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    Categories: Prozessrecht

Ersatzzustellung an den Mitbewohner – oder: Warum die ZPO bei der WG-Auswahl helfen kann

Fristen bestimmen mittlerweile ganz zentrale Teile des Zivilprozessrechts. Gerade hier wird nun großer Wert auf Beschleunigung gelegt, damit die Parteien möglichst bald ein rechtskräftiges Urteil in der Hand haben. Das bedeutet auch, dass man Prozesse nur deswegen verlieren kann, weil man eine Frist versäumt hat.

Um eine Frist berechnen zu können, muss in aller Regel zuvor irgendetwas zugestellt worden sein. So löst bspw. die Klagezustellung die zweiwöchige Frist für die Abgabe der Verteidigungsanzeige (§ 276 Abs. 1 ZPO) aus. Nachdem man das Urteil erhalten hat, kann man innerhalb eines Monats Berufung einlegen (§ 517). Und im Wechselprozess müssen zwischen Ladung und Verhandlung mindestens 24 Stunden liegen (§ 604 Abs. 2).

ZPO will Zustellung auch bei Widerständen ermöglichen

Zustellung bedeutet dabei eine formalisierte Art und Weise der Übersendung eines Schriftstücks. Wie zugestellt wird, bestimmen die §§ 166 bis 190 ZPO. Die vielen hier gebotenen Möglichkeiten sind auch durchaus sinnvoll, denn gerade gerichtserfahrene Personen sind teilweise überaus kreativ, wenn es darum geht, die Zustellung unangenehmer Gerichtspost zu verhindern – da werden Briefkästen versiegelt, Namensschilder abmontiert und Türen fest verschlossen. An die gleichsam praktische und harmlose Form des Rückschein-Einschreibens (§ 175) braucht man bei solchen Empfängern nicht einmal zu denken, denn diesen Rückschein werden sie sicher nicht unterschreiben.

Aber auch bei den ganz normalen Parteien einer Verfahrens sind die verschiedenen Zustellmöglichkeiten sinnvoll, denn nicht jeder von uns ist permanent zuhaus und wartet nur darauf, wichtige Briefe persönlich in Empfang nehmen zu dürfen.

§ 178: Zustellung an erwachsene Familienmitglieder und Mitbewohner

Eine dieser Zustellmöglichkeiten wirft aber doch gewisse Probleme auf: § 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO erlaubt es, an einen erwachsenen Familienangehörigen oder an einen erwachsenen ständigen Mitbewohner zuzustellen. Dabei wird einfach einer anderen dort wohnenden Person das Dokument übergeben und gesagt „Leiten Sie das mal an Herrn/Frau X weiter“. Und es geht hier nicht nur um Fragen des Briefgeheimnisses. Die Krux daran ist, dass diese Übergabe an das Familienmitglied bzw. den Mitbewohner bereits die Zustellung an den eigentlichen Empfänger darstellt. Ob und wann ihn der Brief dann wirklich erreicht hat, ist völlig egal; allenfalls über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 233) kann dieses Ergebnis korrigiert werden, unproblematisch ist dies aber keineswegs.

Nun mag man dies bei Familienangehörigen noch irgendwie für sachgemäß halten. Dass man für die nächsten Angehörigen irgendwie „mithaftet“, ist im allgemeinen Bewusstsein durchaus so verankert – im Recht übrigens nicht. Dort muss man sich allerdings im schuldrechtlichen Bereich (§ 278) das Verschulden von Personen, die für einen tätig werden, zurechnen lassen. Auch im deliktischen Bereich (§ 831) ist man verantwortlich, wenn man sich die falschen Mitarbeiter aussucht.

Zwar sucht man sich Mitbewohner schon selbst aus. Aber doch eher unter dem Gesichtspunkt eines gedeihlichen Zusammenlebens, nicht danach, ob es sich um zuverlässige Empfänger für Behördenpost handelt.

Ersatzzustellung geschieht relativ häufig

Nun stellt sich freilich die Frage, wie relevant all das überhaupt ist. Wie oft wird denn ein behördliches Schriftstück einfach irgendjemandem gegeben? Die Antwort ist: Relativ häufig.

Denn die ZPO knüpft als einzige Voraussetzung daran, dass der Adressat selbst gerade nicht vom Zusteller (Post, behördlicher Bote oder Gerichtsvollzieher) in seiner Wohnung angetroffen wird. Die eigentlich naheliegendere Möglichkeit, den Brief in den Hausbriefkasten (von dem in einer WG unter Umständen jeder Bewohner einen eigenen hat bzw. es zumindest seine Schuld ist, wenn er keinen anbringt) zu werfen, ist nur ausnahmsweise zulässig – nämlich dann, wenn die Ersatzzustellung nach § 178 nicht funktioniert, weil niemand zu Hause ist. Der Überbringer muss also tatsächlich zunächst versuchen, die Zustellung an eine andere Person zu bewirken.

Vielleicht sollte man also potentielle Mitbewohner tatsächlich unter dem Gesichtspunkt ihrer postalischen Zuverlässigkeit aussuchen, um prozessuale Probleme zu vermeiden. Es sei denn, natürlich, man kann ausschließen, jemals vor Gericht gezerrt zu werden. Das ist sicherlich auch die allerbeste Strategie.

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