Einigungsvertrag nichtig?

european-championship-1440379_1920Auf gar nicht so wenigen Internetseiten wird mittlerweile behauptet, der Einigungsvertrag (genauer: das Gesetz, mit dem Bundestag und Bundesrat der Wiedervereinigung, dem Einigungsvertrag, den damit einhergehenden Grundgesetzänderungen und zahlreichen Übergangs- und Anpassungsregeln zugestimmt haben) sei nichtig.

Dabei wird auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts Bezug genommen, das dieses unter dem Aktenzeichen BvR 1341/90 am 24. April 1991 erlassen hat. Hieraus wird in der Regel wie folgt zitiert:

Das Gesetz vom 23. Sept. 1990 zu dem Vertrag vom 31. August 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertragsgesetz – (…) unvereinbar und nichtig.

Der Teufel steckt hierbei im Detail. Denn der gesamte Urteilsspruch ist bedeutend länger und bekommt damit einen ganz anderen Sinn:

Das Gesetz vom 23. September 1990 zu dem Vertrag vom 31. August 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertragsgesetz – und der Vereinbarung vom 18. September 1990 (Bundesgesetzbl. II Seite 885) ist insoweit mit Artikel 12 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 6 Absatz 4 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig, als durch Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Absatz 2 Satz 2 und 5 sowie Absatz 3 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschland Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertrag – vom 31. August 1990 (Bundesgesetzbl. II Seite 889 [1140]) die Kündigungsvorschriften des Mutterschutzrechts durchbrochen werden.

the-basic-law-2454404_640Es ist also keineswegs der gesamte Einigungsvertrag nichtig, sondern nur eine minimale Regelung, nämlich Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Absatz 2 Satz 2 und 5 sowie Absatz 3. Und auch hier betrifft die Ungültigkeit lediglich Abweichungen von den Kündigungsvorschriften des Mutterschutzrechts.

Diese Einschränkung ist durchaus von Bedeutung, denn sie macht eben klar, wie weit die Nichtigerklärung tatsächlich reicht. Sie einfach durch „(…)“ auszusparen, wenn man das Urteil wiedergibt, verändert den Sinn.

Zum Hintergrund des Verfahrens: Mit dem Einigungsvertrag wurden verschiedene DDR-Betriebe geschlossen („abgewickelt“). Unter der somit entlassenen Belegschaft waren auch die Kläger in diesem Prozess. Sie wollten feststellen lassen, dass ihre Entlassung unrechtmäßig war. Damit hatten sie jedoch keinen Erfolg, das Bundesverfassungsgericht hat die entsprechenden Passagen im Gesetz bestätigt. Lediglich in einem ganz seltenen Spezialfall – wenn die Entlassenen an sich Mutterschutz beanspruchen könnten – dürften sie nicht entlassen werden. Unter den konkreten Klägern war aber keine Frau, bei der diese Voraussetzungen vorlagen. Und daher lautete das Urteil in der Sache auch:

Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Das Berlin-Übereinkommen

Übereinkommen zur Regelung bestimmter Fragen in bezug auf Berlin

Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland und die Regierungen der Französischen Republik, der Vereinigten Staaten von Amerika und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland (»die drei Staaten«)

handelnd auf der Grundlage ihrer langjährigen freundschaftlichen Verbundenheit,

in Würdigung ihres gemeinsamen Eintretens für die Freiheit und Einheit Berlins,

in Anbetracht des Umstands, daß mit Vollendung der Einheit Deutschlands in Frieden und Freiheit auch die Teilung Berlins endgültig beendet wird,

in Anerkennung der Tatsache, daß mit Abschluß des Vertrags über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland und mit Herstellung der deutschen Einheit die Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte in bezug auf Berlin ihre Bedeutung verlieren und daß das vereinte Deutschland volle Souveränität über seine inneren und äußeren Angelegenheiten haben wird,

in der Erwägung, daß es notwendig ist, hierfür in bestimmten Bereichen einschlägige Regelungen zu vereinbaren, welche die deutsche Souveränität in bezug auf Berlin nicht berühren,

im Hinblick auf die zwischen den vier Regierungen geschlossene Vereinbarung über den befristeten Verbleib von Streitkräften der drei Staaten in Berlin

sind wie folgt übereingekommen:

Artikel 1

(1) Der Ausdruck »alliierte Behörden«, wie er in diesem Übereinkommen verwendet wird, umfaßt

a) den Kontrollrat, die Alliierte Hohe Kommission, die Hohen Kommissare der drei Staaten, die Militärgouverneure der drei Staaten, die Streitkräfte der drei Staaten in Deutschland sowie Organisationen und Personen, die in deren Namen Befugnisse ausgeübt oder – im Fall internationaler Organisationen und andere Staaten vertretender Organisationen (und der Mitglieder solcher Organisationen) – mit deren Ermächtigung gehandelt haben, sowie die Hilfsverbände anderer Staaten, die bei den Streitkräften der drei Staaten gedient haben;

b) die Alliierte Kommandantur Berlin, die Kommandanten des amerikanischen, britischen und französischen Sektors von Berlin sowie Einrichtungen und Personen, die in deren Namen Befugnisse ausgeübt haben.

(2) Der Ausdruck »alliierte Streitkräfte«, wie er in diesem Übereinkommen verwendet wird, umfaßt

a) die in Absatz 1 bezeichneten alliierten Behörden, soweit sie in oder in bezug auf Berlin tätig waren;

b) Angehörige der amerikanischen, britischen und französischen Streitkräfte in Berlin;

c) nicht-deutsche Staatsangehörige, die in militärischer oder ziviler Eigenschaft bei den alliierten Behörden Dienst getan haben;

d) Familienangehörige der unter den Buchstaben b und c aufgeführten Personen und nicht-deutsche Staatsangehörige, die im Dienst dieser Personen standen.

(3) Die amtlichen Texte der in diesem Übereinkommen erwähnten Rechtsvorschriften sind diejenigen Texte, die zur Zeit des Erlasses maßgebend waren.

(4) Soweit in diesem Übereinkommen auf das Unwirksamwerden der Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte Bezug genommen wird, ist dies als Bezugnahme auf die Suspendierung der Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte oder, wenn keine Suspendierung erfolgt, das Inkrafttreten des Vertrags über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland zu verstehen.

Artikel 2

Alle Rechte und Verpflichtungen, die durch gesetzgeberische, gerichtliche oder Verwaltungsmaßnahmen der alliierten Behörden in oder in bezug auf Berlin oder aufgrund solcher Maßnahmen begründet oder festgestellt worden sind, sind und bleiben in jeder Hinsicht nach deutschem Recht in Kraft, ohne Rücksicht darauf, ob sie in Übereinstimmung mit anderen Rechtsvorschriften begründet oder festgestellt worden sind. Diese Rechte und Verpflichtungen unterliegen ohne Diskriminierung denselben künftigen gesetzgeberischen, gerichtlichen und Verwaltungsmaßnahmen wie gleichartige nach deutschem Recht begründete oder festgestellte Rechte und Verpflichtungen.

Artikel 3

(1) Deutsche Gerichte und Behörden können im Rahmen der Zuständigkeiten, die sie nach deutschem Recht haben, in allen Verfahren tätig werden, die eine vor Unwirksamwerden der Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte in oder in bezug auf Berlin begangene Handlung oder Unterlassung zum Gegenstand haben, soweit in diesem Artikel nicht etwas anderes bestimmt wird.

(2) Eine Zuständigkeit deutscher Gerichte oder Behörden nach Absatz 1 besteht nicht für die folgenden Institutionen und Personen, auch wenn ihre dienstliche Tätigkeit beendet ist, und nicht in den nachstehend genannten Verfahren:

a) die alliierten Behörden;

b) Angehörige der alliierten Streitkräfte in nichtstrafrechtlichen Verfahren, die eine Handlung oder Unterlassung in Ausübung ihrer dienstlichen Tätigkeit zum Gegenstand haben;

c) Angehörige der alliierten Streitkräfte in strafrechtlichen Verfahren, es sei denn, der betreffende Staat stimmt der Einleitung des Verfahrens zu;

d) Richter an den von den alliierten Behörden eingesetzten Gerichten in Berlin und andere Gerichtspersonen, die ihnen bisher in der Freistellung von der deutschen Gerichtsbarkeit gleichgestellt waren, soweit sie in Ausübung ihres Amtes gehandelt haben;

e) Mitglieder der beim Kontrollrat zugelassenen Militärmissionen und Delegationen in Verfahren, die eine Handlung oder Unterlassung in Ausübung ihrer dienstlichen Tätigkeit zum Gegenstand haben;

f) Verfahren, für welche die Genehmigung abgelehnt wurde, die nach Gesetz Nr. 7 der Alliierten Kommandantur Berlin vom 17. März 1950 zur Ausübung der deutschen Gerichtsbarkeit erforderlich war;

g) andere Verfahren, die eine in Ausübung dienstlicher Tätigkeit für die alliierten Streitkräfte begangene Handlung oder Unterlassung zum Gegenstand haben.

(3) Wenn sich in einem Verfahren, auf das Absatz 2 Anwendung findet, die Frage erhebt, ob eine Person in Ausübung ihres Amtes oder ihrer dienstlichen Tätigkeit gehandelt hat, so sind Verfahren nur auf der Grundlage einer Bescheinigung des betreffenden Staates zulässig, daß die fragliche Handlung oder Unterlassung nicht in Ausübung des Amtes oder der dienstlichen Tätigkeit begangen wurde.

(4) Die deutschen Gerichte sind nach Maßgabe des deutschen Rechts für Streitigkeiten zuständig, die sich aus Arbeitsverträgen (einschließlich der damit zusammenhängenden Sozialversicherungsstreitigkeiten) oder Verträgen über Lieferungen und Leistungen ergeben, die vor Unwirksamwerden der Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte geschlossen worden sind. Klagen gegen die Behörden der drei Staaten sind gegen die Bundesrepublik Deutschland zu richten. Klagen dieser Behörden werden von der Bundesrepublik Deutschland erhoben.

Artikel 4

Alle Urteile und Entscheidungen, die von einem durch die alliierten Behörden oder durch eine derselben eingesetzten Gericht oder gerichtlichen Gremium vor Unwirksamwerden der Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte in oder in bezug auf Berlin erlassen worden sind, bleiben in jeder Hinsicht nach deutschem Recht rechtskräftig und rechtswirksam und werden von den deutschen Gerichten und Behörden wie Urteile und Entscheidungen deutscher Gerichte und Behörden behandelt.

Artikel 5

(1) Die Bundesrepublik Deutschland wird keinerlei Ansprüche gegen die drei Staaten oder einen von ihnen oder gegen Institutionen oder Personen, soweit diese im Namen oder im Auftrag der drei Staaten oder eines von ihnen tätig waren, geltend machen wegen Handlungen oder Unterlassungen, welche die drei Staaten oder einer von ihnen oder diese Institutionen oder Personen vor Unwirksamwerden der Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte in oder in bezug auf Berlin begangen haben.

(2) Die Bundesrepublik Deutschland erkennt an, daß vorbehaltlich des Artikels 3 die in Absatz 1 bezeichneten Ansprüche von ihrer Herrschaftsgewalt unterliegenden Personen nicht geltend gemacht werden.

(3) Die Bundesrepublik Deutschland übernimmt die Verantwortlichkeit für die Entscheidung über Entschädigungsansprüche für Besatzungsschäden, die vor Unwirksamwerden der Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte in oder in bezug auf Berlin entstanden sind und für die nach den Bestimmungen der Verordnung Nr. 508 der Kommandanten des amerikanischen, britischen und französischen Sektors vom 21. Mai 1951 in ihrer durch spätere Verordnungen und Ausführungsbestimmungen geänderten Fassung Entschädigung zu leisten wäre, und für die Befriedigung dieser Ansprüche, soweit sie nicht bereits geregelt sind. Die Bundesrepublik Deutschland wird bestimmen, welche weiteren der in Absatz 2 genannten und in oder in bezug auf Berlin entstandenen Ansprüche zu befriedigen angemessen ist, und wird die zur Bestimmung und Befriedigung dieser Ansprüche erforderlichen Maßnahmen treffen.

Artikel 6

(1) Vorbehaltlich der Absätze 2 und 3 werden Fragen des beweglichen und unbeweglichen Vermögens, die sich aus der Suspendierung oder Beendigung der Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte in Berlin ergeben, im Rahmen der Vereinbarung über den befristeten Verbleib von Streitkräften der drei Staaten in Berlin, einschließlich ihrer Anlagen, behandelt.

(2) Am Ende der in Anlage 2 der genannten Vereinbarung vorgesehenen Abwicklungszeiträume haben die drei Staaten die Gelegenheit, das Vermögen weiterhin zu nutzen, soweit es von ihren diplomatischen und konsularischen Vertretungen benötigt wird, falls angemessene Regelungen (Miete, Tausch oder Kauf) vereinbart werden können.

(3) Im Einklang mit geltenden Verfahren wird bewegliches Vermögen, das nicht mehr für die in der genannten Vereinbarung, einschließlich ihrer Anlagen, bezeichneten Zwecke benötigt wird und das der betreffende Staat nicht kaufen, tauschen oder mieten möchte, an die zuständige deutsche Behörde zurückgegeben.

Artikel 7

(1) Soweit es für den Abschluß von Verfahren, die bei Unwirksamwerden der Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte bei dem »Tribunal français de simple police de Berlin« anhängig sind, notwendig ist, übt es seine Gerichtsbarkeit nach den bisher geltenden Rechtsvorschriften aus. Das »Tribunal français de Berlin« übt seine Gerichtsbarkeit in Rechtsmittelverfahren gegen Entscheidungen des »Tribunal français de simple police de Berlin« aus.

(2) Die in Absatz 1 genannte Gerichtsbarkeit endet im Fall des »Tribunal français de simple police de Berlin« sechs Monate und im Fall des »Tribunal français de Berlin« zehn Monate nach Unwirksamwerden der Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte.

(3) Artikel 3 Absatz 2 Buchstabe d und Artikel 4 dieses Übereinkommens finden sinngemäß Anwendung.

Artikel 8

Jede Vertragspartei kann jederzeit um Konsultationen zwischen den Vertragsparteien über die Auslegung oder Anwendung dieses Übereinkommens ersuchen. Die Konsultationen beginnen innerhalb von 30 Tagen, nachdem den anderen Vertragsparteien das Ersuchen notifiziert worden ist.

Artikel 9

Jede Vertragspartei kann um eine Überprüfung dieses Übereinkommens ersuchen. Die Gespräche beginnen innerhalb von drei Monaten, nachdem den anderen Vertragsparteien das Ersuchen notifiziert worden ist.

Artikel 10

Ungeachtet des Artikels 11 kommen die Unterzeichnerregierungen überein, dieses Übereinkommen vom Zeitpunkt des Unwirksamwerdens der Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte bis zu seinem Inkrafttreten vorläufig anzuwenden.

Artikel 11

(1) Dieses Übereinkommen bedarf der Ratifikation, Annahme oder Genehmigung. Die Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunden werden bei der Regierung der Bundesrepublik Deutschland hinterlegt. Diese Regierung teilt den anderen Unterzeichnerregierungen die Hinterlegung jeder Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunde mit.

(2) Dieses Übereinkommen tritt am Tag der Hinterlegung der letzten Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunde in Kraft.

(3) Die Urschrift dieses Übereinkommens, dessen deutscher, englischer und französischer Wortlaut gleichermaßen verbindlich ist, wird bei der Regierung der Bundesrepublik Deutschland hinterlegt; diese übermittelt den anderen Unterzeichnerregierungen beglaubigte Abschriften.

Zu Urkund dessen haben die unterzeichneten, hierzu gehörig Bevollmächtigten dieses Übereinkommen unterschrieben.

Geschehen zu Bonn am 25. September 1990

Für die Regierung der Bundesrepublik Deutschland

Lautenschlager

Für die Regierung der Französischen Republik

Boidevaix

Für die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika

Vernon A. Walters

Für die Regierung des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland

Christopher Mallaby

Richter Bärli vom Bundesbärengericht weint

Aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über eine Verfassungsbeschwerde (Beschluss vom 14.09. 2010, 1 BvR 2070/10:

(Die Beschwerdeführerin der Verfassungsbeschwerde) beschränkt sich vielmehr im Wesentlichen auf eine Kritik an Kulturschaffenden und begehrt vom Bundesverfassungsgericht eine Grundsatzentscheidung zu der Frage, ob die Musik von Richard Wagner an bestimmten Tagen aufgeführt werden darf. Sie hat dem Bundesverfassungsgericht ferner mitgeteilt, dass „Richter Bärli“ vom „Bundesbärengericht“ zwei Tage über eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts geweint habe.

(…)

Trotz des zutreffenden Hinweises des Präsidialrats auf die völlig unzureichende Begründung der Verfassungsbeschwerde hat die Beschwerdeführerin auf einer Behandlung durch die Kammer bestanden und ihr völlig neben der angegriffenen Entscheidung liegendes Vorbringen vertieft, zuletzt etwa durch den Hinweis, dass es kein Zufall sein könne, dass in der Bundesversammlung am 30. Juni 2010 alle Politiker blaue Sachen getragen hätten.

Wie entscheidet nun die Kammer des Bundesverfassungsgerichts, wenn sie über eine derartige Verfassungsbeschwerde entscheiden soll? Einfach ignorieren kann man den Antrag nicht, da jeder Bürger grundsätzlich einen Anspruch auf rechtliches Gehör hat. Das ist richtig so und daran sollte auch nicht gerüttelt werden. Wenn eine Klage aber völlig aussichtslos ist, gibt es durchaus Möglichkeit, sie geräuschlos zu erledigen.

Zum einen kann das BVerfG eine Verfassungsbeschwerde nicht annehmen, wenn sie nicht zur Durchsetzung der Rechte des Betroffenen dient (§ 93a BVerfGG). Diese Entscheidung trifft die Kammer (§ 93 BVerfGG), also die kleinste Einheit des Bundesverfassungsgerichts. Sie besteht aus lediglich drei der acht Richter des zuständigen Senats. Zudem ergeht die Entscheidung nach Aktenlage, also ohne mündliche Verhandlung (§ 93d Abs. 1 Satz 1). Das erspart schon einmal relativ viel Arbeit.

Und außerdem gibt es die Möglichkeit, eine Missbrauchgebühr bis zu 2600 Euro zu verhängen (§ 34 Abs. 2 BVerfGG). Damit soll verhindert werden, dass das an sich kostenfreie Verfahren für Klagen „ins Blaue hinein“ benutzt wird. Allerdings muss es sich wirklich um einen Missbrauch handeln, also um eine mutwillige Beschwerde, die keinerlei Aussicht auf Erfolg hat und aus reiner Querulanz heraus eingelegt wurde. Die genauen Kriterien sind nicht abschließend geklärt, aber jedenfalls reicht es nicht aus, wenn die Klage einfach nur unbegründet ist.

Freilich sind diese Instrumente nicht unumstritten. Sie sollen und dürfen nicht dazu führen, dass berechtigte Anliegen kurz und bündig abgebügelt oder durch die Gefahr einer hohen „Strafgebühr“ abgewehrt werden. Die Grenze zwischen Entlastung und Rechtsverweigerung ist dabei sehr dünn. Bisher lässt sich aber nicht feststellen, dass ein allzu leichtfertiger Umgang mit diesen Möglichkeiten stattfindet.

Hier hat die Kammer die Beschwerde nicht angenommen und eine Missbrauchsgebühr von 300 Euro beschlossen. Eine Reaktion von Richter Bärli ist bis dato nicht bekannt.

Nach Karlsruhe gehen (II)

Neben dem einen Karlsruhe gibt es aber auch das andere Karlsruhe: Das Bundesverfassungsgericht. Wenn Sie wissen, dass die Abkürzung für dieses Gericht „BVerfG“ und nicht etwa „BVG“ lautet und Sie es zudem weder mit dem Bundesgerichtshof noch mit dem Bundesverwaltungsgericht verwechseln, haben Sie schon einmal mehr Ahnung von der Materie als 90 % der Deutschen. Und das ist auch in PISA-Zeiten noch ein Kompliment.

Das Bundesverfassungsgericht beschäftigt sich in erster Linie getreu seinem Namen mit „richtigen“ verfassungsrechtlichen Streitigkeiten. Da geht es um die Auslegung des Grundgesetzes und die Rechte und Pflichten der Verfassungsorgane untereinander. Beteiligte sind dementsprechend auch nur eben diese Verfassungsorgane, also zum Beispiel die Bundesregierung, der Bundesrat oder Peter Gauweiler.

Dann gibt es aber auch noch die Verfassungsbeschwerde. Und da kommen Sie ins Spiel: Wenn Sie sich durch die „öffentliche Gewalt“ in einem Ihrer Grundrechte verletzt sehen, können Sie nach Karlsruhe gehen. Nehmen wir also an, die haben sich vom Amtsgericht Hintertupfing aus hochgeklagt und sind bis Karlsruhe (in dem Fall Karlsruhe I, also zum Bundesgerichtshof) gekommen. Dessen Urteil gefällt Ihnen aber auch nicht. Also ziehen Sie weiter zum Bundesverfassungsgericht und schreiben (höchstpersönlich, denn ihren nichtsnutzigen Anwalt, der Ihnen diese Niederlage vor dem BGH schließlich eingebrockt hat, haben Sie längst gefeuert) eine gesalzene Verfassungsbeschwerde: „Das Urteil des BGH ist eine Sauerei! Es ist falsch, völlig falsch sogar! Unmöglich, sowas! Bitte, liebes BVerfG, hilf mir und verschaffe mir mein Recht!“ Sie werden kein Gehör finden. Denn das Bundesverfassungsgericht ist nicht dafür da, falsche Urteile richtigzustellen. Prinzipiell ist es natürlich schon so, dass man auch gegen Urteile Verfassungsbeschwerde erheben kann. Wenn der Rechtsweg (auch derjenige, der unterhalb von Karlsruhe endet) ausgeschöpft ist, dann kann man immer noch Verfassungsbeschwerde einreichen. Aber diese muss eine Grundrechtsverletzung zumindest behaupten. Ein Urteil, das einfach nur falsch ist, interessiert das BVerfG nicht.

Diese Verfassungsbeschwerden, die eigentlich nur ein untergeordneter Aspekt der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung sind, machen quantitativ den Löwenanteil der BVerfG-Verfahren aus. Dass eine Verfassungsbeschwerde den Weg zu einer Verhandlung in Karlsruhe findet, ist dagegen recht unwahrscheinlich. Die allermeisten Klagen werden schon im Anfangsstadium abgeblockt und als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen. Dass sich die gerade einmal 16 Verfassungsrichter nicht mit jährlich etwa 6000 Verfassungsbeschwerden beschäftigen können, ist sicher einleuchtend. Daher gibt es mittlerweile eine enorme Zahl wissenschaftlicher Mitarbeiter, die hier eine Vorprüfung vornehmen und deren Expertise auch in aller Regel die Marschrichtung vorgibt. Diese Mitarbeiter sind aber keine gewöhnlichen „Hiwis“, sondern meist gestandene Juristen. Schließlich lassen sich die Karlsruher Richter ja nicht von irgendjemandem die Arbeit vom Hals schaffen!

Wahlprüfung – für den Bundestag und durch den Bundestag

Kaum ist die Bundestagswahl vorbei, beginnt die Vorbereitung für eine der Pflichten des Parlaments: Es prüft, ob es eigentlich korrekt gewählt wurde oder ob sich die Abgeordneten selbst wieder nach Hause schicken müssen.

So will es das Grundgesetz, nämlich Art. 41 Abs. 1 Satz 1 GG:

Die Wahlprüfung ist Sache des Bundestages.

Dass der Bundestag hier zum Richter in eigener Sache wird, lässt sich wohl vor allem mit parlamentarischer Tradition begründen. Bereits US-Verfassung (1776), die österreichische Verfassung von 1848 und die Weimarer Reichsverfassung (1919) haben dies so vorgesehen. Ob diese Tradition eine gute ist, darüber kann man sicher streiten. „Wahlprüfung – für den Bundestag und durch den Bundestag“ weiterlesen

Weniger Bundesländer = weniger Schulden?

Immer mal wieder wird eine Verringerung der Zahl der deutschen Bundesländer diskutiert. Die Anlässe dazu sind vielfältig, derzeit ist es beispielsweise die Finanzkrise. Dabei soll die Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff gesagt haben: „Wenn Länderfusionen bundespolitisch gewollt sind, die Interessen der schwächeren Länder dabei berücksichtigt werden, werden wir uns in Mitteldeutschland der Fusionsfrage sicher nicht verschließen.“ Das sei vor allem im Hinblick auf die zu erwartende Schuldenbremse (Art. 109 Abs. 3 GG) notwendig. Ich unterstelle mal, dass das ein verkürztes Zitat ist, aber die Logik erschließt sich mir nicht ganz. „Weniger Bundesländer = weniger Schulden?“ weiterlesen

Sozialgericht Berlin, 22.09.1993, S 72 Kr 433/93

Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22.09.1993

Aktenzeichen: SG Berlin, S 72 Kr 433/93

Fundstellen: —


Im Namen des Volkes

Gerichtsbescheid

In dem Rechtsstreit

…,

Kläger,

gegen

die Allgemeine Ortskrankenkasse Berlin,
vertreten durch den Geschäftsführer,
Mehringplatz 15,
10969 Berlin,
Az.: …

Beklagte,

hat die 72. Kammer des Sozialgerichts Berlin
durch ihren Vorsitzenden,
Richter am Sozialgericht Sonnen

am 22. September 1993 für Recht erkannt:

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Mit seiner Klage vom 1. Juli 1993 wendet sich der Kläger u.a. gegen den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 9. Juni 1993.

Er beantragt, festzustellen, daß

[13 Anträge, die verschiedene staatsrechtliche Behauptungen beinhalteten]

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten im einzelnen wird auf ihre Schriftsätze sowie die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unzulässig, soweit sie die Klageanträge des Klägers zu 1) bis 13) betrifft, im übrigen unbegründet, soweit sie den Widerspruchsbescheid betrifft.

Die Klage ist unzulässig, weil aus dem Vorbringen des Klägers auch nach Anfrage des Gerichts nicht entnommen werden kann, daß der Kläger hinsichtlicher seiner Anträge zu 1) bis 13) durch eine Maßnahme der Beklagten in seinen Rechten verletzt ist.

Eine derartige Rechtsverletzung muß ein Kläger, der die Sozialgerichtsbarkeit in Anspruch nehmen will, nach § 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG- jedoch wenigstens behaupten.

Die Klage ist unbegründet, und zwar im eigentlichen Sinne des Wortes, soweit sie sich gegen den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 9. Juni 1993 richtet; denn der Kläger hat keine Klagebegründung abgegeben, die es der Kammer ermöglicht hätte, eine Sachaufklärung gem. § 103 SGG zu betreiben. Obwohl das Gericht gem. § 103 SGG den Sachverhalt von Amts wegen erforscht, ist es auf Angaben der Beteiligten angewiesen. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, den Beteiligten ihre Darlegungslast abzunehmen und von Amts wegen Tatsachen zu erforschen und der Entscheidung des Gericht zugrunde zu legen, die die Beteiligten selbst nicht einmal vorgebracht haben. Unterbleiben die Angaben der Beteiligten, kann die Klage nur als unbegründet abgewiesen werden (Beschluß des BSG vom 15.9.1955 in SozR Nr. § 103 SGG).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz -SGG-.

(Rechtsmittelbelehrung)

Wahlcomputer und Wahlrechtsgrundsätze

Wahlcomputer sind laut BVerfG in der bisher verwendeten Form unzulässig – so der bisherige Stand der Rechtsprechung. Der Wähler müssen nachprüfen können, dass seine Stimme korrekt gezählt werde, und nicht nur darauf vertrauen müssen, dass der Computer schon alles richtig macht. Nicht so sehr eingegangen wurde dagegen, soweit ich die Presse bisher verfolgt habe, auf die Problematik der geheimen Wahl. Denn ob die Stimme wirklich nicht dem jeweiligen Wähler zuordenbar ist, kann man auch von außen nicht sehen. Diese Diskussion gab es dagegen schon bei einer Wahlrechtsneuerung, die für uns heute völlig alltäglich ist: Als in Bayern in den 50er-Jahren auf Initiative der Bayernpartei die Briefwahl eingeführt wurde, hat sich die SPD vehement dagegen ausgesprochen – sie sah das Wahlgeheimnis in Gefahr. „Wahlcomputer und Wahlrechtsgrundsätze“ weiterlesen

Bundeszuständigkeiten im Grundgesetz (Art. 73 und 74 GG)

Heute möchten wir zeigen, wie sich die Zuständigkeiten des Bundes im Laufe der Jahrzehnte vergrößert haben. Dazu haben wir die Listen der konkurrierenden und der ausschließlichen Gesetzgebung gegenübergestellt. Die in den Artikeln 73 und 74 aufgezählten Themen können vom Bund geregelt werden, alle anderen von den Ländern (Art. 70 Abs. 1 GG). Wie man unschwer erkennen kann, sind die Listen mit Bundeszuständigkeiten dabei deutlich gewachsen – oder, anders gesagt, die Kompetenzen der Länder deutlich eingeschränkt worden. „Bundeszuständigkeiten im Grundgesetz (Art. 73 und 74 GG)“ weiterlesen

Grundrechte

Schon allein, weil jeder nach Karlsruhe (II) gehen möchte, fühlt sich auch jeder bemüßigt, über Grundrechte zu reden. Dabei ist das Unwissen auf diesem Feld oft leider besonders groß. Dieses Unwissen zieht sich aber leider bis tief ins Studium hinein und der eine oder andere kapitale Fehler kommt sicher auch im Staatsexamen noch vor. Wenn man ein Prinzip erst einmal begriffen hat, kann so viel nicht mehr schiefgehen: Grundrechte sind Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe.

Fangen wir mit dem einfacheren Teil an: Es geht um das Verhältnis zwischen dem Bürger und dem Staat. Gegenüber anderen Menschen habe ich keine Grundrechte. Ich kann keiner anderen Person vorwerfen, dass Sie bspw. mein Grundrecht auf Religionsfreiheit verletzt habe. Denn ich habe gegenüber meinem Mitbürger kein Recht auf Religionsfreiheit. Wenn mein Nachbar also in ohrenbetäubender Lautstärke „Highway to Hell“ hört, während ich mich dem Studium der Bibel widmen will, dann mag das je nach den Umständen des Einzelfalls gegen zivil- oder strafrechtliche Gesetze verstoßen – aber mit meinem Grundrecht auf Religionsfreiheit aus Artikel 4 Absatz 1 des Grundgesetzes hat das nichts zu tun. Anders ist es dagegen, wenn der Staat sich einmischt. Verbietet mir dagegen der Landkreis, nach den Vorschriften des Alten Testament in meinem Garten einen Hammel zu schlachten und anschließend auf einem prächtigen Scheiterhaufen zu opfern, dann kommt das Grundrecht ins Spiel; denn der Landkreis übt Staatsgewalt aus und ist damit an die Grundrechte gebunden.

Auf den ersten Blick weniger einleuchtend ist dagegen die Funktion des Abwehrrechts: Es klang oben schon an, dass es in Grundrechtsfällen in erster Linie um Verbote geht. Grundsätzlich ist es so, dass ein Bürger unverschämterweise macht, was er will. Der Staat hingegen setzt dem Grenzen und erlässt Gesetze, die bestimmte Handlungen verbieten. Dabei darf man dem Staat aber nicht völlig freie Hand lassen, sonst verbietet er nämlich alles. Darum gibt es die Grundrechte: Sie verbieten dem Staat, allzuviel zu verbieten. Er darf also – grundsätzlich, zu den Einschränkungen kommen wir später – nichts verbieten, was zur genannten Religionsfreiheit gehört, ebenso in Bezug auf die Meinungsfreiheit oder den Beruf.

Die Grundrechte schützen also die Freiheit des einzelnen – aber sie verbürgen keinen Anspruch auf irgendetwas. Bei Studentenprotesten wird immer gern ein Grundrecht auf Bildung bemüht. Ein solches Grundrecht kann aber keinesfalls bedeuten, dass jeder das Recht auf ein kostenloses Studium hätte. Wenn dem so wäre, dann würde das Grundrecht auf Eigentum (Art. 14) logischerweise bedeuten, dass jeder jedes Eigentum kostenlos für sich beanspruchen könnte. Also nochmal: Der Staat darf mir meine Freiheit, etwas im Rahmen meiner Grundrechte zu tun, nicht nehmen. Aber ich habe keinen Anspruch darauf, irgendeine Leistung vom Staat zu bekommen, um mein Grundrecht ausüben zu dürfen.

Ach ja, bevor es unter den Tisch fällt: Ein Bildungs-Grundrecht gibt es im Grundgesetz sowieso nicht. Offensichtlich befinden sich unter den üblicherweise demonstrierenden Studenten keine Jura-Studenten. Oder zumindest keine besonders guten.
Soweit wir und im sogenannten Schutzbereich von (real existierenden) Grundrechten befinden, ist dieser Schutz aber auch noch nicht absolut. Sonst könnte man zum Beispiel eine Religion gründen, die all das erlaubt, was im deutschen Recht eigentlich verboten ist. Unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit wäre dann jedes Verbot ein Verstoß gegen das Grundgesetz. Und das kann ja nicht der Sinn der Sache sein, wenngleich es organisierter Religion sicher einen enormen Zulauf bescheren würde. Zulässig sind daher Eingriffe des Staates, die bestimmten formellen und inhaltlichen Maßstäben genügen.

Zunächst braucht man ein Gesetz. Und zwar ein Gesetz im engeren Sinne, das durch das Parlament verabschiedet wurde. Gesetze im weiteren Sinne, also zum Beispiel Verordnungen der Regierung, gemeindliche Satzungen, die Schulordnung oder andere Rechtsnormen genügen dafür nicht. Sie alle können zwar in Grundrechte eingreifen, aber nur quasi als „ausführendes Organ“, das sich auf eine entsprechende Erlaubnis durch Parlamentsgesetz stützt.

Aber auch ein solches formelles Gesetz darf nicht alles: Die Einschränkung eines Grundrechts darf nur aus einem vernünftigen Grund geschehen. Es ist verboten, den oben genannten Hammel unfachgemäß zu schlachten, weil der Tierschutz ein Ziel des Staates ist. Und ich darf in meinem Garten kein Feuerchen machen, weil das möglicherweise die Gesundheit und das Eigentum meiner Nachbarn beeinträchtigen würde. Der Staat darf es aber nicht einfach so verbieten, pinke Schuhe anzuziehen. Der modische Geschmack einer zivilisierten Gesellschaft reicht für diesen Freiheitseingriff als Grund leider nicht aus.

Nun mag mancher einwenden, wo es denn ein Grundrecht auf das Tragen pinker Schuhe gibt. Es ist richtig, ein solches Recht gibt es nicht. Aber es gibt Artikel 2 des Grundgesetzes. Dieses sieht ein Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit vor. Und darunter fällt jede denkbar menschliche Handlung. Man hätte das Grundrecht also auch mit den Worten „Jeder darf tun und lassen, was er will“ formulieren können. Das hat man aber nicht getan, weil das nicht so schön juristisch klingt. Immer, wenn der Staat uns irgendetwas vorschreiben will, greift er in die Entfaltung der Persönlichkeit ein und braucht daher ein Gesetz.

Haben Sie’s gemerkt? Nicht? Jetzt müsste Ihnen doch etwas komisch vorkommen. Wenn es im Artikel 2 ein wirklich allumfassendes Grundrecht gibt, wofür brauche ich dann noch spezielle Grundrechte? Wenn ich überhaupt schon alles tun darf, was meiner Persönlichkeit entspringt, warum darf ich darf religiöse oder wissenschaftliche Handlungen erst recht vornehmen? Der Grund ist, dass die allgemeine Handlungsfreiheit nach Artikel 2 einen deutlich geringeren Schutz bietet. Das Gesetz, das hierin eingreift, muss einfach nur irgendwie nachvollziehbar sein. Und es muss auch keine besonders exakte Festlegung des Eingriffs und seiner Voraussetzungen bieten.