Ich bin bekanntlich hauptsächlich im Bereich der Verfassungsbeschwerde, häufig der EMRK-Beschwerden, gelegentlich auch bei Gnadengesuchen und Wiederaufnahmeanträgen tätig. Diese allesamt außergewöhnlicheren Anträge haben alle eines gemeinsam: Die Schriftsätze sind sehr lang.
Das wiederum führt dazu, dass es völlig unmöglich ist, diese Schriftsätze in einem Durchgang von oben bis unten runterzuschreiben. Das Schreiben ist ein längerer Prozess, der einige Stunden meist über mehrere Tage in Anspruch nimmt. Der Schriftsatz durchläuft mehrere Stadien und die finale Version hat mit dem ersten Entwurf oft wenig zu tun.
Trotzdem oder gerade deswegen hat der erste Entwurf für mich immer eine befreiende Wirkung.
Mit dem ersten Entwurf hab ich schon mal etwas zu Papier gebracht. Ein erster Schritt ist geschafft. Der Schriftsatz hat eine gewisse Struktur bekommen, auch wenn er noch lange nicht fertig ist. Es gibt Platzhalter, farbliche Hinterlegungen, Stichworte und sehr grobe Obersätze. Aber diese Lücken geben auch ein Programm vor, was noch zu tun ist.
Auch für den Mandanten ist das, wie mir immer wieder gesagt wird, eine gewisse Beruhigung. Er sieht erstmals, wie der Schriftsatz ungefähr ausschauen wird. Er sieht, dass ich mich seiner Problematik angenommen habe und etwas für ihn tue.
Interessanterweise schätzen die Mandanten diesen ersten Entwurf meistens sehr viel besser ein als ich selber. Während mein Fokus eher darauf liegt, was noch alles fehlt und dass ich manche Argumente noch schöner, verständlicher und durchschlagender ausführen muss, ist der Mandant regelmäßig begeistert.
Und, seien wir ehrlich, der Mandant sieht auch, dass ich nicht seine Bezahlung genommen und mich in die Karibik abgesetzt habe.
Auf Grundlage des ersten Entwurfs kommt man dann auch recht schnell zum zweiten Entwurf. Denn sobald man den Text schwarz auf weiß sieht, lässt es sich einfach viel besser diskutieren als im luftleeren juristischen Raum.
Bis zur ersten finalen, also prinzipiell nach außen vorzeigbaren Version dauert es aber meistens noch etwas. Und dazwischen liegen stets noch einige weitere, sorgsam durchnummerierte Entwürfe.