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Ein bisschen Unschuldsvermutung für Waffenbesitzer

Für einen Strafverteidige ist es im Ermittlungsverfahren das vorrangige Ziel, zu einer Verfahrenseinstellung zu kommen. Als Einstellung bezeichnet man es, wenn die Staatsanwaltschaft von sich aus das Verfahren beendet, ohne dass sie einen Strafbefehl beantragt oder Anklage erhebt.

Eine Einstellung findet dann statt, wenn nach Abschluss der Ermittlungen keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine Straftat besteht (§ 170 Abs. 2 StPO) oder wenn die Schuld des vermeintlichen Täters ohnehin nur gering wäre (§ 153 StPO). In letzterem Falle kann die Einstellung auch unter einer Auflage geschehen (§ 153a StPO), wenn die Staatsanwaltschaft meint, dass zumindest eine gewisse Sanktion notwendig ist.

Wichtig ist, dass in all diesen Fällen keine Schuldfeststellung erfolgt. Eine Verfahrenseinstellung ist kein Urteil, vor allem keine Vorstrafe. Es ist also nichts, was den Beschuldigten danach noch belastet – strafrechtlich gesehen.

Strafverfahren wegen Bedrohung wurde eingestellt

In einem in der Oberpfalz (Bayern) spielenden Fall hatte ein Mann angeblich mehrere Personen mit einer Waffe bedroht. Allerdings war er legaler Waffenbesitzer und hatte für seine Waffen auch einwandfreie Waffenbesitzkarten. Das Strafverfahren wegen der möglicherweise vorliegenden Bedrohung wurde gegen die Zahlung von 4000 Euro nach dem oben genannten § 153a StPO eingestellt.

Nun trat aber die Waffenbehörde in Aktion: Denn ein Waffenbesitzer muss zuverlässig sein, § 4 Abs. 1 Nr. 2 desWaffengesetzes. Wer nicht zuverlässig ist, sagt § 5 WaffG. Dazu gehören z.B. verurteilte Straftäter (je nach Höhe der Strafe), aber auch Personen, die mutmaßlich nicht vernünftig mit Waffen und Munition umgehen.

Waffenbehörde: Unzuverlässigkeit

Ein Straftäter war er nicht, denn er wurde ja nicht verurteilt. Wenn die Vorwürfe aus dem Ermittlungsverfahren aber zutreffen sollten, könnte es Anhaltspunkte dafür geben, dass er Waffen missbräuchlich verwendet und damit unzuverlässig ist. Die Waffenbehörde hat die Feststellungen des Ermittlungsverfahrens übernommen und dem Betroffenen die waffenrechtlichen Erlaubnisse entzogen.

Hiergegen wehrte er sich vor dem Verwaltungsgericht Regensburg, das im Eilverfahren entschied und seinen Antrag zurückwies (VG Regensburg, Urteil vom 02.03.2015, RO 4 K 14.917).

Erste Instanz: Verwaltungsgericht

Bemerkenswert ist die Begründung des Verwaltungsgerichts:

Die Einstellung des Strafverfahrens nach § 153 a StPO darf durchgeführt werden, wenn die Erfüllung der geforderten Auflage oder Weisung geeignet ist, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen und die Schwere der Schuld nicht entgegensteht. Mit anderen Worten erfordert die Einstellung des Strafverfahrens nach § 153 a StPO bereits die Feststellung, dass der Tatbestand einer Strafvorschrift erfüllt worden ist und der Beschuldigte/Angeschuldigte/Angeklagte auch rechtswidrig gehandelt hat. Wären diese Voraussetzungen für eine Verurteilung nämlich nicht gegeben, müsste insbesondere unter Berücksichtigung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ ein Freispruch erfolgen und keine Einstellung nach § 153 a StPO.

Das Verwaltungsgericht unterstellt, dass bei einer Einstellung nach § 153a StPO die Schuld des Beschuldigten feststünde. Wäre es anders, hätte die Staatsanwaltschaft nicht diesen Weg gewählt, sondern nach dem Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“ das Verfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.

Das widerspricht der strafrechtlichen Praxis diametral. Selbstverständlich stellt die Staatsanwaltschaft auch dann Verfahren gegen Auflagen ein, wenn die Sachlage unklar ist. Die Staatsanwaltschaft ist auch nicht die Instanz, die die Wahrheit feststellt – dafür sind Gerichte zuständig. Die Einstellungsnormen dienen doch gerade der ressourcenschonenden Behandlung von Verfahren. Es soll eben nicht alles bis zum Letzten ausermittelt werden müssen. Und die Einstellung gegen Auflagen ermöglicht es allen Beteiligten, ihr Gesicht zu wahren: Die Staatsanwaltschaft kann darauf verweisen, eine Sanktionierung herbeigeführt zu haben, und der Beschuldigte kann ins Feld führen, dass er nicht einmal angeklagt wurde.

Zustimmung zur Einstellung = Geständnis?

Aber es geht noch weiter:

Im Strafverfahren hat der Kläger die Straftat bestritten, aber gleichwohl der Einstellung nach § 153 a StPO zugestimmt und damit bestätigt, dass er die den Tatbestand der ihm zur Last gelegten Strafnorm in rechtswidriger Weise erfüllt hat. Dieses widersprüchliche Verhalten des Klägers legt nahe, dass es ihm nur darum geht, die gegen ihn gerichteten Verfahren, Strafverfahren und Verwaltungsverfahren, möglichst schadlos zu überstehen. Er richtet sein Verhalten dementsprechend nicht nach den Fakten und dem Inhalt der Rechtsordnung, sondern nach dem für ihn größtmöglichen Nutzen aus. Das widersprüchliche Verhalten des Klägers und die dadurch zum Vorschein gekommene, dahinter stehende Einstellung des Klägers tragen den Schluss, dass ein deutliches Restrisiko dafür besteht, der Kläger werde auch künftig seine Vorstellungen anderen Personen gegenüber mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, d. h. auch mit Waffen, wenn er derer habhaft wird, durchsetzen.

Diese Absicht ist, und ich kritisiere ein Gericht nur ungern in dieser Weise, völlig unvertretbar. Wer eine Auflage erfüllt, will die Einstellung erreichen und damit ganz einfach seine Ruhe haben. Als Strafverteidiger weiß man, wie belastend viele Menschen ein Ermittlungsverfahren empfinden. Sie tun alles, was ihnen hilft, da rauszukommen. Das ist keinesfalls eine Bestätigung, dass die Staatsanwaltschaft recht hat und man ein reuiger Sünder ist. Man erkauft sich einfach seinen Seelenfrieden.

Es ist keineswegs widersprüchlich, die Tat weiterhin zu bestreiten. Und es gibt nicht den geringsten Anlass, aus dieser scheinbaren Widersprüchlichkeit zu unterstellen, der Kläger würde seine Vorstellungen mit allen Mitteln durchsetzen. Nimmt man diese Worte ernst, hätte man fast Angst haben müssen, dass der Kläger die Waffen gegen die Richter ergreift und das Urteil so zu korrigieren versucht.

Zweite Instanz: Verwaltungsgerichtshof

Das tat er aber nicht, sondern er legte ganz gesittet Beschwerde ein. Der Verwaltungsgerichtshof in München, der in Bayern an Stelle eines Oberverwaltungsgerichts die zweite Instanz darstellt, entschied eineinhalb Jahre später. Zwar verlor der Kläger wiederum, allerdings mit einer für die Rechtsordnung etwas erträglicheren Begründung (VGH München, Beschluss vom 14.11.2016, 21 ZB 15.648):

[Die Auffassung des VG, die Zustimmung zur Verfahrenseinstellung sei ein Schuldbekenntnis, trifft] nicht zu, weil mit einer Einstellung nach § 153a StPO keine Entscheidung darüber getroffen wird, ob der Beschuldigte die ihm vorgeworfene Tat begangen hat oder nicht, und die Unschuldsvermutung verlangt, dass dem Beschuldigten in einem justizförmig geordneten Verfahren Tat und Schuld nachgewiesen werden müssen.

Die Verfahrenseinstellung darf also nicht mit einer (Vor-) Verurteilung gleichgesetzt werden.

Unschuldsvermutung ja, aber…

Allerdings dürften die Feststellung aus dem Ermittlungsverfahren genutzt werden, um den Sachverhalt aus Sicht der Verwaltungsbehörde selbstständig zu überprüfen:

Den Verwaltungsbehörden und Gerichten ist es jedoch nicht verwehrt, die im staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren gewonnenen Erkenntnisse und Beweismittel einer eigenständigen Überprüfung im Hinblick darauf zu unterziehen, ob sich daraus – wie hier – hinreichende Schlussfolgerungen für eine waffenrechtliche Unzuverlässigkeit ergeben.

Das bedeutet also:

  • Aus der Einleitung und Einstellung eines Ermittlungsverfahrens alleine ergibt sich noch kein Schuldvorwurf gegen den Beschuldigten.
  • Die dortigen Erkenntnisse dürfen aber durch die Verwaltungsbehörde genutzt werden und sind nicht durch die Einstellung komplett vom Tisch.
  • Ob sich aus diesen Erkenntnissen Schlussfolgerungen ableiten lassen, die im Verwaltungsverfahren von Bedeutung sind, muss die Behörde selbst prüfen.

Verfahrenstaktisch ist es daher besonders wichtig, dass bei der Verteidigung in einem Ermittlungsverfahren gegen einen Waffenbesitzer immer genau darauf geachtet wird, welche Erkenntnisse dort entstehen. In der Regel muss mit einer anwaltlichen Stellungnahme dafür gesorgt werden, dass belastende Momente ausgeräumt werden können. Stehen falsche Erkenntnisse dagegen unwidersprochen in der Akte, wird sich die Verwaltungsbehörde diese ohne große eigene Ermittlungen zu eigen machen. Die Unschuldvermutung reicht dann nur noch soweit, dass eine Strafbarkeit nicht erwiesen sein mag. Die waffenrechtliche Unzuverlässigkeit kann dann aber quasi zwischen den Zeilen stehen.

Übrigens betrifft diese Problematik nicht nur die Waffenbesitzer, sondern sie kann in allen Bereichen auftreten, in denen staatliche Erlaubnisse von der persönlichen Zuverlässigkeit abhängen. Dies ist bspw. im Jagdrecht der Fall, aber auch im Gaststättenbereich, allgemein im Berufsrecht, aber unter Umständen auch im Ausländerrecht oder – äußerst bedeutsam – in Führerscheinangelegenheiten.

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