Im Folterbericht von Amnesty International wird teilweise tatsächliche Folter angeprangert, teilweise die Verwendung von unter Folter gemachten Aussagen. Auch bundesdeutsche Behörden wurden und werden kritisiert. Die Erzwingungen von Aussagen ist natürlich schon in pragmatischer Hinsicht sehr fragwürdig, da der Wahrheitsgehalt derartiger Beweise – ähnlich wie bei der Kronzeugenregelung – sehr unsicher ist. Darum muss man sich schon einmal fragen, wie die Folter denn überhaupt jemals ihren Weg ins Strafrecht gefunden hat. Für uns klingt das heute alles sehr düster, barbarisch und mittelalterlich. Dabei ist das Tragische, dass die Einführung der Folter im Grunde nur die Nebenwirkung einer umfassenden Modernisierung und Rationalisierung des Rechts war.
Denn das frühe Prozessrecht der germanischen Stämme war zwar nicht so sehr grausam, dafür aber in höchstem Maße irrational: Wenn zwei sich stritten, dann ordnete der Richter einen Zweikampf an; das konnte ein handfester Kampf (Ringen, Fechten, Boxen) sein oder auch so lustige Spielchen wie „Wer kann einen schweren Stein am längsten hochheben?“. Wer dabei gewonnen hat, hat auch den Prozess gewonnen. Konnte man drei Leute finden, die zwar keine Ahnung vom Recht oder der strittigen Angelegenheit hatten, aber beschwören konnten, dass man ein durch und durch rechtschaffener Mensch war, dann hatte man ebenfalls gute Aussichten. Um herauszufinden, ob jemand die Wahrheit sagt, musste er z. B. ein glühendes Eisen mit der Zunge berühren – schlug die Zunge nach ein paar Tagen Blasen, so war der Lügner überführt. Das sind jetzt nur einige Beispiele, die genauen Gewohnheiten unterschieden sich von Sippe zu Sippe.
Dann begann sich das kirchliche Recht zu entwickeln und mit ihm ein eigenes Verfahrensrecht. Dieses lehnte derartige magische Beweismittel und heidnische Gottesurteile ab und verließ sich ausschließlich auf rationale Verfahren: Zeugen wurden befragt, manchmal sogar Sachverständige, Beweise in Augenschein genommen und man konnte Tatsachen durch Urkunden belegen. (Dass letzteres zu einer schier unglaublichen Flut von Fälschungen führte, ist wieder eine andere Ironie der Juristerei…) Das kanonische Recht war damit, wie so oft in früheren Zeiten, Pionier wichtiger Weiterentwicklungen.
Und hierzu gehörte auch die sehr moderne Erkenntnis, dass in einem Strafprozess ein Geständnis ein sehr wichtiges Beweismittel darstellt. Allerdings mit der für damalige Zeiten erstaunlichen Facette, die sich bis heute noch nicht in alle Rechtssysteme herumgesprochen hat, dass ein Geständnis trotzdem nicht der einzige Beweis sein darf. Es könnte ja auch sein, dass der Angeklagte nur jemand anderen schützen will, ein Alibi braucht oder andere Motive für ein falsches Geständnis hat. Das freilich war die Ausnahme; wenn der Beschuldigte seine Tat freiwillig einräumte, dann war das schon ein sehr starker Hinweis.
Irgendwann, und damit begann die Misere, war die Rechtswissenschaft dann der Meinung, man könnte jemanden ohne Geständnis überhaupt nicht verurteilen. Dahinter mag vielleicht das Verlangen nach letzter Sicherheit zur Vermeidung von Fehlurteilen gesteckt haben; oder vielleicht auch die christliche Vorstellung der reinigenden Beichte. Jedenfalls führte das dazu, dass ein überführter Verbrecher unbedingt zu einem Geständnis gebracht werden musste. Wohlgemerkt: Dafür mussten anfangs derart viele sonstige belastende Beweise vorliegen, dass ein heutiger Richter ohne weiteres Zögern den Angeklagten verurteilt hätte.
Ob und wie man die strengen Voraussetzungen für den Einsatz der Folter zunächst verringerte, ist nicht bekannt. Bekannt ist dagegen, wie die Geschichte endete. Und das zeigt eines: Wenn ein neues und einigermaßen praktisches Beweismittel einmal in der Welt ist, dann entwickelt es ein Eigenleben. Das sollten wir auch heute noch bei freilich unblutigeren Ermittlungsmethoden immer beachten.