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Die Einlassung des Angeklagten als Strafzumessungskriterium

Die Gretchenfrage des Strafprozesses war lange Zeit „Darf der Angeklagte lügen?“. Die Betonung liegt auf „war“, denn heute ist im Wesentlichen Ruhe in die Diskussion eingekehrt, wenngleich sie noch nicht wirklich beendet ist. Klar ist aber, dass es keine Norm gibt, die es dem Angeklagten verbieten würde, zu lügen. Die Strafvorschriften gegen Falschaussage (§ 153 StGB) und Meineid (§ 154 StGB) gelten nur für Zeugen und Sachverständige und eine Vorschrift wie § 138 Abs. 1 ZPO, die die Wahrheitspflicht der Parteien im Zivilprozess festlegt, gibt es in der Strafprozessordnung nicht.

Der Angeklagte kann sich also grundsätzlich keine neuen juristischen Probleme einhandeln, wenn er im Prozess gegen ihn selbst lügt. Das Lügen könnte aber eventuell ein Strafschärfungsgrund sein.

Das Verhalten des Täters nach der Tat ist schließlich gemäß § 46 StGB ein Kriterium für die Strafzumessung. Dazu gehört auch die Frage, ob und wie er seine Tat zugibt. Hierzu kann man grob folgende Einteilung vornehmen:

  • Der Angeklagte gibt die Tat zu.
  • Der Angeklagte schweigt. Das ist sein gutes Recht und bedeutet kein Geständnis.
  • Der Angeklagte bestreitet die Tat.
  • Der Angeklagte schiebt die Schuld pauschal auf andere.
  • Der Angeklagte schiebt die Schuld auf andere und verleumdet diese gezielt, um sie zum Gegenstand strafrechtlicher Ermittlungen zu machen.

In Wirklichkeit gibt es natürlich sehr viel mehr als diese fünf Grundfälle. Jeder Strafprozess ist anders und häufig lässt sich das Verhalten des Angeklagten als Mischform zwischen diesen Grundfällen einordnen. Dementsprechend ist die Zahl der Urteile zu diesem Komplex mittlerweile fast unüberschaubar – auf die Wiedergabe einzelner Aktenzeichen haben wir daher verzichtet, wer sich näher dafür interessiert, sollte einen StGB-Kommentar konsultieren.

Das Blog „Normankontrollverfahren“ hat sich nun mit einer BGH-Entscheidung (Beschluss vom 13. Juni 2000, 4 StR 179/00) beschäftigt, die sich damit auseinandersetzte, ob das Spinnen von Verschwörungstheorien strafschärfend gewertet werden kann.

Die rechtstheoretischen Überlegungen dazu, warum es dem Angeklagten nicht zum Nachteil gereichen darf, wenn er lügt, um sich zu schützen, sind im verlinkten Beitrag gut verständlich und präzise ausgeführt. Kurz gesagt: Es ist ein Grundsatz des Rechtsstaats, dass sich niemand selbst belasten muss („nemo tenetur se ipsum accusare“), daher darf er sich auch damit verteidigen, dass er die Unwahrheit sagt.

Eine andere Überlegung ist aber, ob ein Geständnis strafmildernd sein darf. Man könnte nun auf die Idee kommen, dass dies quasi eine Strafverschärfung durch die Hintertür ist: Wenn der geständige Täter milder bestraft wird, wird (relativ dazu) der nichtgeständige Täter ja härter bestraft. Diese Problematik könnte man einerseits dadurch wegargumentieren, dass ja der nichtgeständige Täter nur eine seiner Tat entsprechende Strafe erhält und das fehlende Geständnis gar nicht berücksichtigt wird. Der Täter wird also genau so gestellt, wie er es „verdient“ hat; darauf hat er ein Recht, mehr aber kann er nicht erwarten. Der Gestehende dagegen erhält einen Bonus, indem der Staat auf seinen Strafanspruch ein Stückweit verzichtet; darauf kann sich der Nichtgeständige aber nicht berufen.

Die rein praktische Überlegung ist freilich, dass die Gerichte häufig auf Geständnisse angewiesen sind, weil sie die Sache deutlich abkürzen. Und dafür muss man dem Angeklagten eben auch in irgendeiner Form entgegenkommen. Hierauf baut die Praxis des Strafbefehls ebenso auf wie der mittlerweile gut eingeführte „Deal“. Dass auch ein Geständnis aber nicht der Weisheit letzter Schluss ist, muss freilich immer im Hinterkopf eines Gerichts bleiben, das sich über ein Geständnis freut.

Was ein Gericht jedoch nie machen wird, ist, zunächst eine „eigentlich“ angemessene Strafe festzusetzen und dann auszuführen, dass es diese um so-und-so-viele Monate oder Tagessätze verringert hat, weil der Angeklagte gestanden hat. Das würde kein Revisionsgericht durchgehen lassen, weil es den anerkannten Traditionen des deutschen Strafrechts widerspricht. Vielmehr werden alle für und gegen den Verurteilten sprechenden Tatsachen abgewogen und daraus dann – ohne Rechenschritte oder ähnliches – eine konkrete Strafe ermittelt.

Man kann also – sofern man berücksichtigt, dass diese Einteilung äußerst pauschal ist – zusammenfassen, dass der nicht geständige Angeklagte die „normale“ Strafe erhält, während der geständige milder behandelt wird. Damit die Art und Weise, wie der Verurteilte im Prozess auftritt, gegen ihn verwendet werden kann, muss er schon ganz außergewöhnlich unverschämt agieren.

Wie das im von „Normankontrollverfahren“ behandelten Fall zu bewerten ist, werden wir in den nächsten Tagen näher erörtern.

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