In der Geschichte der Bundesrepublik gab es wohl noch keinen Justizminister, der so sehr auf mediale Präsenz und so wenig auf rechtliche Substanz geachtet hätte wie Heiko Maas. Wenn er mal wieder ein monumentales Reformvorhaben ankündigt, dann wird dies in der Wissenschaft in erster Linie mit mildem Lächeln quittiert – es wird ja eh nicht viel rauskommen.
Nun hat er sich den Mord vorgenommen, genauer gesagt die lebenslange Freiheitsstrafe für Mord. Die soll zwar bestehen bleiben, allerdings in besonderen Ausnahmefällen gemildert werden. Und an den Mordmerkmalen wird wohl auch etwas herumgeschraubt. Was dagegen bleiben wird, ist das ewige Dilemma dieses völlig verunglückten Mordparagraphen 211 StGB. Denn für eine ernsthafte Reform fehlt offenbar weiterhin der Wille – und das wäre auch nicht so plakativ wie das punktuelle Herumbasteln am Strafmaß.
Mordmerkmale und Tätertypen
Aber beginnen wir von vorne: Der Unterschied zwischen Mord und Totschlag sind die Mordmerkmale. Diese sind – ohne erkennbare Logik – in drei Gruppen sortiert, von denen die erste („aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen“) und die dritte („um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken“) subjektiver und die zweite („heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln“) objektiver Natur sind.
Diese Gesetzesfassung stammt aus dem Jahr 1942. Während die Mordmerkmale an sich nicht typisch nationalsozialistisch sind, sondern in vielen Ländern ähnlich gehandhabt werden, ist die ursprünglich dahinterstehende Tätertypenlehre, wonach der Mörder eine ganz bestimmte Art Mensch sein soll, durchaus (nur) mit der NS-Weltanschauung zu erklären. Da die Rechtsprechung diesen ideologischen Hintergrund ohnehin nie wirklich mitgemacht hat, ist das aber weniger das Problem an der Vorschrift.
Mordmerkmale sind kaum abgrenzbar und nachweisbar
Das Problem ist, dass die Mordmerkmale völlig willkürlich sind. Nicht beim ersten Hinsehen freilich: Natürlich ist Mordlust etwas ganz Schlimmes, das über das Erschlagen der Schwiegermutter im Affekt hinausgeht. Aber was ist Mordlust? Mordlust liegt, so der praxisrelevante StGB-Kommentar von Thomas Fischer, vor, wenn es dem Täter darauf ankommt, einen Menschen sterben zu sehen, wenn er aus Mutwillen, Angeberei, Freude am Töten, Zeitvertreib, als nervliches Stimulans oder aus sportlichem Vergnügen tötet. Wann soll das denn jemals vorliegen? Und wenn es vorliegt, welcher Täter gibt das zu?
Das ist ein Dilemma bei den meisten Mordmerkmalen: Es trifft die, die dumm oder unwissend genug sind, ihre Beweggründe offen zu legen. Das gilt übrigens für die objektiven Mordmerkmale genauso, denn gar so objektiv sind diese nicht. Heimtücke setzt bspw. das bewusste Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers in feindlicher Willensrichtung voraus – da steckt sehr, sehr viel Subjektives drin.
So könnte man alle Mordmerkmale durchdeklinieren. Der erwähnte Fischer-Kommentar braucht an die 80 Randnummern, um die Mordmerkmale nur kurz anzureißen – zum Vergleich: die gesamte Tathandlung des Diebstahls wird in weniger als 20 Rundnummern dargestellt.
Die Mordmerkmale sind im echten Leben kaum scharf abgrenzbar. Das war aber in der ursprünglichen Intention des Gesetzgebers auch gar nicht notwendig, denn – und hier müssen wir wieder auf die Entstehungsgeschichte schauen – der NS-Staat ging natürlich davon aus, dass willfährige Richter schon „die Richtigen“ als Mörder verurteilen würden. Die exakte Verknüpfung von Tatbestand und Rechtsfolge, die im heutigen Strafrecht unerlässlich ist, galt damals eher als hinderlich. Ein heutiges Gericht, das tatsächlich darum bemüht ist, das geschriebene Recht anzuwenden, kann mit diesem Sammelsurium niederer Motive aber wenig anfangen.
Schwammige Formulierungen bleiben bestehen
So schwammig die Mordmerkmale auch sind, so definitiv ist die Rechtsfolge: Zwingende lebenslange Freiheitsstrafe ohne Berücksichtigung von mildernden Umständen oder minder schweren Fällen. Umgekehrt gibt es viele Taten, die als Totschlag verurteilt werden, weil eben zufällig kein Mordmerkmal nachweisbar ist und der Anwalt zu gut ist als dass man einfach niedrige Beweggründe als Auffangtatbestand annehmen könnte.
Was wird diese Reform nun daran ändern? Gar nichts! Das hochumstrittene Mordmerkmal der Heimtücke, das vor allem physisch unterlegene Opfer, die keine offene Konfrontation eingehen können, benachteiligt, wird bleiben. Genau wie die gesamte Mordmerkmalstechnik.
Rechtsfolgenlösung des BGH
Eine Reform des Mordparagraphen hat freilich die Rechtsprechung schon dadurch eingeleitet, dass sie ihn systematisch unterminiert hat. Wenn das Ergebnis allzu absurd würde, kann das Gericht zwar wegen Mordes verurteilen, aber – aus verfassungsrechtlichen Gründen ohne den Hauch einer Verankerung im Gesetz – die Strafe bis auf drei Jahre Freiheitsstrafe mildern. Als Ausweg mit Blick auf den Menschen ist das durchaus vernünftig, rechtlich ist es äußerst kritisch. Denn es ist eigentlich nicht die Aufgabe der Gerichte, die Arbeit des Gesetzgebers zu machen.
Es geht aber nicht nur um die Mordmerkmale und ihre Auswahl. Insbesondere das Verhältnis zwischen Mord und Totschlag führt zu Verwerfungen, die kaum ein Jurist, von Laien ganz abgesehen, nachvollziehen kann.
Folgeprobleme bei Teilnehmern
So sollen Mord und Totschlag zwei unterschiedliche Delikte sein. Mord ist kein besonders schwerer Fall des Totschlags und Totschlag kein weniger schlimmer Mord. Die Taten stehen völlig unverbunden nebeneinander und entweder begeht man das eine oder das andere. Das mag man nun noch als juristische Spitzfindigkeit sehen.
Praktisch bedeutsam wird es aber, wenn zum Beispiel beim Haupttäter ein Mordmerkmal vorliegt, beim Anstifter dagegen nicht. Handelt es sich um ein objektives Mordmerkmal, so kommt es nur darauf an, dass der Mittäter das Mordmerkmal des Haupttäters gekannt hat; dann ist er auch Mittäter bei einem Mord. Bei einem subjektiven Mordmerkmal reicht Kenntnis dagegen nicht aus, er muss dieses subjektive Mordmerkmal auch selbst haben. Hat er es nicht, ist er zwar immer noch Mittäter zum Mord, allerdings wird seine Strafe gemäß § 28 Abs. 1 gemildert und zwar bis auf drei Jahre – damit noch unter die Mindeststrafe des Totschlags.
Weist dagegen der Anstifter ein Mordmerkmal auf, der Haupttäter dagegen nicht, hat der Anstifter trotzdem nur zum Totschlag angestiftet – denn die Zurechnung über § 28 Abs. 1 erfolgt nur vom Haupttäter zum Teilnehmer und nicht umgekehrt.
Probleme werden kaum gelöst
Nach diesem sich nicht ohne Weiteres verständlichen Rundumschlag nun noch einmal eine Zusammenfassung der Kritikpunkte an den bisherige Strafvorschriften zu Mord und Totschlag:
- Die Unterscheidung anhand von Mordmerkmalen überzeugt nicht.
- Die Einteilung in tat- und täterbezogene Mordmerkmale führt zu kaum begründbaren Ergebnissen.
- Die Mordmerkmale sind willkürlich ausgewählt.
- Die Mordmerkmale werfen erhebliche Definitionsprobleme auf.
- Viele Totschlagsstraftaten weisen an sich ein erhebliches Unrecht auf, verwirklichen aber zufällig kein Mordmerkmal.
- Die Strafrahmen sind, insbesondere, wenn es zu einer Strafmilderung nach § 28 Abs. 1 kommt, nicht aufeinander abgestimmt.
- Es fehlt ein minder schwerer Fall des Mordes.
- Die Strafrahmenverschieben der Rechtsfolgenlösung des BGH widerspricht dem eindeutigen Gesetzeswortlaut.
- Das von der Rechtsprechung angenommene Verhältnis zwischen Mord und Totschlag überzeugt nicht.
- Das (Nicht-) Vorliegen von Mordmerkmalen beim Beteiligten führt zu absurden Ergebnissen.
Von diesen Problem wird kaum eines, allenfalls Nr. 7, gelöst. Dafür kann man jetzt schon darauf wetten, dass die Neufassung zahlreiche Zusatzprobleme schaffen wird. Sollte sich die Erkenntnis, dass Mord eine Qualifikation zum Totschlag ist, nach der Gesetzesänderung auch in der Rechtsprechung durchsetzen, könnten einige andere Probleme ebenfalls gelöst werden – angesichts der hinlänglichen bekannten Qualität von Gesetzen aus dem Hause Maas ist das aber mehr als fraglich.
Vielleicht würde ein Blick über den juristischen Tellerrand hinaus helfen. Das österreichische Strafgesetzbuch regelt diese Tatbestände unaufgeregt, transparent, nachvollziehbar und gerecht:
§ 75 öStGB – Mord
Wer einen anderen tötet, ist mit Freiheitsstrafe von zehn bis zu zwanzig Jahren oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe zu bestrafen.§ 76 öStGB – Totschlag
Wer sich in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung dazu hinreißen läßt, einen anderen zu töten, ist mit Freiheitsstrafe von fünf bis zu zehn Jahren zu bestrafen.