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Wann braucht man einen Anwalt?

Das deutsche Recht kennt den Grundsatz, dass man sich vor Gericht auch als normaler Bürger selbst vertreten kann. Davon gibt es aber zahlreiche Ausnahmen, sodass wir sie Lage in einer kurzen Übersicht darstellen wollen:

1. allgemeine Zivilsachen
§ 78 Abs. 1 ZPO:

  • in erster Instanz vor dem Amtsgericht (Streitwert bis 5000 Euro, außerdem einige bestimmte Sachthemen, vor allem Wohnungs- und Grundstücksstreitigkeiten): kein Anwaltszwang
  • in erster Instanz vor dem Landgericht: Anwaltszwang
  • in zweiter oder dritter Instanz (Landgericht, Oberlandesgericht oder Bundesgerichtshof): Anwaltszwang

2. Familiensachen
FamFG (Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit):

  • im Grundsatz wie im allgemeinen Zivilverfahren, § 10 Abs. 1 FamFG
  • in Ehesachen (also bei Scheidungen): Anwaltspflicht, § 114 Abs. 1 FamFG
  • „gemeinsamer“ Anwalt: Die Vorstellung, Ehegatten könnten sich bei einvernehmlichen Scheidungen durch einen gemeinsamen Anwalt vertreten lassen, ist falsch. Vielmehr stellt in diesen Konstellationen ein Ehepartner den Scheidungsantrag und wird dabei anwaltlich vertreten. In diesem Fall braucht der andere Ehepartner keinen Anwalt, wenn er einfach nur dem Antrag zustimmt, § 114 Abs. 4 Nr. 3 FamFG. Diese Vorgehensweise birgt selbstverständlich erhebliche Risiken. Vor allem ist der Anwalt dann tatsächlich nur der Vertreter des einen Ehegatten und hat dessen Interessen zu wahren.

3. Strafsachen
§ 140 Abs. 1 StPO:

  • in erster Instanz vor dem Landgericht oder Oberlandesgericht: Anwaltszwang
  • in erster Instanz vor dem Amtsgericht: grundsätzlich kein Anwaltszwang
  • Anwaltszwang ausnahmsweise auch vor dem Amtsgericht, vor allem wenn
    • die Tat ein Verbrechen ist
    • Berufsverbot droht
    • der Beschuldigte in Untersuchungshaft sitzt oder vorläufig in der Psychiatrie untergebracht ist
  • Berufung: wie in erster Instanz
  • Revision: Anwaltszwang für die schriftliche Begründung

4. allgemeine Verwaltungssachen
§ 67 VwGO:

  • vor dem Verwaltungsgericht: kein Anwaltszwang (Abs. 1)
  • vor dem Oberverwaltungsgericht/Verwaltungsgerichtshof und Bundesverwaltungsgericht: Anwaltszwang (Abs. 4 Satz 1)

5. Steuersachen
§ 62 Finanzgerichtsordnung (FGO):

  • vor dem Finanzgericht: kein Anwaltszwang
  • vor dem Bundesfinanzhof: Anwaltszwang
  • Vertretung auch durch Steuerberater, Wirtschaftsprüfer u.ä. möglich

6. Sozialsachen
§ 73 SGG:

  • vor dem Sozialgericht und Landessozialgericht: kein Anwaltszwang
  • vor dem Bundessozialgericht: Anwaltszwang

7. Verfassungsbeschwerden
§ 22 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG:

  • grundsätzlich kein Anwaltszwang
  • Anwaltszwang aber in der mündlichen Verhandlung über eine Verfassungsbeschwerde (zweiter Halbsatz)

Dies ist, wie gesagt, nur eine Übersicht zur Orientierung. Die exakten Regelungen sind natürlich sehr viel komplexer und sollten in Zweifelsfällen anhand des jeweils einschlägigen Gesetzen nachgeprüft werden.

Wann es sinnvoll ist, sich über die Anwaltspflicht hinaus, also quasi freiwillig, rechtlichen Beistand zu holen, werden wir in einem separaten Artikel klären.

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