Überbewertung von Empfindlichkeiten
Unsere Kultur gibt schon jetzt die Freiheit immer mehr zu Gunsten von Befindlichkeiten auf. Dass man Bedrohung, Nötigung oder Anstiftung zu konkreten Straftaten nicht dulden muss, ist richtig. Es gibt aber kein Recht drauf, dass man nirgends Dinge sehen muss, die einem nicht gefallen. Und man kann auch die eigene Empfindlichkeit nicht immer höher schrauben und diese anderen Menschen aufzwingen. Widerspruch, Ablehnung, Beleidigung und sogar Hass gehören nun einmal zum Leben dazu. Als erwachsener Mensch muss man damit fertig werden.
Hauptsächlich Bagatelldelikte erfasst
Die Straftaten, die vom Gesetz erfasst sind, sind in weiten Teilen Bagatelldelikte. Die Beleidigung ist im Höchstmaß mit einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht, in der Praxis ist kaum mehr als eine kleine Geldstrafe zu erwarten. Davon abgesehen verfolgt kaum ein Staatsanwalt dieses Delikt, da kein öffentliches Interesse vorliegt. Wenn jemand das Berliner Wappen „verunglimpft“, dann mag das für das Wappen sehr schmerzhaft sein; das StGB kennt aber durchaus schwerere Straftaten. Aber das soll nun Anlass sein, eine ganze Armada von Beauftragten und Überwachern in Bewegung zu setzen?
Erfüllung des Tatbestands reicht
Eine Straftat erfordert vier Dinge: Objektiven Tatbestand, subjektiven Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld. Nun sagt § 1 Abs. 3 des Gesetzentwurfs aber, dass es nur darauf ankommt, dass der Tatbestand einer der genannten StGB-Vorschriften erfüllt ist. Das sind also eigentlich nur die beiden ersten Elemente. Dass daneben noch Rechtswidrigkeit im strafrechtlichen Sinne vorliegen muss, kann man erahnen, da „rechtswidrige Tat“ das Kernelement des Gesetzes ist. Zwingend ist das aber nicht. Dann könnte auch eine nach den Maßstäbe des Strafrechts völlig rechtmäßige Äußerung gelöscht werden müssen. Jedenfalls würde auch ein schuldloses, zum Beispiel irrtumsgeleitetes Handeln ausreichen, um ein Einschreiten auszulösen.
Hält die Verfolgungsbehörde einen Inhalt für rechtswidrig und will sie deswegen ein Verfahren einleiten, muss sie eine Vorabentscheidung des Amtsgerichts herbeiführen. Dieses entscheidet dann bindend darüber, ob Rechtswidrigkeit vorliegt. Erst dann kann ein Ordnungswidrigkeitenverfahren eingeleitet werden. Was nach richterlicher Kontrolle klingt, lässt eher das Gegenteil befürchten: Das Gericht wird – ähnlich dem Ermittlungsrichter im Strafverfahren – eher grünes Licht geben, um Ermittlungen nicht zu blockieren. Dann handelt es sich dabei aber schon um eine Vorentscheidung hinsichtlich des gerichtlichen Bußgeldverfahrens.
Verstaatlichung des Internets, vorauseilender Gehorsam
Dieses Vorhaben soll auch zeigen, dass der Staat das Internet vollständig kontrolliert. Was eine vertragliche Beziehung zwischen den Benutzern und dem Dienstanbieter war, ist nun auf einmal eine staatliche Angelegenheit. Der Staat mischt sich ein, der Staat ordnet seine eigene Hilfspolizei an. Und diese Hilfspolizei wird, um eine Verschärfung der Regelungen zu verhindern und sich nicht der Gefahr einer Ahndung auszusetzen, in vorauseilendem Gehorsam all das tun, was der Staat von ihr verlangt – ob Recht und Gesetz das hergeben oder nicht.
Erwartung willfähriger Unternehmen
Die Gesetzgebungsmaterialien gehen von nur 100 gerichtlichen Klärungen pro Jahr aus. Wenn man bedenkt, dass die zuständige Überwachungsbehörde 40 Arbeitsplätze erhalten soll (siehe oben), sind 100 Streitfälle schon extrem niedrig gegriffen. Diese Prognose setzt besonders willfährige Unternehmen und Nutzer voraus.
Im Gesetz sind Bußgelder vorgesehen, die in Kombination mit den allgemeinen Regeln des OWiG bis zu 50 Mio. Euro betragen können. Das sind natürlich nur Höchstbeträge, die seltenst auch nur annähernd ausgeschöpft werden dürften. Der Mindestbetrag ist, wie bei jeder Ordnungswidrigkeit, 5 Euro. Wie aber soll eine Richter innerhalb dieses Rahmens nun die angemessene Sanktion festlegen? Welche Kriterien muss man heranziehen, wenn die schwerstmögliche Begehung zehn Millionen mal so schlimm sein soll wie die leichteste?
CDU will eine Ausweitung des Gesetzes
Aus der CDU/CSU-Fraktion wird schon der Ruf nach weitergehenden Maßnahmen lauter. Das Gesetz sei nur ein erster, zaghafter Schritt in die richtige Richtung, so die rechtspolitische Sprecherin Elisabeth Winkelmeier-Becker. Diese Gefahr besteht eben bei allen neuen Gesetzen: Dass die Politik auf den Geschmack kommt. Man kann den Anwendungsbereich und die Rechtsfolgen immer weiter treiben – und darum muss man schon am Anfang vorsichtig sein, wenn es nicht aus dem Ruder laufen soll. Wer sich heute von einem solchen Gesetz nicht betroffen fühlt, weil er ein zivilisierter Mensch ist und weder Hass noch „Fake News“ verbreitet, wird vielleicht schon von der nächsten oder übernächsten Verschärfung erfasst. Der Totalitarismus hat schon immer klein angefangen und behauptet, nur das Gute zu wollen.