Ein Artikel aus der Zeitung „Die Zeit“ aus dem Jahr 1990, der gerade seinen Weg in die sozialen Netzwerke gefunden hat, wirft die Frage auf, ob Juristen Betrüger sind. Hintergrund dieses doch recht einschneidenden Verdachts ist die Tatsache, dass angeblich 70 % der juristischen Absolventen ihre Examenshausarbeit nicht selbstständig (oder nicht einmal selbst) angefertigt hatten. Auch, wenn dieser Bericht schon fast ein Vierteljahrhundert alt ist, hat er doch in Zeiten ständig neuer Plagiatsvorwürfe eine erstaunliche Aktualität.
Indes, die Hausarbeit im Examen gibt es heute praktisch nicht mehr. In fast allen Bundesländern hat man sie abgeschafft. Die bayerische Juristische Ausbildungs- und Prüfungsordnung (JAPO) zum Beispiel trifft folgende Regelung: Im zweiten Staatsexamen gibt es elf Klausuren, eine mündliche Prüfung und sonst gar nichts. Das erste juristische Staatsexamen besteht hauptsächlich aus einem staatlichen Teil, der 70 % der Note ausmacht und nur sechs Klausuren sowie eine mündliche Prüfung umfasst.
Lediglich der Schwerpunktbereich, der von der Universität geregelt wird und die restlichen 30 % zum Ergebnis beiträgt, eröffnet – neben Klausuren und mündlichen Prüfungen – die Möglichkeit einer „studienbegleitenden wissenschaftlichen Arbeit von vier bis sechs Wochen Bearbeitungszeit“. Deren Einfluss auf die Gesamtnote beträgt aber in der Regel nur um die 5 %. Bei einer derart geringen Bedeutung der Hausarbeit einen Ghostwriter zu engagieren, ergibt sicher wenig Sinn.
Während des Studiums schreibt man als Student freilich trotzdem Hausarbeiten. Für die Zulassung zum ersten Examen muss man in den drei Rechtsfeldern Zivil-, Straf- und Öffentliches Recht jeweils die Grund- sowie Fortgeschrittenenkurse bestehen. Für jeden dieser sechs „Scheine“ ist eine Klausur und eine Hausarbeit erfolgreich anzufertigen. Und natürlich kann man etwas Geld in die Hand nehmen und das Schreiben dieser Hausarbeiten „outsourcen“.
Nur: Bringt einen das als Student wirklich weiter? Die Hausarbeiten bieten eine hervorragende Möglichkeit, die juristische Technik zu üben. Man hat genügend Arbeitszeit, alle Literatur der Welt, das Internet als Datenbank – sprich: Jede Information, die man braucht. Man lernt die Recherche, man kann die gestellten Fragen vollumfänglich bearbeiten und somit bleibt auch für das restliche Studium genug an Wissen „hängen“. Es ist wertvoll, wenn man die Paragraphen einfach mal angewendet hat, weil man sie dann in einer Klausur unter Zeitnot sehr viel leichter findet.
Wer sich also ausgerechnet diese Hausarbeiten sparen will, hat unter Umständen einfach die Mechanismen des juristischen Studiums nicht verstanden. Zu einem erfolgreichen Abschneiden im Examen trägt dies sicher nichts bei, unter Umständen eher im Gegenteil.