Generalstreik unzulässig?

Bauernproteste vor dem Reichstag? Das sind die Pläne für den 8. Januar.
Bauernproteste vor dem Reichstag? Das sind die Pläne für den 8. Januar.
Für den 08.01.2024 werden Proteste vor allem von Landwirten, aber auch von einigen anderen Berufsgruppen und sonstigen unzufriedenen Bürgern angekündigt. In diesem Zusammenhang wird immer häufiger verlautbart, ein solcher „Generalstreik“ gegen bestimmte politische Entscheidungen sei unzulässig. Möglicherweise müssten sich die Veranstalter und die Beteiligten dafür auch juristisch verantworten. Diese Frage soll hier einmal in aller Kürze beleuchtet werden.

Streikrecht im Grundgesetz

Das Streikrecht ist im Grundgesetz ausdrücklich festgelegt. Artikel 9 Absatz 3 GG regelt es als Unterfall der Vereinigungsfreiheit:

Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig.

Maßnahmen nach den Artikeln 12a, 35 Abs. 2 und 3, Artikel 87a Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden.

Die beiden ersten Sätze behandeln zunächst einmal die Vereinigungsfreiheit im Arbeits- und Wirtschaftsbereich. Dieses Grundrecht wird gemeinhin auch als „Koalitionsfreiheit“ bezeichnet, was freilich mit Koalitionen im politischen Bereich (also „Regierungskoalition“, aktuell „Ampelkoalition“) nichts zu tun hat. Geschützt sind damit die Interessenvereinigungen von Arbeitnehmern (Gewerkschaften) und Arbeitgebern.

Der letzte Satz verbietet zunächst nur dem Staat, bestimmte Notstandsmaßnahmen wie etwa polizeiliche Unterstützung der betroffenen Länder (Art. 35 Abs. 2 und Art. 91 GG) gegen einen Arbeitskampf durchzuführen. Darüber hinaus wird aber angenommen, dass Art. 9 Abs. 3 Satz 3 GG einen Streik auch arbeitsrechtlich legalisiert.

Streik nur im Arbeitsverhältnis

Das Streikrecht dient in erster Linie Arbeitnehmern.
Das Streikrecht dient in erster Linie Arbeitnehmern.
Während eines Streiks ruht das Arbeitsverhältnis: Der Arbeitnehmer ist nicht zum Arbeiten verpflichtet, der Arbeitgeber nicht zur Zahlung des Gehalts. Weil der Arbeitnehmer nicht arbeiten muss, verletzt er keine arbeitsvertragliche Pflicht, der Arbeitgeber kann ihn also nicht „rausschmeißen“.

Voraussetzung ist aber, dass es sich um einen legalen Streik handelt, dieser also dazu dient, die „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ des Arbeitnehmers zu verbessern. Anders gesagt: Adressat des Streiks ist der Arbeitgeber. Dieser soll dazu gebracht werden, dem Arbeitnehmer bessere Arbeitsbedingungen zu gewähren, in den meisten Fällen mehr Lohn zu zahlen.

Politischer „Streik“

Anders ist das nun beim Generalstreik oder politischen Streik. Hier ist der Adressat nicht der Arbeitgeber, sondern der Staat, also meist die Regierung oder der Gesetzgeber.

Auch im Fall der angekündigten Proteste am 8. Januar ist dies so. Anlass des „Streiks“ sind Verschlechterungen der steuerlichen Bestimmungen für Landwirte. Auch hier geht es natürlich um Wirtschaftsbedingungen im weiteren Sinne, aber das ist nicht das, was Art. 9 Abs. 3 GG meint. Diese Verfassungsnorm zielt nur auf das zivilrechtliche Arbeitsverhältnis ab.

Frage nach der Legalität stellt sich meist nicht

Der „Streik“ ist also nicht durch Art. 9 Abs. 3 GG gerechtfertigt. Aber heißt das nun auch, dass er deswegen gleich illegal ist? Das kommt einfach drauf an.

Wenn nun ein Landwirt seine Arbeit niederlegt und stattdessen mit seinem Traktor nach Berlin fährt, dann stellt sich die Frage nach der Legalität nicht. Selbstverständlich darf er das. Es gibt kein Gesetz, das ihm das verbietet. Jeder darf grundsätzlich jederzeit überall hin.

Natürlich gelten auch insoweit die allgemeinen Gesetze. Ob er mit dem Traktor auf die Autobahn darf, regelt das Straßenverkehrsrecht. Ob er mit Gleichgesinnten vor dem Bundeskanzleramt lautstark sein Anliegen zu Gehör bringen darf, bestimmt sich nach dem Versammlungsrecht. Es handelt sich also in erster Linie um eine Versammlung, nicht um einen Streik.

Keine allgemeine Arbeitspflicht

Ein Unternehmer darf seinen Laden zusperren.
Ein Unternehmer darf seinen Laden zusperren.
Gerade als Selbständiger, um die es hier maßgeblich geht, hat man grundsätzlich keine Pflicht, zu arbeiten. Niemand kann einen Unternehmer dazu zwingen, bestimmt Öffnungszeiten einzuhalten. Wenn er sich entschließt, seinen Laden an einem bestimmten Tag zuzusperren, dann ist das seine eigene Entscheidung. Die Frage der Legalität stellt sich auch hier nicht.

Der Charakter eines Streiks im Sinne der „Nicht-Arbeit“ wird erst da relevant, wo es ausnahmsweise eine Pflicht zur Arbeit oder jedenfalls zur Lieferung eines gewissen Resultats geben würde. Weil es sich dabei aber nicht um ein Arbeitsverhältnis handelt, legalisiert der „Streik“ in diesen Fällen eine Vertragsverletzung nicht.

Schadenersatzpflicht möglich

Beispiele:

  • Wenn ich als Rechtsanwalt am 08.01. einen Verhandlungstermin habe, dann darf ich nicht einfach daheim bleiben.
  • Hat der Bauer für diesen Tag die Übergabe von fünf Zentnern Kartoffeln zugesagt, kann er das nicht mit Berufung auf den Streik verweigern.
  • Ein Spediteur muss eine versprochene Lieferung durchführen.

Ein Verstoß gegen diese Pflichten kann dann einen Schadenersatzpflicht auslösen. Das wiederum setzt aber, wie immer im Zivilrecht voraus, dass der Geschäftspartner dies auch will. Wenn dieser also Verständnis dafür hat, vielleicht weil er von den politischen Entscheidungen selber in ähnlicher Weise betroffen ist, dann kann er diese Störungen im Betriebsablauf auch einfach hinnehmen.

Die Instanz, die gemeinhin über Legalität und Illegalität entscheidet, also der Staat, ist hier prinzipiell gar nicht involviert. Es ist nicht strafbar, nicht zu arbeiten, und es gibt keine Behörde, die kontrolliert, dass am 8. Januar auch brav gearbeitet wird.

(Besonderen Dank für die Erstellung der Bilder an Gerd Altmann.)

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