Wird Deutschland sicherer? Was uns die Kriminalitätsstatistik verrät

Der neue Innenminister Seehofer hat kürzlich verkündet, Deutschland sei nochmal sicherer geworden. Begründet hat er das mit den (vermeintlich) objektiven Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatitik. Daraufhin gab es vielerlei Stimmen, die das sogleich bezweifelt haben. Ein Anlass für dieses Blog, die Zahlen genauer anzuschauen.

Dabei muss man zunächst sagen, dass sich die Zahl aller Straftaten tatsächlich verringert hat. Im Jahr 1993, dem ersten Jahr der gesamtdeutschen Statistik, gab es noch ca. 6,75 Mio. Straftaten, mittlerweile sind 5,76 Mio., also ziemlich genau eine Million weniger.

Da hier wirklich alle Taten umfasst sind, ist das Bild ziemlich unscharf. Nehmen wir daher einige Kategorien gezielt heraus: Mord und Totschlag als schwerste Delikte; Raub sowie Vergewaltigung und sexuelle Nötigung als Gewaltverbrechen; vorsätzliche Körperverletzung bzw. Diebstahl als Massendelikte.

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Das Recht und die Atombombe

nuclear-weapons-test-67557_640In Zeiten, in denen sich Gesetze immer mehr um die kleinen Dinge im Leben von uns allen kümmern, ist es vielleicht auch ganz interessant, sich einmal einem der unbestreitbaren – Achtung, Wortspiel! – Kernthemen des Rechts zu widmen: Der Atombombe.

Die Vorschriften über Atombomben in deutschen Gesetzen sind dabei eher spärlich. Das mag vielleicht daran liegen, dass sie eher selten für Streit zwischen Normalbürgern führen. Es gibt ja schon keine ausgeprägten Sondervorschriften für den Kauf von Kraftfahrzeugen – dabei kaufen die meisten von uns mindestens genau so viele Autos wie Nuklearwaffen.

So wird eine Atombombe ganz normal nach § 929 BGB übereignet. Denn die Atombombe ist eine bewegliche Sache im Sinne des Gesetzes und damit gelten die Vorschriften über bewegliche Sachen auch für Atombomben. Zur Übereignung müssen sich Veräußerer und Erwerber einig sein, dass das Eigentum an der Atombombe übergehen soll und die muss man auch tatsächlich übergeben werden. Das ist also relativ einfach. „Das Recht und die Atombombe“ weiterlesen

Die neueste Maasmission: Mord und Totschlag

In der Geschichte der Bundesrepublik gab es wohl noch keinen Justizminister, der so sehr auf mediale Präsenz und so wenig auf rechtliche Substanz geachtet hätte wie Heiko Maas. Wenn er mal wieder ein monumentales Reformvorhaben ankündigt, dann wird dies in der Wissenschaft in erster Linie mit mildem Lächeln quittiert – es wird ja eh nicht viel rauskommen.

Nun hat er sich den Mord vorgenommen, genauer gesagt die lebenslange Freiheitsstrafe für Mord. Die soll zwar bestehen bleiben, allerdings in besonderen Ausnahmefällen gemildert werden. Und an den Mordmerkmalen wird wohl auch etwas herumgeschraubt. Was dagegen bleiben wird, ist das ewige Dilemma dieses völlig verunglückten Mordparagraphen 211 StGB. Denn für eine ernsthafte Reform fehlt offenbar weiterhin der Wille – und das wäre auch nicht so plakativ wie das punktuelle Herumbasteln am Strafmaß. „Die neueste Maasmission: Mord und Totschlag“ weiterlesen

Sittensen-Urteil: Neun Monate auf Bewährung

Der Rentner, der einen Räuber auf seinem Grundstück erschossen hat, ist wegen Totschlags zu einer Bewährungsstrafe von neun Monaten verurteilt worden. Was genau das Gericht zu diesem Urteil bewogen hat, wird man in der gebotenen Ausführlichkeit der Urteilsbegründung entnehmen müssen. Klar ist aber eines: Es hielt den Schuss offensichtlich nicht durch Notwehr für gerechtfertigt, sonst hätte es nämlich Freispruch gegeben.

Nach alldem, was man aus den Medien über den Fall weiß, ist diese Verurteilung höchst überraschend. Aber wie immer sollte man sich nicht auf die Berichterstattung verlassen; darum ist es für eine abschließende Bewertung eben wichtig, das Urteil komplett und im Original zu lesen. „Sittensen-Urteil: Neun Monate auf Bewährung“ weiterlesen

Schlechte juristische Argumentation (IV)

Die vierte Folge unserer Artikelreihe zu schlechter juristischer Argumentation. Alle Artikel, auch die künftigen, finden Sie unter dem gleichnamigen Schlagwort.

12. Hüpfen Sie wild umher Schlechte juristische Argumentation (IV)“ weiterlesen

Mord und Totschlag (II)

Gemeinhin treten Mord und Totschlag als Begriffspaar auf, wenn es drunter und drüber geht. Mord und Totschlag stehen für eine unangenehme Häufung von Verbrechen. Das ist etwas verwunderlich, herrscht doch andererseits die Meinung, Totschlag sei weniger schlimm als Mord. Gleichzeitig ist „Mord und Totschlag“ anscheinend schwerwiegender als „Mord und Mord“ – zumindest hat sich darüber noch niemand beschwert.

So ganz trennscharf werden die Begriffe im allgemeinen Sprachgebrauch aber ohnehin nicht unterschieden. Es herrscht wohl einen laienhafte Meinung in der Richtung „Totschlag ist Mord ohne Vorsatz“. Wir lassen die Tatsache, dass „Vorsatz“ im Juristischen wiederum eine andere Bedeutung hat, beiseite und setzen es leichtsinnigerweise mit „Planung“ gleich. Mord ist also die geplante Tötung; Totschlag die spontane, wenn man zum Beispiel den Ehegatten mit der Sekretärin erwischt und ihm daraufhin den Brieföffner ins Stammhirn rammt.

Diese Unterscheidung kennt das deutsche Strafrecht aber nicht bzw. nicht mehr. Als Wilhelm Kaiser war und das StGB noch „Reichsstrafgesetzbuch“ hieß, war das tatäschlich so. Mord war die mit „Ueberlegung“ (ja, ohne großes Ü) ausgeführte Tötung, Totschlag diejenige ohne.

Das änderte sich, als die Nationalsozialisten an die Macht kamen. Das NS-Regime änderte – was manchen überraschen mag – ziemlich wenig an den bestehenden Gesetzen. Denn wenn man Gesetzbücher mit ziemlich vielen Paragraphen hat, dann reicht es nicht, einen davon zu ändern und ihm den Inhalt zu geben, den man gerne hätte. Denn es gibt möglicherweise zahlreiche andere Paragraphen, die sich auf diesen beziehen. Und so sieht man sich auf einmal der Problematik gegenüber, dass man entweder alles ändert oder alles so lässt. Und da „Recht komplett umkrempeln“ auf der To-Do-Liste des Führers unterhalb von „Welt erobern“ stand, kam es dazu nicht. Vieles, was die Nazis verbrochen haben, ließ sich auch ohne Gesetze mühelos durchführen. Wo es nicht anders ging, erließen sie lieber neue Gesetze mit sehr beschränktem Regelungsinhalt. Aber nur in ganz wenigen Fällen gingen sie dazu über, die bestehenden Gesetze zu ändern.

Ein solcher Fall war eben die Neuregelung von Mord und Totschlag. Die neue Rechtslage war nun nicht unbedingt etwas, was unbedingt die reine NS-Ideologie widerspiegelt. Ob man die Tötungsverbrechen nun so oder so einteilt, hat mit Antisemitismus, Rassismus oder Demokratiefeindlichkeit wenig zu tun. Aber sie machten aus der Definition des Mordes ein sprachliches Ungetüm, das seinesgleichen sucht: „Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet.“ Diese einzelnen Fälle (Habgier, Grausamkeit usw.) nennt man in der Fachsprache „Mordmerkmale“. Ist ein Mordmerkmal erfüllt, ist die Tat als Mord zu qualifizieren; ist keines erfüllt, handelt es sich um Totschlag.
Wenn man anhand der früheren Rechtslage beurteilen wollte, ob nun ein Totschlag oder doch ein Mord vorliegt, musste man sich nur fragen, ob der Täter die Tat mit „Ueberlegung“ durchführte. Auch hier gab es Grenzfälle, wenn eine Tötung halb geplant und halb spontan war. Denken Sie an die Konstellation, dass sich jemand das Strychnin für die Schwiegermama schon – geplant – besorgt hat, es ihr aber dann ad hoc aus Verärgerung über einen spontanen Ueberraschungsbesuch in den Kaffee mischt. Auch hier brauchte man natürlich noch Richter, die den Einzelfall in das Raster des Gesetzes bringen.

Aber die heutige Rechtslage? Ein unüberschaubarer Dschungel. Es gibt ca. zehn Mordmerkmale und jedes bringt seine eigenen Probleme mit. „Befriedigung des Geschlechtstriebs“ ist noch einigermaßen selbsterklärend – der Sexualmord eben. Aber wann ist ein Mord grausam? Ist das ein Tötungsverbrechen nicht irgendwie immer? Also muss „grausam“ im Sinne des Mordparagraphen noch einmal besonders grausam sein. Die Grausamkeit muss – und jetzt wird es richtiggehend makaber – über das zur Tötung erforderliche (!) Maß hinausgehen. Jemanden normal umzubringen, ist also noch nicht gar so schlimm, tragisch wird es erst, wenn der Mörder noch einen draufsetzt. Ich lasse Sie jetzt mit Ihrer Phantasie alleine, damit Sie sich ausmalen können, welche Grausamkeit erforderlich ist und wo Ihre persönliche rote Linie überschritten ist. Die „Habgier“ wiederum erscheint nicht so schwierig; hier geht es um den klassischen Raubmord oder auch um das Abkassieren einer Lebensversicherung. Gemeinhin wird auch der Auftragskiller als habgierig verurteilt, da er ja getötet hat, um seinen Lohn zu bekommen.

Was ist aber nun mit dem Auftraggeber? Er ist grundsätzlich als Anstifter strafbar. Aber wenn bei ihm selbst kein Mordmerkmal vorliegt, so weiß er doch vom Mordmerkmal des eigentlichen Täters. Ist er nun Anstifter eines Totschlags (weil er kein Mordmerkmal verwirklicht) oder eines Mordes (weil der Täter gegen Entgelt gehandelt hat)? Und dann gibt es noch die „gekreuzten Mordmerkmale“: Der eigentliche Täter handelt heimtückisch, der Gehilfe will eine andere Straftat verdecken. Auf all diese Konstellationen gibt es die eine richtige Antwort nicht, da die Fälle einfach zu verschieden sind. Hinzu kommt, dass die deutschen Gerichte ja nun – Gott sei Dank! – nicht jeden Tag über Dutzende Morde zu entscheiden haben, sodass die wirklich problematischen (oder in Juristensprache: die wirklich interessanten) Fälle nur ganz, ganz selten vorkommen. Sollte Sie die Thematik eingehend studieren wollen, so hält die nächstgelegene Universitätsbibliothek mehrere gut gefüllte Regale für Sie bereit. Sobald Sie es verstanden haben, melden Sie sich bitte bei mir, dann können Sie es mir erklären.

Und die Quintessenz dieser Ausführungen ist: Wenn Sie mitgenommen haben, dass der Unterschied zwischen Mord und Totschlag nicht „Vorsatz“ ist, hat sich das Lesen gelohnt. Für alles Nähere sollten Sie sich zwei bis vier Semester Zeit nehmen.

Mord und Totschlag

Die Unterscheidung zwischen Mord und Totschlag ist ein Klassiker des Rechts. Über die tatsächliche Definition herrscht aber meist ein ausgeprägtes Unwissen. Dabei offenbart auch hier ein Blick ins Gesetz die Rechtsfindung ungemein:

Strafgesetzbuch 1871

§ 211
Wer vorsätzlich einen Menschen tödtet, wird, wenn er die Tödtung mit Ueberlegung ausgeführt hat, wegen Mordes mit dem Tode bestraft.

§ 212
Wer vorsätzlich einen Menschen tödtet, wird, wenn er die Tödtung nicht mit Ueberlegung ausgeführt hat, wegen Todtschlages mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren bestraft.

Strafgesetzbuch 2014

§ 211
(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.
(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

§ 212
(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

Noch Fragen?

Mord und Totschlag als Tätertypdelikte

Mord und Totschlag gelten als Tätertypdelikte, weil sie ausweichlich ihres Wortlauts nicht die Tat bestrafen, sondern den Täter. Nach der NS-Tätertypenlehre waren „der Mörder“ und „der Totschläger“ bestimmte Menschengattungen, deren Wesen sich in der jeweiligen Tatbegehung offenbart. Insoweit wurden die §§ 211 und 212 StGB durch die Nazis als Avantgarde eines neuen Strafrechts bzw. später als Fremdkörper in einem ansonsten rational und von Tatbeständen geprägtem Gesetz gesehen.

In Wirklichkeit sind diese Tatbestände aber nur ideologisch verbrämte Umschreibungen für ganz konventionelle Deliktbeschreibungen. Man könnte sie ohne jede Schwierigkeit auch anders als normale Strafvorschriften umschreiben: „Mord und Totschlag als Tätertypdelikte“ weiterlesen