Popularklage zur bayerischen Staatsangehörigkeit

flag-1502678_640Der Bayer Michael Lindner wohnt derzeit in der Schweiz wohnt. Deswegen ist er nach bisheriger Rechtslage nicht zum bayerischen Landtag wahlberechtigt und auch nicht wählbar. Hiergegen hat er eine Popularklage zum Bayerischen Verfassungsgerichtshof eingereicht. Von diesem erhofft er sich
Die Feststellung der Verfassungswidrigkeit von Art. 22 Satz 1 LWG, insoweit für bayerische Staatsangehörige die Wählbarkeit zum Landtag örtlich gebunden ist.
Die Verpflichtung des Landtags auf Erlass eines Staatsangehörigkeitsgesetzes nach Art. 6 Abs. 3 BV.

Bayerische Staatsangehörigkeit existiert

Die Existenz der bayerischen Staatsangehörigkeit, die in Art. 6 der Verfassung festgeschrieben ist, ist ein Symbol bayerischen Selbstverständnisses. Der Freistaat ist eben nicht nur ein Bundesland unter vielen, sondern ein Staatswesen mit reicher Historie, das sich immer noch nicht ganz damit abgefunden hat, aufgrund geschichtlicher Zufälle nun Teil Deutschlands zu sein.

Für viele Bayern hat es einen hohen Stellenwert, dass sie nicht nur rein geographisch in Bayern wohnen, sondern eben auch Bayern sind. Trotzdem gibt es bis heute keine gesetzliche Festlegung dieser Staatsbürgerschaft. Die rechtliche Regelung ergibt sich nur aus der Verfassung, die mit kargen Worten besagt:

Art. 6

(1) Die Staatsangehörigkeit wird erworben
1. durch Geburt;
2. durch Legitimation;
3. durch Eheschließung;
4. durch Einbürgerung.

(2) Die Staatsangehörigkeit kann nicht aberkannt werden.

(3) Das Nähere regelt ein Gesetz über die Staatsangehörigkeit.

Das Gesetz gemäß Abs. 3 ist, wie gesagt, niemals erlassen worden. Das bedeutet nach herrschender Meinung aber nicht, dass es die bayerische Staatsbürgerschaft deswegen gar nicht geben würde. Es gibt sie aber nur in dem Umfang, in dem die Verfassung sie unzweifelhaft vorsieht. Bayer ist danach also jedenfalls, wer als Kind von Bayern geboren wird (Nr. 1) oder einen Bayern heiratet (Nr. 3).

Wahlrecht ist uneinheitlich geregelt

Die bedeutendste Folge der Staatsbürgerschaft ist bekanntlich das Wahlrecht. Auch das Wahlrecht ist in der Verfassung geregelt:

  • Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BV besagt, dass „alle wahlberechtigten Staatsbürger“ die Landtagsabgeordneten wählen. Dieser Satz sagt nicht viel aus, denn es wird ja nicht definiert, wer wahlberechtigter Staatsbürger ist.
  • Art. 14 Abs. 2 BV erklärt alle „wahlfähigen“ Staatsbürger, die mindestens 18 Jahre alt sind, auch für wählbar. Sollte also das Wahlalter irgendwann bspw. auf 16 sinken, müsste man trotzdem weiterhin mindestens 18 sein, um kandidieren zu dürfen. Der Begriff „wahlfähig“ wirft hier gewisse Fragen auf – bedeutet er das Gleiche wie „wahlberechtigt“?
  • Art. 8 erklärt zudem, dass alle Deutschen in Bayern die gleichen Rechte wie Staatsbürger haben, sie sind also auch wahlberechtigt und wählbar.
  • Gemäß Art. 14 Abs. 5 soll sich das Nähere aus dem Landeswahlgesetz ergeben. „Das Nähere“ ist in dem Falle in erster Linie, wer denn nun wahlberechtigt ist.

Das Landeswahlgesetz (Art. 1) definiert das Wahlrecht nun wiederum ganz anders:

(1) Stimmberechtigt (…) sind alle Deutschen im Sinn des Art. 116 Abs. 1 des Grundgesetzes, die (…)
1. das 18. Lebensjahr vollendet haben,
2. seit mindestens drei Monaten in Bayern ihre Wohnung, bei mehreren Wohnungen ihre Hauptwohnung, haben oder sich sonst in Bayern gewöhnlich aufhalten,
3. nicht nach Art. 2 vom Stimmrecht ausgeschlossen sind.

Hier kommt also der Begriff des Staatsbürgers gar nicht mehr vor. Das Wahlrecht liegt nicht bei den Bayern, es liegt bei den Deutschen. Die individuelle Wahlberechtigung ist dann daran gebunden, dass man seit mindestens drei Monaten in Bayern wohnt.

munich-1220977_640Ist das Landeswahlgesetz verfassungswidrig?

Die Frage ist nun, ob diese Regelung verfassungsgemäß ist. Sie ist dann verfassungswidrig, wenn sie Personen, die nach der bayerischen Verfassung wahlberechtigt wären, das Wahlrecht nicht zuerkennt. Das wiederum wirft die Frage auf, ob die Verfassung es verbietet, das Wahlrecht eines Staatsbürgers daran zu knüpfen, dass dieser seit mindestens drei Monaten in Bayern wohnt.

Das wiederum hängt mit der Frage zusammen, wer eigentlich Bayer ist. Denn ohne die genannte Einschränkung wäre in Art. 1 Abs. 1 Nr. 2 LWG wären ja alle zig Millionen Deutschen in Bayern wahlberechtigt. Das sollen aber nur die sein, die eine gewisse Verbindung zu Bayern aufweisen.

Eine solche Einschränkung ist aber bei bayerischen Staatsbürgern nicht notwendig. Deren Beziehung zu Bayern ist ja bereits durch ihre Staatsangehörigkeit gegeben. Daher ist eben entscheidend, ob diese „Residenzpflicht“ von den eigenen Bürgern auch verlangt werden kann.

Wahlrecht hat unmittelbaren Verfassungsbezug

Daran sieht man: „Das Nähere“ ist ein eher schwammiger Begriff. Und man muss ihn mit äußerster Vorsicht betrachten, wenn es um eine integrale Rechtsnorm wie das Wahlgesetz geht. Dieses hat einen sehr starken, fast unmittelbaren Verfassungsbezug. Zu groß ist die Gefahr, dass eine einmal bestehende Landtagsmehrheit sich ihr eigenes Wahlgesetz strickt. Denn wer festlegt, wer wählen darf, legt damit auch fest, wer aller Voraussicht nach gewählt wird.

Wenn man aber davon ausgeht, dass das Wahlrecht der bayerischen Staatsbürger nicht einschränkbar ist, dann muss auch die Frage, wer Staatsbürger ist, umfassend geklärt werden. Es braucht dann eben ein Staatsangehörigkeitsgesetz, das die vagen Vorgaben der Bayerischen Verfassung konkretisiert. Dieses Staatsangehörigkeitsgesetz muss aber seinerseits wieder verfassungskonform sein, darf also den Kreis der Staatsbürger nicht beliebig einschränken.

Normerlassklage ist umstritten

In der Popularklage wird daher auch verlangt, dass der Landtag verpflichtet wird, ein solches Gesetz zu erlassen. Diese Konstellation bezeichnet man als Normerlassklage, da eben nicht – wie meistens – die Rechtswidrigkeit einer bestehenden Rechtsnorm gerügt wird, sondern der Erlass einer bislang nicht bestehenden Norm verlangt wird.

Normerlassklagen sind grundsätzlich nicht erfolgversprechend, da sie einen Eingriff in die Zuständigkeit des Normgebers darstellen. Dieser – hier der Landtag als legislatives Verfassungsorgan – würde durch das Gericht dazu verpflichtet, seine Kompetenzen in einer bestimmten Weise wahrzunehmen. Das widerspricht aber der Gewaltenteilung: Die Gerichte sollen die anderen Staatsorgane kontrollieren und ihre Handlungen notfalls unterbinden, ihnen aber nicht vorschreiben, was sie zu tun haben.

bavaria-63268_640Das könnte hier aber anders sein. Denn es geht gar nicht um eine inhaltliche Ausgestaltung der Norm, sondern vielmehr darum, dass eine bestimmte Norm überhaupt erlassen werden soll. Wie genau dies geschieht, bleibt dem Landtag im Rahmen der Vorgaben der Verfassung überlassen. Der Landtag wird nur dazu aufgefordert, seiner verfassungsmäßigen Pflicht nachzukommen.

Wie immer, wenn man etwas vom Staat verlangt, braucht man dafür auch eine subjektive Rechtsposition. Es muss also einen Rechtsgrund geben, aus dem man die gewünschte staatliche Handlung fordern kann. Das wäre hier wiederum der Fall, wenn eine Person, die eigentlich bayerischer Staatsbürger sein müsste, nicht unter die Kategorie der in Bayern lebenden Deutschen fällt.

Wie müsste das Staatsangehörigkeitsgesetz aussehen?

Wer von Bayern abstammt und in Bayern geboren ist, wäre unabhängig von der konkreten Ausgestaltung der Staatsangehörigkeitsgesetzes mit Sicherheit ein Bayer. Ein Gesetz, das diese Menschen nicht zu Bayern erklären würde, wäre kaum denkbar und wahrscheinlich auch verfassungswidrig. Insofern wäre ein Ausführungsgesetz aber auch nicht unbedingt notwendig, da sich das Bürgerrecht unmittelbar aus der Verfassung ergeben würde.

Gleichzeitig wird jedes Staatsbürgerschaftsgesetz aber auch die Möglichkeit der Einbürgerung vorsehen müssen – die Verfassung spricht dies ja ausdrücklich an. Allerdings kann sich dieser Erwerb nicht unmittelbar aus der Verfassung ergeben, da der Erwerbstatbestand nicht näher ausgeführt wird: Gemäß Art. 6 Abs. 1 Nr. 4 BV wird die Staatsbürgerschaft durch Einbürgerung erworben; wann man eingebürgert wird, steht aber weder in der Verfassung noch im (bislang ja nicht existenten) bayerischen Staatsangehörigkeitsgesetz.

bavaria-911714_640VerfGH-Entscheidung bleibt abzuwarten

Wie der Verfassungsgerichtshof diese zahlreichen Konflikte entscheiden wird, lässt sich kaum absehen. Denkbar wäre natürlich, dass er den einfachen Weg geht, seine bisherige – etwas enttäuschende – Rechtsprechung bestätigt und es auch für zulässig erklärt, das Wahlrecht nur an die deutsche Staatsbürgerschaft und den Aufenthalt in Bayern knüpft.

Gehen die Richter aber etwas tiefer und nehmen sie den Verfassungsauftrag an den Gesetzgeber ernst, entstehen auf einmal zahlreiche neue Streitfragen und Probleme, von denen in diesem Text sicher nicht alle gestriffen wurden. Wenn diese Fragen nicht nur des bayerischen Rechts, sondern auch des bayerischen Selbstverständnisses durch die Popularklage mehr Aufmerksamkeit bekommen, hat sich Herr Lindner ohne Zweifel um unsere Verfassung verdient gemacht.

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