Lebenslänglich für einen Auto-Unfall?

police-1667146_640Das Berliner „Raser-Urteil“ sorgt für Aufsehen. Tatsächlich wurde ein Unfallfahrer für einen tödlichen Verkehrsunfall wegen vorsätzlicher Tötung, genauer gesagt wegen Mordes verurteilt. Das Strafmaß ist damit zwingend lebenslange Freiheitsstrafe.

Gericht bejaht Tötungsvorsatz

Bemerkenswert ist zunächst, dass das Gericht von einer vorsätzlichen Tat ausgegangen ist. Vorsatz bedeutet nicht nur absichtliche oder wissentliche Tatbegehung, sondern liegt auch vor, wenn man die Tatfolge (hier die Tötung eines anderen Menschen) billigend in Kauf nimmt. „Lebenslänglich für einen Auto-Unfall?“ weiterlesen

Regensburgs Oberbürgermeister Wolbergs verhaftet

businessman-432662_640Was erst nur als Mutmaßungen durch Medien ging, hat die Staatsanwaltschaft nun bestätigt: Der Regensburger Oberbürgermeister Joachim Wolbergs (SPD) wurde heute verhaftet. Ihm wird Bestechung vorgeworfen. Konkret geht es darum, dass Immobilienunternehmer für bestimmte Entscheidungen des OBs hunderttausende Euro an einen Ortsverein der SPD Regensburg gespendet haben sollen. Die monatelangen Ermittlungen haben nun ihren vorläufigen Höhepunkt gefunden.

Das wirft einige Fragen auf:

Genießen Politiker nicht Immunität?

Nein, so pauschal kann man das nicht sagen. Auf kommunaler Ebene gibt es keine Immunität vor Strafverfolgung.

Auch die Bundestags- und Landtagsabgeordneten, die prinzipiell nicht strafrechtlich verfolgt werden dürfen, können sich noch lange nicht alles erlauben. Ihre Immunität kann durch das Parlament, dem sie angehören, für ein bestimmtes Ermittlungsverfahren aufgehoben werden. Dies geschieht bei privaten Verfehlungen auch fast automatisch (z.B. Fall Edathy). Lediglich die Verfolgung aus rein politischen Gründen soll durch die Immunität verhindert werden – wie so vieles eine Lehre aus der NS-Machtergreifung.

Warum wurde nun Haftbefehl erlassen?

Haftgründe sind grundsätzlich nur die Fluchtgefahr und – was hier höchstwahrscheinlich angenommen wurde – die Verdunklungsgefahr, § 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO. Diese liegt immer dann vor, wenn man davon ausgeht, dass der Beschuldigte seine Freiheit während des Ermittlungsverfahrens nutzen könnte, um Beweismittel verschwinden zu lassen oder sich mit Zeugen abzusprechen.

handcuffs-308897_640Deutet die Verhaftung darauf hin, dass sich die Vorwürfe erhärtet haben?

Grundsätzlich muss neben einem Haftgrund auch noch ein dringender Tatverdacht vorliegen. Das ist der Fall, wenn nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis aufgrund bestimmter Tatsachen die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass sich der Beschuldigte strafbar gemacht hat.

Allerdings wird in Wirtschaftsstrafsachen teilweise gemutmaßt, dass die Untersuchungshaft auch als Ermittlungsmaßnahme eingesetzt wird: Gerade in solchen Verfahren sind die Beschuldigten häufig keine erfahrenen Straftäter, sondern ganz durchschnittliche Menschen mit bürgerlicher Existenz. Für diese ist die Haft eine ganz neue Erfahrung, die einen immensen Einschnitt bedeutet. Und der leichteste Weg, aus der Haft wegen Verdunklungsgefahr herauszukommen, ist ein umfassendes Geständnis.

Wie lange bleibt Herr Wollbergs nun in U-Haft?

Das lässt sich nicht sagen. Häufig werden Haftbefehle schon nach wenigen Stunden wieder außer Vollzug gesetzt, zum Beispiel nach Anordnung bestimmter sichernder Auflagen (§ 116 StPO) oder gegen Kaution (Sicherheitsleistung, § 116a StPO).

Theoretisch denkbar wäre aber auch, dass die Untersuchungshaft bis zur Hauptverhandlung oder ggf. bis zum Antritt einer rechtskräftig verhängten Freiheitsstrafe dauert.

Sein Anwalt wird aber mit Sicherheit versuchen, eine möglichst schnelle Entlassung herbeizuführen.

Welche Straftat wird hier genau angenommen?

Die Vorwurf soll angeblich Bestechlichkeit lauten. Bestechlichkeit bedeutet, dass man einen Vorteil dafür annimmt, dass man eine pflichtwidrige Handlung vornimmt. Das StGB unterscheidet dabei zwischen der Bestechlichkeit von Parlamentsmitgliedern (§ 108e), im geschäftlichen verkehr (§ 299), im Gesundheitswesen (§ 299a), von Amtsträgern (§ 332 Abs. 1) und von Richtern (§ 332 Abs. 2).

Davon abgrenzen muss man die Vorteilsannahme (§ 331). Auch hier bekommt man Geld für eine Handlung, allerdings war diese Handlung rechtmäßig. Die Vorteilsannahme ist deswegen strafbar, weil man auch in diesem Fall einen „bösen Schein“ vermeiden will.

Mit welchem Strafmaß muss man hier rechnen?

Das lässt sich noch überhaupt nicht sagen. Es kommt darauf an, welcher exakte Tatbestand überhaupt vorliegen könnte. So sind Zahlungen im Wahlkampf ggf. anders zu behandeln als während seiner Amtszeit. Die Staatsanwaltschaft wird alle Vorwürfe noch intensiv in tatsächlich und rechtlicher Hinsicht prüfen müssen – bzw. sie hat das wahrscheinlich noch teilweise getan, nur weiß die Öffentlichkeit noch nichts Näheres dazu.

court-1238226_640Selbstverständlich ist auch weiterhin ein kompletter Freispruch möglich.

Darf Herr Wolbergs weiterhin OB von Regensburg bleiben?

Ja, auch hier gilt grundsätzlich die Unschuldsvermutung. Es wäre auch kaum rechtsstaatlich, wenn man Amtsträger einfach „wegverhaften“ könnte. Solange er aus der U-Haft seinen Amtsgeschäften nicht nachgehen kann, vertritt ihn zunächst der zweite Bürgermeister (Art. 39 Abs. 1 Satz 1 der Bayerischen Gemeindeordnung).

Aus seinem kommunalen Wahlbeamtenverhältnis wird er gemäß Art. 15 Abs. 3 KWBG, wenn er die Wählbarkeit für sein Amt verliert. Das wäre gemäß Art. 39 Abs. 2 des Gemeinde- und Landkreiswahlgesetzes der Fall, wenn er sich nach rechtskräftigem Urteil in Strafhaft (also nicht nur Untersuchungshaft) befindet.

Aber auch als freier Mann könnte er das Amt verlieren: Das Gericht kann ihm die Wählbarkeit aberkennen, wenn er wegen Bestechlichkeit zu einer Freiheitsstrafe von wenigstens sechs Monaten – auch auf Bewährung – verurteilt wird.

Wie die Sache ausgeht, wird prominent berichtet werden, nicht nur in den bayerischen Medien. Man kann davon ausgehen, dass sich auch der Anwalt von Herrn Wolbergs in Kürze zu Wort melden wird. Als Strafverteidiger kann ich aber nur immer wieder betonen: Ein Ermittlungsverfahren ist kein Schuldspruch. Das gilt auch nach einem Haftbefehl noch.

Rentner sucht im Müll nach Essen und wird verurteilt

garbage-1308138_640Viel Unverständnis schlägt derzeit einem Urteil des Amtsgerichts Mühldorf entgegen: Ein Rentner hatte an einem Sonntag vor ziemlich genau einem Jahr das Gelände eines Supermarkts in Neumarkt-St. Veit betreten, um in den dortigen Abfallcontainern nach Essbarem zu suchen. Dafür muss der 78-Jährige, der unter Demenz im frühesten Stadium leidet, nun eine Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 10 Euro zahlen.

Verurteilt wurde er aber – so kann man es zumindest dem Pressebericht des Oberbayerischen Volksblatts entnehmen – nicht wegen Diebstahls, sondern wegen Hausfriedensbruchs.

Ist das überhaupt Hausfriedensbruch, wenn man in kein Haus eindringt?

Ja, der offizielle Titel dieses Straftatbestands ist hier ungenau. § 123 Abs. 1 StGB stellt es unter Strafe, wenn man „in die Wohnung, in die Geschäftsräume oder in das befriedete Besitztum eines anderen oder in abgeschlossene Räume“. Ein befriedetes Besitztum liegt immer dann vor, wenn es zumindest eine gewisse Umgrenzung gibt, auch dann, wenn diese durch ein Tor, eine Einfahrt o.ä. unterbrochen wird. Nicht notwendig ist eine geschlossene oder gar unüberwindliche Absperrung.

Warum wurde er nicht wegen Diebstahls verurteilt?

Zumindest ein versuchter Diebstahl dürfte ohne Weiteres vorliegen. Auch weggeworfene Waren sind nicht „herrenlos“, sodass sie sich jeder nehmen dürfte. In der Mülltonne gehören sie in der Regel noch dem vorherigen Eigentümer, der sie dann dem Abfallbetrieb übereignen will. Daran ändern auch soziale Notlagen und berechtigte Kritik an Lebensmittelverschwendung nicht,

Aus dem genannten Artikel ist zu entnehmen, dass der Supermarkt auch wegen Diebstahls Strafantrag gestellt hat. Ob dieser Vorwurf dann auch Gegenstand des Urteils war und nur vom Journalisten nicht mehr extra erwähnt wurde oder ob das Verfahren vielleicht insoweit eingestellt wurde, lässt sich nicht sagen.

Muss er ins Gefängnis, wenn er die Geldstrafe nicht zahlen kann?

Der Verurteilte lebt nach eigenen Aussagen von 200 Euro im Monat. Wie er davon dann in absehbarer Zeit so viel Geld sparen soll, dass er die 200 Euro, zu denen er verurteilt wurde, bezahlen kann, ist schwer vorstellbar.

Prinzipiell sieht das Strafgesetzbuch in § 43 vor, dass an die Stelle einer uneinbringlichen Geldstrafe eine Freiheitsstrafe (hier von 20 Tagen) tritt. Da die Geldstrafe aber vor allem im heutigen Strafrecht verhindern will, dass Menschen wegen kleinerer Kriminalität eingesperrt werden, weicht Art. 293 EGStGB hiervon ab und ermöglicht es, stattdessen gemeinnützige „freie Arbeit“ zu verrichten. Ob und in welcher Form das bei einem 78-Jährigen mit gesundheitlichen Problemen eine Möglichkeit darstellt, ist dann die nächste Frage.

Gibt es denn nichts Wichtigeres für den Staat als sich um sowas zu kümmern?

Normalerweise dürften weder Staatsanwaltschaft noch Gericht ein besonderes Interesse daran haben, solche eher kleine Kriminalität zu verfolgen. Auch der Staatsanwalt in der Hauptverhandlung hat den Vorwurf als „Bagatelle“ bezeichnet.

Allerdings hatte der Angeklagte hier schon mehr als 20 Vorstrafen aufzuweisen. Vielleicht hat auch sein Verhalten in der Hauptverhandlung dazu geführt, dass er nun formell verurteilt wurde und das Gericht das Verfahren nicht einfach eingestellt hat. Er soll demonstrativ gesagt haben: „Ich hör‘ eh nix. Mein Hörgerät liegt daheim.“

Ob man diese, sicher einiges Fingerspitzengefühl erfordernde Entscheidung der Staatsanwaltschaft genauso gefällt hätte, muss jeder selbst überlegen. Dazu kommt aber noch das, worauf ich hier immer wieder hinweise: Wir kennen alle die Akten nicht.

„Vorbereitung eines Angriffskriegs“ verschwindet aus dem Strafgesetzbuch

§ 80 des Strafgesetzbuches lautet:

Wer einen Angriffskrieg (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes), an dem die Bundesrepublik Deutschland beteiligt sein soll, vorbereitet und dadurch die Gefahr eines Krieges für die Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bestraft.

fighter-jet-1013_640Besser gesagt: So lautete dieser Paragraph. Denn seit dem Silvesterabend gibt es ihn nicht mehr.

Was bedeutet das nun? Ist es seit gestern legal, in Deutschland Angriffskriege vorzubereiten? Soll hier irgendeiner militärischen Intervention der Weg geebnet werden?

Nein, in keiner Weise.

Denn was vorher in § 80 StGB stand, findet sich nun § 13 des Völkerstrafgesetzbuches (VStGB). Das dortige „Verbrechen der Aggression“ ist identisch mit dem bisherigen Angriffskrieg. Die Strafbarkeit wurde sogar noch etwas ausgeweitet, da nicht nur formelle Angriffskriege, sondern auch sonstige völkerrechtswidrige Angriffshandlungen unter Strafe stehen.

Diese Auslagerung kriegsbezogener Tatbestände ins VStGB ist übrigens nichts Neues: So wird bspw. der Völkermord seit 2002 in § 6 VStGB geregelt, während er vorher in § 220a StGB stand.

Ermittlungsverfahren „Fatih“: Einstellung durch die Staatsanwaltschaft Köln

Auf Facebook macht derzeit eine anonymisierte Einstellungsverfügung durch die Staatsanwaltschaft Köln die Runde. Diese wird weitestgehend mit Unverständnis kommentiert – darum erkläre ich heute kurz, worum es dabei gehen könnte.

Aus dem Schriftstück geht nicht unmittelbar hervor, welche Straftat das Verfahren zum Gegenstand hatte. Einer Frau Schröder wird mitgeteilt, dass das Ermittlungsverfahren wegen eines nicht genannten Vorwurfs gegen einen Beschuldigten mit dem Vornamen Fatih (der Nachname ist abgedeckt) eingestellt wurde. Der Satz „Die verursachten Verletzungen sind relativ gering“ lässt jedenfalls den Schluss zu, dass es um eine Körperverletzung ging.

Allerdings dürfte es keine normale, also „einfache“ oder gar fahrlässige Körperverletzung sein. Denn das Verfahren wurde „mit Zustimmung des zuständigen Amtsgerichts gemäß § 153 Abs. 1 der Strafprozessordnung eingestellt“. Die Zustimmung des Gerichts ist bei leichten Körperverletzungen nämlich nicht notwendig, hier kann gemäß § 153 Abs. 1 Satz 2 StPO die Staatsanwaltschaft alleine entscheiden. Die gefährliche Körperverletzung (meist unter Verwendung einer Waffe oder eines gefährlichen Werkzeugs) ist dagegen im Mindestmaß mit sechs Monaten Freiheitsstrafe bedroht, daher muss das Gericht einer Einstellung stets zustimmen. Ein Raub mit Verletzungsfolgen oder eine schwere Körperverletzung scheiden dagegen aus, da es sich hierbei um Verbrechen handelt – eine Einstellung nach § 153 gibt es aber nur bei Vergehen.

Diese Verfahrenseinstellung bedeutet, dass das Verfahren nicht weiter betrieben wird. Es wird zu den Akten gelegt, es erfolgt keine Anklage und dementsprechend auch keine Bestrafung. Dafür muss der Beschuldigte überhaupt nichts tun, insbesondere auch keine Geldbuße zahlen oder Sozialstunden verrichten – das gibt es nur bei einer Einstellung gegen Auflagen gemäß § 153a StPO. Eine Entscheidung über Schuld oder Unschuld erfolgt nicht.

Dieses Vorgehen ist nichts Außergewöhnliches, sondern sehr häufig. Eine immense Zahl von Strafverfahren (auch wegen Gewaltdelikten) wird mittlerweile von den Staatsanwaltschaften eingestellt. Dabei gibt es im Wesentlichen drei verschiedene Arten der Einstellung, die man ganz grob charakterisieren kann:

  • § 170 Abs. 2 StPO. Die Staatsanwaltschaft geht selbst davon aus, dass sich der Beschuldigte eher nicht strafbar gemacht hat und eine Verurteilung unwahrscheinlich ist.
  • § 153 StPO. Die Staatsanwaltschaft denkt zwar, dass „etwas dran sein“ könnte, sieht aber sogar dann eine geringe Schuld als gegeben an.
  • § 153a StPO. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Beschuldigte verurteilt würde und keine ganz geringe Schuld vorliegt. Die bestehende Schuld kann aber dadurch ausgeglichen werden, dass die erwähnten Auflagen (eben Geldbuße oder Sozialstunden, ggf. auch eine Therapie oder die Zahlung von Schmerzensgeld) angeordnet werden. Dann kann auf eine formelle gerichtliche Verurteilung verzichtet werden.

Gerade auch bei Körperverletzungen, die aus einem Streit heraus passiert sind, stellt man oft gegen alle Beteiligten nach § 153 StPO ein. Denn hier lässt sich oft nicht mehr klären, wer nun angefangen hat und wer sich nur gewehrt hat. Niemand ist hinreichend verdächtig, um nach § 153a einzustellen oder gar anzuklagen – aber es ist auch niemand offensichtlich unschuldig.

Von einer solchen Konstellation ist hier aber keine Rede. Argumente für die Einstellung waren vielmehr:

  • „Der Beschuldigte ist bisher strafrechtlich nicht einschlägig in Erscheinung getreten.“ Gegen den Beschuldigten wurde also zuvor noch nie wegen einer anderen Körperverletzung ermittelt. Dass er aber schon wegen anderer Arten von Straftaten (z.B. wegen Diebstahls) verdächtig war, könnte man aus der Einschränkung „einschlägig“ schließen. Vielleicht ist das aber auch nur eine Standardformulierung dieser Staatsanwältin, die keine Aussage über den speziellen Fall erlaubt.
  • „Es kann erwartet werden, dass der Beschuldigte durch das bisherige Verfahren hinreichend beeindruckt und gewarnt ist.“ Das unterstellt, dass der vermeintliche Täter allein die Tatsache, dass er Beschuldigter staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen war, als abschreckend empfand, sodass er nie wieder in diese missliche Situation kommen will. Ob man die berechtigte Erwartung dieses Effekts empirisch bestätigen kann, lässt sich wohl nicht so ganz feststellen – der eine oder andere mag die Einstellung vielleicht auch eher als Bestätigung verstehen.
  • „Die verursachten Verletzungen sind relativ gering.“ Die Schwere der Tatfolgen ist natürlich ein entscheidender Faktor für deren rechtliche Bewertung. Auch die einfache Körperverletzung geht von kaum spürbaren Stößen über blaue Flecken bis hin zu Knochenbrüchen und Organschädigungen. Welche Verletzungen hier vorlagen, ist völlig unbekannt. Nicht unproblematisch ist freilich, dass das Opfer sich dadurch oft nicht ernstgenommen vorkommt. Das meint die Staatsanwalt zwar nicht so, aber diese Formulierung wird häufig als ein „Sei froh, es hätte schlimmer kommen können“ angesehen.
  • „Es bestehen zudem Bedenken hinsichtlich der Schuldfähigkeit.“ Das deutsche StGB beinhaltet ein Schuldstrafrecht: Wer nicht schuldfähig ist, also nicht weiß, dass er gerade etwas Verbotenes tut, kann nicht bestraft werden (§ 20 StGB). Wer nur eingeschränkt schuldfähig ist, also das Unrecht seiner Tat erkennt, aber darauf nicht den klaren Blick eines normalen Menschen hat, wird milder bestraft (§ 21). Diese Formulierung der StA klingt danach, dass eine eingeschränkte Schuldfähigkeit sicher ist und eine völlig fehlende Schuldfähigkeit zumindest nicht ausschließbar ist. Bei einer Verurteilung wäre also allenfalls eine geringe Strafe zu erwarten, sodass man auch gleich darauf verzichten kann.
  • „Unter diesen Umständen wäre das Verschulden als gering anzusehen. Ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht in diesem Falle nicht.“ Dies ist kein eigenes Argument für die Einstellung, sondern vielmehr die Schlussfolgerung aus den vier genannten Argumenten. Es wird einfach nur der Wortlaut des § 153 Abs. 1 Satz 1 (am Ende) StPO abgeschrieben, um zu demonstrieren, dass dessen Voraussetzungen als erfüllt erachtet wurden. Die Formulierung „wäre anzusehen“ verdeutlicht noch einmal, dass keine Feststellung über die Schuld getroffen wird, sondern die Schuld nicht geklärt ist, sie aber sogar dann gering wäre, wenn sich die unbelegten Verdachtsmomente bewahrheiten würden.

Tragen diese Gründe nun die Einstellung?

Schon. Eine Einstellung des Verfahrens ist ohne Weiteres vertretbar. Allein die Tatsachen, dass es keine einschlägigen Vorverfahren gab und die Verletzungen im unteren Bereich blieben, rechtfertigen die Entscheidung. Außerdem muss man der sachbearbeitenden Staatsanwältin immer zubilligen, dass sie die Akte und alle Gesichtspunkte kannte, während wir nur einen einfachen Abdruck der Endentscheidung sehen.

Etwas seltsam mutet jedoch die Kombination der beiden anderen Argumente an: Die „Beeindruckung und Warnung“ ist eine Standardbegründung, die nicht auf den Beschuldigten individuell zugeschnitten wurde, sondern regelmäßig verwendet wird. Aber kann man denn von dieser Wirkung auch bei einem eingeschränkt Schuldfähigen ausgehen? Bei dieser Personengruppe ist das normale Strafrecht oft schon relativ hilflos. Aber wer Probleme hat, Richtig und Falsch zu unterscheiden und das Unrecht einer Körperverletzung einzusehen, soll den Ernst eines Ermittlungsverfahrens begreifen? Denkbar wäre freilich, dass die Schuldunfähigkeit hier nur momentan und alkoholbedingt war – wobei man auch dann eine gewisse Sanktionierung durchaus für sinnvoll halten kann.

Was kann das Opfer der Straftat nun tun?

Nicht viel. Zwar sieht die StPO grundsätzlich vor, dass der Verletzte zunächst Beschwerde gegen die Einstellung einlegen (§ 172 Abs. 1) und gegen eine Ablehnung der Beschwerde das Oberlandesgericht anrufen kann (§ 172 Abs. 2 Satz 1).

Dies gilt aber gerade bei Einstellungen nach § 153 StPO nicht, wie aus § 172 Abs. 2 Satz 2 hervorgeht. Das Ermessen der Staatsanwaltschaft soll damit der Nachprüfung durch die Gerichte (und auch, obwohl der Gesetzestext missverständlich formuliert ist, durch den vorgesetzten Staatsanwaltschaft) entzogen sein.

Möglich ist freilich immer eine Gegenvorstellung, dass man also der Staatsanwaltschaft mitteilt, dass man diese Entscheidung für falsch hält, um erneute Eröffnung des Verfahrens bittet und noch einige Gründen hinterherschickt. Besonders hoch sind die Chancen freilich nicht, da man selten noch irgendein schlagendes Argument kennt, das dem Staatsanwalt bislang verborgen geblieben ist. Auch eine Dienstaufsichtsbeschwerde ist stets möglich – diese ist aber, wie der juristische Volksmund weiß, „formlos, fristlos und fruchtlos“.

Offen bleibt, wie oben schon angedeutet wurde, der Zivilrechtsweg. Als Opfer einer Straftat hat man auch außerhalb des Strafverfahrens Rechte; man kann insbesondere Schadenersatz und Schmerzensgeld einklagen. Nur: Wie viele Schläger haben verfügen über Vermögen oder pfändbares Einkommen? Die wenigsten Gewalttäter (Ausnahmen bestätigen freilich die Regel) leben außerhalb ihrer Prügelexzesse eine bürgerliche Existenz.

Das ist nicht befriedigend, aber das ist die Realität.

Eine Frage drängt sich freilich zwangsläufig auf:

Ist das Schreiben echt?

Es gibt zumindest keine offensichtlichen Fehler oder Formulierungen, die in irgendeiner Weise seltsam wirken. In der Regel wird in der Einstellungsverfügung noch darauf hingewiesen, dass zivilrechtliche Ansprüche (Schadenersatz, Schmerzensgeld) davon unberührt bleiben, dies ist aber nicht zwingend.

Tötung in Notwehr – Verurteilung wegen Waffenbesitzes

gun-1678989_640Ein Juwelier in Moers hat sich mit einer Schusswaffe gegen einen Überfall gewehrt. Dabei wurde ein Räuber getötet, ein anderer erlitt einen Handdurchschuss. Nun wurde der Juwelier per Strafbefehl verurteilt – wegen unerlaubten Waffenbesitzes zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten auf Bewährung.

Dies wirft einige Fragen auf:

Warum wurde er nicht wegen Mordes verurteilt?

Rein objektiv liegen ein Totschlag und eine gefährliche Körperverletzung vor. Diese begangenen Straftaten sind aber nicht rechtswidrig, weil der Juwelier in Notwehr gehandelt hat. Er durfte sein Eigentum mit Gewalt verteidigen. Die Notwehr legalisiert eine eigentlich begangene Straftat, der „Täter“ kann also nicht verurteilt werden, weil er nichts Verbotenes tut.

Warum wurde er dann wegen unerlaubten Waffenbesitzes verurteilt?

Weil er diese Tat nun einmal begangen hat. Das deutsche Waffengesetz ist äußerst rigide und erlaubt den Besitz von Schusswaffen gar nicht bzw. nur mit behördlicher Genehmigung. Wer trotzdem eine Schusswaffe besitzt, macht sich nach § 52 Abs. 1 Nr. 1 des Waffengesetzes strafbar. Der Strafrahmen geht von sechs Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe.

Dabei ist es völlig egal, ob der Täter diese Waffe überhaupt benutzt hat, denn strafbar ist der Besitz. Dass er sie dann nur zur Notwehr eingesetzt hat, ändert am Besitz nichts. Beide Handlungen muss man völlig unabhängig voneinander sehen.

Durfte er die Waffe dann überhaupt zur Notwehr verwenden?

Ja, auf jeden Fall. Die Notwehrhandlung wird nur daran gemessen, ob sie erforderlich und (so zumindest die Meinung der Rechtsprechung) geboten war. Ob das Notwehrmittel an sich legal war, ist dabei nicht relevant.

Man kann also mit einer Waffe, die man gar nicht besitzen durfte, eine rechtmäßige Notwehrhandlung ausüben, wenn die Voraussetzungen der Notwehr vorliegen. Umgekehrt kann die Verwendung einer legalen Waffe im konkreten Fall illegal sein, wenn kein Notwehrtatbestand gegeben war.

Rücktritt nach sechs Messerstichen

psycho-29041_640Die Berliner Zeitung berichtet von einem offensichtlichen versuchten Tötungsverbrechen, das trotzdem nicht als solches behandelt wird. Ein Mann hatte angeblich seine Frau zunächst mit sechs Messerstichen in den Oberkörper erheblich verletzt. Anschließend informierte er die Wohnungsnachbarn über die Tat und floh. Seine Frau konnte gerettet werden und liegt nun im Koma. Die Staatsanwaltschaft geht nun, so der Bericht, davon aus, dass sich der Täter unter Umständen nicht des versuchten Totschlags schuldig gemacht hat, da ein Rücktritt von der Tat vorliegen könnte.

Zunächst muss man freilich konstatieren, dass es sich sehr wohl um ein versuchtes Tötungsdelikt (Totschlag oder Mord) handelt. Wer einem anderen sechsmal in den Oberkörper sticht, will diesen entweder töten oder er nimmt es zumindest billigend in Kauf.

red-cross-538878_640Nur könnte hier eben der Strafbefreiungsgrund des Rücktritts vom Versuch gegeben sein. Das ist – grob gesagt, Details unten – der Fall, wenn der Täter es bewusst beim Versuch belässt und er die Tat gar nicht mehr zu Ende führen will. Der Grund für diese gesetzliche Regelung (§ 24 StGB) ist in erster Linie der Opferschutz: Auch als Laie weiß man, dass man für einen versuchten Totschlag mehrere Jahre Freiheitsstrafe zu erwarten hat. Dann kann man die Tat doch auch gleich durchziehen, dann muss man nur etwas länger ins Gefängnis – unter Umständen beseitigt man so auch den Zeugen und geht völlig straffrei aus. Die Möglichkeit des Rücktritts eröffnet dem Täter daher einen Ausweg.

Ob und wie ein Rücktritt möglich ist, ist stark von der Situation und der Sicht des Täters abhängig. Da die Informationen für den vorliegenden echten Fall zu karg sind, nehmen wir lieber eine ähnliche Konstellation: Der Täter schießt in Tötungsabsicht auf sein Opfer, trifft dieses jedoch nur im Bauchraum. Das Opfer geht zu Boden und blutet.

Nun kommt es drauf an:

  • Der Täter geht davon aus, dass er die Tat überhaupt nicht mehr vollenden kann. Das Opfer wird überleben, egal, was er jetzt tut. Für eine Tötung wären erhebliche neue Vorkehrungen notwendig, er müsste sich bspw. eine neue Waffe beschaffen.
    Dann gibt es keinen Rücktritt mehr. Denn in dem Fall ist der Versuch fehlgeschlagen, ein Rücktritt wäre nicht mehr freiwillig. In dieser Situation gibt es keinen Grund mehr, den Täter zu privilegieren, denn er tritt ja nicht zurück, sondern erkennt einfach nur die Realität an. Auch das Opfer bedarf keines Schutzes mehr, denn es ist schon außer Gefahr.
    Das scheidet, sofern der Täter nicht nur mit einer einzigen Patrone am Tatort war, ziemlich sicher aus.
  • Der Täter geht davon aus, dass er die Tat ohne Weiteres vollenden könnte. Nach einem zweiten, nun etwas gezielteren Schuss wäre das Opfer in kürzester Zeit tot. Vom ersten Schuss wurde es aber nicht so schwer getroffen, dass Lebensgefahr besteht. Es war nur ein Streifschuss, die Blutung wird bald stoppen.
    Der Versuch ist hier nicht fehlgeschlagen. Außerdem ist er unbeendet, da der Täter noch weiter handeln müsste, um die Vollendung herbeizuführen, also das Opfer zu töten. In dem Fall reicht es gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1, erste Alternative, wenn er die Tatausführung einfach aufgibt, also nichts mehr tut.
  • Der Täter geht wieder davon aus, dass er die Tat ohne Weiteres vollenden könnte. Allerdings ist der Schuss tief in den Bauchraum eingedrungen, die Blutung ist stark und es wurden möglicherweise Organe getroffen. Ohne ärztliche Versorgung wird das Opfer wahrscheinlich sterben.
    Hier ist der Versuch beendet, denn der Täter hat alles Notwendige getan, um den Tod des Opfers zu verursachen. Damit kann es nicht reichen, dass der Täter einfach auf einen zweiten Schuss „verzichtet“ und weggeht – denn dann würde ja der Tod eintreten und der mit den Rücktrittsvorschriften bezweckte Opferschutz auf der Strecke bleiben. Daher sieht § 24 Abs. 1 Satz 1, zweite Alternative, dafür die Verhinderung der Vollendung vor. Der Täter muss also durch aktives Tun dafür sorgen, dass das Opfer gerettet wird. Das kann durch eigenes Hilfeleisten geschehen, aber auch durch Alarmierung des Rettungsdienstes oder anderer Personen.

Angemerkt werden muss aber noch Folgendes: All das gilt nur für den Tötungsversuch. Die gefährliche Körperverletzung ist vollendet und von dieser kann er nicht mehr zurücktreten, deswegen wird er also auf jeden Fall verurteilt. Sollte das Opfer doch noch sterben, bleibt auch insoweit für den Rücktritt kein Platz mehr und der Täter ist wegen Totschlags oder Mordes strafbar. Die Rettungsversuche können dann allenfalls bei der Strafzumessung berücksichtigt werden.

Insofern ist es keineswegs so, dass die Rücktrittsvorschriften dem Täter einen „Freischuss“ einräumen und er immer noch straflos bleiben kann, wenn er es sich anders überlegt. Denn das Risiko, dass er die Tat vollendet oder sie ohne Vollendung fehlgeschlagen ist, nimmt ihm niemand ab.

Vince Ebert, das Recht und die Zeitmaschine

hourglass-620397_640Vince Ebert ist nicht nur diplomierter Physiker, sondern auch eine der wenigen Stimmen der Vernunft im ziemlich trostlosen deutschen Kabarett. In seinem Artikel über Zeitreisen auf Spektrum.de hat er einige nicht bierernst gemeinte, aber trotzdem recht interessante juristische Fragen aufgeworfen, denen wir uns heute widmen wollen.

Unabhängig von rein physikalischen Schwierigkeiten und dem eingangs erwähnten Vaterparadoxon, ergeben sich bei Zeitreisen in die Vergangenheit eine Reihe ethischer Probleme.

Das Bestehen von ethischen bzw. juristischen Problemen ist absolut richtig. Die deutschen Gesetze beschäftigen sich derzeit wenig, man möchte fast sagen: gar nicht, mit Zeitreisen. Das allein ist aber kein Hindernis. Ein gut formuliertes Gesetz ist grundsätzlich für technische und gesellschaftliche Neuerungen offen, man es allenfalls auslegen. Die Verfasser des BGB haben nie daran gedacht, dass irgendwann einmal ein Vertrag per WhatsApp-Chat geschlossen werden könnte, trotzdem kann man die allgemeinen Regeln auch in solchen Fällen anwenden.

Darf man zum Beispiel einen Zeitreisenden wegen Körperverletzung anklagen, wenn er seinem jüngeren Ich eins auf die Glocke gibt?

Eine Körperverletzung begeht gemäß § 223 Abs. 1 StGB, „wer eine andere Person körperlich misshandelt oder an der Gesundheit schädigt“. Jemand anderen zu schlagen, ist zweifellos eine Misshandlung und Gesundheitsschädigung, es ist geradezu das Paradebeispiel einer Körperverletzung.

fist-424499_640Die Frage ist: Ist in diesem Szenario überhaupt eine „andere Person“ betroffen? Wird keine „andere Person“ verletzt, ist es jedenfalls keine Körperverletzung. Sich selbst darf man in aller Regel so übel zurichten wie man will. Ist also ein Zeitreisender, der auf die Vergangenheitsausgabe seiner selbst trifft, ein anderer Mensch als der, den er vor sich hat?

Von außen gesehen ist das eigentlich so. Für einen Betrachter stehen da zwei Menschen, die sich vielleicht etwas ähnlich sehen, die aber trotzdem klar unterscheidbar sind. Dass beide derselbe Mensch sein sollen und sich dieser Mensch gerade selbst schlägt, wird er kaum annehmen.

Aber sind wir derselbe Mensch, egal ob als Kind oder als Greis? „That’s a problem for future Homer. Man, I don’t envy that guy!“ meinte Homer Simpson einmal. Der Witz funktioniert nur, weil jeder weiß: Ich bin ich. Ich war ich und ich werde ich sein. Daher ist auch das zukünftige Ich, das in die Zeit des vergangenen Ichs reist, das gleiche Ich – und damit keine andere Person.

time-853746_640Das Ganze funktioniert auch in einem ganz normalen Szenario ohne Zeitreisen: Wenn ich heute in der Früh eine Bananenschale in meine Küche gelegt habe und gleich darauf ausrutsche, dann ist das nicht nur ein grandioser Gag, sondern auch eine (fahrlässige) Körperverletzung. Und wer hat die nun gegen wen begangen? Ich gegen mich selbst, sodass ich mich nur ärgern und niemanden zur Rechenschaft ziehen kann? Oder mein früheres Ich gegen mein jetziges Ich? Wenn man Letzteres annähme, was sollten dann die Folgen davon sein? Müsste mein früheres Ich meinem jetzigen Ich Schadenersatz aus meinem jetzigen Vermögen zahlen?

Der Mensch ist im Recht eine kontinuierliche Person, kein Sammelposten unterschiedlicher, aufeinander folgender Personen. Ansonsten wäre es ja auch sinnlos, jemanden für frühere Handlungen zur Rechenschaft zu ziehen oder sich für die Zukunft vertraglich zu binden. An diesem Kontinuum würden auch Zeitreisen nichts ändern.

Kann er wegen Bigamie verurteilt werden, wenn er in der Vergangenheit eine Frau heiratet, obwohl seine andere Frau erst in 20 Jahren auf die Welt kommen wird?

Wegen Doppelehe macht sich strafbar, wer verheiratet ist und mit einer dritten Person eine Ehe schließt (§ 172 Satz 1 StGB); das gleiche gilt natürlich auch für Lebenspartnerschaften.

wedding-458139_640Die Tat wird also im Zeitpunkt der zweiten Eheschließung begangen. Und da ist schon das Problem: Welche ist die zweite Eheschließung, wenn jemand im Jahr 2075 geheiratet hat, dann ins Jahr 2050 zurückreist und dort nochmal heiratet? Eine chronologische Betrachtungsweise scheidet hier völlig aus.

Wenn wir die Ehe des Jahres 2050 betrachten, dann müssen wir uns fragen, ob der Bräutigam hier bereits verheiratet ist. Die Antwort ist wiederum nicht so leicht: Ja, er ist verheiratet, denn er hat ja schon einmal geheiratet. Und nein, er ist nicht verheiratet, da die Ehe ja erst 2075 beginnen wird. Ob die 2050 geschlossene Ehe im Jahr 2075 noch besteht, weiß aber niemand. Sie könnte bis dahin geschieden worden sein oder die Braut könnte zwischenzeitlich sterben. (Oder der Bräutigam stirbt, bevor er seine Zeitreise antritt, was wiederum viele, viele Probleme nach sich ziehen würde, an die man nicht einmal denken will.) Insofern kommen sich die beiden Ehen nicht unbedingt in die Quere – und § 172 will ja nicht mehrere Ehen nacheinander verbieten, sondern nur mehrere gleichzeitig.

Bei der 2075er-Hochzeit dagegen wusste der Bräutigam ja gar nicht, dass er vor 25 Jahren schon einmal geheiratet hat bzw. dass er vor 25 Jahren schon einmal geheiratet haben wird – auch die deutsche Grammatik ist auf Zeitreisen noch nicht ganz vorbereitet. Insofern macht er sich also zumindest mangels Vorsatzes nicht strafbar.

Eine andere Frage wäre natürlich, was zivilrechtlich mit diesen Ehen passiert. § 1306 BGB besagt, dass ein Verheirateter nicht noch einmal heiraten kann – wenn er es dennoch tut, ist die Ehe aber trotzdem gültig, sie kann lediglich aufgehoben werden (§ 1314). Welche von beiden Ehen des Zeitreisenden dann aufgehoben werden müsste, wird die Rechtswissenschaft entscheiden müssen, wenn das Problem wirklich mal eingetreten ist. That’s a problem for future Bundesgerichtshof. Man, I don’t envy those guys!

Wie soll der Gesetzgeber reagieren, wenn er erfährt, dass ein Mann in der Gegenwart eine Frau geheiratet hat, die sich in der Vergangenheit als seine Tochter entpuppt?

Die Frage ist wohl noch am leichtesten zu klären. Auch braucht es dafür nicht den Gesetzgeber.

Denn § 1307 BGB sieht vor, dass Ehen nicht zwischen Verwandten geschlossen werden dürfen. Ansonsten sind auch diese Ehen wiederum nach § 1314 aufhebbar. Nicht entscheidend ist dafür, ob die Verwandtschaft im Moment der Hochzeit schon bekannt war. Sogar, wenn die Verwandtschaft erst nachträglich entsteht, weil z.B. die Frau ihren Mann adoptiert (warum auch immer man das machen sollte), wird die Ehe dadurch aufhebbar. An dem Ergebnis ändert sich also auch nichts, wenn eine Verwandtschaft erst nach größeren Anstrengungen (einschließlich einer Zeitreise) zu Tage tritt.

Resümee

Wir sehen wieder einmal: Das Recht lässt sich nicht so leicht erschüttern. Die Juristen sind einfach auf alles vorbereitet, was da kommen mag. Dass wir, wie Herr Ebert moniert, im Urlaub in den Odenwald reisen und nicht zu den alten Ägyptern, liegt einzig und allein daran, dass die Physiker mit ihrer Arbeit nicht weiter kommen.

Steinmeier: Darf der Außenminister Bundespräsident werden?

Schloss Bellevue Steinmeier BundespräsidentWährend in den USA um die 250 Millionen Wahlberechtigte mitbestimmen konnten, wer Präsident wird, geht man hierzulande kein Risiko ein und lässt bekanntlich einen kleinen Zirkel von Parteivorsitzenden den neuen Hausherrn in Schloss Bellevue aussuchen, deren Wunschkandidat dann von der Bundesversammlung in feierlichem Zeremoniell als Bundespräsident abgesegnet wird.

Nachdem die Entscheidung für Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) verkündet wurde, gab es gleich eine gewisse Skepsis, die vor allem auf Facebook verbreitet wurde: Darf der Außenminister als Regierungsmitglied Bundespräsident werden?

Die Basis dafür liegt in Art. 55 Abs. 1 des Grundgesetzes. Die Vorschrift besagt:

Der Bundespräsident darf weder der Regierung noch einer gesetzgebenden Körperschaft des Bundes oder eines Landes angehören.

Der Bundesaußenminister gehört aber unzweifelhaft der Regierung des Bundes an, ist also scheinbar nicht wählbar.

Art. 55 GG gilt erst ab Amtsantritt

Das übersieht aber, dass er derzeit noch gar nicht Bundespräsident ist. Art. 55 GG ist erst dann anwendbar, wenn er sein Amt angetreten hat. Ab diesem Moment darf er nicht mehr Außenminister sein, da diese Ämter eben inkompatibel sind. Darüber, wer als Bundespräsident vorgeschlagen werden darf, sagt das Grundgesetz nichts. Die Vereinbarung von ein paar Parteifunktionären hat auch keinerlei verfassungsrechtliche (wohl aber politische) Bedeutung. Man kann sich sicher sein, dass Herr Steinmeier vor der Wahl bereits sein Amt niedergelegt haben wird, sodass das Problem nicht mehr besteht.

Art. 55 GG sagt auch nichts darüber, dass der Bundespräsident vorher keines dieser Ämter ausgeübt haben darf. Ansonsten wäre es auch ziemlich schwierig, überhaupt jemanden zu finden, der wählbar ist. Denn Abs. 2 verbietet ihm dann auch noch, ein anderes Amt, ein Gewerbe, einen Beruf sowie einen Vorstands- oder Aufsichtsratsposten in einem Unternehmen auszuüben.

Unterzeichnet Steinmeier dann seine eigenen Gesetze?

Nun wird dagegen mit gewissem Recht eingewandt, dass er als Außenminister gemäß Art. 76 Abs. 1 GG durchaus für Gesetzesvorlagen der Bundesregierung verantwortlich sein kann, die er dann (nachdem sie den zeitraubenden Prozess durch die Gesetzgebungsorgane gegangen sind) selbst als neugewählter Bundespräsident gemäß Art. 82 Abs. 1 Satz 1 GG unterzeichnet. Das ist zugegebenermaßen ein gewisser Konflikt.

Allerdings sind weder der Gesetzesvorschlag aus dem Außenministerium noch die Unterschrift des Bundespräsidenten die entscheidenden Schritte im Gesetzgebungsverfahren. Ob der Bundespräsident überhaupt eine materielle Prüfungskompetenz hat, ist immer noch umstritten – und wenn ja, dann bezieht sie sich ohnehin nur auf besonders eklatante Verfassungsverstöße.

Keine Karenzzeit im Grundgesetz

Zu diesem möglichen Konflikt schweigt das Grundgesetz aber. Für diesen Fall gibt es eben keine Sonderregelung, die eine gewisse Karenzzeit vorsieht, nach der ein Bundesminister bspw. erst zwei Jahre nach Amtsaufgabe Bundespräsident werden darf. Ob man so etwas für sinnvoll hielte, ist dann nicht relevant.

Die Art und Weise, wie der deutsche Bundespräsident vorgeschlagen und gewählt wird, wird angesichts des diesjährigen Prozederes wieder einmal heftig diskutiert werden. Wie üblich wird die Frage nach einer Volkswahl aufgeworfen werden. Wie üblich wird darüber gestritten werden, ob der Kandidat der Regierung wirklich der Richtige ist. Das kann man sehen, wie man will. Rechtlich spricht aber nichts gegen Frank-Walter Steinmeier.

Fall Franziska Sander: Ein verjährter Totschlag

firearm-409252_640Im Jahr 1992 soll die Hannoveranerin Franziska Sander von ihrem Ehemann getötet und die Leiche in einem Metallfass versteckt worden sein. Während man zunächst davon ausging, dass sich die Frau ins Ausland abgesetzt hat, wurde ihr Verschwinden erst im Jahr 2013 näher ermittelt. 2016 wurde schließlich ihr Körper gefunden. Medien berichten, der Mann habe gestanden, seine Frau nach einem Streit getötet zu haben. Möglicherweise geht er straffrei aus, denn ein Totschlag wäre verjährt.

Dazu drängen sich Fragen auf:

Warum verjährt eine Straftat überhaupt?

Fast alle Strafgesetze der Welt kennen das Rechtsinstitut der Verjährung. Nach einer gewissen Zeit sollen Straftaten einfach nicht mehr verfolgbar sein. Die Gründe dafür sind folgende:

  • Schwund an Beweismitteln. Je länger eine Tat zurückliegt, desto schwerer wird es, sie nachzuweisen. Sachbeweise verschwinden, Zeugen können sich nicht mehr erinnern etc.
  • Schuldtilgung. Wer sich seit einer Straftat jahrelang nicht mehr strafbar gemacht hat, dem soll nicht sein altes Fehlverhalten zum Vorwurf gemacht werden. Der Täter hat sich praktisch selbst resozialisiert, ein Anlass für strafrechtliche Sanktion besteht dann nicht mehr.
  • Ressourcen. Durch die Verjährung wird das Prüfungsprogramm der Behörden in zeitlicher Hinsicht eingeschränkt. Die Staatsanwaltschaften und die Gerichte sollen sich auf aktuelle Verbrechen konzentrieren, nicht auf lange zurückliegende Sachverhalte.

Diese Argumente sind bei einem Tötungsverbrechen zugegebenermaßen aber nur begrenzt tragfähig.

Wann verjährt Totschlag?

Totschlag ist gemäß § 212 Abs. 1 StGB mit Freiheitsstrafe von fünf bis zu fünfzehn Jahren bedroht. Solche Straftaten, bei denen die Höchststrafe mehr als zehn Jahre beträgt, verjähren nach 20 Jahren (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 StGB). Hier haben die Ermittlungen aber erst 21 Jahre nach der Tat begonnen.

Dass besonders schwere Fälle des Totschlags mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sind (§ 212 Abs. 2) und bei solchen Straftaten an sich erst nach 30 Jahren Verjährung eintritt (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 StGB), ist nicht relevant. Die Strafandrohungen besonders schwerer Fälle ändern nichts an der Dauer der Verjährung (§ 78 Abs. 4).

police-1667146_640Ändert sich etwas an dieser Frist, weil die Tat nicht bekannt war?

Nein. Während die Verjährung im Zivilrecht häufig von der Kenntnis des Anspruchsinhabers abhängig ist, gilt das im Strafrecht gerade nicht. Hier ist es ja das Wesen der Verjährung, dass die Staatsanwaltschaft nichts von einer Straftat weiß. Würde man darauf warten müssen, dass die Behörden trotz Kenntnis von einem Sachverhalt 20 Jahre lang nicht ermitteln, würde das Rechtsinstitut der Verjährung völlig leerlaufen.

Die strafrechtliche Verjährungsfrist beginnt daher, sobald die Tat einschließlich des vom Tatbestand vorausgesetzten Erfolgs beendet ist (§ 78a).

Ist es nicht so, dass Mord nie verjährt?

Doch, das ist so. Gemäß § 78 Abs. 2 StGB verjährt Mord nicht. Allerdings deuten die Ermittlungen bisher darauf hin, dass hier nur Totschlag vorliegt. Für Totschlag gilt § 78 Abs. 2 aber nicht, ein solches Verbrechen verjährt also nach den allgemeinen Vorschriften.

Warum war es hier kein Mord?

Der Unterschied zwischen Mord und Totschlag ist, dass bei ersterem ein sogenanntes Mordmerkmal vorliegt. § 211 Abs. 2 sagt:

Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

Nicht notwendig ist dagegen, dass ein Mord geplant wird. Dementsprechend schließt auch eine Tat nach einem Streit oder sonst im Affekt einen Mord noch nicht aus. Andererseits stellen die Mordmerkmale aber auch besondere Motivlagen und Begehungsweisen dar, die bei spontanen Taten selten vorliegen.

So liegt es wohl auch hier, wenn die Medienberichte korrekt sind: Nach den bisherigen Ermittlungsergebnissen ist kein Mordmerkmal erfüllt. Wenn sich der Ehemann nicht im weiteren Verlauf der Verfahrens selbst belastet, wird es wohl dabei bleiben. Dann ist die Verjährung zweifellos eingetreten.

Das mag vielleicht bei einem Tötungsdelikt schwer erträglich sein, aber es ist nun einmal eine Konsequenz aus den Verjährungsvorschriften, für die es – siehe oben – gute Gründe gibt. Will man angesichts dieses (absolut seltenen) Falls die Verjährung auch für Totschlag ausschließen, muss das Gesetz eben entsprechend geändert werden.