Einbürgerung eines Syrers mit zwei Ehefrauen (Urteil des VGH Baden-Württemberg)

Der baden-württembergische Verwaltungsgerichtshof hat ein viel beachtetes Urteil gefällt, wonach mehrere nebeneinander bestehende Ehen der Einbürgerung eines syrischen Staatsangehörigen nicht entgegenstehen (Urteil vom 25.4.2017, 12 S 2216/14). Diese Polygamie verstoße nicht gegen das Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung und auch sonst gegen keine Voraussetzung für eine Einbürgerung.

Auf jura-medial.de wurde dieses lange und intensiv begründete Urteil nun erläutert:

Jura medial – Einbürgerung mit zwei Ehefrauen

Bayerische Staatsangehörigkeit im deutschen Personalausweis

BayernEine junge Frau hat das getan, wovon viele Bayern insgeheim träumen: Sie hat den Eintrag der deutschen Staatsbürgerschaft auf ihrem Personalausweis mit dem Vermerk „Bayern“ überklebt. Auf Facebook hat sie dafür sehr viel Zuspruch, aber auch einige warnende Hinweise bezüglich der Legalität dieses Aufklebers bekommen. So verständlich dieser Akt aus bayerisch-regionalistischer Sicht ist, stellt sich aus bundesdeutsch-bürokratischer Sicht natürlich sofort die Frage: Darf man das?

Urkundenfälschung (§ 267 StGB)

Zunächst könnte es sich dabei um eine Urkundenfälschung handeln. Auch ein Ausweis ist eine Urkunde, da es sich dabei um eine verkörperte Erklärung der ausstellenden Behörde handelt. Gefälscht ist eine Urkunde aber nicht etwa dann, wenn sie inhaltlich unrichtig ist. Es kommt darauf an, ob die Urkunde einen anderen Inhalt hat als den, den der Aussteller ihr gegeben hat. Anders gesagt: Ob tatsächlicher und scheinbarer Aussteller der Urkunde übereinstimmen oder nicht. „Bayerische Staatsangehörigkeit im deutschen Personalausweis“ weiterlesen

Popularklage zur bayerischen Staatsangehörigkeit

flag-1502678_640Der Bayer Michael Lindner wohnt derzeit in der Schweiz wohnt. Deswegen ist er nach bisheriger Rechtslage nicht zum bayerischen Landtag wahlberechtigt und auch nicht wählbar. Hiergegen hat er eine Popularklage zum Bayerischen Verfassungsgerichtshof eingereicht. Von diesem erhofft er sich
Die Feststellung der Verfassungswidrigkeit von Art. 22 Satz 1 LWG, insoweit für bayerische Staatsangehörige die Wählbarkeit zum Landtag örtlich gebunden ist.
Die Verpflichtung des Landtags auf Erlass eines Staatsangehörigkeitsgesetzes nach Art. 6 Abs. 3 BV.

Bayerische Staatsangehörigkeit existiert

Die Existenz der bayerischen Staatsangehörigkeit, die in Art. 6 der Verfassung festgeschrieben ist, ist ein Symbol bayerischen Selbstverständnisses. Der Freistaat ist eben nicht nur ein Bundesland unter vielen, sondern ein Staatswesen mit reicher Historie, das sich immer noch nicht ganz damit abgefunden hat, aufgrund geschichtlicher Zufälle nun Teil Deutschlands zu sein.

Für viele Bayern hat es einen hohen Stellenwert, dass sie nicht nur rein geographisch in Bayern wohnen, sondern eben auch Bayern sind. Trotzdem gibt es bis heute keine gesetzliche Festlegung dieser Staatsbürgerschaft. Die rechtliche Regelung ergibt sich nur aus der Verfassung, die mit kargen Worten besagt: „Popularklage zur bayerischen Staatsangehörigkeit“ weiterlesen

Bemerkungen zu BayVerfGH, 12.03.1986, Vf 23-VII-84

BayernIn seinem Urteil unter dem Aktenzeichen Vf 23-VII-84 hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof zur Frage Stellung genommen, welche rechtliche Bedeutung die bayerische Staatsangehörigkeit heute noch hat, insbesondere im Verhältnis zur deutschen Staatsbürgerschaft nach dem Grundgesetz. Heute möchten wir uns kritisch mit dieser Entscheidung auseinandersetzen:

Zunächst muss man konstatieren, dass dieses Urteil keine Sternstunde der bayerischen Verfassungsgerichtsbarkeit ist. Der Verfassungsgerichtshof hat das Vorbringen der Antragsteller (eine politische Jugendorganisation) erkennbar eher wenig ernst genommen. Durch das gesamte Urteil ziehen sich Ausführungen, die wenig juristische Argumentation oder gar Subsumtion erkennen lassen und sich stattdessen hauptsächlich mit Nützlichkeitserwägungen auseinandersetzen.

Schon der gewählte Weg, zum antragsabweisenden Urteil zu kommen, erscheint fragwürdig. Nicht die Begründetheit wurde untersucht, sondern es wurde bereits auf Zulässigkeitsebene konstatiert, dass „eine Verletzung dieser Verfassungsnormen von vornherein nicht möglich erscheint“, Absatz b). Zwar findet daran anschließend auch eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den vorgebrachten Argumenten statt, diese bleibt aber in vielerlei Hinsicht an der Oberfläche.

In Absatz bb) heißt es:

Durch Art. 6 BV ist die bayerische Staatsangehörigkeit als Institution wieder eingeführt worden. Unmittelbare Rechtsfolgen für den einzelnen Bürger ergeben sich daraus aber noch nicht. Art. 6 Abs. 1 BV nennt nur ganz allgemeine Voraussetzungen für den Erwerb der bayerischen Staatsangehörigkeit, wobei an herkömmliche Tatbestände des Staatsagehörigkeitsrechts angeknüpft wird (…). Eine konkrete Zuerkennung der bayerischen Staatsangehörigkeit an bestimmte Personen ist aber nicht möglich, solange das in Art. 6 Abs. 3 BV vorgesehene Gesetz über die bayerische Staatsangehörigkeit nicht erlassen ist.

Damit wird zum einen – was nach wie vor absolut herrschende Meinung in der Rechtsprechung ist – die Existenz der bayerischen Staatsangehörigkeit bestätigt. Die weiteren Ausführungen sind aber nur verständlich, wenn man zunächst klärt, was mit einer „konkreten Zuerkennung“ gemeint ist, die derzeit nicht möglich sei. Fasst man dies als Verleihung der Staatsbürgerschaft an bisherige Nichtbürger auf, wäre dem durchaus zuzustimmen: Niemand kann eingebürgert werden, solange nicht gesetzlich geregelt ist, unter welchen Voraussetzungen dies geschieht. Aber das meint das Urteil nicht – was allerdings erst später klar wird. Das Gericht ist vielmehr der Meinung, dass Artikel 6 insgesamt bedeutungslos ist, solange es kein Ausführungsgesetz gibt.

Die Erwerbstatbestände in Art. 6 Abs. 1 der Bayerischen Verfassung als „ganz allgemein“ bezeichnet und damit faktisch weggewischt. Nur über ein Ausführungsgesetz (nach Abs. 3) könnten sie zum Leben erweckt werden. Das wird dem Regelungsgehalt der Verfassung aber nicht gerecht. Zumindest die Kriterien Geburt, Legitimation (im heutigen Sprachgebrauch: Anerkennung der Vaterschaft) und Eheschließung sind aus sich selbst heraus verständlich, auch ohne erläuterndes Ausführungsgesetz. Diese Voraussetzungen mögen allgemein sein, sie sind aber eben auch – wie der BayVerfGH selbst feststellt – „herkömmlich“. Es sind also ganz übliche Gründe für das Erlangen einer Staatsangehörigkeit, die ganz übliche Rechtsbegriffe verwenden, die ohne Weiteres verständlich sind bzw. – soweit notwendig – nach ganz üblichen Gesichtspunkten interpretiert werden können. Die Vorstellung, dieser Absatz sei so unverständlich, dass man ihn nur mit Hilfe eines nähere Bestimmungen treffenden Gesetzes auslegen könne, ist jedenfalls nicht nachzuvollziehen.

Zwar geht auch das Grundgesetz in Art. 74 Nr. 8 davon aus, daß es besondere Regelungen über die Staatsangehörigkeit in den Ländern geben darf und daß diese, da der Bund auf diesem Gebiet der konkurrierenden Gesetzgebung noch nicht tätig geworden ist, von den Ländern erlassen werden können

Diese Grundgesetzbestimmung wurde zwischenzeitlich gestrichen. Nach der alten Rechtslage konnten die Länder die Länder-Staatsangehörigkeit selbst regeln, soweit es noch kein Bundesgesetz, welches auch tatsächlich nie erlassen wurde, gab (sog. konkurrierende Gesetzgebung). Mittlerweile wurde die Thematik aus dem GG ganz gestrichen, die Zuständigkeit liegt also ausschließlich bei den Ländern. Die Tatsache, dass das Grundgesetz eine Länder-Staatsangehörigkeit aber ursprünglich vorgesehen hat, zeigt, dass es sie offensichtlich geben muss.

Umso mehr verstört die Aussage des Verfassungsgerichtshofs:

Das Grundgesetz schließt es aber aus, daß der Kreis der Landesangehörigen insgesamt größer sein könnte als der Kreis der Deutschen (…). Es widerspräche dem Wesen des im Grundgesetz verankerten und ausgestalteten Bundesstaats, wenn es in den einzelnen Ländern Staatsbürger mit unterschiedlicher Rechtsstellung in bezug auf den Bundesstaat einerseits und auf das betreffende Land andererseits gäbe. Die staatsrechtliche Einordnung in den Bundesstaat ist für ein Land so umfassend, daß ihm eine Zweiteilung seiner Staatsbürger in solche, die zugleich Deutsche sind, und in andere, die nicht Deutsche sind, durch das Grundgesetz versagt ist.

Also darf der Freistaat zwar seine Staatsangehörigkeit regeln, er darf aber keine Bayern schaffen, die nicht zugleich Deutsche sind. Welchen Sinn dieses (einst ausdrücklich normierte, mittlerweile implizit zugestandene) Recht dann noch haben soll, beantwortet der VerfGH aber auch sogleich:

Ein Gesetz über die bayerische Staatsangehörigkeit dürfte nach alledem kraft höherrangiger Gebote des Grundgesetzes keine Nicht-Deutschen zu Bayern machen, sondern könnte nur eingrenzende Regelungen darüber enthalten, welche Deutschen im Sinn des Art. 116 Abs. 1 GG zugleich bayerische Staatsangehörige im Sinn von Art. 6 Abs. 1 BV sind und welche nicht.

Bayern dürfte damit nur Deutsche einbürgern, nicht aber bspw. Österreicher. Man muss den Richtern aber fast dankbar sein, dass sie schon in den nächsten Worten ihre eigene Rechtsauffassung in der Realität einordnen:

Rechtliche Auswirkungen eines solchen Gesetzes wären kaum denkbar, weil alle Rechte, die den bayerischen Staatsangehörigen zuerkannt würden – z.B. das Wahlrecht -, wegen Art. 8 BV, Art. 33 Abs. 1 GG allen anderen Deutschen unter den gleichen Voraussetzungen zustehen müßten.

Um das zu verstehen, muss man sich die drei Anwendungsfälle der bayerischen Staatsbürgerschaft und deren Auswirkungen ansehen:

  • Bayern, die auch Deutsche sind: Unproblematisch.
  • Deutsche, die keine Bayern sind, aber in Bayern leben: Unproblematisch, da sie über die genannten Verfassungsnormen den Bayerns gleichgestellt werden.
  • Bayern, die keine Deutschen sind: Darf es nicht geben.

Damit ist Artikel 6 der Bayerischen Verfassung praktisch vollständig ausgehebelt. In den ersten beiden Fällen hat sie deswegen keine Bedeutung, weil sich alle Rechte und Pflichten aus der deutschen Staatsbürgerschaft ergeben. Und im letzten Fall erlangt sie erst recht keine Bedeutung, weil Nicht-Deutsche keine Bayern werden dürfen. Damit hat der Verfassungsgerichtshof der Regierung und dem Landtag praktisch einen Freibrief ausgestellt, über die Verfassung hinwegzusehen, indem sie der bayerischen Staatsbürgerschaft jeden Anwendungsbereich entzogen hat. Der Staatsangehörigkeit in den Ländern ist damit der Boden entzogen.

Dass die Staatsangehörigkeit in den Ländern zu dieser Zeit sogar noch ausdrücklich im Grundgesetz geregelt war, hinderte den VerfGH nicht daran, sich auf eine ungeschriebene Einschränkung durch das Grundgesetz zu berufen:

Die staatsrechtliche Einordnung in den Bundesstaat ist für ein Land so umfassend, daß ihm eine Zweiteilung seiner Staatsbürger in solche, die zugleich Deutsche sind, und in andere, die nicht Deutsche sind, durch das Grundgesetz versagt ist.

Zu dieser Aussage müsste man konsequenterweise fragen: Wieso? Woraus soll sich das ergeben? Und mehr noch, warum geht das GG dann überhaupt von einer Staatsbürgerschaft der Länder aus? Auch der folgende Satz erhellt dies kaum bzw. macht einen noch ratloser:

Das bundesstaatliche Prinzip läßt es nicht zu, daß die Länder, deren Staatsgebiete insgesamt das Bundesstaatsgebiet bilden, in das Bundesvolk nur einen Teil ihres eigenen Staatsvolks einbringen.

Haben die Länder ihr Volk wirklich „in den Bund eingebracht“? Sind die Bürger Verfügungsmasse ihrer Heimatländer? Und warum kann jemand nicht Staatsbürger des Landes, aber nicht Staatsbürger des Bundes sein? Er kann ja auch Bewohner eines Landes (und des Bundes) sein, aber weder Staatsbürger des einen noch des anderen.

Es könnte also z.B. bayerische Staatsangehörige geben, die – weil sie nicht zugleich Deutsche wären – etwa von den bundesrechtlichen Grundrechte der Versammlungsfreiheit (Artl. 8 Abs. 1 GG), der Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG), der Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1 GG), der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) ausgeschlossen wären oder an das Ausland ausgeliefert werden dürften (Art. 16 Abs. 2 GG).

Und weil sie sich nicht versammeln dürften, darf es keine nicht-deutschen Bayern geben…?

Denn die Landesregierungen, die den Bundesrat bilden (Art. 50 und 51 Abs. 1 GG), die Mitglieder der Bundesversammlung, die den Landesparlamenten angehören (Art. 54 Abs. 3 GG) und die Landesminister, die an der Richterwahl mitwirken (Art. 95 Abs. 1 und Abs. 2 GG), sind nach Landesverfassungsrecht bestellte Organe. Im Gesetzgebungsverfahren des Bundes könnten dann Ausländer im Sinn des Bundesrechts, die aber zugleich Staatsangehörige eines Bundeslandes wären, mittelbar beim Erlaß bundesrechtlicher Regelungen mitwirken

Das Beispiel der Bundesversammlung ist schon falsch, da die von den Landtagen bestellten Mitglieder nicht auch Mitglied des Landtags sein müssen (so werden häufig Prominente entsendet) und im Übrigen das Bundespräsidentenwahlgesetz festlegt, dass sie Deutsche sein müssen.

Aber richtig, das wäre dann denkbar, dass Bayern, die keine Deutschen sind, bis zum Staatsminister aufsteigen können. Will der Bundesgesetzgeber diese von der Mitgliedschaft im Bundesrat ausschließen, muss er dies eben entsprechend regeln. Oder man schwenkt auf eine derivative Bundesbürgerschaft um, wie sie vor 1934 galt: Wer Landesbürger ist, ist automatisch Bundesbürger (bzw. war früher Reichsbürger). Dann ergäben sich die ganzen angeblichen Probleme nicht, aber die Staatsangehörigkeit wäre vollends in die Hände der Länder gelegt.

Man fragt sich aber auch, warum der Bundesgesetzgeber sein früheres Recht gemäß Art. 74 Nr. 8 GG (siehe oben), die Länderstaatsangehörigkeiten zu regeln, nie wahrgenommen hat, wenn doch derart gewichtige Nachteile drohen. Offensichtlich wurden diese Probleme nie als solche erkannt – da musste schon ausgerechnet der Bayerische Verfassungsgerichtshof in die Bresche springen und die Bundesrepublik vor schlimmstem Ungemach aus dem Freistaat bewahren.

Und auch, wenn man zu dem Schluss kommt, dass das Urteil vertretbar ist, stellt sich schon die Frage, ob es die Aufgabe eines bayerischen Verfassungsorgans ist, hier in vorauseilendem Gehorsam ein wesentliches und in der Verfassung festgelegtes Merkmal bayerischer Staatlichkeit derart gründlich zu eliminieren. Man könnte auch von einem Gericht erwarten, dass es sich hier eher auf die Seite des eigenen Staates schlägt und es dem Bund überlässt, gegen unerwünscht empfundene Auswirkungen vorzugehen. Stattdessen hat der BayVerfGH auf Interpretationsebene einen ganzen Artikel praktisch aus der Verfassung raus geurteilt.

Für die dafür verwendete juristische Technik ist das Textkonvolut unter cc) geradezu beispielhaft. Mit richtiggehendem Furor, ohne Absätze und ohne sauber getrennte juristische Argumente reiht das Gericht Befürchtungen, Warnungen und schwer nachvollziehbare Beispiele aneinander, die wirken, als wollten sie den Bund gegen innere Auflösung verteidigen. An vielen Stellen hat man das Gefühl, dass das Ergebnis einfach gar kein anderes sein konnte und die Richter die Worte gesucht haben, mit denen sie das in juristische Formen gießen konnten. Diese Worte haben sie aber, das darf man recht nüchtern konstatieren, nicht gefunden.

Insgesamt wird man also kaum annehmen können, dass dieses Urteil das letzte Wort in der Sache ist. Die Entscheidung lässt zu viele Fragen offen und es erscheint äußerst zweifelhaft, ob sie heute noch einmal so ergehen würde. Eine neue Klage mit denselben Argumenten, vielleicht etwas zielgenauer formuliert, unterfüttert mit neuen Gesichtspunkten angesichts der veränderten Verfassungs- und Europarechtslage und unmittelbar auf die Argumente der vorliegenden Entscheidung gerichtet, könnte durchaus Erfolg haben.

Bayerischer Verfassungsgerichtshof, 12.03.1986, Vf 23-VII-84

hammer-719062_640Urteil des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 12.03.1986

Aktenzeichen: BayVerfGH, Vf 23-VII-84

Fundstellen: VerfGH 39, 30; BayVBl 1986, 396; JZ 1986, 101; NJW 1986, 2820

Eine kritische Rezension dieses Urteils finden Sie ebenfalls auf dieser Homepage.


1. Art. 1 Abs. 1 des Landeswahlgesetzes und Art. 1 Abs. 1 des Gemeindewahlgesetzes verstoßen nicht dadurch gegen Art. 7 Abs. 2 und Art. 118 Abs. 1 BV, daß sie bei der Regelung der Wahlberechtigung nicht an eine besondere bayerische Staatsangehörigkeit, sondern an die Eigenschaft als Deutscher im Sinn des Art. 116 Abs. 1 GG anknüpfen.

2. Durch Art. 6 BV ist die Bayerische Staatsangehörigkeit als Institution wieder eingeführt worden. Eine konkrete Zuerkennung der bayerischen Staatsangehörigkeit an bestimmte Personen ist aber nicht möglich, solange das in Art. 6 Abs. 3 BV vorgesehene Gesetz über die bayerische Staatsangehörigkeit nicht erlassen ist.

3. Ein bayerisches Gesetz dürfte die bayerische Staatsangehörigkeit nicht Personen zuerkennen, die nicht zugleich Deutsche im Sinn des Grundgesetzes sind. Das im Grundgesetz verankerte bundesstaatliche Prinzip schließt es aus, daß der Kreis der Landesangehörigen insgesamt größer sein könnte als der Kreis der Deutschen.

4. Ein Gesetz über die bayerische Staatsangehörigkeit könnte nur eingrenzende Regelungen darüber enthalten, welche Deutschen im Sinn des Art. 116 Abs. 1 GG zugleich bayerische Staatsangehörige im Sinn des Art. 6 Abs. 1 BV sind und welche nicht.

Aus den Gründen:

(…)

IV. Die Popularklagen sind unzulässig.

(…)

3. Auch die von der Antragstellerin zu 2. erhobene Popularklage ist unzulässig.

a) Zu den prozessualen Voraussetzungen einer Popularklage gehört, daß der Antragsteller substantiiert angeben muß, inwiefern die angefochtene Rechtsvorschrift nach seiner Meinung in Widerspruch zu einer Grundrechtsnorm der Bayerischen Verfassung steht. Die Popularklage ist unzulässig, wenn die geltend gemachte Verletzung einer Grundrechtsnorm nach Sachlage von vornherein nicht möglich ist, weil der Schutzbereich des angeblich verletzten Grundrechts durch die angefochtene Rechtsvorschrift nicht berührt wird (ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs; vgl. Meder, RdNrn. 19 und 21 zu Art. 98 m.w.N.).

Eine substantiierte Grundrechtsrüge liegt schon dann nicht vor, wenn ein Antragsteller lediglich behauptet, daß die angefochtene Rechtsvorschrift nach seiner Auffassung gegen Grundrechtsnormen der Bayerischen Verfassung verstößt. Der Verfassungsgerichtshof muß anhand von substantiiert bezeichneten Tatsachen und Vorgängen beurteilen können, ob der Schutzbereich der bezeichneten Grundrechtsnormen berührt ist (vgl. VerfGH vom 10.12.1985, Vf. 24-VII-83, S. 16, und vom 21.2.1986, BayVBl. 1986, 298/299).

b) Die von der Antragstellerin als verletzt bezeichneten Verfassungsnormen (Art. 7 Abs. 2 und Art 118 Abs. 1 BV) verbürgen Grundrechte. Eine Verletzung dieser Verfassungsnormen erscheint jedoch von vornherein nicht möglich.

aa) Die angefochtenen Bestimmungen des Landeswahlgesetzes und des Gemeindewahlgesetzes knüpfen bei der Regelung der Wahlberechtigten an den Begriff des Deutschen im Sinn des Art. 116 Abs. 1 GG an. Die Antragstellerin zu 2. sieht darin einen Verstoß gegen Art. 7 Abs. 2 und Art. 118 Abs. 1 BV, weil sie davon ausgeht, daß mit den angefochtenen Regelungen ein Teil der bayerischen Staatsangehörigen vom Wahlrecht ausgeschlossen werde oder zumindest ausgeschlossen werden könnte. Sie hält es für denkbar, daß es bayerische Staatsangehörige und damit gemäß Art. 7 Abs. 2 BV wahlberechtigte bayerische Staatsbürger gebe oder auf Grund eines zu erlassenden Staatsangehörigkeitsgesetzes geben könnte, die nicht zugleich Deutsche im Sinn des Grundgesetzes sind. Diese Auffassung trifft nicht zu.

bb) Durch Art. 6 BV ist die bayerische Staatsangehörigkeit als Institution wieder eingeführt worden. Unmittelbare Rechtsfolgen für den einzelnen Bürger ergeben sich daraus aber noch nicht. Art. 6 Abs. 1 BV nennt nur ganz allgemeine Voraussetzungen für den Erwerb der bayerischen Staatsangehörigkeit, wobei an herkömmliche Tatbestände des Staatsagehörigkeitsrechts angeknüpft wird (vgl. Nawiasky/Leusser/Schweiger/Zacher, Die Verfassung des Freistaats Bayern, RdNr. 2 zu Art. 6). Eine konkrete Zuerkennung der bayerischen Staatsangehörigkeit an bestimmte Personen ist aber nicht möglich, solange das in Art. 6 Abs. 3 BV vorgesehene Gesetz über die bayerische Staatsangehörigkeit nicht erlassen ist. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits mehrfach entschieden hat, ist Art. 6 BV ohne ein solches Staatsangehörigkeitsgesetz nicht vollziehbar (VerfGH 12, 171/176 f. = BayVBl. 1960, 84/85; VerfGH vom 8.4.1970, Vf. 132-VI-69, S. 7; vgl. auch BayVGH, BayVBl. 1959, 59/60; Nawiasky/Leusser/Schweiger/Zacher, RdNr. 4 zu Art. 6; Tschira, BayVBl. 1955, 261 ff.; Schlund, Das Standesamt 1962, 314/316). Schon deshalb ist es nicht möglich, daß durch die angefochtenen Vorschriften bayerische Staatsangehörige vom Wahlrecht zum Landtag und zu den Gemeinderäten ausgeschlossen werden könnten.

cc) Aber auch mit der Argumentation, daß der Gesetzgeber zum Erlaß eines Gesetzes über die bayerische Staatsangehörigkeit verpflichtet sei und daß er bei Erlaß eines solches Gesetzes den Kreis der bayerischen Staatsangehörigen über den Kreis der Deutschen hinaus erweitern dürfte, kann ein möglicher Verstoß von Art. 1 Abs. 1 LWG und Art. 1 Abs. 1 GWG gegen Art, 7 ABs. 2 und Art, 118 Abs. 1 BV nicht dargetan werden.

Der Verfassungsgerichtshof hat in früheren Entscheidungen offengelassen, ob Art. 6 Abs. 3 BV eine Verpflichtung des Gesetzgebers zum Erlaß eines Staatsangehörigkeitsgesetzes begründet (vgl. vor allem VerfGH 18,79/82 m.w.N. = BayVBl. 1965, 378). Die Frage bedarf auch im vorliegenden Popularklageverfahren keiner abschließenden Entscheidung. Denn selbst wenn der Gesetzgeber zum Erlaß eines Gesetzes über die bayerische Staatsangehörigkeit verpflichtet wäre, dürfte er sie doch nicht Personen zuerkennen, die nicht zugleich Deutsche im Sinn des Grundgesetzes sind. Zwar geht auch das Grundgesetz in Art. 74 Nr. 8 davon aus, daß es besondere Regelungen über die Staatsangehörigkeit in den Ländern geben darf und daß diese, da der Bund auf diesem Gebiet der konkurrierenden Gesetzgebung noch nicht tätig geworden ist, von den Ländern erlassen werden können (Art. 70, 72 Abs. 1 GG; vgl. Maunz/Dürig, RdNrn. 119 ff. zu Art. 74; Tschria, BayVBl. 1955, 261/263). Das Grundgesetz schließt es aber aus, daß der Kreis der Landesangehörigen insgesamt größer sein könnte als der Kreis der Deutschen (vgl. Maunz in Maunz/Dürig, GG, RdNr. 121 zu Art. 74, Schätzel, Staatsangehörigkeit, in Neumann/Nipperdey/Scheuner, Die Grundrechte, 1954, 2. Band, S. 535/539; Hoffmann, Die Staatsangehörigkeit in den deutschen Bundesländern, AÖR Bd. 81 – 1956 -, S. 300/332/341, Schmellenkamp, Das Ausländerwahlrecht in der Bundesrepublik Deutschland unter besonderer Berücksichtigung der Rechtslage nach den Länderverfassungen, Diss. Köln, 1985, S. 58 ff.; Tschira, BayVBl. 1955, 261/263). Es widerspräche dem Wesen des im Grundgesetz verankerten und ausgestalteten Bundesstaats, wenn es in den einzelnen Ländern Staatsbürger mit unterschiedlicher Rechtsstellung in bezug auf den Bundesstaat einerseits und auf das betreffende Land andererseits gäbe. Die staatsrechtliche Einordnung in den Bundesstaat ist für ein Land so umfassend, daß ihm eine Zweiteilung seiner Staatsbürger in solche, die zugleich Deutsche sind, und in andere, die nicht Deutsche sind, durch das Grundgesetz versagt ist. Das bundesstaatliche Prinzip läßt es nicht zu, daß die Länder, deren Staatsgebiete insgesamt das Bundesstaatsgebiet bilden, in das Bundesvolk nur einen Teil ihres eigenen Staatsvolks einbringen. Wäre es anders, so führte das im Bundesstaat zu Konsequenzen, die bundesverfassungsrechtlich nicht hinnehmbar wären. Die Rechte und Pflichten, die nach dem Grundgesetz den Deutschen zustehen oder auferlegt sind, würden dann jeweils nur einen Teil der Staatsangehörigen eines Bundeslands erfassen. Es könnte also z.B. bayerische Staatsangehörige geben, die – weil sie nicht zugleich Deutsche wären – etwa von den bundesrechtlichen Grundrechte der Versammlungsfreiheit (Artl. 8 Abs. 1 GG), der Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG), der Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1 GG), der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) ausgeschlossen wären oder an das Ausland ausgeliefert werden dürften (Art. 16 Abs. 2 GG). Gleichzeitig hätten solche Landesangehörige, obwohl sie nicht zugleich Deutsche sind, dennoch das Recht, kraft ihrer Wahlberechtigung im Lande mittelbar an der Ausübung der Staatsgewalt im Bunde mitzuwirken. Das gälte etwa für den Bundesrat, für die Wahl des Bundespräsidenten durch di Bundesversammlung oder für die Wahl der Richter an den obersten Gerichtshöfen des Bundes. Denn die Landesregierungen, die den Bundesrat bilden (Art. 50 und 51 Abs. 1 GG), die Mitglieder der Bundesversammlung, die den Landesparlamenten angehören (Art. 54 Abs. 3 GG) und die Landesminister, die an der Richterwahl mitwirken (Art. 95 Abs. 1 und Abs. 2 GG), sind nach Landesverfassungsrecht bestellte Organe. Im Gesetzgebungsverfahren des Bundes könnten dann Ausländer im Sinn des Bundesrechts, die aber zugleich Staatsangehörige eines Bundeslandes wären, mittelbar beim Erlaß bundesrechtlicher Regelungen mitwirken, die z.B. nur Rechte und Pflichten für Deutsche begründen. Die Zahl der Beispiele solcher bundesstaatlich unauflösbarer Widersprüche ließe sich vermehren. Es wäre auch nicht zulässig, diese Widersprüche dadurch auszuräumen, daß nach Landesrecht die Zuerkennung der Staatsangehörigkeit im Lande gleichzeitig den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit mit sich brächte; denn die Staatsangehörigkeit im Bunde unterliegt der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes (Art. 73 Nr. 2 GG).

dd) Ein Gesetz über die bayerische Staatsangehörigkeit dürfte nach alledem kraft höherrangiger Gebote des Grundgesetzes keine Nicht-Deutschen zu Bayern machen, sondern könnte nur eingrenzende Regelungen darüber enthalten, welche Deutschen im Sinn des Art. 116 Abs. 1 GG zugleich bayerische Staatsangehörige im Sinn von Art. 6 Abs. 1 BV sind und welche nicht. Rechtliche Auswirkungen eines solchen Gesetzes wären kaum denkbar, weil alle Rechte, die den bayerischen Staatsangehörigen zuerkannt würden – z.B. das Wahlrecht -, wegen Art. 8 BV, Art. 33 Abs. 1 GG allen anderen Deutschen unter den gleichen Voraussetzungen zustehen müßten (vgl. Maunz/in Maunz/Dürig, GG, RdNr. 121 zu Art, 74). Die Regelungen der Bayerischen Verfassung von 1946 über die bayerische Staatsangehörigkeit haben mit der Einbeziehung Bayerns in die Bundesrepublik Deutschland an Bedeutung verloren.

c) Da keine zulässige Regelung der bayerischen Staatsangehörigkeit in der Weise denkbar ist, daß davon auch Personen erfaßt werden dürften, die nicht zugleich Deutsche im Sinn des Art. 116 Abs. 1 GG wären, können die angefochtenen Vorschriften nicht wegen der Anknüpfung an die Eigenschaft des Deutschen gegen Art. 7 Abs. 2 und Art. 118 Abs. 1 BV verstoßen. Das Fehlen eines Gesetzes über die bayerische Staatsangehörigkeit ist bei dieser Rechtslage keine entscheidungserhebliche Vorfrage im vorliegenden Verfahren. Daß der einzelne Bürger keinen Anspruch auf Erlaß eines solchen Gesetzes hat, hat der Verfassungsgerichtshof bereits entschieden (VerfGH 18, 79782 f. = BayVBl. 1965, 378).

Bayerische Staatsangehörigkeit: Wahlberechtigt oder nicht?

In einem halben Jahr wählt Bayern einen neuen Landtag. Da stellt sich die Frage, ob unser hypothetischer nur-bayerischer Staatsbürger eigentlich wählen darf.

Stimmberechtigt sind laut bayerischem Landeswahlgesetz grundsätzlich alle volljährigen Deutschen, die seit mindestens einem Vierteljahr in Bayern wohnen (Art. 1 Abs. 1 LWG). Nun ist der Beispielbürger aber ja gerade kein Deutscher mehr, sondern nur noch Bayer. (Zur Erinnerung: Auf die deutsche Staatsangehörigkeit wurde verzichtet, auf die bayerische nicht.) Damit wäre er also kein Deutscher und somit die erste Voraussetzung des Wahlgesetzes nicht erfüllt.

Nun stellt sich die Frage, wie diese Vorschrift zu lesen ist. (Übrigens heißt es „Deutscher im Sinn des Art. 116 Abs. 1 des Grundgesetzes“, damit sind auch Flüchtlinge aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg inbegriffen, die formell keine deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, aber trotzdem wie Deutsche behandelt werden müssen. Das spielt heute praktisch keine Rolle mehr.) Mit „Deutsche“ ist zunächst gemeint, dass nur Staatsbürger wählen dürfen. Ausländer sind nicht wahlberechtigt, auch keine EU-Bürger. Die Trennung zwischen Bayern und Nichtbayern geschieht nicht auf der Ebene der Staatsangehörigkeit, sondern erst auf derjenigen des Wohnsitzes. Dieser muss sich seit drei Monaten auf bayerischem Staatsgebiet befinden. Dass unser Beispielbürger noch immer in Bayern wohnt, vielleicht sogar seit Geburt ununterbrochen in Bayern gewohnt hat, reicht zwar für dieses Kriterium aus. Aber es ändert nichts daran, dass er die deutsche Staatsbürgerschaft nicht (mehr) besitzt. Er wurde bereits bei der Trennung zwischen Deutschen und Nichtdeutschen „ausgesiebt“ und den Nicht-Wahlberechtigten zugeordnet.

Allerdings ist nicht alles, was im Gesetz steht, auch automatisch gültig und wortwörtlich anwendbar. Auch das Gesetz muss sich an höherrangigem Recht messen lassen und das ist in dem Fall die Bayerische Verfassung. Art. 7 Abs. 2 sieht vor, dass sich die bayerischen Staatsbürger durch Wahlen und verschiedene Abstimmungen politisch äußern. Art. 13 Abs. 1 der Verfassung bezeichnet die Mitglieder des Landtags als die „Abgeordneten des bayerischen Volkes“. Insofern wäre es höchst undemokratisch, bayerische Bürger von der Landtagswahl auszuschließen.

Und es wäre auch systemwidrig. Denn Artikel 8 der Bayerischen Verfassung stellt Deutsche und Bayern in staatsbürgerlicher Hinsicht gleich:

Alle deutschen Staatsangehörigen, die in Bayern ihren Wohnsitz haben, besitzen die gleichen Rechte und haben die gleichen Pflichten wie die bayerischen Staatsangehörigen.

Und nachdem die Deutschen, unabhängig vom Besitz der bayerischen Staatsangehörigkeit, zweifellos das Wahlrecht nach dem LWG besitzen, wären die Nur-Bayern ihnen gegenüber diskriminiert, wenn sie nicht wählen dürften.

Eine verfassungskonforme Auslegung des Landeswahlgesetzes müsste also so lauten, dass die bayerischen Staatsbürger sowieso wahlberechtigt sind, auch, wenn sich dies nicht so deutlich aus dem Gesetz ergibt.

Ein derartiges Begehren würde aber mit einiger Sicherheit die beteiligten Wahlorgane vor ein erhebliches Dilemma stellen. Die bayerische Staatsangehörigkeit wird nirgends erfasst und es gibt wohl weder rechtliche noch tatsächliche Vorkehrungen, wie der Antrag eines bayerischen Staatsbürgers, doch wählen zu dürfen, zu behandeln wäre. Im Wählerverzeichnis steht er jedenfalls nicht, da dieses nach der (deutschen) Staatsangehörigkeit erstellt wird. Eine nachträgliche Eintragung (§ 13 Abs. 2 der Landeswahlordnung) geschieht nur für bestimmte Personengruppen, z. B. Beamte in Auslandstätigkeit und Strafgefangene.

Es scheint so, dass sich die Rechtswirklichkeit in Bayern ohne eine bayerische Staatsbürgerschaft eingerichtet hat.

Richtig ist, dass es aufgrund der verkümmerten Rechtslage zur bayerischen Staatsangehörigkeit keine Möglichkeit gibt, diese konkreten Personen zuzuerkennen, wie der Bayerische Verfassungsgerichtshof dereinst ausgeführt hat (Urteil vom 12. März 1986, Vf 23-VII-84). Aber wenigstens hat das Gericht die allgemeine Rechtsansicht, dass die bayerische Staatsbürgerschaft als Institution von Verfassung wegen existiert, bestätigt. Diese könne jedoch nur Deutschen die bayerische Staatsbürgerschaft verwehren, sie aber nicht Nicht-Deutschen zuerkennen.

An einen Fall wie den unsrigen wurde dabei jedenfalls bisher nicht gedacht. Wie dieser entschieden würde, bleibt also vorerst offen.

Bayerische Staatsangehörigkeit: Bayer, aber kein Deutscher?

Bekanntlich ist die deutsche Staatsbürgerschaft für alle Deutschen dieselbe. Es gab einmal Zeiten, in denen dies anders war und die deutsche Staatsangehörigkeit nur von den Staatsangehörigkeiten der Länder abgeleitet war. Man war also beispielsweise Sachse und daraus abgeleitet auch Deutscher. Seit nunmehr 80 Jahren besteht die aktuelle Regelung und es gibt eben nur diese eine deutsche (seit 1990: bundesdeutsche) Staatsangehörigkeit.

Das gilt aber nur für den Bund, denn nur die Staatsangehörigkeit im Bund ist gemäß Art. 73 Abs. 1 Nr. 2 des Grundgesetzes überhaupt vom Bund zu regeln. Daraus folgt denklogisch, dass es auch eine Staatsangehörigkeit der Länder gibt. Eine solche sieht z. B. Bayern in Artikel 6 seiner Verfassung vor:

(1) Die Staatsangehörigkeit wird erworben
1. durch Geburt;
2. durch Legitimation;
3. durch Eheschließung;
4. durch Einbürgerung.

(2) Die Staatsangehörigkeit kann nicht aberkannt werden.

(3) Das Nähere regelt ein Gesetz über die Staatsangehörigkeit.

In der Praxis spielt diese Staatsangehörigkeit keine Rolle, da gemäß Art. 8 der Bayerischen Verfassung und Art. 33 Abs. 1 des Grundgesetzes alle Deutschen in Bayern gleich zu behandeln sind. Darum hat man sich auch nicht lange aufgehalten, das Ausführungsgesetz nach Abs. 3 zu verabschieden, das das „Nähere über die Staatsangehörigkeit“ regelt. Damit ist es sehr schwierig, die bayerische Staatsangehörigkeit in der Praxis zu behandeln, da ziemlich unklar bleibt, wie und nach welchem Verfahren sie erworben und verloren wird. Nach absolut herrschender Meinung ändert das jedoch nichts daran, dass es eine bayerische Staatsangehörigkeit gemäß Verfassung gibt.

Wer also z. B. als Tochter bayerischer Eltern in Bayern geboren wird, ist Bayerin. Es mag einige Zweifelsfälle geben, vor allem, wenn sich die Staatsbürgerschaft nicht bis auf Vorfahren zurückführen lässt, die vor 1934 noch die „echte“ bayerische Staatsbürgerschaft besaßen. Mangels Relevanz gibt es auch nicht viele Gerichtsurteile, die diese feine Trennlinie herausarbeiten konnten. Aber im Großen und Ganzen dürfte schon klar sein, wer Bayer ist und wer nicht.

In dem Zusammenhang stellt sich aber eine interessante Frage, die auch praktische Bedeutung erlangen könnte: Kann man Bayer sein, ohne Deutscher zu sein?

Der Schreiber dieser Zeilen wurde in den 1970er Jahren in Niederbayern geboren. Seine Eltern lebten seit Geburt in Niederbayern, ebenso die Großelterngeneration. Die Urgroßeltern stammten größtenteils aus Niederbayern, ein Urgroßvater aus Oberbayern, eine Urgroßmutter aus Mittelfranken. Sie alle waren bayerische Staatsbürger. Ohne vernünftigen Zweifel bin damit auch ich selbst Bayer nach Art. 6 Abs. 1 Nr. 1 der Verfassung („durch Geburt“).

Die deutsche Staatsbürgerschaft habe ich über § 3 Abs. 1 Nr. 1 und § 4 des Staatsangehörigkeitsgesetzes (das bis zum Anfang dieses Jahrtausends noch völlig anachronistisch „Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz“, RuStAG hieß) ebenfalls noch am ersten Lebenstag erhalten und besitze sie noch immer.

Ich könnte die deutsche Staatszugehörigkeit aber ablegen, wenn ich das wollen würde (§ 26 StAG). Das geht zwar nur, wenn ich mehrere Staatsbürgerschaften besäße. Die bayerische nehmen wir hier mal raus, um die Dinge nicht zu verkomplizieren; aber tun wir so als hätte ich daneben noch die österreichische Staatsbürgerschaft, weil ich mich irgendwann einmal (juristisch einwandfrei) hätte einbürgern lassen.

Was passiert dann mit meiner bayerischen Staatsbürgerschaft?

Möglicherweise ist mein Verzicht auf die bayerische Staatsbürgerschaft im Verzicht auf die deutsche schlüssig enthalten. Dahinter müsste man ein großes Fragezeichen setzen, denn so ohne Weiteres wird dieser Wille sicher nicht klar. Wenn ich in die (verpflichtend schriftliche, § 26 Abs. 1 Satz 2 StAG) Erklärung ausdrücklich hinzufüge „Dieser Verzicht erstreckt sich nicht auf die bayerische Staatsangehörigkeit gemäß Art. 6 BV“, dann bleibt für eine anderweitige Auslegung keinerlei Spielraum mehr.

Unter Umständen verliert man mit der deutschen automatisch auch die bayerische Staatsbürgerschaft. Das könnte das bayerische Staatsangehörigkeitsgesetz freilich so anordnen; aber ein solches gibt es ja gerade nicht. Daher bleibt es bei der Regelung des Art. 6 Abs. 2 der Bayerischen Verfassung, dass die bayerische Staatsangehörigkeit nicht aberkannt werden kann. Damit ist auch untersagt, sie demjenigen zu entziehen, der kein Deutscher sein mag.

In meinem Beispiel wäre ich also Bayer und Österreicher, aber kein Deutscher mehr.

In welchen Konstellationen dies von Bedeutung wäre, werde ich mit dem nächsten Beitrag ansprechen.