eine Jugendstrafe kommt nur bei sog. schädlichen Neigungen oder bei besonderer Schwere der Schuld in Betracht. Diese Voraussetzungen sind aber jedenfalls bei mittlerer Kriminalität schnell erreicht.
Freiheitsstrafe bei Jugendlichen kürzer
Fangen wir bei den schwersten Straftaten an: Mord (§ 211 StGB) wird bei erwachsenen Tätern stets mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft. Dagegen ist das Höchstmaß der Jugendstrafe zehn Jahre (§ 18 Abs. 1 Satz 2 JGG). Insofern ist das Jugendgerichtsgesetz offensichtlich deutlich milder als das Strafgesetzbuch. „Lebenslänglich“ bedeutet mindestens 15 Jahre, nach dieser Zeit ist der Jugendliche aber schon wenigstens fünf Jahre wieder auf freiem Fuß. Heranwachsende können gemäß § 105 Abs. 3 Satz 2 JGG wegen Mordes aber auch bis zu 15 Jahre Jugendstrafe erhalten. Aufgrund der Möglichkeit der vorzeitigen Entlassung sind diese 15 Jahre aber immer noch kürzer als „lebenslänglich“.
StGB: Geldstrafe bei mittlerer Kriminalität
Bei der mittleren Kriminalität muss man dagegen differenzieren: Nehmen wir als Beispiel eine Straftat, auf die man in der Praxis immer wieder trifft – Betrug über eBay oder andere Plattformen. Es werden Artikel eingestellt, die man gar nicht hat, die nicht der Beschreibung entsprechen oder die sonst eine falsche Vorstellung beim Käufer hervorrufen. In der Regel passiert so etwas nicht einmal, sondern mehrfach nacheinander.
Bei einem Erwachsenen muss man – sofern noch keine Gewerbsmäßigkeit vorliegt – in diesem Fall mit einer Geldstrafe im mittleren Bereich rechnen. 90 bis 150 Tagessätze (drei bis fünf Monatsgehälter) wird man dafür regelmäßig bezahlen dürfen. Bei erschwerendem Umständen oder hohem Schaden wäre eine Bewährungsstrafe denkbar.
JGG: Eher spürbarer Warnschuss
Anders dagegen bei einem Jugendlichen: Geldstrafen in Form von Geldauflagen wären bei Vermögensdelikten wohl ohnehin eher kontraproduktiv. Eine Bewährungsstrafe setzt voraus, dass eine Jugendstrafe angemessen ist, und das dürfte hier eher nicht der Fall sein. Im Bereich der Amtsgerichte im Großraum München würde ich eher von einem längerem Jugendarrest von zwei bis vier Wochen ausgehen. Diese wird nicht zur Bewährung ausgesetzt, sondern muss voll verbüßt werden.
Der Jugendliche geht also (kurz) ins Gefängnis, der Erwachsene nicht. Das hört sich ungerecht an, ist aber dem Erziehungsgedanken des Jugendrechtes geschuldet. Und wer mit typischen Einsteigerdelikten vermuten lässt, dass er vielleicht eine kriminelle Karriere starten will, dem soll schnell und eindrucksvoll ein Riegel vorgeschoben werden.
Kleine Delikte, sei es ein Diebstahl mit wenigen Euro Schaden, eine leichte Körperverletzung oder eine Beleidigung, werden bei Erwachsenen sehr häufig eingestellt. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass die Schuld – wenn sich die Tat wirklich so abgespielt hat wie vermutet – recht gering ist und darum keine Verurteilung erforderlich ist. Das Verfahren wird dann eingestellt, entweder ohne jede Sanktion (§ 153 StPO) oder bspw. gegen Zahlung einer Geldauflage (§ 153a StPO). Gerade bei Ersttätern geschieht das sehr häufig.
Bei Jugendlichen ist das nicht unbedingt so. Zwar kann das Verfahren auch hier eingestellt werden (§§ 45 und 47 JGG). Es gibt aber eine deutliche Tendenz der Staatsanwaltschaft und Gerichte, sich jugendliche Ersttäter erst einmal „anzuschauen“. Darum ist die Wahrscheinlichkeit, als Beschuldigter bei kleinen Vergehen vor Gericht zu laden, bei Jugendlichen deutlich höher. Auch der erzieherische Faktor darf wieder nicht unterschätzt werden – ein Gerichtsprozess macht Eindruck, auch wenn im Endeffekt nicht viel herauskommt. Häufig werden solche Verfahren dann im Ergebnis doch eingestellt. Aber eben nicht wie bei Erwachsenen komfortabel und distanziert auf dem Postweg, sondern persönlich im Gerichtssaal.
Flexibilität auch bei Heranwachsenden wertvoll
Bei Personen zwischen 18 und 21 Jahren hat das Gericht bislang die Wahl, ob es sie dem Jugend- oder dem Erwachsenenrecht unterwirft. Die Flexibilität und Passgenauigkeit des Jugendgerichtsgesetzes ist meines Erachtens viel wert. Sie hilft dem Gericht, den Lebensweg eines jungen Erwachsenen zu steuern. Gleichzeitig lässt das Gesetz es aber durchaus zu, die volle Härte des Erwachsenenstrafrechts anzuwenden. Wenn das Gericht der Ansicht ist, dass Erziehung hier nicht mehr angemessen ist, kann es die Sanktionen des allgemeinen Strafrechts heranziehen und nicht mehr unterstützen, sondern nur noch strafen.
Warum man den Richtern diese unterschiedlichen Werkzeuge aus der Hand nehmen will, erschließt sich bei Kenntnis der Rechtspraxis jedenfalls nicht.