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    Categories: Strafrecht

Maibaumdiebstahl, juristisch betrachtet

Der April neigt sich dem Ende zu und vor allem in Bayern werden bald Maibäume aufgestellt – und auch gestohlen. Droht eine Verurteilung wegen Maibaumdiebstahls? Nicht wirklich, meinen wir. Viele Straftatbestände sind zwar eigentlich erfüllt. Aber auch im Recht spielt Tradition eine Rolle. Und das ist auch gut so.

Das Maibaumstehlen ist ein alter bayerischer Brauch. Im Wesentlichen geht es darum, den schon gefällten und auf die Aufstellung wartenden Maibaum aus einer anderen Gemeinde zu entwenden. Für den so gestohlenen Maibaum müssen die Eigentümer dann eine Auslöse zahlen, in der Regel eine vernünftige Brotzeit, selbstverständlich einschließlich Getränke.

Aber ist das denn nicht irgendwie verboten? „Maibaumstehlen“ klingt schon verdächtig nach „Maibaumdiebstahl“ und das kann ja wohl kaum erlaubt sein. Und auch, wenn man es wohl normalerweise eher mit Humor sieht, Opfer eines solchen Diebstahls zu werden, droht dann nicht doch ein Verfahren oder gar eine Verurteilung?

§ 242 StGB: Diebstahl

Als erstes denkt man wohl an einer Strafbarkeit wegen Diebstahls. Allerdings setzt ein Diebstahl voraus, dass man die Absicht hat, „die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen“. Dazu gehört, dass man die Sache dem Eigentümer endgültig wegnimmt und sich selbst – zumindest vorübergehend – wie der echte Eigentümer benimmt.

Wer das hier als erfüllt ansieht, verkennt aber den Kern dieses Brauchs. Denn man nimmt sich den Maibaum ja nicht, weil man ihn gerne selber haben will, sondern um ihn gegen die erwähnte Brotzeit zurückzugeben. Der andere Verein wird also nicht um den Maibaum erleichtert, sondern nur um den Wert des Essens. Diebstahl ist kein Vermögensdelikt – bestraft wird man nicht, weil man einen anderen ärmer macht, sondern weil man ihn eine bestimmte Sache wegnimmt.

Zwar stellt es nach der Rechtsprechung einen Diebstahl dar, wenn man jemandem seine Sache zurückverkauft – aber eben nur deswegen, weil man sich dafür zunächst selbst als Eigentümer auffasst. Der Burschenverein A-Dorf wird aber nicht zu seinen Nachbarn sagen: „Wir haben hier diesen wunderschönen Maibaum. Der gehört uns zwar, aber wir würden ihn euch gerne verkaufen und als Gegenleistung hätten wir uns eine schöne Brotzeit vorgestellt.“ In Ansehung des Brauchs wird schon keinerlei Zweifel daran gelassen, dass es der Maibaum der rechtmäßigen Eigentümer ist.

§ 253: Erpressung

Möglich ist auch eine Strafbarkeit wegen Erpressung. Die Erpressung ist ein Vermögensdelikt, bei dem die Schädigung durch eine Drohung herbeigeführt wird: „Wenn du nicht zahlst, dann werde ich …“

Das ist hier durchaus der Fall. Die Rückgabe des Maibaums wird zwar nicht von einer direkten Geldzahlung, aber von der Überlassung einer Brotzeit (auch das ist eine Vermögensposition, vor allem, da die Maibaumdiebe regelmäßig einen überdurchschnittlichen bayerischen Durscht entwickeln) abhängig gemacht. Die dahinterstehende Drohung ist auch eine solche mit einem „empfindlichen Übel“, wie das Gesetz verlangt – denn hier steht die Ehre des gesamten Orts auf dem Spiel. Sich dem Brauch zu verweigern, kommt einfach nicht in Frage.

Nun ist Erpressung aber ein sogenannter „offener Tatbestand“. Um das zu verstehen, muss man sich zunächst die nicht-offenen Tatbestände ansehen – das sind fast alle anderen im StGB. Diese nicht-offenen Tatbestände tragen die Rechtswidrigkeit ihrer Tat schon in sich. Wer eine andere Person verletzt, handelt im Normalfall rechtswidrig, weil es eben verboten ist, andere zu verletzen. Dazu muss man dann kein Wort mehr verlieren. Aber bei der Erpressung ist das anders – wir alle erpressen permanent. Der Supermarkt erpresst mich, weil er mich nur mit meinen Einkäufen heim gehen lässt, wenn ich dafür bezahle. Um solche Fälle auszuschließen, erklärt § 253 Abs. 2 StGB die Erpressung nur dann für strafbar, wenn sie verwerflich ist.

Am Maibaumdiebstahl ist aber nichts verwerflich. Es ist Tradition. Es ist eben nicht das übliche „Ich will Geld, sonst“ einer Erpressung im kriminellen Milieu. Wer hier „erpresst“, begreift sich als Teil der historischen Überlieferung, der gedachten Gemeinschaft der Maibaumaufsteller. Das ist ein Raum, in dem der Staat und seine Gesetze ohnehin keinen Platz haben, weil die Beteiligten das untereinander regeln.

Andere Paragraphen

Auch andere Tatbestände sind häufig erfüllt. Zu denken ist an den Hausfriedensbruch gemäß § 123 StGB, der über seine Bezeichnung hinaus auch Grundstücke („befriedetes Besitztum“) erfasst. Irgendwo wird der Baum ja gelagert und um ihn dann zu entwenden, muss man fast zwangsläufig über einen Zaun steigen und Privatgelände betreten. Ebenso sind kleinere Sachbeschädigungen bei der Mitnahme denkbar.

Diesen mangelt es aber höchstwahrscheinlich an der Rechtswidrigkeit, die für eine Verurteilung stets notwendig ist. Denn zum einen kommt eine rechtfertigende (teilweise auch, ohne dass der Unterschied hier bedeutsam wäre, eine tatbestandsausschließende) Einwilligung der Geschädigten in Betracht. Wer sich am Brauch des Maibaumaufstellens beteiligt, erklärt sich auch mit dem Brauch des Maibaumstehlens und dessen Randerscheinungen einverstanden. Eine solche Rechtfertigung steht zwar nicht im Gesetz, ist aber unbestritten anerkannt. Denn wer zustimmt, dem geschieht kein Unrecht – oder wie es schon die Römer, deren Sympathie für Maibäume zumindest historisch nicht belegt ist, formulierten: Volenti non fit iniuria.

Auch eine gewohnheitsrechtliche Rechtfertigung kommt in Betracht: Die Tradition ist natürlich auch Teil der Rechtsordnung und kann insoweit spezieller sein als die allgemeinen Gesetze. Wenn diese anerkannten Regeln des Maibaumdiebstahls besagen, dass das Stehlen erlaubt ist, dann stellt dies eine Ausnahme vom ansonsten geltenden Verbot dar.

Tradition braucht keine juristische Klärung

All diese Überlegungen sind natürlich nur persönliche Bewertungen. Es gibt keine höchstrichterlichen Urteile über Maibaumdiebstähle. Denn es ist einfach – wie schon mehrmals betont – Tradition. Und wer jemanden aufgrund dieser Tradition vor den Kadi zerrt, dem kann es leicht passieren, dass er mit anderen urbayerischen Bräuchen wie dem Herfotzen oder dem Haberfeldtreiben konfrontiert wird.

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