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Zitate aus gerichtlichen Unterlagen zulässig?

Ein investigativer Reporter und die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) ziehen mit einer Verfassungsbeschwerde nach Karlsruhe. Auslöser ist eine rechtskräftige Verurteilung, weil der Journalist in einer Berichterstattung zwei kurze wörtliche Passagen aus einem Beschwerdebeschluss zitiert hatte. Die Revision blieb ohne Erfolg. Damit steht eine alte Streitfrage wieder auf der Agenda des Bundesverfassungsgerichts: Darf die Presse in laufenden Strafverfahren wörtlich aus amtlichen Dokumenten zitieren – und wenn ja, in welchen Grenzen?

Strafnorm gegen wörtliche Zitate

Kern des Konflikts ist § 353d Nr. 3 StGB. Die Norm verbietet die wörtliche Veröffentlichung von Anklageschriften und anderen amtlichen Schriftstücken aus einem anhängigen Strafverfahren „ganz oder in wesentlichen Teilen“. Was „wesentlich“ ist, bleibt im Gesetz offen. Eine ausdrückliche Ausnahmeregel für qualifizierte Presseberichterstattung kennt der Wortlaut nicht. Die Norm schützt legitime Belange – die Unvoreingenommenheit des Verfahrens, Persönlichkeitsrechte und die Unschuldsvermutung –, gerät aber dort ins Schlingern, wo journalistische Sorgfalt aus Gründen der Authentizität gerade den Originalwortlaut benötigt.

Karlsruhe hat § 353d bereits 1985 und 2014 für verfassungsgemäß erachtet. Die Konstellationen waren allerdings anders gelagert: Im jüngeren Fall ging es nicht um Presseberichterstattung, sondern um Äußerungen eines Beschuldigten. Parallel hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte betont, dass bei Eingriffen in die Pressefreiheit eine belastbare Interessenabwägung geboten ist – und dabei ausdrücklich berücksichtigt werden muss, dass Originalzitate der Berichterstattung Beleg- und Glaubwürdigkeitsfunktion verleihen. Diese Konstellation – Pressezitat aus amtlichen Dokumenten, laufendes Verfahren, kurzer Wortlaut – ist bislang im deutschen Strafrecht nicht wirklich fein austariert.

Verschiedene klärungsbedürftige Fragen

Vor diesem Hintergrund kann das Bundesverfassungsgericht nun drei Punkte klären. Erstens die Tatbestandsschwelle: Ist „wesentliche Teile“ eng zu lesen, sodass kurze, zur Belegfunktion unvermeidbare Zitate gar nicht in den Tatbestand fallen? Zweitens die Abwägung: Gehört eine konkrete, an rechtsstaatlichen Kriterien ausgerichtete Interessenabwägung bereits auf Tatbestandsebene – also bevor Strafbarkeit bejaht wird –, statt sie erst in die Strafzumessung zu verschieben? Drittens die Pressespezifik: Muss, jedenfalls in Fällen sachlicher Dokumentation ohne Sensationsenthüllung, zwischen Presse und Nicht-Presse differenziert werden?

Aus diesen Fragen ergeben sich zwei denkbare Wege. Der eine führt über eine verfassungskonforme Auslegung: „Wesentliche Teile“ würden dann nur substanzielle Inhaltsübernahmen erfassen, während kurze Belegzitate bei hohem öffentlichen Interesse nicht unter den Tatbestand fallen. Der andere wäre ein Signal an den Gesetzgeber: Wenn die Norm trotz enger Lesart als zu unbestimmt oder unverhältnismäßig erscheint, braucht es eine präzisere Regelung – mit klaren Definitionen und einem echten Ausnahmemodell für qualifizierte journalistische Arbeit. Beides würde das legitime Schutzanliegen des Strafverfahrensrechts mit der Kontrollfunktion der Presse in Einklang bringen, statt eines der beiden Güter pauschal zu verdrängen.

Risiko bleibt vorerst bestehen

Für Redaktionen bedeutet die Lage bis zu einer Klärung: Vorsicht bei Wortlautzitaten aus laufenden Verfahren. Paraphrasen sind rechtlich sicherer, auch wenn sie an Schärfe und Authentizität verlieren. Wo Zitate unvermeidbar erscheinen, sollte gründlich dokumentiert werden, warum der exakte Wortlaut journalistisch erforderlich ist, wie eng und kontextgerecht zitiert wird und dass keine sensiblen Inhalte veröffentlicht werden, die das Verfahren konkret gefährden. Juristische Rücksprache, sauberer Belegnachweis und eine nüchterne Darstellung ohne Zuspitzung sind in dieser Zwischenzeit kein Luxus, sondern Risikomanagement.

Das Grundproblem bleibt: Eine pauschale Wortlaut-Sperre passt schlecht zu einer demokratischen Öffentlichkeit, die sich auf überprüfbare Originalquellen stützt. Die Verfassungsbeschwerde liefert das passende Vehikel, um Mindeststandards zu formulieren: Wann ist der Wortlaut wirklich „wesentlich“, wie wird die Abwägung strukturiert, und welche Rolle spielt die spezifische Funktion der Presse? Karlsruhe hat nun die Gelegenheit, den Maßstab so zu schärfen, dass Verfahrensschutz und Pressefreiheit nicht länger als Gegensätze behandelt werden, sondern als Güter, die in einem rechtstaatlich tragfähigen Verfahren zugleich zur Geltung kommen.

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