Nach Karlsruhe gehen (I)

Wer Recht sucht, für den gibt es das gelobte Land: Karlsruhe. Die Phrase „Ich geh nach Karlsruhe“ ist mittlerweile ins sprachliche Allgemeingut eingegangen. Wannimmer man sich juristisch übervorteilt fühlt, funkelt doch ein Silberstreif am Horizont: Karlsruhe. In Karlsruhe gibt es immerhin gleich zwei Gerichte, den Bundesgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht. Bei einem von beiden muss man doch Erfolg haben. Und in der Theorie stimmt das auch. Nicht umsonst hören wir desöfteren in den Medien (von trockenen, nicht publikumswirksamen juristischen Fachzeitschriften einmal abgesehen) von Karlsruher Urteilen. Nur sollte man sich nicht der Illusion hingeben, man selbst könnte einmal Protagonist vor diesen Gerichten sein.

Der Bundesgerichtshof zum Beispiel urteilt grundsätzlich erst in der dritten Instanz. Sie müssen also zunächst einmal die Niederungen des Landgerichts und des Oberlandesgerichts (von den Amtsgerichten wollen wir hier einmal gar nicht reden) durchlaufen haben. Dafür braucht man aber einen langen Atem und einen vollen Geldbeutel. So kostet ein Prozess über 10.000 Euro bereits in der ersten Instanz ca. 3500 Euro. Wem es hier die Schuhe auszieht, der muss sich vor Augen führen, dass (in der Regel) drei Volljuristen an der Sache beteiligt sind. Der Richter möchte etwas verdienen, darum zahlt ihm der Staat ein Gehalt und verlangt seinerseits Prozesskosten. Und Anwälte brauchen grundsätzlich immer Geld. Die ganzen schönen Roben der Juristen wollen bezahlt werden, die hin und her geschickten Briefe brauchen Briefmarken, von Büros, Kanzleien und Rechtsanwaltsfachangestellten mal ganz abgesehen. Insofern sind 3500 Euro doch richtiggehend geschenkt.

Was aber, wenn man das ganze schöne Geld gezahlt hat und trotzdem mit dem Urteil nicht zufrieden ist? Die Servicequalität deutscher Gerichte ist bekanntermaßen nicht die höchste, angeblich ist fast immer mindestens eine Partei mit dem Ergebnis unzufrieden. Darum gibt es ja auch Karlsruhe. Aber soweit sind wir noch nicht. Wir sind noch, wie gesagt, in den Niederungen der Juristerei.

Legt man gegen diese erste Urteil (des Landgerichts) Berufung ein, landet man zunächst nur vor dem Oberlandesgericht. Das ist in unserem Falle (wir wollen ja nach Karlsruhe!) zwar nur eine lästige Durchgangsinstanz, aber die muss eben sein. Allein für die Berufung vor dem OLG kommen noch einmal 4000 Euro auf unsere Gesamtrechnung drauf. Mit den 3500 Euro für das noch überflüssigere Landgerichtsurteil liegen wir also bereits bei drei Vierteln der ursprünglichen Klageforderung. Aber dafür kommen wir nach der durchlaufenen Berufung endlich unserem eigentlichen Ziel näher: Karlsruhe.

Und Karlsruhe bietet uns nicht nur die Chance, endlich das wohlverdiente Recht zu bekommen. Nein, wir können uns nebenbei auch ruinieren. Für die BGH-Verhandlung fallen dann noch einmal um die 5500 Euro an. Wir liegen nun also bereits bei 13.000 Euro Anwalts- und Gerichtskosten.

Nun mag mancher einwenden, dass dieser Betrag bereits den Streitwert von 10.000 Euro deutlich übersteigt. Was haben wir also davon, wenn wir schlussendlich (in Karlsruhe!) gewinnen? Die Antwort ist: Sehr viel. Denn die Prozesskosten trägt der Unterlegene. Insofern sind die 13.000 Euro also nicht so schlimm, denn wir zahlen sie ja nicht.

Wer aber nach Karlsruhe geht, der muss sich seiner Sache schon sehr sicher sein. Er muss fest davon ausgehen können, dass er vor dem Bundesgerichtshof Recht bekommt. Dass er selbst (ggf. mit seinem Anwalt) die juristische Situation besser einschätzen kann als die Richter des Landgerichts und des Oberlandesgerichts. Wenn man diese Selbstsicherheit mitbringt, dann kann man den Gang nach Karlsruhe wagen. Ansonsten hat man neben dem Ärger in der Sache auch noch horrende Zahlungsverpflichtungen für das Verfahren.

Dazu kommt aber noch eines: Karlsruhe will uns gar nicht sehen. Die Richter des BGH reißen sich nicht unbedingt darum, möglichst viele Urteile zu fällen. Und der Bundestag ist da ganz auf ihrer Seite. In den letzten Jahren gab es zahlreiche Änderungen im Prozessrecht, die großenteils sicherstellen wollten, dass möglichst wenige Fälle „ganz oben“ landen.
Die Revision ist dementsprechend nach aktueller Rechtslage nur noch zulässig, wenn die zugelassen wird. Man braucht also erst einmal eine Erlaubnis, um bis nach Karlsruhe zu kommen. Die Zulassung der Revision geschieht entweder durch das Gericht, das das Urteil gefällt hat, selbst. Das Gericht muss also von Haus aus sagen: „Na ja, so ganz sicher bin ich mir mit dem Urteil nicht. Geh mal ruhig in Revision dagegen.“ Hat sich das Gericht hierzu nicht herabgelassen, kann man dagegen den BGH anrufen. Man ist also immerhin schon mal in Karlsruhe. Nun muss man die Richter dazu bewegen, dass sie die Revision doch noch zulassen – sich also neue Arbeit aufbürden. Diese Regelung hat, kurz gesagt, das erreicht, was sie wollte: Die Zahl der Revisionen ist ziemlich gering. Zwar gibt es viele Verwegene, die nach Karlsruhe wollen. Über die Nichtzulassungsbeschwerde kommen die meisten aber nicht hinaus.

Vielleicht sollte man an der Stelle auch noch erwähnen, wann die Revision überhaupt zulässig ist. Dazu werden wir mal einen Blick ins Gesetz: „Die Revision ist zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.“ (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO) Steht da irgendwo etwas von „falsches Urteil“? Von „ungerecht“? Von „Lasst den Beklagten zu seinem Recht oder den Kläger zu seinem Geld kommen“? Nein, die Revision ist nur noch dazu da, das Recht weiterzuentwickeln. Das potentielle Urteil muss also irgendwie „interessant“ für das Gericht sein, sonst beschäftigt es sich gar nicht mit dem Fall.

Im übrigen darf man sich auch nicht der Illusion hingeben, der BGH würde die ganze Sache komplett neu aufrollen. Die Revisionsinstanz interessiert sich nur dafür, ob das Urteil rechtlich korrekt ist. Ob eine Zeugenaussage falsch war, ob die vorherigen Gerichte dem Falschen geglaubt haben, ob das Auto tatsächlich einen Kratzer im Lack hatte oder wie schlimm eine Verletzung war, ist nicht mehr relevant. Um derartige Dinge kümmert sich höchstens noch die Berufungsinstanz und sogar dort gibt es schon die Tendenz, Tatsachenfehler weitgehend aus dem Fokus des Gerichts herauszunehmen. Wenn Sie Ihren Prozess gewinnen wollen, dann hoffen Sie also nicht auf Karlsruhe, sondern versuchen Sie, gleich den ersten Prozess zu gewinnen – auch, wenn der vor dem Amtsgericht Hintertupfingen stattfindet.

Die Berufung im Strafverfahren

Jedes Urteil kann falsch sein. Darum kann man (fast) jedes Urteil mit einem Rechtsmittel angreifen. Das wohl bekannteste und umfassendste Rechtsmittel ist die Berufung.

Umfassend ist die Berufung deswegen, weil die Berufungsverhandlung eine völlig neue Hauptverhandlung darstellt. Die Beweise werden erneut erhoben, Zeugen noch einmal befragt, Gutachter tragen ein zweites Mal vor. Dabei wird das erstinstanzliche Urteil zwar verlesen (§ 324 Abs. 1 Satz 2 StPO), im Übrigen wird es aber praktisch als nichtexistent betrachtet. Es ist also nicht zulässig, einfach frühere Aussagen vor dem ersten Gericht zu verlesen (§§ 323 Abs. 2 Satz 1, 325 Satz 2).

Das Berufungsgericht bildet sich also eine komplett eigene Meinung, es kann die Beweise anders gewichten, es muss neu entscheiden, wem der Beteiligten es glaubt, es muss feststellen, welche Gesetzesvorschriften heranzuziehen sind und es muss aufgrund seiner Erkenntnisse zu einem Urteil kommen. Das Urteil kann selbstverständlich trotzdem mit dem der Vorinstanz identisch sein, wenn das Berufungsgericht zu denselben Schlussfolgerungen kommt wie das Ausgangsgericht.

Die Berufung kann dabei nur gegen Urteile des Amtsgerichts (Strafrichter oder Schöffengericht) eingelegt werden. Diese sind für kleine bis mittlere Kriminalität zuständig, also beispielsweise nicht für Tötungsverbrechen. Theoretisch kann das Amtsgericht Freiheitsstrafen bis zu vier Jahren verhängen, die allermeisten Urteile bewegen sich aber im Bereich der Geld- oder Bewährungsstrafen (bis zu zwei Jahre Haft). Für „große Kriminalität“ ist das Landgericht (oder ganz selten: das Oberlandesgericht) im ersten Rechtszug zuständig zuständig. Gegen diese Urteile gibt es keine Berufung, sondern nur die Revision, um die es hier aber nicht geht.

Und es ist tatsächlich irritierend, dass ausgerechnet bei bedeutenden Tatvorwürfen, die regelmäßig eine lange bis lebenslange Freiheitsstrafe nach sich ziehen, keine Berufung möglich ist. Was das Landgericht als Tatsache feststellt, ist grundsätzlich in Stein gemeißelt. Die offizielle Begründung dafür ist, dass die Tatsachenaufklärung bei diesen Urteilen ohenhin besonders gründlich passiert ist. Das ist wenig überzeugend: Zum einen ist der damit einhergehende Vorwurf gegenüber Amtsrichtern, man könne ihnen weniger trauen, kaum nachzuvollziehen. Zum anderen wäre es für eine detaillierte Erforschung der Wahrheit sicher nicht verkehrt, wenn auch die höheren Gerichte eine Kontrollinstanz über sich hätten.

Der Rechtsgedanke, dass die Berufung bei weniger schweren Delikten nicht unbedingt notwendig ist, ist dem Gesetz dabei auch gar nicht fremd: So bedarf die Berufung bei Geldstrafen von höchstens 15 Tagessätzen (das entspricht einem halben Monatsgehalt) der besonderen Zulassung durch das Berufungsgericht, die relativ selten erfolgt. Die Berufung ist also bei ganz leichter und bei schwerer Kriminalität nicht vorgesehen, nur für den „eher leichten“ bis mittleren Bereich gibt es sie. Diese Logik verstehe, wer will.

Und ein weiteres Problem existiert: Angeklagter und Staatsanwaltschaft sind waffengleich. Beide können die Berufung gleichermaßen einlegen. (Eine kleine Einschränkung gibt es: Die Staatsanwaltschaft kann nicht gegen einen Freispruch vorgehen, wenn sie selbst nicht mehr als 30 Tagessätze Geldstrafe, also ein Monatsgehalt, gefordert hat.) Das bedeutet also, dass die Staatsanwalt aus einem Freispruch des Angeklagten durch die Berufung zum Landgericht eine Verurteilung machen kann. Kommt die Strafkammer beim Landgericht zu einer anderen Beurteilung der Angelegenheit, steht am Ende auf einmal ein Schuldspruch. Dieser Schuldspruch ist dann nur noch aus Rechtsgründen durch die Revision anfechtbar.

Der Grundsatz „in dubio pro reo“ (im Zweifel für den Angeklagten) wird dadurch erheblich eingeschränkt. Auch, wenn das Berufungsgericht gerade keinen Zweifel gesehen und darum verurteilt hat: Die erste Instanz war anderer Meinung. Und das allein sollte reichen, die Sicherheit des Urteil, die man von einem Rechtsstaat erwarten können sollte, verneinen.

Noch eine Sache wirft ein eher problematisches Licht auf diese Konstellation: Wäre der Angeklagten in erster Instanz verurteilt und in der zweiten freigesprochen worden, würde der Freispruch bestehenbleiben. Dabei ist auch diese Situation nichts wesentlich anderes. Von zwei Gerichten hat eines so und eines so entschieden. Dafür, dass sich das landgerichtliche Urteil durchsetzt, gibt es keinen durchschlagenden Grund. Ein Richter am Landgericht mag länger im Amt sein und über mehr Erfahrung verfügen. Bei der Feststellung von Tatsachen ist er kaum kompetenter als sein Kollege am Amtsgericht.

Sinnvoller wären daher folgende Änderungen:

Nur der Angeklagte kann Berufung einlegen. Hat eine von beiden Tatsacheninstanzen Zweifel an seiner Schuld, so reicht das. Die Staatsanwaltschaft bleibt auf eine Rechtskontrolle (Revision) beschränkt.

Berufung ist nur gegen Urteile mit erheblicher Strafzumessung möglich. Wo man die Grenze zieht, ist Sache des Gesetzgebers, aber gerade bei Schwerverbrechen muss Berufung möglich sein.

Das Rechtsmittel der Zurückweisung

recycle-bin-146275_1280Im Internet kursieren seit Längerem diverse „Ratgeberseiten“, die dazu aufrufen, man solle ungewünschte behördliche Akte (Verwaltungsakte, Bescheide, Urteile) einfach „zurückweisen“. Eine solche Zurückweisung, die nicht mit üblichen Rechtsbehelfen und Rechtsmitteln vergleichbar sei, würde dazu führen, dass die Sache abgeschlossen sei. Aber man müsse es eben ausdrücklich zurückweisen und nicht etwa Einspruch, Widerspruch, Berufung o.ä. einlegen.

Es gibt natürlich keinen Paragraphen in keinem Gesetz, der eine solche Zurückweisung regeln würde. Aber wer eine gewisse Ahnung von juristischen Prinzipien hat, den muss diese Theorie befremden. Wie kann es in einem Rechtsstaat sein, dass es ein „Zauberwort“ gibt, mit dem man in jeder beliebigen unangenehmen Situation aus dem Schneider ist? Warum sollte der Staat so etwas einführen? Und warum ist da noch kaum jemand draufgekommen, nicht einmal große Firmen mit noch größeren Rechtsabteilungen, die immense Vorteile davon hätten, vor deutschen Gerichten narrenfrei zu sein? „Das Rechtsmittel der Zurückweisung“ weiterlesen

Der Rechtsweg in Zivilsachen

In zivilrechtlichen Streitigkeiten beginnen die meisten Prozesse beim Amtsgericht. Dieses ist grundsätzlich zuständig für Streitwerte bis 5000 Euro sowie für verschiedene anderen Angelegenheiten, z.B. bei Mietwohnungen oder Reiseverträgen. Berufungsinstanz ist das Landgericht, Revisionsinstanz der Bundesgerichtshof.

Bei höherem Streitwert sowie bei ihnen besonders zugewiesenen Angelegenheiten, z.B. aus dem Beamten- und Wertpapierrecht, sind die Landgerichte zuständig. Berufungsinstanz ist das Oberlandesgericht, Revisionsinstanz der Bundesgerichtshof.

Der Rechtsweg in Strafsachen

Rechtsmittel sind dafür da, gegen ein als falsch empfundenes Urteil vorgehen und es korrigieren lassen zu können. Die Summe der Rechtsmittel und die Befassung aller zuständigen Gerichte bezeichnet man als den Rechtsweg.

Im Bereich der kleineren und mittleren Kriminalität ist zunächst das Amtsgericht zuständig. Es entscheidet in der Regel, wenn Geldstrafe oder Freiheitsstrafe von bis zu vier Jahren zu erwarten ist. Gegen das Urteil der Amtsgerichte kann man Berufung zum Landgericht einlegen. Berufung ist eine umfassende Prüfung des ersten Urteils auf Tatsachen- und Rechtsfehler. Faktisch wird also die Hauptverhandlung vor einem anderen Gericht wiederholt und das Berufungsurteil tritt an die Stelle des ursprünglichen Amtsgerichts-Urteils. Gegen dieses Berufungsurteil kann noch Revision eingelegt, zuständig ist dann das Oberlandesgericht. Die Revision ist eine reine Prüfung auf Rechtsfehler. Ob bspw. ein Zeuge glaubwürdig ist, wird hier nicht mehr geprüft.

Ist mehr als vier Jahre Gefängnis zu erwarten, bei Tötungsdelikten und bei anderen Straftaten, bei denen das Gesetz es ausdrücklich vorsieht, sind die Strafkammern bei den Landgerichten zuständig. Gegen deren Urteil kann nur noch Revision eingelegt werden, über die der Bundesgerichtshof entscheidet.

In ganz seltenen Fällen ist in erster Instanz das Oberlandesgericht zuständig. Auch hier gibt es nur noch die Revision zum BGH.

Zu beachten ist, dass grundsätzlich Waffengleichheit herrscht. Jedes Rechtsmittel kann vom Angeklagten und (von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen) auch von der Staatsanwaltschaft ergriffen werden.