Die Richterin auf der schiefen Bahn

Auch sehr drastische Kritik an einer Richterin kann von der Meinungsfreiheit gedeckt sein. Nachdem zunächst ein Amtsgericht, dann ein Landgericht, dann ein Oberlandesgericht, dann nochmal ein Landgericht und zum Schluss wiederum ein Oberlandesgericht in der Sache entschieden hatten, landete die Sache in (sozusagen, aber rechtstechnisch nicht ganz korrekt) sechster Instanz beim Bundesverfassungsgericht. Dieses hob den Schuldspruch auf verwies das Verfahren wieder an das Landgericht zurück.

Mehr dazu bei rechtsindex.de: Beleidigung einer Richterin oder doch Meinungsfreiheit?

Richter Bärli vom Bundesbärengericht weint

Aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über eine Verfassungsbeschwerde (Beschluss vom 14.09. 2010, 1 BvR 2070/10:

(Die Beschwerdeführerin der Verfassungsbeschwerde) beschränkt sich vielmehr im Wesentlichen auf eine Kritik an Kulturschaffenden und begehrt vom Bundesverfassungsgericht eine Grundsatzentscheidung zu der Frage, ob die Musik von Richard Wagner an bestimmten Tagen aufgeführt werden darf. Sie hat dem Bundesverfassungsgericht ferner mitgeteilt, dass „Richter Bärli“ vom „Bundesbärengericht“ zwei Tage über eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts geweint habe.

(…)

Trotz des zutreffenden Hinweises des Präsidialrats auf die völlig unzureichende Begründung der Verfassungsbeschwerde hat die Beschwerdeführerin auf einer Behandlung durch die Kammer bestanden und ihr völlig neben der angegriffenen Entscheidung liegendes Vorbringen vertieft, zuletzt etwa durch den Hinweis, dass es kein Zufall sein könne, dass in der Bundesversammlung am 30. Juni 2010 alle Politiker blaue Sachen getragen hätten.

Wie entscheidet nun die Kammer des Bundesverfassungsgerichts, wenn sie über eine derartige Verfassungsbeschwerde entscheiden soll? Einfach ignorieren kann man den Antrag nicht, da jeder Bürger grundsätzlich einen Anspruch auf rechtliches Gehör hat. Das ist richtig so und daran sollte auch nicht gerüttelt werden. Wenn eine Klage aber völlig aussichtslos ist, gibt es durchaus Möglichkeit, sie geräuschlos zu erledigen.

Zum einen kann das BVerfG eine Verfassungsbeschwerde nicht annehmen, wenn sie nicht zur Durchsetzung der Rechte des Betroffenen dient (§ 93a BVerfGG). Diese Entscheidung trifft die Kammer (§ 93 BVerfGG), also die kleinste Einheit des Bundesverfassungsgerichts. Sie besteht aus lediglich drei der acht Richter des zuständigen Senats. Zudem ergeht die Entscheidung nach Aktenlage, also ohne mündliche Verhandlung (§ 93d Abs. 1 Satz 1). Das erspart schon einmal relativ viel Arbeit.

Und außerdem gibt es die Möglichkeit, eine Missbrauchgebühr bis zu 2600 Euro zu verhängen (§ 34 Abs. 2 BVerfGG). Damit soll verhindert werden, dass das an sich kostenfreie Verfahren für Klagen „ins Blaue hinein“ benutzt wird. Allerdings muss es sich wirklich um einen Missbrauch handeln, also um eine mutwillige Beschwerde, die keinerlei Aussicht auf Erfolg hat und aus reiner Querulanz heraus eingelegt wurde. Die genauen Kriterien sind nicht abschließend geklärt, aber jedenfalls reicht es nicht aus, wenn die Klage einfach nur unbegründet ist.

Freilich sind diese Instrumente nicht unumstritten. Sie sollen und dürfen nicht dazu führen, dass berechtigte Anliegen kurz und bündig abgebügelt oder durch die Gefahr einer hohen „Strafgebühr“ abgewehrt werden. Die Grenze zwischen Entlastung und Rechtsverweigerung ist dabei sehr dünn. Bisher lässt sich aber nicht feststellen, dass ein allzu leichtfertiger Umgang mit diesen Möglichkeiten stattfindet.

Hier hat die Kammer die Beschwerde nicht angenommen und eine Missbrauchsgebühr von 300 Euro beschlossen. Eine Reaktion von Richter Bärli ist bis dato nicht bekannt.

Nach Karlsruhe gehen (II)

Neben dem einen Karlsruhe gibt es aber auch das andere Karlsruhe: Das Bundesverfassungsgericht. Wenn Sie wissen, dass die Abkürzung für dieses Gericht „BVerfG“ und nicht etwa „BVG“ lautet und Sie es zudem weder mit dem Bundesgerichtshof noch mit dem Bundesverwaltungsgericht verwechseln, haben Sie schon einmal mehr Ahnung von der Materie als 90 % der Deutschen. Und das ist auch in PISA-Zeiten noch ein Kompliment.

Das Bundesverfassungsgericht beschäftigt sich in erster Linie getreu seinem Namen mit „richtigen“ verfassungsrechtlichen Streitigkeiten. Da geht es um die Auslegung des Grundgesetzes und die Rechte und Pflichten der Verfassungsorgane untereinander. Beteiligte sind dementsprechend auch nur eben diese Verfassungsorgane, also zum Beispiel die Bundesregierung, der Bundesrat oder Peter Gauweiler.

Dann gibt es aber auch noch die Verfassungsbeschwerde. Und da kommen Sie ins Spiel: Wenn Sie sich durch die „öffentliche Gewalt“ in einem Ihrer Grundrechte verletzt sehen, können Sie nach Karlsruhe gehen. Nehmen wir also an, die haben sich vom Amtsgericht Hintertupfing aus hochgeklagt und sind bis Karlsruhe (in dem Fall Karlsruhe I, also zum Bundesgerichtshof) gekommen. Dessen Urteil gefällt Ihnen aber auch nicht. Also ziehen Sie weiter zum Bundesverfassungsgericht und schreiben (höchstpersönlich, denn ihren nichtsnutzigen Anwalt, der Ihnen diese Niederlage vor dem BGH schließlich eingebrockt hat, haben Sie längst gefeuert) eine gesalzene Verfassungsbeschwerde: „Das Urteil des BGH ist eine Sauerei! Es ist falsch, völlig falsch sogar! Unmöglich, sowas! Bitte, liebes BVerfG, hilf mir und verschaffe mir mein Recht!“ Sie werden kein Gehör finden. Denn das Bundesverfassungsgericht ist nicht dafür da, falsche Urteile richtigzustellen. Prinzipiell ist es natürlich schon so, dass man auch gegen Urteile Verfassungsbeschwerde erheben kann. Wenn der Rechtsweg (auch derjenige, der unterhalb von Karlsruhe endet) ausgeschöpft ist, dann kann man immer noch Verfassungsbeschwerde einreichen. Aber diese muss eine Grundrechtsverletzung zumindest behaupten. Ein Urteil, das einfach nur falsch ist, interessiert das BVerfG nicht.

Diese Verfassungsbeschwerden, die eigentlich nur ein untergeordneter Aspekt der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung sind, machen quantitativ den Löwenanteil der BVerfG-Verfahren aus. Dass eine Verfassungsbeschwerde den Weg zu einer Verhandlung in Karlsruhe findet, ist dagegen recht unwahrscheinlich. Die allermeisten Klagen werden schon im Anfangsstadium abgeblockt und als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen. Dass sich die gerade einmal 16 Verfassungsrichter nicht mit jährlich etwa 6000 Verfassungsbeschwerden beschäftigen können, ist sicher einleuchtend. Daher gibt es mittlerweile eine enorme Zahl wissenschaftlicher Mitarbeiter, die hier eine Vorprüfung vornehmen und deren Expertise auch in aller Regel die Marschrichtung vorgibt. Diese Mitarbeiter sind aber keine gewöhnlichen „Hiwis“, sondern meist gestandene Juristen. Schließlich lassen sich die Karlsruher Richter ja nicht von irgendjemandem die Arbeit vom Hals schaffen!

Nach Karlsruhe gehen (I)

Wer Recht sucht, für den gibt es das gelobte Land: Karlsruhe. Die Phrase „Ich geh nach Karlsruhe“ ist mittlerweile ins sprachliche Allgemeingut eingegangen. Wannimmer man sich juristisch übervorteilt fühlt, funkelt doch ein Silberstreif am Horizont: Karlsruhe. In Karlsruhe gibt es immerhin gleich zwei Gerichte, den Bundesgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht. Bei einem von beiden muss man doch Erfolg haben. Und in der Theorie stimmt das auch. Nicht umsonst hören wir desöfteren in den Medien (von trockenen, nicht publikumswirksamen juristischen Fachzeitschriften einmal abgesehen) von Karlsruher Urteilen. Nur sollte man sich nicht der Illusion hingeben, man selbst könnte einmal Protagonist vor diesen Gerichten sein.

Der Bundesgerichtshof zum Beispiel urteilt grundsätzlich erst in der dritten Instanz. Sie müssen also zunächst einmal die Niederungen des Landgerichts und des Oberlandesgerichts (von den Amtsgerichten wollen wir hier einmal gar nicht reden) durchlaufen haben. Dafür braucht man aber einen langen Atem und einen vollen Geldbeutel. So kostet ein Prozess über 10.000 Euro bereits in der ersten Instanz ca. 3500 Euro. Wem es hier die Schuhe auszieht, der muss sich vor Augen führen, dass (in der Regel) drei Volljuristen an der Sache beteiligt sind. Der Richter möchte etwas verdienen, darum zahlt ihm der Staat ein Gehalt und verlangt seinerseits Prozesskosten. Und Anwälte brauchen grundsätzlich immer Geld. Die ganzen schönen Roben der Juristen wollen bezahlt werden, die hin und her geschickten Briefe brauchen Briefmarken, von Büros, Kanzleien und Rechtsanwaltsfachangestellten mal ganz abgesehen. Insofern sind 3500 Euro doch richtiggehend geschenkt.

Was aber, wenn man das ganze schöne Geld gezahlt hat und trotzdem mit dem Urteil nicht zufrieden ist? Die Servicequalität deutscher Gerichte ist bekanntermaßen nicht die höchste, angeblich ist fast immer mindestens eine Partei mit dem Ergebnis unzufrieden. Darum gibt es ja auch Karlsruhe. Aber soweit sind wir noch nicht. Wir sind noch, wie gesagt, in den Niederungen der Juristerei.

Legt man gegen diese erste Urteil (des Landgerichts) Berufung ein, landet man zunächst nur vor dem Oberlandesgericht. Das ist in unserem Falle (wir wollen ja nach Karlsruhe!) zwar nur eine lästige Durchgangsinstanz, aber die muss eben sein. Allein für die Berufung vor dem OLG kommen noch einmal 4000 Euro auf unsere Gesamtrechnung drauf. Mit den 3500 Euro für das noch überflüssigere Landgerichtsurteil liegen wir also bereits bei drei Vierteln der ursprünglichen Klageforderung. Aber dafür kommen wir nach der durchlaufenen Berufung endlich unserem eigentlichen Ziel näher: Karlsruhe.

Und Karlsruhe bietet uns nicht nur die Chance, endlich das wohlverdiente Recht zu bekommen. Nein, wir können uns nebenbei auch ruinieren. Für die BGH-Verhandlung fallen dann noch einmal um die 5500 Euro an. Wir liegen nun also bereits bei 13.000 Euro Anwalts- und Gerichtskosten.

Nun mag mancher einwenden, dass dieser Betrag bereits den Streitwert von 10.000 Euro deutlich übersteigt. Was haben wir also davon, wenn wir schlussendlich (in Karlsruhe!) gewinnen? Die Antwort ist: Sehr viel. Denn die Prozesskosten trägt der Unterlegene. Insofern sind die 13.000 Euro also nicht so schlimm, denn wir zahlen sie ja nicht.

Wer aber nach Karlsruhe geht, der muss sich seiner Sache schon sehr sicher sein. Er muss fest davon ausgehen können, dass er vor dem Bundesgerichtshof Recht bekommt. Dass er selbst (ggf. mit seinem Anwalt) die juristische Situation besser einschätzen kann als die Richter des Landgerichts und des Oberlandesgerichts. Wenn man diese Selbstsicherheit mitbringt, dann kann man den Gang nach Karlsruhe wagen. Ansonsten hat man neben dem Ärger in der Sache auch noch horrende Zahlungsverpflichtungen für das Verfahren.

Dazu kommt aber noch eines: Karlsruhe will uns gar nicht sehen. Die Richter des BGH reißen sich nicht unbedingt darum, möglichst viele Urteile zu fällen. Und der Bundestag ist da ganz auf ihrer Seite. In den letzten Jahren gab es zahlreiche Änderungen im Prozessrecht, die großenteils sicherstellen wollten, dass möglichst wenige Fälle „ganz oben“ landen.
Die Revision ist dementsprechend nach aktueller Rechtslage nur noch zulässig, wenn die zugelassen wird. Man braucht also erst einmal eine Erlaubnis, um bis nach Karlsruhe zu kommen. Die Zulassung der Revision geschieht entweder durch das Gericht, das das Urteil gefällt hat, selbst. Das Gericht muss also von Haus aus sagen: „Na ja, so ganz sicher bin ich mir mit dem Urteil nicht. Geh mal ruhig in Revision dagegen.“ Hat sich das Gericht hierzu nicht herabgelassen, kann man dagegen den BGH anrufen. Man ist also immerhin schon mal in Karlsruhe. Nun muss man die Richter dazu bewegen, dass sie die Revision doch noch zulassen – sich also neue Arbeit aufbürden. Diese Regelung hat, kurz gesagt, das erreicht, was sie wollte: Die Zahl der Revisionen ist ziemlich gering. Zwar gibt es viele Verwegene, die nach Karlsruhe wollen. Über die Nichtzulassungsbeschwerde kommen die meisten aber nicht hinaus.

Vielleicht sollte man an der Stelle auch noch erwähnen, wann die Revision überhaupt zulässig ist. Dazu werden wir mal einen Blick ins Gesetz: „Die Revision ist zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.“ (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO) Steht da irgendwo etwas von „falsches Urteil“? Von „ungerecht“? Von „Lasst den Beklagten zu seinem Recht oder den Kläger zu seinem Geld kommen“? Nein, die Revision ist nur noch dazu da, das Recht weiterzuentwickeln. Das potentielle Urteil muss also irgendwie „interessant“ für das Gericht sein, sonst beschäftigt es sich gar nicht mit dem Fall.

Im übrigen darf man sich auch nicht der Illusion hingeben, der BGH würde die ganze Sache komplett neu aufrollen. Die Revisionsinstanz interessiert sich nur dafür, ob das Urteil rechtlich korrekt ist. Ob eine Zeugenaussage falsch war, ob die vorherigen Gerichte dem Falschen geglaubt haben, ob das Auto tatsächlich einen Kratzer im Lack hatte oder wie schlimm eine Verletzung war, ist nicht mehr relevant. Um derartige Dinge kümmert sich höchstens noch die Berufungsinstanz und sogar dort gibt es schon die Tendenz, Tatsachenfehler weitgehend aus dem Fokus des Gerichts herauszunehmen. Wenn Sie Ihren Prozess gewinnen wollen, dann hoffen Sie also nicht auf Karlsruhe, sondern versuchen Sie, gleich den ersten Prozess zu gewinnen – auch, wenn der vor dem Amtsgericht Hintertupfingen stattfindet.