Eine Präambel ist wörtlich etwas Vorangestelltes. In vielen Gesetzen, Verträgen und rechtlich relevanten Dokumenten gibt es eine solche Präambel und sie dient dort in der Regel als ein Vorspruch, eine Einleitung oder eine vorgeschaltete Erklärung. Eine häufige Aussage ist, eine Präambel habe keine rechtliche Bedeutung. Das ist häufig richtig, aber aus anderen Gründen als behauptet wird.
Ein Rechtssatz wird jedenfalls nicht dadurch ungültig, dass man ihn in die Präambel schreibt. Die Präambel ist einfach nur ein „Paragraph null“, also ein Text, der vor dem ersten in der üblichen Form durchnummerierten Paragraphen kommt. Das allein macht seinen Inhalt aber nicht ungültig. Denn es gibt keine allgemeinverbindliche Vorschrift darüber, wie man Rechtsdokumente zu gliedern hat. Es gab in der Geschichte durchaus auch Gesetze ohne einen einzigen Artikel oder Paragraphen. So besteht z.B. die Allerhöchste Kabinetsordre mit der Geschäftsordnung für die Versammlung der vereinigten ständischen Ausschüsse sämmtlicher Provinzen vom 19. August 1842 des preußischen Königs aus fortlaufendem, nicht weiter unterteiltem Text. Natürlich ist soetwas gültig und dann können Inhalte in einer Präambel erst recht nicht per se bedeutungslos sein.
Warum sollte es auch Präambeln in Gesetzen geben, wenn diese keine Bedeutung hätten? Und warum sollte der Gesetzgeber sie mit Inhalten füllen, die er gar nicht zur Geltung bringen will? Dann würde man diese Inhalte entweder ganz weglassen oder sie an eine Stelle verfrachten, an der sie gültig wären. Daran sieht man schon, dass es absurd ist, dem Gesetzgeber, der natürlich der Herr über die von ihm erlassenen Gesetze ist, zu unterstellen, er planmäßig würde Ungültigkeitsbereiche in seine Gesetze einbauen.
Auch in Verträgen sind Präambeln ein häufiges Instrument, um den Gegenstand der Vereinbarung an herausgehobener Stelle zu deklarieren. Stellen wir einmal folgende Varianten eines fiktiven Vertrags gegenüber:
Variante 1 („verlängerte Überschrift“):
Vertrag über die Erbringung von Schneeräumleistungen im Zeitraum 1. November 2015 bis 31. März 2016 im Bereich der Einfahrt zum Grundstück Mustermanngasse 12, 80000 München, einschließlich des vor dem Grundstück gelegenen öffentlichen Fußwegs
§ 1 Vergütung (…)
Variante 2 („Präambel“):
Vertrag
Präambel
Dieser Vertrag regelt die Erbringung von Schneeräumleistungen im Zeitraum 1. November 2015 bis 31. März 2016 im Bereich der Einfahrt zum Grundstück Mustermanngasse 12, 80000 München, einschließlich des vor dem Grundstück gelegenen öffentlichen Fußwegs.
§ 1 Vergütung (…)
Variante 3 („Einleitungsparagraph“):
Vertrag
§ 1 Gegenstand
Dieser Vertrag regelt die Erbringung von Schneeräumleistungen im Zeitraum 1. November 2015 bis 31. März 2016 im Bereich der Einfahrt zum Grundstück Mustermanngasse 12, 80000 München, einschließlich des vor dem Grundstück gelegenen öffentlichen Fußwegs.
§ 2 Vergütung (…)
Rein rechtlich sind diese Verträge alle völlig identisch. Es ist aberwitzig, anzunehmen, die Vertragsparteien hätten durch unterschiedliche Aufteilungen des völlig gleichen Texts unterschiedliche Rechtsfolgen herbeiführen wollen. Und genau das ist ja auch die oberste Auslegungsregel: Was haben die Parteien gewollt? Den eindeutigen Parteiwillen durch Verweis auf Formatierungsregeln zu untergraben, wäre rechtsstaatlich unvertretbar. Und was sollen die Beteiligten denn in Variante 2 anderes haben regeln wollen als die besagten, örtlich genau bestimmten Schneeräumdienste? Würde man diese Präambel einfach nur deswegen, weil sie eine Präambel ist, ignorieren ist, bliebe vom Vertrag auch nicht viel übrig – jedenfalls nicht die Hauptleistungspflicht.
Gerade in privatrechtlichen Verträgen, die individuell aufgesetzt werden und nicht aus dem Schreibwarenhandel kommen, sind solche Präambeln (ob sie als solche bezeichnet werden oder nur wie eine Präambel platziert sind) sehr häufig. Sie sind auch regelmäßig Gegenstand von Gerichtsverfahren (sei es bei gewerblichen Vermietungen, bei Internetverkäufen, im Stiftungsrecht oder bei einem Wärmelieferungsvertrag), aber stets nur ihr Inhalt, niemals die Frage, ob sie als Präambel auch wirklich gelten sollen.