Vorsatz

Wenn die Juristen von „Vorsatz“ reden, so meinen sie damit in der Regel etwas anderes als das gemeine Volk. Letzteres versteht unter „Vorsatz“ eher Planung, Vorbedacht oder eine konkrete Strategie. Die Rechtslehre sieht es dagegen etwas anders: Vorsatz ist nach einer berühmten Kurzformel das „Wissen und Wollen des Täters“. Da dies nur begrenzt weiterhilft illustrieren wir es anhand einiger praxisnaher Beispiele:

Ich werfe Ihnen ein Exemplar des BGB an den Kopf, weil ich Ihnen Schmerzen zufügen will. Ich habe also hinsichtlich der Körperverletzung mit Wollen gehandelt, diese also vorsätzlich begangen. Dann gibt es noch die Möglichkeit, dass ich einfach gern meine eigenen Bücher durch die Gegend werfe. Ich sehe dabei, dass sich Ihr Kopf genau in der vorausberechneten Flugbahn meine Werks befindet, ich weiß also, dass ich Sie treffen werde. Ich lege zwar keinen gesteigerten Wert darauf, Sie zu treffen, aber ich werfe trotzdem. Damit habe ich mit Wissen gehandelt, also wiederum vorsätzlich. Das ist wohl noch einigermaßen nachvollziehbar.

Nun gibt es aber noch eine dritte Form des Vorsatzes, die viele hochtrabende Namen hat: Eventualvorsatz, dolus eventualis oder auch bedingter Vorsatz. Ich will Sie weder mit meinem Buch verletzen noch gehe ich davon aus, dass ich Sie treffen werde. Ich werfe es einfach mal in Ihre Richtung. Vielleicht treffe ich, vielleicht nicht – und wenn ich treffe, dann ist das auch OK. In dem Falle könnte ich vorsätzlich handeln. Ob ein Richter das nun bereits als dolus eventualis einschätzt, ist so sicher nicht. Im Endeffekt macht es die Summe aus Wissen und Wollen aus, ob man Vorsatz annehmen kann – je sicherer der Eintritt des Tatbestands ist, desto weniger muss ihn der Täter wollen und umgekehrt.

Woher weiß der Richter aber nun, was der Täter wusste und wollte? Er kann ihm ja schlecht ins Gehirn schauen. (Zugegeben, er kann natürlich, aber das wäre einerseits ziemlich eklig und andererseits würde es nur begrenzt weiterhelfen.) Auf diese Frage hat ein bekannter Strafrechts-Professor eine ganz pragmatische Antwort: „Auch Richter lassen sich nicht verarschen.“ Ja, sogar die Juristen verfügen über eine gewisse Lebenserfahrung. Und aus dieser kann man schon gewisse Erfahrungswerte ableiten. Wer sich im Supermarkt eine Flasche Schnaps in die Unterhose steckt, hat wohl nicht vor, sie zu bezahlen. 37 Stiche mit einem Brotmesser in den Bauch sind ein starkes Indiz dafür, dass man jemanden töten wollte. Wer dem Nachbarn Molotowcocktails durch das Wohnzimmerfenster wirft, setzt sich dem Vorwurf aus, Brandstifter zu sein. Brettert man mit 170 km/h über Dorfstraßen, hat man wahrscheinlich nicht nur das Autobahn-Ende-Schild übersehen.