Mord und Totschlag (II)

Gemeinhin treten Mord und Totschlag als Begriffspaar auf, wenn es drunter und drüber geht. Mord und Totschlag stehen für eine unangenehme Häufung von Verbrechen. Das ist etwas verwunderlich, herrscht doch andererseits die Meinung, Totschlag sei weniger schlimm als Mord. Gleichzeitig ist „Mord und Totschlag“ anscheinend schwerwiegender als „Mord und Mord“ – zumindest hat sich darüber noch niemand beschwert.

So ganz trennscharf werden die Begriffe im allgemeinen Sprachgebrauch aber ohnehin nicht unterschieden. Es herrscht wohl einen laienhafte Meinung in der Richtung „Totschlag ist Mord ohne Vorsatz“. Wir lassen die Tatsache, dass „Vorsatz“ im Juristischen wiederum eine andere Bedeutung hat, beiseite und setzen es leichtsinnigerweise mit „Planung“ gleich. Mord ist also die geplante Tötung; Totschlag die spontane, wenn man zum Beispiel den Ehegatten mit der Sekretärin erwischt und ihm daraufhin den Brieföffner ins Stammhirn rammt.

Diese Unterscheidung kennt das deutsche Strafrecht aber nicht bzw. nicht mehr. Als Wilhelm Kaiser war und das StGB noch „Reichsstrafgesetzbuch“ hieß, war das tatäschlich so. Mord war die mit „Ueberlegung“ (ja, ohne großes Ü) ausgeführte Tötung, Totschlag diejenige ohne.

Das änderte sich, als die Nationalsozialisten an die Macht kamen. Das NS-Regime änderte – was manchen überraschen mag – ziemlich wenig an den bestehenden Gesetzen. Denn wenn man Gesetzbücher mit ziemlich vielen Paragraphen hat, dann reicht es nicht, einen davon zu ändern und ihm den Inhalt zu geben, den man gerne hätte. Denn es gibt möglicherweise zahlreiche andere Paragraphen, die sich auf diesen beziehen. Und so sieht man sich auf einmal der Problematik gegenüber, dass man entweder alles ändert oder alles so lässt. Und da „Recht komplett umkrempeln“ auf der To-Do-Liste des Führers unterhalb von „Welt erobern“ stand, kam es dazu nicht. Vieles, was die Nazis verbrochen haben, ließ sich auch ohne Gesetze mühelos durchführen. Wo es nicht anders ging, erließen sie lieber neue Gesetze mit sehr beschränktem Regelungsinhalt. Aber nur in ganz wenigen Fällen gingen sie dazu über, die bestehenden Gesetze zu ändern.

Ein solcher Fall war eben die Neuregelung von Mord und Totschlag. Die neue Rechtslage war nun nicht unbedingt etwas, was unbedingt die reine NS-Ideologie widerspiegelt. Ob man die Tötungsverbrechen nun so oder so einteilt, hat mit Antisemitismus, Rassismus oder Demokratiefeindlichkeit wenig zu tun. Aber sie machten aus der Definition des Mordes ein sprachliches Ungetüm, das seinesgleichen sucht: „Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet.“ Diese einzelnen Fälle (Habgier, Grausamkeit usw.) nennt man in der Fachsprache „Mordmerkmale“. Ist ein Mordmerkmal erfüllt, ist die Tat als Mord zu qualifizieren; ist keines erfüllt, handelt es sich um Totschlag.
Wenn man anhand der früheren Rechtslage beurteilen wollte, ob nun ein Totschlag oder doch ein Mord vorliegt, musste man sich nur fragen, ob der Täter die Tat mit „Ueberlegung“ durchführte. Auch hier gab es Grenzfälle, wenn eine Tötung halb geplant und halb spontan war. Denken Sie an die Konstellation, dass sich jemand das Strychnin für die Schwiegermama schon – geplant – besorgt hat, es ihr aber dann ad hoc aus Verärgerung über einen spontanen Ueberraschungsbesuch in den Kaffee mischt. Auch hier brauchte man natürlich noch Richter, die den Einzelfall in das Raster des Gesetzes bringen.

Aber die heutige Rechtslage? Ein unüberschaubarer Dschungel. Es gibt ca. zehn Mordmerkmale und jedes bringt seine eigenen Probleme mit. „Befriedigung des Geschlechtstriebs“ ist noch einigermaßen selbsterklärend – der Sexualmord eben. Aber wann ist ein Mord grausam? Ist das ein Tötungsverbrechen nicht irgendwie immer? Also muss „grausam“ im Sinne des Mordparagraphen noch einmal besonders grausam sein. Die Grausamkeit muss – und jetzt wird es richtiggehend makaber – über das zur Tötung erforderliche (!) Maß hinausgehen. Jemanden normal umzubringen, ist also noch nicht gar so schlimm, tragisch wird es erst, wenn der Mörder noch einen draufsetzt. Ich lasse Sie jetzt mit Ihrer Phantasie alleine, damit Sie sich ausmalen können, welche Grausamkeit erforderlich ist und wo Ihre persönliche rote Linie überschritten ist. Die „Habgier“ wiederum erscheint nicht so schwierig; hier geht es um den klassischen Raubmord oder auch um das Abkassieren einer Lebensversicherung. Gemeinhin wird auch der Auftragskiller als habgierig verurteilt, da er ja getötet hat, um seinen Lohn zu bekommen.

Was ist aber nun mit dem Auftraggeber? Er ist grundsätzlich als Anstifter strafbar. Aber wenn bei ihm selbst kein Mordmerkmal vorliegt, so weiß er doch vom Mordmerkmal des eigentlichen Täters. Ist er nun Anstifter eines Totschlags (weil er kein Mordmerkmal verwirklicht) oder eines Mordes (weil der Täter gegen Entgelt gehandelt hat)? Und dann gibt es noch die „gekreuzten Mordmerkmale“: Der eigentliche Täter handelt heimtückisch, der Gehilfe will eine andere Straftat verdecken. Auf all diese Konstellationen gibt es die eine richtige Antwort nicht, da die Fälle einfach zu verschieden sind. Hinzu kommt, dass die deutschen Gerichte ja nun – Gott sei Dank! – nicht jeden Tag über Dutzende Morde zu entscheiden haben, sodass die wirklich problematischen (oder in Juristensprache: die wirklich interessanten) Fälle nur ganz, ganz selten vorkommen. Sollte Sie die Thematik eingehend studieren wollen, so hält die nächstgelegene Universitätsbibliothek mehrere gut gefüllte Regale für Sie bereit. Sobald Sie es verstanden haben, melden Sie sich bitte bei mir, dann können Sie es mir erklären.

Und die Quintessenz dieser Ausführungen ist: Wenn Sie mitgenommen haben, dass der Unterschied zwischen Mord und Totschlag nicht „Vorsatz“ ist, hat sich das Lesen gelohnt. Für alles Nähere sollten Sie sich zwei bis vier Semester Zeit nehmen.

Die Geldstrafe im StGB

„Bezeichnung Bullenschwein kostet 3000 Euro.“ „8000 Euro für einen gebrochenen Kiefer.“ „Schwarzfahrer zu 600 Euro Geldstrafe verurteilt.“ Wenn in den Medien von Geldstrafen die Rede ist, dann wird in aller Regel ein bestimmter Betrag genannt. Und das ist natürlich auch für den Angeklagten das Entscheidende: Wie viel muss ich zahlen?

Tatsächlich ist dieser Betrag aber das Ergebnis eines zweistufigen Strafzumessungsmechanismus. Und die bloße Summe sagt über die Schwere der abgeurteilten Straftat nichts aus.

Wenn es um die Verhängung einer Geldstrafe geht, sieht sich das Gericht zunächst einmal das Einkommen des Täters an und rechnet so aus, wieviel er pro Tag verdient (§ 40 Abs. 2 StGB). Theoretisch kann auch noch das Vermögen zur Berechnung herangezogen werden (§ 40 Abs. 3), aber hier ist schon unklar, wie man ein vorhandenes Eigentum in eine täglich zur Verfügung stehende Summe umrechnen soll. In aller Regel wird also das Nettomonatseinkommen (verringert um Unterhaltspflichten, denn die Geldstrafe soll ja nur den Täter selbst treffen) einfach durch 30 geteilt. Das Ergebnis muss zwischen 1 und 30000 Euro liegen. Mit diesem ersten Schritt wird lediglich festgestellt, ob der Täter nun arm oder reich ist. Mit der Schwere der Tat hat das noch überhaupt nichts zu tun.

Diese wird erst im zweiten Schritt relevant, wenn es um die Zahl der Tagessätze geht. Diese Zahl kann gemäß § 40 Abs. 1 Satz 2 StGB theoretisch zwischen 5 und 360 liegen, die Geldstrafe beträgt also maximal ein Jahresgehalt. Wenn mehrere Straftaten zusammentreffen, können auch bis zu 720 Tagessätze verhängt werden. (§ 54 Abs. 2 Satz 2 StGB) Hier gilt, dass grundsätzlich gleich schwere Taten die gleiche Zahl an Tagessätzen nach sich ziehen sollten. Auch die Folgen der Tat, ob bspw. die Geldstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann (§ 59 Abs. 1 StGB) und die Frage, ob man vorbestraft ist (§ 32 Abs. 2 Nr. 5 a) BZRG) bemisst sich nur nach der Zahl der Tagessätze.

Die Gesamtgeldstrafe wird dann logischerweise durch Multiplikation der Tagessatzzahl mit der -höhe errechnet: 50 Tagessätze zu je 40 Euro sind 2000 Euro, 90 Tagessätze à 30 Euro sind 2700 und 10 Tagessätze zu 2000 Euro ergeben 20.000 Euro. Wie man sieht, kann also eine nominal geringere Strafe zu einer viel höheren Gesamtsumme führen, wenn der Täter entsprechen wohlhabend ist.

In der Praxis muss man zur Zahl des Tagessätze (wie gesagt, mindestens 5 und höchstens 360 bzw. 720) folgendes sagen:

  • 5 bis 15 TS: Eher selten. Bei derart leichten Vergehen wird eher das Verfahren gegen eine Geldbuße (die keine Verurteilung und damit keine Strafe ist) eingestellt als dass man einen langen Prozess anstrengt.
  • 15 bis 90 TS: Die meisten Verurteilungen.
  • 90 bis 180 TS: Kommt auch vor, ist aber schon deutlich seltener. Drei bis sechs Monatsgehälter sind schon eine ganz erhebliche Summe, sodass die Gerichte das nicht so häufig verhängen.
  • 180 bis 360 TS: Sehr selten, da dies bereits der Bereich der mittleren Kriminalität ist, indem eher die Tendenz zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung besteht.
  • 360 bis 720 TS: Kommt praktisch nicht vor. Einzige bedeutende Ausnahme sind Finanzstrafverfahren, bei denen man keine Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren (die nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden dürfte) verhängen will und daher z.B. zwei Jahre auf Bewährung gibt und zusätzlich noch 540 Tagessätze draufpackt.

Man sollte also immer im Hinterkopf haben, dass die Höhe der Geldstrafe nichts über die Schwere der Tat aussagt. Eine hohe Summe kann an einem erheblichen Vorwurf, aber auch an einem hohen Einkommen liegen. Und darum kostet nicht jede gleiche Straftat auch tatsächlich das gleiche. Würde jeder Kinnhaken 3000 Euro und Verleumdung 500 Euro kosten, könnte nämlich ein Einkommenmillionär recht billig „die Sau rauslassen“, während ein einziger Fehltritt einen Sozialhilfeempfänger in Existenznöte brächte.

Ohne Führerschein fährt es sich besser

Man muss zwischen der Fahrerlaubnis und dem Führerschein unterscheiden. Die Fahrerlaubnis ist das abstrakte Recht, ein Auto (oder, je nach Klasse, ein Motorrad, einen Lkw, einen Bus usw.) zu fahren. Der Führerschein, also die Papierurkunde, heute ein Plastikkärtchen, ist die Verkörperung dieses Rechts. Wenn man den Führerschein nicht mehr finden kann, ändert das nichts an der Fahrerlaubnis. Umgekehrt nützt es mir nichts, wenn ich (z.B. durch gerichtliches Urteil) meine Fahrerlaubnis verloren habe, aber den Führerschein immer noch in Händen halte. Wer ohne gültige Fahrerlaubnis fährt, macht sich strafbar gemäß § 21 StVG und hat eine Geldstrafe um die drei Monatsgehälter oder sogar Gefängnis bis zu einem Jahr zu erwarten. Zum Fahren muss ich den Führerschein dabeihaben (§ 4 Abs. 2 Fahrerlaubnisverordnung); wenn ich ihn daheim vergesse, ist das aber gerade kein Fahren ohne Fahrerlaubnis, sondern lediglich eine Ordnungswidrigkeit (§ 75 Nr. 4 FeV), die gerade einmal 10 Euro Verwarnungsgeld nach sich zieht (Nr. 168a Bußgeldkatalog-Verordnung).

Eine Rechtsanwaltskanzlei rät auf ihrer Internetseite dazu, doch besser den Führerschein nicht im Auto zu haben. Begründet wird dies damit, dass der Führerschein dann auf begründeten Verdacht (konkret wurden Drogen am Steuer genannt) beschlagnahmt und gleichzeitig auch das Recht, Auto zu fahren, entzogen werden kann. Der Entzug wirkt sofort und dauert so lange, bis das Verfahren abgeschlossen ist, also der Drogenverdacht durch Auswertung der Blutprobe nach ca. einem bis drei Monaten entkräftet ist. Das gilt aber eben nur, wenn der Führerschein mitgeführt wird:

Aus unserer Sicht begründet sich die Pflicht zum Mitführen der Fahrerlaubnis lediglich darin, dass der Polizei die Möglichkeit gegeben wird, diese zu beschlagnahmen.

Zwar handelt es sich um eine Ordnungswidrigkeit, wenn Willi Brause den Führerschein nicht bei sich führt, aber selbst wenn man im Falle einer Polizeikontrolle dann 10 € berappen muss, ist dieses im Ergebnis billiger, als die Kosten, die man hätte, wenn die Pappe (auch nur vorläufig) entzogen wird – vom Ärger und Aufwand einmal ganz abgesehen.

Ganzer Text: http://www.kanzlei-nierenz.de/warum-man-besser-seinen-fuhrerschein-nicht-dabei-hat/

Die rechtlichen Hintergründe werden auf der dortigen Seite, auch in den Kommentaren unter dem Text, sehr aufschlussreich beleuchtet. Wir wollen uns aber vielmehr damit auseinandersetzen, was aus rechtsphilosophischer Sicht davon zu halten ist. Denn selbstverständlich gab es auch gleich einige Reaktionen, die einwarfen, man dürfe doch – vor allem als Rechtsanwalt – nicht zur Begehung einer Ordnungswidrigkeit aufrufen.

Einerseits hat diese Kanzlei das gar nicht getan. Sie hat nur darauf hingewiesen, welche Vor- und Nachteile die beiden möglichen Verhaltensweisen (Führerschein dabei oder nicht) jeweils bieten und diese in einer Gesamtschau verglichen.

Und da ist es eben so, dass das Nicht-Mitführen des Führerscheins in dieser Konstellation davor schützt, die Fahrerlaubnis zu verlieren. Gleichzeitig verstößt man natürlich gegen das Gesetz (wie oben erwähnt) und setzt sich der Gefahr der Verfolgung wegen einer Ordnungswidrigkeit aus. Dies selbstverständlich auch in den Fällen, in denen man ansonsten als Autofahrer alles richtig gemacht hat, die kontrollierenden Polizisten keinerlei Verdacht in irgendeiner Hinsicht haben und der vorläufige Entzug der Fahrerlaubnis überhaupt nicht zur Debatte steht. Und das kostet dann eben 10 Euro.

Dabei ist es wichtig, diese 10 Euro – rechtsphilosophisch gesehen – richtig zu verstehen. Sie sind nicht der Preis dafür, dass man den Führerschein nicht dabeihaben muss. Es bleibt illegal, sich ohne Führerschein ins Auto zu setzen, und darum darf man es nicht. Auch dann nicht, wenn man bereit ist, im Ernstfall die 10 Euro zu zahlen.

Für den rechtstreuen Bürger ist das also im Grunde keine Option. Wer sich an das Gesetz hält, weil es falsch ist, das nicht zu tun, der muss seinen Führerschein immer dabei haben.

Umgekehrt muss man aber berücksichtigen, dass der Staat selbstverständlich auch rechtstreu sein muss. Und die einschlägigen Vorschriften besagen, dass das Fahren ohne den Führerschein im Handschuhfach mit einer regelmäßigen Geldbuße von 10 Euro zu ahnden ist. Wenn der Staat also diese Sanktion festgesetzt hat, ist auch er am Ende seiner Macht angekommen. (Theoretisch kann auch ein höheres Bußgeld festgesetzt werden, aber das spielt in der Praxis keine Rolle.)

Und das Ende der Macht bedeutet im Ausgangsfall eben, dass neben dem Bußgeld auch noch ein Verfahren wegen des Anfangsverdachts des Fahrens unter Drogeneinfluss eingeleitet werden kann. Die Sicherstellung seines Führerscheins scheidet dagegen aus, da er ihn nicht dabei hat und damit nur ein Antrag beim zuständigen Gericht gestellt werden kann. Bis dieser bearbeitet ist, dauert es, und in der Zwischenzeit ist vielleicht in den Fall schon so viel Bewegung gekommen, dass der Verdacht ausgeräumt ist. Häufig wird die Polizei dieses langwierige Vorgehen von Haus aus sein lassen. Damit ist – aus rein praktischer Sicht – für den Betroffenen viel gewonnen.

Aus rein legalistischer Sicht ist das freilich anders. Da mag man sagen: „Nun ja, so funktioniert der Rechtsstaat eben. Es gehört zum allgemeinen Lebensrisiko, dass man in einen unbegründeten Verdacht gerät, aber am Ende des Ermittlungsverfahrens kommt immer die Wahrheit heraus. Und wer nichts zu befürchten hat, kann das getrost abwarten.“ Dieses Abwarten geschieht dann aber ohne fahrbaren Untersatz.

Wenn es zwei Möglichkeiten gibt und das rechtmäßige Verhalten derart gravierendere Folgen haben kann als das unrechtmäßige, dann ist es das gute Recht eines Anwalts (als unabhängiges Organ der Rechtspflege, § 1 Bundesrechtsanwaltsordnung), darauf auch hinzuweisen. Im besten Falle kommt dadurch auch eine Diskussion über die rechtlichen Grundlagen zustande. Diesen Widerspruch kann nämlich im Endeffekt nur der Gesetzgeber auflösen.

Mord und Totschlag

Die Unterscheidung zwischen Mord und Totschlag ist ein Klassiker des Rechts. Über die tatsächliche Definition herrscht aber meist ein ausgeprägtes Unwissen. Dabei offenbart auch hier ein Blick ins Gesetz die Rechtsfindung ungemein:

Strafgesetzbuch 1871

§ 211
Wer vorsätzlich einen Menschen tödtet, wird, wenn er die Tödtung mit Ueberlegung ausgeführt hat, wegen Mordes mit dem Tode bestraft.

§ 212
Wer vorsätzlich einen Menschen tödtet, wird, wenn er die Tödtung nicht mit Ueberlegung ausgeführt hat, wegen Todtschlages mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren bestraft.

Strafgesetzbuch 2014

§ 211
(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.
(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

§ 212
(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

Noch Fragen?

Mord und Totschlag als Tätertypdelikte

Mord und Totschlag gelten als Tätertypdelikte, weil sie ausweichlich ihres Wortlauts nicht die Tat bestrafen, sondern den Täter. Nach der NS-Tätertypenlehre waren „der Mörder“ und „der Totschläger“ bestimmte Menschengattungen, deren Wesen sich in der jeweiligen Tatbegehung offenbart. Insoweit wurden die §§ 211 und 212 StGB durch die Nazis als Avantgarde eines neuen Strafrechts bzw. später als Fremdkörper in einem ansonsten rational und von Tatbeständen geprägtem Gesetz gesehen.

In Wirklichkeit sind diese Tatbestände aber nur ideologisch verbrämte Umschreibungen für ganz konventionelle Deliktbeschreibungen. Man könnte sie ohne jede Schwierigkeit auch anders als normale Strafvorschriften umschreiben: „Mord und Totschlag als Tätertypdelikte“ weiterlesen

Vorsatz

Wenn die Juristen von „Vorsatz“ reden, so meinen sie damit in der Regel etwas anderes als das gemeine Volk. Letzteres versteht unter „Vorsatz“ eher Planung, Vorbedacht oder eine konkrete Strategie. Die Rechtslehre sieht es dagegen etwas anders: Vorsatz ist nach einer berühmten Kurzformel das „Wissen und Wollen des Täters“. Da dies nur begrenzt weiterhilft illustrieren wir es anhand einiger praxisnaher Beispiele:

Ich werfe Ihnen ein Exemplar des BGB an den Kopf, weil ich Ihnen Schmerzen zufügen will. Ich habe also hinsichtlich der Körperverletzung mit Wollen gehandelt, diese also vorsätzlich begangen. Dann gibt es noch die Möglichkeit, dass ich einfach gern meine eigenen Bücher durch die Gegend werfe. Ich sehe dabei, dass sich Ihr Kopf genau in der vorausberechneten Flugbahn meine Werks befindet, ich weiß also, dass ich Sie treffen werde. Ich lege zwar keinen gesteigerten Wert darauf, Sie zu treffen, aber ich werfe trotzdem. Damit habe ich mit Wissen gehandelt, also wiederum vorsätzlich. Das ist wohl noch einigermaßen nachvollziehbar.

Nun gibt es aber noch eine dritte Form des Vorsatzes, die viele hochtrabende Namen hat: Eventualvorsatz, dolus eventualis oder auch bedingter Vorsatz. Ich will Sie weder mit meinem Buch verletzen noch gehe ich davon aus, dass ich Sie treffen werde. Ich werfe es einfach mal in Ihre Richtung. Vielleicht treffe ich, vielleicht nicht – und wenn ich treffe, dann ist das auch OK. In dem Falle könnte ich vorsätzlich handeln. Ob ein Richter das nun bereits als dolus eventualis einschätzt, ist so sicher nicht. Im Endeffekt macht es die Summe aus Wissen und Wollen aus, ob man Vorsatz annehmen kann – je sicherer der Eintritt des Tatbestands ist, desto weniger muss ihn der Täter wollen und umgekehrt.

Woher weiß der Richter aber nun, was der Täter wusste und wollte? Er kann ihm ja schlecht ins Gehirn schauen. (Zugegeben, er kann natürlich, aber das wäre einerseits ziemlich eklig und andererseits würde es nur begrenzt weiterhelfen.) Auf diese Frage hat ein bekannter Strafrechts-Professor eine ganz pragmatische Antwort: „Auch Richter lassen sich nicht verarschen.“ Ja, sogar die Juristen verfügen über eine gewisse Lebenserfahrung. Und aus dieser kann man schon gewisse Erfahrungswerte ableiten. Wer sich im Supermarkt eine Flasche Schnaps in die Unterhose steckt, hat wohl nicht vor, sie zu bezahlen. 37 Stiche mit einem Brotmesser in den Bauch sind ein starkes Indiz dafür, dass man jemanden töten wollte. Wer dem Nachbarn Molotowcocktails durch das Wohnzimmerfenster wirft, setzt sich dem Vorwurf aus, Brandstifter zu sein. Brettert man mit 170 km/h über Dorfstraßen, hat man wahrscheinlich nicht nur das Autobahn-Ende-Schild übersehen.

Anrechnung der Untersuchungshaft

Zum letzten Beitrag („464 Tage sind ein Monat“) hat uns die Nachfrage erreicht, warum dieses lange Verfahren (15 Monate) nur als ein Monat auf die Freiheitsstrafe angerechnet wurde. Wenn er so lange in Untersuchungshaft war, dann müsse die Zeit dem Täter doch bereits als verbüßt angerechnet werden.

Dazu muss man eines wissen: Es geht hier nicht um die U-Haft. Der Täter war nicht in Haft. Also möglicherweise war es doch, aber das war nicht der Punkt für die Anrechnung. Dieser eine Monat Strafnachlass ist lediglich eine Entschädigung für die lange Dauer bis zur Entscheidung über die Revision. Falls er zusätzlich noch die ganzen 15 Monate (dann wahrscheinlich auch einige Monate vor dem erstinstanzlichen Urteil), wird ihm diese Zeit komplett auf die Strafe angerechnet.

§ 51 Abs. 1 StGB ist hier ganz deutlich:

Hat der Verurteilte aus Anlaß einer Tat, die Gegenstand des Verfahrens ist oder gewesen ist, Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung erlitten, so wird sie (…) angerechnet.

Früher war dies übrigens etwas anders geregelt. § 60 des StGB von 1871 sah das im Grundsatz ähnlich vor, ließ dem Gericht aber viel mehr Spielraum:

Eine erlittene Untersuchungshaft kann bei Fällung des Urtheils auf die erkannte Strafe ganz oder theilweise angerechnet werden.

Dazu muss man wissen, dass es damals drei verschiedene Arten der regulären Freiheitsstrafe gab, die in einem Stufenverhältnis zueinander standen. Acht Monate Zuchthaus (die schwerste Freiheitsstrafe) entsprachen zwölf Monaten Gefängnis und acht Monate Gefängnis entsprachen zwölf Monaten Festungshaft (der leichtesten Verbüßungsart).

Nach diesem Maßstab hätte also auch die Untersuchungshaft umgerechnet werden müssen. Wer sechs Monate U-Haft hinter sich hatte, hätte damit nur vier Monate Gefängnis ausgleichen können. Wurde er gar zu Zuchthaus verurteilt, entsprach diese Haft nur gut zweieinhalb Monaten Freiheitsstrafe.

Eine derartige Umrechnung gestattete § 60 StGB a.F., sah es aber nicht verpflichtend vor. Anders dagegen ab Akzeptanz des Urteils durch den Angeklagten, also sobald er kein Rechtsmittel mehr einlegen kann. Gemäß § 482 StPO musste jede Freiheitsentziehung ab diesem Zeitpunkt „unverkürzt“, also voll angerechnet werden:

Auf die zu vollstreckende Freiheitsstrafe ist unverkürzt diejenige Untersuchungshaft anzurechnen, welche der Angeklagte erlitten hat, seit er auf Einlegung eines Rechtsmittels verzichtet oder das eingelegte Rechtsmittel zurückgenommen hat, oder seitdem die Einlegungsfrist abgelaufen ist, ohne daß er eine Erklärung abgegeben hat.

Diese Vorschrift ist heute praktisch überflüssig, da die Anrechnung ja über § 51 StGB sowieso ungeschmälert erfolgt.

464 Tage sind ein Monat

Der Bundesgerichtshof musste im Verfahren 2 StR 115/12 über die Revision eines Angeklagten entscheiden, der wegen schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt wurde. Die Entscheidung selbst ist nicht übermäßig spannend, die Revision wurde als unbegründet zurückgewiesen, das erstinstanzliche Urteil also bestätigt.

Interessant ist aber ein Nebenaspekt: Dafür, dass das Revisionsverfahren eher lang dauerte (das Landgerichts-Urteil stammte vom 19.12.2011, das BGH-Urteil vom 27.03.2013), wird dem Angeklagten ein Monat seiner Freiheitsstrafe erlassen. An der Straffestsetzung ändert sich dabei eigentlich nicht, lediglich dieser eine Monat wird „für verbüßt erklärt“.

Die lange Bearbeitungszeit seines Rechtsmittels und das damit schwebende Verfahren wirkt, so die Rechtsprechung, wie eine Strafe und ist daher zu berücksichtigen. Eine feste Regel, ab welcher Dauer eine solche Entschädigung stattfinden muss, oder gar eine Tabelle mit dem zu gewährenden Strafrabatt gibt es aber nicht. Hier sind die Gerichte relativ frei in der Rechtsfindung.

Der hier angewandte Maßstab erscheint jedenfalls eher großzügig. Zwischen den beiden Urteilen lagen gut 15 Monate oder 464 Tage, die ja beileibe nicht auf richterliches Nichtstun zurückzuführen sind, da auch die Begründung des ersten Urteils und die Ausarbeitung der Revision ihre Zeit brauchen.

Amnesty International: Folterbericht

Im Folterbericht von Amnesty International wird teilweise tatsächliche Folter angeprangert, teilweise die Verwendung von unter Folter gemachten Aussagen. Auch bundesdeutsche Behörden wurden und werden kritisiert. Die Erzwingungen von Aussagen ist natürlich schon in pragmatischer Hinsicht sehr fragwürdig, da der Wahrheitsgehalt derartiger Beweise – ähnlich wie bei der Kronzeugenregelung – sehr unsicher ist. Darum muss man sich schon einmal fragen, wie die Folter denn überhaupt jemals ihren Weg ins Strafrecht gefunden hat. Für uns klingt das heute alles sehr düster, barbarisch und mittelalterlich. Dabei ist das Tragische, dass die Einführung der Folter im Grunde nur die Nebenwirkung einer umfassenden Modernisierung und Rationalisierung des Rechts war. „Amnesty International: Folterbericht“ weiterlesen

Italienische Forscher verurteilt: Ein großes Beben

In Italien sind mehrere Forscher wegen fahrlässiger Tötung zu teils erheblichen Haftstrafen verurteilt worden. Die heftige Empörung darüber folgte schnell, sowohl südlich als auch nördlich der Alpen. Man könne Wissenschaftler doch nicht dafür verurteilen, dass sie keine Hellseher sind. Das sei sogar empörend und gefährlich.

Sieht man sich das Urteil näher an, so kommt man jedoch zu dem Schluss, dass genau diese Unwägbarkeit bei der Vorhersage von Naturkatastrophen, die man zur Verteidigung der verurteilten Forscher anführt, das ist, was sie in Wirklichkeit belastet. „Italienische Forscher verurteilt: Ein großes Beben“ weiterlesen