Eines meiner Lieblingsworte im aktuellen Bullshit-Bingo ist „Whataboutism“, gerne auch halbverdeutscht als „Whataboutismus“. Wer dieses Wort benutzt, will anprangern, dass man auf einen Kritikpunkt dadurch antwortet, dass es ja ebenso andere Kritikpunkte in anderer Hinsicht gäbe. Frei übersetzt bedeutet es soviel wie „Wirf mir meine Inkonsequenz bloß nicht vor, darauf bin ich nämlich stolz“.
Das Recht ist voll von Whataboutism. Bei jeder Regelung, die der Gesetzgeber einführt, muss er sich fragen, wie diese in das Gesamtsystem des Rechts passt. „Wenn ich nun X anordne, was ist dann mit Y?“ ist eine Grundfrage des Rechtsstaats. Die Gleichberechtigung in Art. 3 GG verlangt vom Staat, wesentlich gleiche Sachverhalte auch gleich zu behandeln.
Senkt der Staat plötzlich, weil bspw. zufällig gerade Wahlkampf ist, die Sozialabgaben für Arbeitnehmer, dann ist es geradezu zwingend, sich zu fragen, was denn mit den Selbständigen ist. Wer das ausblenden und als Whataboutismus brandmarken will, hat einfach ein gestörtes Verhältnis zur Logik.
Auch von solchen Neuregelungen abgesehen ist „Was ist mit…?“ eine zentrale Frage des Rechts. So wird bspw. eine Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB schwerer bestraft, wenn sie mittels eines gefährlichen Werkzeugs begangen wurde. Ob ein Werkzeug gefährlich ist, bestimmt sich nach der konkreten Verwendung: Wer einen anderen mit einem Stofftaschentuch bewirft, handelt nicht gefährlich. Wer jemanden damit stranguliert, schon. Nun kann man aber fragen, was dann mit § 244 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist, wo ein schwerer Diebstahl schon vorliegt, wenn jemand ein Werkzeug auch nur bei sich führt. Beim Beisichführen gibt es keine Verwendung, also kann es darauf nicht ankommen. Wenn man nach einer allgemeinen Definition des gefährlichen Werkzeugs sucht, muss man sich nun einmal fragen, was mit den Vorschriften ist, die diesen Begriff ebenfalls verwenden. Völlig logisch, aber ein klassischer „Whataboutismus“.
Und wer sich über Steuerhinterziehung aufregt, dem kann man selbstverständlich entgegnen, dass er zur Steuerverschwendung ebenfalls eine Meinung haben muss. Denn beides führt unter dem Strich zu ähnlichen Ergebnissen. Die Reaktionen auf diesen Vorhalt sind, insbesondere im klassenkämpferischen Segment des politischen Spektrums, meist ziemlich erbost.
Zusammengefasst: Wer sich mit Thema A beschäftigt, muss sich unter Umständen auch Thema B als Argument vorhalten lassen. Das gilt jedenfalls dann, wenn A und B einen inneren Zusammenhang haben oder unter ähnlichen Maßstäben zu werten sind. Wenn man Thema B aber pauschal mit dem Whataboutism-Vorwurf von sich weist, zeigt man damit seinen Unwillen, sich mit komplexen Sachverhalten auseinanderzusetzen. Sowohl im Recht als auch in der wirklichen Welt.