Wir haben gesehen, dass man nicht immer einen Anwalt braucht, um vor Gericht zu ziehen. Neben der gesetzlichen Notwendigkeit gibt es aber natürlich noch die persönliche Überlegung, ob es nicht trotzdem sinnvoll sein kann, sich rechtskundig vertreten zu lassen. Das möchten wir heute beleuchten.
Das Hauptargument, dafür, sich den Anwalt zu sparen, ist tatsächlich, dass man sparen will. Ein Anwalt kostet natürlich Geld. Das ist aber im Endeffekt kein allzu starkes Argument: Zahlen muss nur der, der den Prozess verliert. Und der muss dann nicht nur die Gerichtskosten, sondern auch den gegnerischen Anwalt zahlen. Wer also damit rechnet, das Gericht mit einer Niederlage zu verlassen, sollte sich ernsthaft überlegen, ob es nicht von vornherein besser wäre, einen Rechtsstreit zu vermeiden und sich außergerichtlich zu einigen. Ist man guten Mutes, das Verfahren zu gewinnen, dann kann es durchaus sein, dass man seine Chancen mit einem Anwalt noch steigert (siehe unten).
Das Kostenargument wird natürlich aus anwaltlicher Sicht eher anders gesehen: Ein Anwalt verdient an jedem Prozess, also könnte man meinen, er sollte am besten jedem Mandanten raten, mit seiner Hilfe vor Gericht zu ziehen. Das stimmt schon insofern nicht, als bspw. bei einem Streitwert von 500 Euro die Anwaltsgebühren für das gesamte Verfahren bei ca. 130 Euro netto liegen. Um so ein Mandat reißt sich kein Anwalt. Bei einem höheren Streitwert mit höheren Gebühren mag das freilich anders sein. Und wenn Aufwand und Entlohnung in einem angemessenen Verhältnis stehen, dann ist es selbstverständlich so, dass es dem Anwalt lieber ist, wenn er engagiert wird und etwas verdient. Das ist schließlich sein Beruf.
Die Rolle des Anwalts im Prozess ist es, seinen Klienten zu vertreten. Er nimmt dessen Interessen wahr und versucht, den vorliegenden Lebenssachverhalt unter die Definitionen und Rechtsfolgen des Gesetzes einzuordnen. Er versucht also, für seinen Auftraggeber des Maximale herauszuholen.
Dieses Maximale mag auch einmal weniger sein als der Kunde sich erhofft hat. Hier ist es die Aufgabe des Anwalts, ihm klarzumachen, dass er sich auf nichts Unrealistisches einstellen sollte. Der Anwalt erfüllt also eine gewisse Prognosefunktion, in dem er skizziert, welche Entscheidung des Gerichts zu erwarten sind. Vielen juristisch nicht bewanderten Menschen gibt das eine gewisse Sicherheit. Sie fühlen sich in einem Sachverhalt, der sie im Moment überfordert, nicht mehr so allein.
Ein deutscher Prozessgrundsatz lautet, dass die Parteien vor Gericht nur Tatsachen vortragen müssen, aber keine rechtlichen Ausführungen. Welche Gesetze einschlägig sind, ist Sache des Gerichts. Wie so viele deutsche Rechtsgrundsätze ist auch dieser auf Latein und heißt: Da mihi facta, dabo tibi ius – Sag mir (also dem Richter) die Fakten, dann sage ich dir, was das Recht ist. So gesehen kann also jeder Laie einen Prozess führen, er muss ja nur erzählen, was genau passiert ist, alles andere macht der Richter.
Dieser Schluss ist etwas trügerisch. Denn um zu wissen, welche Tatsachen überhaupt von Bedeutung sind, muss man eine gewisse Ahnung vom Recht haben. Ansonsten ist es sehr schwierig, Wesentliches von Unwesentlichem zu trennen. Ein erstes Beratungsgespräch beim Rechtsanwalt läuft häufig so ab, dass der Mandant zunächst alles Mögliche erzählt, die wirklich wichtigen Dinge aber erst auf mehrfache und recht spezifische Nachfragen preisgibt. Man kann aber kaum erwarten, dass ein Richter sich derart auf die Seite einer Partei schlägt und dieser alles aus der Nase zieht. Im Zivilprozessrecht gilt der Verhandlungsgrundsatz, nach dem nicht nur eigene Argumente vorgebracht werden müssen, sondern auch die Behauptungen des Gegners bestritten werden müssen. Wer das nicht tut (oder etwas zu spät vorbringt, § 282 ZPO), läuft Gefahr, dass Tatsachen nicht berücksichtigt werden und er deswegen den Prozess verliert.
Nicht ganz so formalistisch läuft dagegen der Strafprozess ab. Hier steht die Erforschung der Wahrheit über prozessualen Maximen. Das Gericht muss den Sachverhalt aufklären, völlig unabhängig davon, was der Angeklagte aussagt. Auch einem schweigenden Angeklagten kann es nicht zum Nachteil gereichen, dass er nichts sagt. Bekanntlich darf der Angeklagte sogar lügen. Und hier kann anwaltlicher Rat von großem Vorteil sein. Denn ein Verteidiger kann unter Umständen sehr viel besser einschätzen, welche Aussagen der Angeklagte lieber weglassen sollte, wie er belastende Umstände glaubhaft erklären sollte und welche Behauptungen man ihm nicht widerlegen kann.
Nun könnte man ja meinen, dass man sich auch als Laie gewisse Grundkenntnisse des Rechts für seinen Fall aneignen kann. Das ist innerhalb gewisser Grenzen sicher möglich. Allerdings sollte man den Verfall der Gesetzgebungskunst in den letzten Jahrzehnten berücksichtigen. Schon Juristen verstehen viele Vorschriften kaum noch, Nichtfachkundige dann erst recht nicht. Und es besteht immer die Gefahr, dass man den einen Paragraphen, Absatz oder Satz übersieht. Beispielsweise im Sozialrecht gibt es mittlerweile derart umfangreiche Gesetze, die sich aufeinander beziehen, die Spezialregelungen über tausende Seite verstreuen und die Berechnungsgrundlagen in so detaillierten Nuancen regeln, dass man den Überblick nicht mehr bewahren kann. Da kann man nur raten, einen Anwalt zu Rate zu ziehen, und zwar nicht irgendeinen, sondern einen Experten.
Vor den Finanzgerichten kann man sich ja auch selbst vertreten. Da kann man aber nur noch viel Glück und Gottes Segen wünschen…
Es mag durchaus Gründe geben, warum man lieber allein vor Gericht erscheint. Es ist möglich, dass ein Anwalt zumindest im Ergebnis keinen Vorteil bringt. Es passiert freilich auch mit Anwalt, dass man vollumfänglich verliert – was man ohne Anwalt auch freilich auch geschafft hätte. Aber es kann eben auch passieren, dass man aufgrund mangelnder Erfahrung in eine Falle läuft oder wichtige Dinge übersieht. Und das lässt sich dann häufig auch in der Rechtsmittelinstanz nicht mehr hinbiegen.