Ecclestone-Verfahren: Einstellung gegen 100 Mio. Dollar

Das Verfahren gegen Formel-1-Boss Bernie Ecclestone vor dem Münchner Landgericht soll angeblich gegen Zahlung einer Geldauflage gemäß § 153a StPO eingestellt werden. Das ist gängige Praxis vor deutschen Gerichten und wird täglich wohl hunderte Male so vollzogen.

Bemerkenswert und gar nicht alltäglich ist kolportierte die Höhe der Auflage: 100 Millionen US-Dollar, ca. 75 Mio. Euro. „Ecclestone-Verfahren: Einstellung gegen 100 Mio. Dollar“ weiterlesen

Die nachträgliche Gesamtstrafe (II)

Fortsetzung zu: Die nachträgliche Gesamtstrafe (I)

Schwer erträglich sind aber auch die Rahmenbedingungen für die Bildung der Gesamtstrafe. Dass die Zahl der Tagessätze der Gesamtstrafe die höchste Einzelstrafe überschreiten muss, haben wir bereits festgestellt. Nach der Rechtsprechung muss aber auch die Summe der Einsatzstrafe erhöht werden. Und dies kann zu Problemen führen, wenn sich das Einkommen des Angeklagten verändert.

Beispiel:

(Zum besseren Verständnis sollte zunächst der Artikel über die Festsetzung einer Geldstrafe nach deutschem Strafrecht gelesen werden, ansonsten sind die Überlegungen bzgl. der Tagessätze und ihrer Berechnung möglicherweise schwer verständlich.)

Jemand wird zunächst zu 80 Tagessätzen zu je 45 Euro verurteilt. Danach bekommt er in einem weiteren Verfahren 60 Tagessätze zu je 20 Euro, weil er mittlerweile weniger verdient. Das Gericht stellt fest, dass die Voraussetzungen für eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung vorliegen. Weil er jetzt wieder etwas mehr verdient, liegt der Tagessatz nun bei 30 Euro. Normalerweise würde das Gericht also aus 80 und 60 Tagessätzen 110 machen, das sind dann, multipliziert mit 30 Euro, 3300 Euro Geldstrafe. Jetzt stellt sich das Problem, dass das weniger ist als die 80×45=3600 Euro der ersten Verurteilung. Und das darf laut BGH nicht sein.

Was kann das Gericht nun machen? Entweder es erhöht die Höhe des Tagessatzes. Das widerspricht aber dem Sinn des Tagessatzes und damit dem Gesetz (§ 40 Abs. 2 StGB). Also muss die Mindestsumme (wir brauchen mehr als 3600 Euro) über die Anzahl der Tagessätze erreicht werden. Es müssen also mindestens 11 weitere Tagessätze zur Gesamtstrafe addiert werden, denn 121×30 ergibt 3630 Euro und damit zumindest etwas mehr als die Einsatzstrafe.

Wir erinnern uns: Die Anzahl der Tagessätze sagt etwas über die Schwere der Straftat(en) aus, nicht die Gesamtsumme der Geldstrafe. Die Gesamtsumme ist nur das Ergebnis aus Tatschwere und Einkommen des Täters. Hier wird aber von der Rechtsprechung vorgegeben, dass ein bestimmtes Ergebnis herauskommen muss. Es wird also aus mathematischen Gründen eine Tatschwere fingiert, die gar nicht vorliegt. Das Gericht muss hier 11 weitere Tagessätze festlegen, die der Täter eigentlich gar nicht verdient hat. Das ist aberwitzig.

Ein weiteres, noch aberwitzigeres Beispiel:

Jemand wird zunächst zu 80 Tagessätzen zu je 45 Euro verurteilt. Danach bekommt er in einem weiteren Verfahren 60 Tagessätze zu je 20 Euro, weil er mittlerweile weniger verdient. Das Gericht stellt fest, dass die Voraussetzungen für eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung vorliegen. Weil sich seine finanziellen Verhältnisse nicht gebessert haben, liegt der Tagessatz immer noch bei 20 Euro.

Bisher betrugen die Geldstrafen 140 Tagessätze, teils zu 45 und teils zu 20 Euro. Nun muss eine Geldstrafe mit weniger als 140 Tagessätzen, alle zu 20 Euro, gebildet werden, die höher ist als die bisher höhere Strafe. Das ist mathematisch gar nicht möglich, da das Maximum von 139 Tagessätzen á 20 Euro nur 2780 Euro beträgt, also weniger als die bisher höhere Strafe. Das Gericht muss dann also doch wieder den Tagessatz anheben.

Wie könnte man das Dilemma nun lösen?

Die erste Variante würde nur auf die Summen abstellen und eine Mittelstrafe aus diesen bilden: Im Beispiel müsste also eine Gesamtstrafe zwischen 3600 und 4800 Euro festgelegt werden. Hier bietet sich eine Summe „in der Mitte“ an, also nehmen wir einmal 4200 Euro. Parallel dazu müsste man auch die Zahl der Tagessätze dergestalt ausurteilen, also landet man bei 110. Aus diesen beiden Daten kann man dann die Höhe des Tagessatzes ausrechnen, also 4200 geteilt durch 110 = ca. 38 Euro. (Damit verlässt man zwar die Linie der allgemeinen Strafzumessung, befindet sich aber auf einer Linie mit dem BGH.)

Mit diesem Ergebnis liegt sowohl die Summe als auch die Zahl der Tagessätze im üblichen Rahmen. Und die Höhe der Tagessätze würde damit auch gemittelt. Das entspricht zwar nicht den wirtschaftlichen Verhältnissen des Täters zum Zeitpunkt der neuen Entscheidung, aber es berücksichtigt die Tatsache, dass er ja (zum Zeitpunkt der ersten Entscheidung) mehr verdient hat als jetzt und sich damit auch eine höhere Geldstrafe „leisten“ konnte.

Die Alternative wäre freilich, das Summenerfordernis fallenzulassen. Dann kann die Gesamtstrafe geringer sein als die höhere Einzelstrafe. Das mag zwar dem Rechtsempfinden so manchen Bürgers widersprechen, wäre aber systematischer. Und man muss auch keine Angst haben, dass damit so mancher sich durch eine neue Straftat eine geringere Strafe „ergaunert“. Denn die neue Straftat müsste er vor Rechtskraft der alten begangen haben. Also zu einem Zeitpunkt, wo er eine Verschlechterung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse noch vor Gericht geltend machen könnte.

Die nachträgliche Gesamtstrafe (I)

Über Sinn, Berechnung und Verhängung der Gesamtstrafe haben wir bereits geschrieben. Diese kommt zur Anwendung, wenn mehrere Straftaten desselben Angeklagten vor demselben Gericht verhandelt werden. Daneben gibt es aber noch die Möglichkeit der nachträglichen Gesamtstrafe, § 55 StGB. Diese ist zwar sehr viel seltener, wirft aber ganz eigene Probleme auf.

§ 55 StGB sagt:

Die [Vorschriften über die Bildung der Gesamtstrafe] sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat.

Es geht also um die Situation, dass mehrere Straftaten zusammentreffen, die eigentlich in einem Verfahren und damit mit einer Gesamtstrafe hätten abgeurteilt werden müssen. Dies ist aber nicht geschehen – warum auch immer; häufig wohl deswegen, weil das Gericht nicht wusste, dass noch ein anderes Verfahren anhängig ist, oder, weil die Straftat noch nicht einmal entdeckt war. Allein dieser Aspekt macht das Urteil, das wegen „nur“ eines Teils der Taten erfolgt ist, aber keineswegs ungültig.

Vielmehr versucht man, die Situation herzustellen, die bei Berücksichtigung aller Straftaten erfolgt wäre. Daher wird eine sogenannte nachträgliche Gesamtstrafe gebildet. Der Verurteilte soll also weder besser noch schlechter dastehen als wenn er „im normalen Verfahren“ verurteilt worden wäre.

Prozessual erfolgt dies durch Beschluss des zuständigen Gerichts ohne mündliche Verhandlung, § 462 Abs. 1 Satz 1. Der Verurteilte hat ein Recht darauf, angehört zu werden (schriftlich oder auf Anordnung des Gerichts auch mündlich), mehr aber auch nicht. Ein Austausch von Argumenten wie in der Hauptverhandlung findet nicht statt. Dies ist schon deswegen ungewöhnlich, weil der Grundsatz der mündlichen Verhandlung ein eherner Pfeiler des Strafrechts ist und davon nur abgewichen werden kann, wenn der Angeklagte zumindest schlüssig zustimmt, z.B. durch Verlassen der Hauptverhandlung oder durch Annahme eines Strafbefehls. Dass er hier zwingend auf den Beschlussweg verwiesen wird, ist nicht unproblematisch.

Die Sache wird dadurch etwas abgemildert, dass es ja bereits mindestens zwei in ordentlicher Verhandlung gefällte Urteile gibt, gegen die er alle für ihn sprechenden Gesichtspunkte einwenden konnte. Auch wird die Gesamtstrafe zwangsläufig niedriger als die Einzelstrafen, sodass der Verurteilte davon in jedem Fall profitiert. Trotzdem ist die Höhe der Gesamtstrafe ein rechtlicher Gesichtspunkt, zudem der Verurteilte auch entsprechendes Gehör verdient hätte.

Schwer erträglich sind aber auch die Rahmenbedingungen für die Bildung der Gesamtstrafe. Dass die Zahl der Tagessätze der Gesamtstrafe die höchste Einzelstrafe überschreiten muss, haben wir bereits festgestellt. Nach der Rechtsprechung muss aber auch die Summe der Einsatzstrafe erhöht werden. Und dies kann zu Problemen führen, wenn sich das Einkommen des Angeklagten verändert.

Die Geldstrafe im StGB

„Bezeichnung Bullenschwein kostet 3000 Euro.“ „8000 Euro für einen gebrochenen Kiefer.“ „Schwarzfahrer zu 600 Euro Geldstrafe verurteilt.“ Wenn in den Medien von Geldstrafen die Rede ist, dann wird in aller Regel ein bestimmter Betrag genannt. Und das ist natürlich auch für den Angeklagten das Entscheidende: Wie viel muss ich zahlen?

Tatsächlich ist dieser Betrag aber das Ergebnis eines zweistufigen Strafzumessungsmechanismus. Und die bloße Summe sagt über die Schwere der abgeurteilten Straftat nichts aus.

Wenn es um die Verhängung einer Geldstrafe geht, sieht sich das Gericht zunächst einmal das Einkommen des Täters an und rechnet so aus, wieviel er pro Tag verdient (§ 40 Abs. 2 StGB). Theoretisch kann auch noch das Vermögen zur Berechnung herangezogen werden (§ 40 Abs. 3), aber hier ist schon unklar, wie man ein vorhandenes Eigentum in eine täglich zur Verfügung stehende Summe umrechnen soll. In aller Regel wird also das Nettomonatseinkommen (verringert um Unterhaltspflichten, denn die Geldstrafe soll ja nur den Täter selbst treffen) einfach durch 30 geteilt. Das Ergebnis muss zwischen 1 und 30000 Euro liegen. Mit diesem ersten Schritt wird lediglich festgestellt, ob der Täter nun arm oder reich ist. Mit der Schwere der Tat hat das noch überhaupt nichts zu tun.

Diese wird erst im zweiten Schritt relevant, wenn es um die Zahl der Tagessätze geht. Diese Zahl kann gemäß § 40 Abs. 1 Satz 2 StGB theoretisch zwischen 5 und 360 liegen, die Geldstrafe beträgt also maximal ein Jahresgehalt. Wenn mehrere Straftaten zusammentreffen, können auch bis zu 720 Tagessätze verhängt werden. (§ 54 Abs. 2 Satz 2 StGB) Hier gilt, dass grundsätzlich gleich schwere Taten die gleiche Zahl an Tagessätzen nach sich ziehen sollten. Auch die Folgen der Tat, ob bspw. die Geldstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann (§ 59 Abs. 1 StGB) und die Frage, ob man vorbestraft ist (§ 32 Abs. 2 Nr. 5 a) BZRG) bemisst sich nur nach der Zahl der Tagessätze.

Die Gesamtgeldstrafe wird dann logischerweise durch Multiplikation der Tagessatzzahl mit der -höhe errechnet: 50 Tagessätze zu je 40 Euro sind 2000 Euro, 90 Tagessätze à 30 Euro sind 2700 und 10 Tagessätze zu 2000 Euro ergeben 20.000 Euro. Wie man sieht, kann also eine nominal geringere Strafe zu einer viel höheren Gesamtsumme führen, wenn der Täter entsprechen wohlhabend ist.

In der Praxis muss man zur Zahl des Tagessätze (wie gesagt, mindestens 5 und höchstens 360 bzw. 720) folgendes sagen:

  • 5 bis 15 TS: Eher selten. Bei derart leichten Vergehen wird eher das Verfahren gegen eine Geldbuße (die keine Verurteilung und damit keine Strafe ist) eingestellt als dass man einen langen Prozess anstrengt.
  • 15 bis 90 TS: Die meisten Verurteilungen.
  • 90 bis 180 TS: Kommt auch vor, ist aber schon deutlich seltener. Drei bis sechs Monatsgehälter sind schon eine ganz erhebliche Summe, sodass die Gerichte das nicht so häufig verhängen.
  • 180 bis 360 TS: Sehr selten, da dies bereits der Bereich der mittleren Kriminalität ist, indem eher die Tendenz zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung besteht.
  • 360 bis 720 TS: Kommt praktisch nicht vor. Einzige bedeutende Ausnahme sind Finanzstrafverfahren, bei denen man keine Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren (die nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden dürfte) verhängen will und daher z.B. zwei Jahre auf Bewährung gibt und zusätzlich noch 540 Tagessätze draufpackt.

Man sollte also immer im Hinterkopf haben, dass die Höhe der Geldstrafe nichts über die Schwere der Tat aussagt. Eine hohe Summe kann an einem erheblichen Vorwurf, aber auch an einem hohen Einkommen liegen. Und darum kostet nicht jede gleiche Straftat auch tatsächlich das gleiche. Würde jeder Kinnhaken 3000 Euro und Verleumdung 500 Euro kosten, könnte nämlich ein Einkommenmillionär recht billig „die Sau rauslassen“, während ein einziger Fehltritt einen Sozialhilfeempfänger in Existenznöte brächte.