Vor einiger Zeit durfte ich wieder einen Mandanten vor dem Amtsgericht vertreten, der während einer offenen Bewährung eine neue einschlägige Straftat begangen hat.
Der 67-jährige Rentner wurde bereits wegen Beleidigung von Job-Center-Mitarbeitern zu einer Freiheitsstafe von sechs Monaten auf Bewährung verurteilt. Nun war er erneut wegen eines Briefes mit beleidigendem Inhalt beschuldigt und hatte deswegen einen Strafbefehl erhalten, der eine Geldstrafe über 150 Tagessätze, also fünf Monatsgehälter, vorsah. (Alle Angaben wurden, wie immer, leicht abgeändert, um keine Rückschlüsse auf den tatsächlichen Fall zuzulassen.)
Kein Verschlechterungsverbot gegenüber Strafbefehl
Gegen diesen Strafbefehl hatte er selbst Einspruch eingelegt, sodass es nun zur Hauptverhandlung kam. Dabei muss man wissen, dass bei einem Prozess nach ergangenem Strafbefehl kein Verschlechterungsverbot gilt. Das Gericht kann eine höhere Strafe festlegen, was vor allem dann in Frage kommt, wenn die Tat nun geleugnet wird oder der Täter uneinsichtig ist.
Ich wusste, dass mein Mandant völlig uneinsichtig ist. An seiner Täterschaft gab es dagegen keinerlei Zweifel. Hier war also ein höheres Strafmaß durchaus denkbar. Konkret konnte das eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung bedeuten, die dann regelmäßig den Widerruf der früheren Bewährung zur Folge gehabt hätte.
Konfliktreiche Hauptverhandlung
Die Hauptverhandlung lief alles andere als zufrieden stellend. Trotz eingehender Hinweise darauf, wie er sich verhalten solle, stellte er sich weiter uneinsichtig dar und verteidigte seine Beleidigung als angebracht und zutreffend. Alles in allem rechnete ich mit ungefähr acht Monaten Haft ohne Bewährung – zusammen mit den sechs Monaten, die bislang zur Bewährung ausgesetzt waren, wäre er also mehr als ein Jahr ins Gefängnis gegangen.
Im Ergebnis konnte hier nur helfen, ihn anwaltlich einigermaßen zur Vernunft zu bringen. Mit mehreren gezielten Fragen konnte ich ihm zumindest das Zugeständnis abringen, mit seinen Formulierungen etwas über das Ziel hinaus geschossen zu sein. Er sagte zu, dass er bei seinem – ohne Zweifel weiter gehenden – Kampf gegen das Job-Center nur noch in der Sache argumentieren und niemanden persönlich beleidigen werde. Dass diese Ankündigungen angesichts der Vorstrafen das Staatsanwaltschaft und Richter beeindrucken würde, konnte ich freilich nicht garantieren.
Antrag der StA: Sechs Monate ohne Bewährung
So beantragt die Staatsanwaltschaft dann auch tatsächlich eine Haftstrafe – mit sechs Monaten aber wenigstens unter meinen Erwartungen. Im Plädoyer stellte ich daher noch einmal die Lebens- und Leidensgeschichte des Angeklagten und seinen Kampf gegen Job-Center und andere Institutionen vor. Es ginge schließlich nur Beleidigung und nur um Meinungsäußerungen, mögen diese auch recht heftig gewesen sein. Daher beantragte ich eine Geldstrafe von 100 Tagessätzen.
Als der Richter das Urteil niederlegte, herrschte doch eine gewisse Spannung. Ich war mir weiterhin nicht sicher, dass meine Ansicht zur Strafzumessung wirklich durchdringen würde.
Schadensbegrenzung geglückt
Dann das Urteil: „Der Angeklagte ist schuldig der Beleidigung. Er wird zur Geldstrafe von 130 Tagessätzen zu je … Euro verurteilt.“
Im Ergebnis blieb es also – mit geringen Abschlägen – bei der Sanktion im Strafbefehl. Das hätte mein Mandant zugegebenermaßen auch einfacher haben können. Aber nachdem er sich entschieden hatte, einen Prozess und ein Urteil zu wollen, lag der Fokus auf der Schadensbegrenzung und insbesondere der Verhinderung einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung.
Das jedenfalls ist geglückt, wenngleich es alles andere als einfach war.
Wenn man selbst einen Strafbefehl erhalten hat, empfiehlt es sich jedenfalls, einen kompetenten Strafverteidiger zu konsultieren, der Sie ehrlich über Möglichkeiten und Risiken aufklärt. Mehr dazu finden Sie im Fachartikel „Strafbefehl bekommen: Worüber man nun nachdenken muss“.