Ein kleinerer Fehler hat sich in die Berichterstattung eingeschlichen, es war nämlich kein Fahrverbot, sondern die Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis. Dies ist noch schlimmer, denn damit bekommt der Autofahrer nicht automatisch nach Ablauf der 630 Monate (52,5 Jahre) seinen Führerschein zurück, sondern muss ihn neu beantragen. Aber 630 Monate bleiben 630 Monate und die Natur des Führerscheinverlusts hätte für den Betroffenen wohl wenig Unterschied gemacht.
In der mündlichen Verhandlung, die aufgrund des Einspruchs des Angeklagten durchgeführt werden musste, löste sich der Führerscheinentzug in Luft auf, ebenso wie das gesamte Verfahren: Es wurde gegen 600 Euro Geldauflage eingestellt und der Beschuldigte darf weiter mit dem Auto fahren.
Was genau hier schiefgelaufen ist, lässt sich nicht ohne Weiteres sagen. Vielleicht hatte der zuständige Staatsanwalt noch „30 Monate“ vom vorhergehenden Fall im Formular stehen und wollte das durch eine „6“ überschreiben – sechs Monate Sperrfrist sind die Mindestdauer, bei kleineren Vergehen aber auch die Regel. Dass der Staatsanwalt seinen eigenen Fehler nicht gemerkt hat, kann passieren.
Aber es wäre die Aufgabe des Richters gewesen, den Strafbefehlsantrag darauf zu prüfen, ob er rechtlich in Ordnung ist. Dieses Strafmaß hat er sicher nicht absichtlich bestätigt. Denn das Höchstmaß der Sperrfrist ist fünf Jahre – weniger als ein Zehntel der hier verhängten Dauer. Der Strafbefehl war also ganz offensichtlich rechtswidrig, weil es eine solche Sperrfrist überhaupt nicht geben kann. Würde ein Richter das vorsätzlich so bestätigen, würde er sich höchstwahrscheinlich der Rechtsbeugung schuldig machen.
Was könnte hier also passiert sein? Dazu muss man die Mechanismen des Strafbefehlsverfahrens, vor allem in Verkehrssachen kennen. Hier werden zahlreiche Strafbefehle erlassen, meistens nach festen „Tarifen“. Die Zahl der Tagessätze und der Fahrerlaubnis-Nebenfolgen sind großteils standardisiert und lassen sich aus dem Tatvorwurf „errechnen“. Die Staatsanwaltschaft beantragt eben, was „üblich“ ist und der Richter bestätigt es. Das ist insoweit durchaus ein rechtsstaatlicher Gewinn, weil im Großen und Ganzen eine Gleichbehandlung der (potentiellen) Täter erreicht wird.
Das bedeutet aber unter Umständen auch, dass die Kontrollintensität etwas abnimmt. Wenn 99 % der Strafbefehle unproblematisch sind, dann rutscht einem vielleicht auch der eine oder andere durch, der zum restlichen Prozent gehört. Trotzdem sollte man aber nicht vergessen, dass ein nicht angefochtener Strafbefehl einem rechtskräftigen Urteil gleichsteht (§ 410 Abs. 3 StPO). Und Urteile fällen eben immer noch Richter, nicht Staatsanwälte. Es wäre also schon die Aufgabe des Richter, zumindest den Strafausspruch grob zu lesen und ihn nicht unkontrolliert zu unterschreiben.
Interessant ist schließlich die Frage, was passiert wäre, wenn dieser Strafbefehl rechtskräftig geworden wäre. Im Zivilprozessrecht gibt es die Möglichkeit, offensichtliche Fehler in Urteilen „auf dem Büroweg“ zu korrigieren (§ 319 ZPO). Die Strafprozessordnung sieht dagegen kein solches Verfahren vor, es gilt jedoch als sicher, dass es diese Möglichkeit auch ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage gibt.
Aber in welche Richtung müsste man es dann korrigieren? Nehmen wir dann die sechs Monate, die anscheinend hier üblich waren? Aber woher wissen wir, dass genau das gemeint war? Denn wenn man genau auf da zurückgreift, was man eben immer macht, dann wird die Richterzuständigkeit bei Strafbefehlen noch mehr ausgehöhlt: Dann ist es nämlich egal, was der Richter unterschreibt, es gilt das, was die Staatsanwaltschaft wollte. Man kann hier nur froh sein, dass der Angeschuldigte das Verfahren durch seinen Einspruch am Leben hielt und der rechtswidrige Strafbefehl so an Recht und Gesetz angepasst werden konnte.
Es ist freilich nicht auszuschließen, dass der Fehler hier woanders lag. Auf jeden Fall sollte dieses Verfahren Anlass sein, den Urteilsautomatismus im Strafbefehlsverfahren und die Rollen der Beteiligten kritisch zu überdenken.