Radarfalle misst nicht richtig

speed-trap-397412_640Die Messdaten einer bestimmten „Radarfalle“, nämlich des Geschwindigeitsmesssystems „PoliScan Speed“, sollen ungenau und damit im Bußgeldverfahren unverwertbar sein. Betroffene eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens haben damit gute Chancen, dass ihr Einspruch erfolgreich ist und sie vom Vorwurf eines Geschwindigkeitsverstoßes freigesprochen werden.

Das gilt aber leider nur für noch laufende Verfahren. Ist das Verfahren bereits abgeschlossen und wurde eine Geldbuße verhängt, weil der Richter die Blitzer-Messung als ausreichenden Beweis angesehen hat oder man deswegen gar keinen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid eingelegt hat, bleibt nur das Wiederaufnahmeverfahren. „Radarfalle misst nicht richtig“ weiterlesen

Verteidigungslinien im Strafverfahren: Wiederaufnahmeantrag

Ein Wiederaufnahmeantrag will erreichen, dass das Verfahren von neuem durchgeführt wird. Dann wird die Rechtskraft durchbrochen, um ein falsches Urteil durch ein richtiges zu ersetzen. Die Voraussetzungen dafür sind von Gesetzes wegen (§ 359 StPO) eigentlich recht großzügig: Neben gefälschten Urkunden, strafbaren Falschaussagen von Zeugen und rechtsbeugendem Verhalten von Richtern sind grundsätzlich alle neuen Tatsachen und Beweise ein Wiederaufnahmegrund, sofern sie einen Freispruch oder die Anwendung eines milderen Gesetzes begründen können. „Verteidigungslinien im Strafverfahren: Wiederaufnahmeantrag“ weiterlesen

Die Endgültigkeit verschiedener Strafverfahrensbeendigungen

Ist eine staatsanwaltschaftliche oder gerichtliche Entscheidung über ein Strafverfahren ergangen, stellt sich für den Betroffenen die Frage, ob diese endgültig ist und unter welchen Voraussetzungen sie ggf. wiederaufgenommen werden kann. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick hierüber:

Vorschrift Verfahren durch Strafklageverbrauch Wiederaufnahmevoraussetzungen
153 I Einstellung wg. geringer Schuld StA keine
153 II Einstellung wg. geringer Schuld Gericht nur für Vergehen (153a I 5 analog) keine
153a I Einstellung wg. geringer Schuld, Auflagenerfüllung StA nur für Vergehen (153a I 5) keine (153a II analog)
153a II Einstellung wg. geringer Schuld, Auflagenerfüllung Gericht nur für Vergehen (153a II 3, I 5) keine, auch zuerst übersehener Verbrechensvorwurf reicht (M-G, 153a, Rndr. 54)
170 II Einstellung mangels Anklageanlass StA keine, jeder „Anlass“ reicht (M-G, § 170, Rdnr. 9)
204 I Ablehnung der Verfahrenseröffnung Gericht neue Tatsachen/Beweise (211)
407 Verurteilung durch Strafbefehl Gericht nur für Vergehen (373a I) neue Tatsachen/Beweise (373a I)
260 Verurteilung durch Urteil Gericht gesamte prozessuale Tat 362

Fall Peggy: Freispruch für Ulvi K.

Ulvi K.*, vor neun Jahren als Mörder im „Fall Peggy“ verurteilt, ist heute im Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen worden. Neben der sich aufdrängenden Frage, wer nun tatsächlich der Mörder ist, sind aber auch noch andere Dinge zu interessant:

Diesen Fragen werden wir uns in den nächsten Tagen widmen.

* Der volle Name wird in den Medien in schönem Wechsel mit der Abkürzung genannt, sodass er mittlerweile sich kein Geheimnis mehr ist. Wir begnügen uns trotzdem damit, die Abkürzung zu verwenden.

Die Wiederaufnahme des Verfahrens (II)

In letztem Artikel habe ich die Gründe für eine Wiederaufnahme eines Strafverfahrens beschrieben. Heute soll es darum gehen, wie das Verfahren zur Wiederaufnahme konkret abläuft.

Zuständiges Gericht

Für die Frage der Zuständigkeit des Gerichts verweist § 367 Abs. 1 Satz 1 StPO auf das Gerichtsverfassungsgesetz. § 140a GVG sieht vor, dass das „ein anderes Gericht mit gleicher sachlicher Zuständigkeit als das Gericht, gegen dessen Entscheidung sich der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens richtet“, zuständig ist. Wird also ein Urteil des Landgerichts Augsburg angefochten, kann bspw. das Landgericht München zuständig sein. Die genaue Zuständigkeitsverteilung wird durch das Präsidium des jeweiligen Oberlandesgerichts festgelegt.

Antrag

Der Antrag des Verurteilten muss von einem Anwalt unterzeichnet sein (§ 366 Abs. 2 StPO) und den Wiederaufnahmegrund sowie die Beweismittel dafür angeben (§ 366 Abs. 1 StPO). Es muss also ganz konkret gesagt werden, dass das Urteil bspw. wegen Urkundenfälschung aufgehoben werden soll, und zudem, woraus sich ergibt, dass die Urkunde gefälscht war. Das ist ein Gegensatz zu einem normalen Rechtsmittel das in der Regel nicht extra begründet werden muss.

Das zuständige Gericht entscheidet dann zunächst darüber, ob der Antrag überhaupt zulässig ist, also ob er formell korrekt ist, ein vorgesehener Wiederaufnahmegrund geltend gemacht wurde und dafür ein Beweismittel angeboten wird (§ 368 Abs. 1 StPO). Dabei geht es aber noch nicht darum, ob der Wiederaufnahmeantrag Erfolg haben wird – es findet also keine prozessmäßige Prüfung des Beweises statt. Das Gericht weist den Antrag also nur dann als unzulässig zurück (es „verwirft ihn“), wenn es nicht einmal aus Sicht des Antragstellers (wenn also alles, was er beweisen will, als bewiesen vorausgesetzt wird) eine Erfolgsaussicht gibt. Das ist z.B. dann der Fall, wenn er einfach nur behauptet, das Urteil wäre falsch, oder wenn eine angeblich falsche Zeugenaussage moniert wird, ohne einen Beweis anzubieten, aus dem sich das ergeben soll.

Beweisaufnahme

Ist der Antrag zulässig, bestimmt das Gericht einen Richter, der die Beweisaufnahme durchführt, § 369 Abs. 1 StPO. Dabei hat er ziemlich freie Hand, wie er dies bewerkstelligt. Ein „richtiger“ Prozess unter Anwesenheit der Beteiligten findet dabei nur statt, um Zeugen und Sachverständige zu vernehmen. Im Übrigen werden hauptsächlich schriftliche Stellungnahmen und Erklärungen ausgetauscht.

Kommt das Gericht zu dem Schluss, dass ein Wiederaufnahmegrund vorliegt, ordnet es eine neue Hauptverhandlung an (§ 370 Abs. 2 StPO). Nur, wenn absolut klar ist, dass das Urteil nicht anders als Freispruch lauten kann, kann das Wiederaufnahmegericht den Angeklagten selbst freisprechen (§ 371 Abs. 2 StPO).

Neue Hauptverhandlung

Die neue Hauptverhandlung ist durchzuführen wie jede andere Hauptverhandlung auch. Dabei ist nicht ausgeschlossen, dass zwar der Wiederaufnahmegrund bestätigt wird, das Urteil aber dasselbe bleibt. Wenn ein Zeuge der Falschaussage überführt ist, kann es trotzdem sein, dass die übrigen Beweismittel immer noch die Schuld des Angeklagten belegen.

Da es theoretisch sein könnte, dass das neue Gericht die Angelegenheit gravierender beurteilt als das ursprüngliche, darf die Strafe nicht schwerer ausfallen als beim ursprünglichen Urteil. Der Angeklagte soll also kein Risiko eingehen müssen, wenn er sich schon auf den beschwerlichen Weg der Wiederaufnahme macht. Dementsprechend gilt dies nur, wenn der Antrag vom Verurteilten selbst oder von der Staatsanwaltschaft zu seinen Gunsten gestellt wurde.

Die Wiederaufnahme des Verfahrens (I)

„Ne bis in idem“ lautet ein schöner lateinischer Rechtsspruch. Er bedeutet wörtlich (wenig erhellend) „Nicht zweimal im selben“ und meint, dass niemand wegen derselben Tat mehrfach verurteilt werden kann. Mehr noch, es kann auch niemand mehrfach angeklagt werden. Ein einmal ergangenes Urteil ist also endgültig, sobald es rechtskräftig ist. Das schließt freilich nicht die normalen Rechtsmittel (Berufung, Revision) aus, da diese nur das erste Urteil modifizieren. Sind aber alle Rechtsmittel durchlaufen oder wurde auf diese verzichtet, so ist das Urteil grundsätzlich in Stein gemeißelt. Freigesprochen ist freigesprochen und verurteilt ist verurteilt.

Die einzige Ausnahme ist ein sogenanntes Wiederaufnahmeverfahren. Mit ihm wird das Verfahren „wiederaufgenommen“, also neu durchgeführt. Da hierdurch die eigentliche Endgültigkeit des Urteils und die durch dieses hergestellte Rechtssicherheit durchbrochen wird, sind die Voraussetzungen, die das Gesetz vorsieht, sehr eng und wirkliche Ausnahmetatbestände. Dass ein Urteil einfach nur falsch ist, reicht in aller Regel nicht aus. Fehler im Urteil hätten im Rahmen der vorgesehenen Rechtsmittel gerügt werden müssen.

Die Gründe, um ein Urteil zulasten des Angeklagten aufzuheben, also ihn anstelle des Freispruchs zu verurteilen oder ihn anstelle der Verurteilung wegen einer leichteren Tat nun eines schwereren Vergehens oder Verbrechens anzuklagen, sind in § 362 StPO geregelt:

  1. Im Prozess wurde eine gefälschte Urkunde als Beweismittel verwendet.
  2. Ein Zeuge oder Sachverständiger hat vorsätzlich oder fahrlässig unter Eid oder vorsätzlich uneidlich falsch ausgesagt. (Die fahrlässige uneidliche Falschaussage genügt also nicht!)
  3. Ein Richter oder Schöffe hat sich durch das Urteil der Rechtsbeugung schuldig gemacht.
  4. Ein Freigesprochener hat die Tat nachträglich gestanden.

Zugunsten des Angeklagten sind die möglichen Gründe in den Punkten 1 bis 3 identisch wie oben, aber es gibt noch weitere Möglichkeiten (§ 359 StPO):

  1. Gefälschte Urkunde.
  2. Falschaussage.
  3. Rechtsbeugung.
  4. Das Strafurteil basierte auf einem Zivilurteil und dieses Zivilurteil wurde aufgehoben – äußerst selten.
  5. Es sind bisher unberücksichtigte Beweismittel oder Tatsachen aufgetaucht.
  6. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat das Urteil für unrechtmäßig erklärt.

Ergänzend muss man sagen, dass diese ohnehin schon sehr strengen Voraussetzungen durch die Gerichte noch einmal enger ausgelegt werden und ein erfolgreicher Wiederaufnahmeantrag wirklich ganz, ganz selten ist.

Außerdem muss die Änderung des Urteils wesentlich sein. Gemäß § 363 StPO darf es nicht nur darum gehen, wegen der Tat eine niedrigere oder schwerere Strafe zu erreichen. Es muss also zumindest eine Verurteilung einer anderen Tat stattfinden. Beispiele:

  • Angeklagter wurde freigesprochen. Staatsanwalt will Verurteilung erreichen. => zulässig
  • Angeklagter wurde wegen Diebstahls zu einer Geldstrafe verurteilt. Staatsanwaltschaft will Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe erreichen. => unzulässig, da es um dasselbe Strafgesetz geht
  • Angeklagter wurde wegen Totschlags verurteilt. Staatsanwaltschaft will Verurteilung wegen Mordes erreichen. => zulässig, da es um ein anderes Strafgesetz geht