Bei den Bundestagswahlen im September 2017 gab es 46 Überhangmandate. Teilweise wird daher nun gemutmaßt, dies müsste aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dazu führen, dass diese Wahl ungültig ist und eine Neuwahl stattfinden muss.
Das ist so aber nicht richtig. Es gibt bis jetzt kein Urteil, das die Gültigkeit dieser Bundestagswahl in Abrede stellen würde.
Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht in den Jahren 2008 und 2012 das damalige Bundeswahlgesetz für verfassungswidrig erklärt, weil es danach zum sogenannten negativen Stimmgewicht kommen konnte – mehr Stimmen für eine Partei konnten in ganz speziellen Konstellationen weniger Mandate bedeuten. Dafür verantwortlich waren in erster Linie die Überhangmandate, die zu den 598 regulären Sitzen im Bundestag hinzukommen konnten.
Darum hat das BVerfG im zweiten Urteil (25.07.2012, 2 BvF 3/11, Rdnr. 109) ausgeführt:
§ 6 Abs. 5 BWG verstößt insoweit gegen die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und der Chancengleichheit der Parteien, als er das ausgleichslose Anfallen von Überhangmandaten in einem Umfang zulässt, der den Grundcharakter der Bundestagswahl als Verhältniswahl aufheben kann. Dies ist der Fall, wenn die Zahl der Überhangmandate etwa die Hälfte der für die Bildung einer Fraktion erforderlichen Zahl von Abgeordneten überschreitet.
Kurz gesagt: Wenn sich der Gesetzgeber für ein Verhältniswahlrecht entscheidet, dann muss er auch weitgehend bei dieser Entscheidung bleiben und kann davon nicht durch das relativ zufällige Vergeben von Überhangmandaten abweichen. Überhangmandate sollen darum nur bis zu einer halben Fraktionsgröße (also 2,5 % von 598 = 15 Mandate) zulässig sein.
Demnach wären die 46 Überhangmandate des kommenden Bundestags also deutlich zu viel.
Aber: Es ging in diesem Urteil, wie der obige Ausschnitt zeigt, nur um ausgleichslose Überhangmandate. Denn im alten Recht blieb es einfach bei diesen Überhangmandaten für die begünstigte Partei, die anderen Parteien erhielten keine weiteren Sitze dafür.
Nach dem aktuellen Bundeswahlgesetz, das seit der Bundestagswahl 2013 angewandt wird, gibt es aber keine ausgleichslosen Überhangmandate mehr. Aktuell wurden für diese 46 Überhangmandate weitere 65 Ausgleichsmandate an andere Parteien vergeben. Das wiederum erklärt die nunmehrige Rekordgröße des Bundestags von 709 (598+46+65) Sitzen.
Dass mehr als 15 ausgeglichene Überhangmandate auch unzulässig sein sollen, gibt das Urteil gerade nicht her. Wenn man aber der Meinung ist, dass auch dieses Zuteilungsverfahren verfassunsgwidrig ist, müsste man das ggf. im Wahlprüfungsverfahren geltend machen. Und man kann stark davon ausgehen, dass sich der eine oder andere Wahlberechtigte finden wird, der genau das vorbringt.