Das System des deutschen Staatshaftungsrechts

law-1063249_1920Das Staatshaftungsrecht ist noch immer größtenteils nicht gesetzlich geregelt. Aus ungeschriebenen Rechtsquellen gibt es zahlreiche Anspruchsgrundlagen für verschiedenste Fälle, die jedoch teilweise sehr diffizile Voraussetzungen haben. Hinzu kommen zahlreiche Duldungspflichten sowie Einschränkungen von Ersatzansprüchen sogar bei rechtswidrigen Verletzungen. Dadurch ist der Schutz des Bürgers gegen Schäden durch staatliches Handeln in vielerlei Hinsicht unzureichend.

Das Staatshaftungsrecht beschäftigt sich mit der Frage, ob, wann und in welcher Höhe der Staat für Schäden, die einer seiner Bediensteten einem Bürger zugefügt hat, haften muss. Ein wichtiger Grundsatz ist insoweit, dass der Staat selbst haftet und nicht etwa der Beamte, der einen Schaden verursacht hat – dies stellt sicher, dass der geschädigte Bürger einen solventen Schuldner bekommt und seinen Anspruch auch tatsächlich durchsetzen kann.

Das deutsche Staatshaftungsrecht ist eine ziemlich unübersichtliche, ungeordnete und komplizierte Materie. Es beruht größtenteils auf Richter- und Gewohnheitsrecht, das bis auf das Preußische Allgemeine Landrecht des 18. Jahrhunderts zurückgeht. Ein erster Versuch der Kodifikation in Form des Staatshaftungsgesetzes scheiterte an der Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes und war nur knapp zehn Monate lang im Jahr 1982 in Kraft. Seit dem gilt wieder die vorherige Rechtslage.

Neben der Tatsache, dass die Regeln des Staatshaftungsrechts größtenteils ungeschrieben sind, verwirren auch die zahlreichen nebeneinander stehenden Anspruchsarten mit ihren häufig schwer fassbaren Voraussetzungen und Rechtsfolgen.

Die wichtigsten Einzelansprüche sind:

1. Amtshaftungsanspruch

Der Amtshaftungsanspruch greift, wenn ein Amtsträger eine Pflicht zum Nachteil eines Bürgers verletzt hat. Der Anspruch ergibt sich aus § 839 BGB und richtet sich eigentlich gegen den Amtsträger persönlich. Da dies sowohl für den Amtsträger als auch für den Geschädigten häufig sehr ungünstig wäre, leitet Art. 34 GG die Zahlungspflicht auf den Staat über. Dies ist einer der ganz seltenen Fälle einer haftungsverlagernden Norm: Der Staat tritt nicht neben den eigentlich zahlungspflichtige Amtsträger, sondern an dessen Stelle. Der Amtsträger muss dabei schuldhaft, also wenigstens fahrlässig handeln.

Rechtsfolge des Anspruchs ist Schadenersatz, regelmäßig durch eine Geldzahlung. Der Schaden ist aber nur dann ersatzfähig, wenn sowohl der Geschädigte durch die Norm geschützt als auch genau dieser Schaden verhindert werden soll. Daher gibt es auch keine Haftung für legislatives Unrecht, denn hier werden keine drittbezogenen Pflichten verletzt. Dies gilt aber nur für Parlamentsgesetze, nicht für Satzungen und Verordnungen.

2. Vertreterhaftung

Soweit ein Amtsträger nicht hoheitlich, sondern privatrechtlich handelt, gilt § 839 BGB nicht. Stattdessen ist auf die allgemeinen Vorschriften über die unerlaubte Handlung (§§ 823 ff.) abzustellen.

Diese sind dem Staat für verfassungsmäßig verufene Vertreter über die §§ 89 Abs. 1 und 31 BGB zuzurechnen, für andere Personen über § 831.

3. Enteignung

Eine Enteignung im engeren Sinne kann gemäß Art. 14 GG nur durch Gesetz erfolgen. Dabei wird ein allgemeines Parlamentsgesetz erlassen, das bestimmtes Privateigentum dem Eigentümer entzieht und auf den Staat überleitet.

Das Gesetz muss zudem eine angemessene Entschädigung festlegen. Angemessen ist die Entschädigung aber auch dann, wenn sie keine vollständige Kompensation für den Schaden darstellt.

Dabei handelt es sich nicht um einen Fall der Staatshaftung im engeren Sinne, sondern um eine automatische Folge, die zugleich mit dem Eingriff geregelt werden muss. Der Staat „haftet“ nicht für die Enteignung, vielmehr ist die Entschädigung untrennbar mit der enteignenden Wirkung des Gesetzes verbunden.

4. Enteignender Eingriff

Bei enteignenden Eingriffen wird in das Eigentum des Bürgers durch rechtmäßiges hoheitliches Handeln eingegriffen. Ob es sich dabei um einen zielgerichteten (finalen) Eingriff oder um eine Folge des staatlichen Tuns handelt, ist unerheblich. Der Bürger ist zur Duldung des Eingriffs verpflichtet, kann aber dafür seinen Schaden ersetzt verlangen. Voraussetzung ist allerdings, dass der Eingriff über die Duldungspflicht aufgrund der Sozialbindung des Eigentums hinausgeht.

Rechtsgrundlage ist der allgemeine Aufopferungsanspruch aus §§ 74 und 75 der Einleitung des Preußischen Allgemeinen Landrechts, der beim Eingriff analog angewandt wird.

5. Enteignungsgleicher Eingriff

Der ungeschriebene enteignungsgleiche Eingriff ist im Gegensatz zum enteignenden Eingriff rechtswidrig. Ob der Staat schuldhaft handelt, ist nicht entscheidend.

Soweit es dem Geschädigten möglich und zumutbar ist, muss er zunächst Primärrechtsschutz suchen, also die Maßnahme an sich abwehren.

6. Aufopferung

Wird jemand durch rechtmäßigen hoheitlichen Zwang dazu gebracht, ein nicht vermögenswertes Recht aufzuopfern (z.B. einen Gesundheitsschaden hinzunehmen), so kann er eine Geldentschädigung dafür verlangen. Notwendig hierfür ist aber, dass es sich um ein Sonderopfer handelt, das nicht notwendigerweise mit der Zwangsmaßnahme verbunden ist.

Die Aufopferung leitet sich unmittelbar aus dem allgemeinen Aufopferungsanspruch des ALR her.

7. Aufopferungsgleicher Eingriff

Beim aufopferungsgleichen Eingriff ist der staatliche Zwang rechtswidrig. Hier gilt das gleiche wie beim enteignungsgleichen Eingriff, insbesondere der Vorrang des Primärrechtsschutzes.

8. Folgenbeseitigungsanspruch

Ein Folgenbeseitigungsanspruch besteht, wenn staatliches Handeln dazu führt, dass ein rechtswidriger, rechtsgrundloser Zustand anhält und ein subjektives Recht des Betroffenen fortdauernd beeinträchtigt. Ist die Beeinträchtigung nicht zumutbar, hat er ein Recht, die Beseitigung zu verlangen.

Die Rechtsgrundlage des FBA ist umstritten. Teilweise wird er direkt aus Art. 20 Abs. 3 GG hergeleitet, teilweise aus §§ 1004, 906 BGB analog.

Bewertung

Die beiden einzigen relativ klaren und gesetzlich festgeschriebenen Anspruchsarten, der Amtshaftungsanspruch und die Entschädigung bei Legislativenteignungen, kommen insgesamt relativ selten vor. Wenngleich die Fallgruppen der gewohnheits- und richterrechtlich herausgebildeten Ansprüche im Prinzip größtenteils allgemein anerkannt sind und sich meist gerechte Ergebnisse finden lassen, ist die Anwendung auf den Einzelfall oft hoch strittig. Auch ein geschlossenes dogmatisches Konzept fehlt weiterhin, stattdessen greift die Rechtsprechung in großem Umfang auf Billigkeitserwägungen zurück.

Hinzu kommt die Problematik, dass die Verwaltungsrechtswissenschaft relativ großzügig ist, wenn es darum geht, die Rechtmäßigkeit staatlichen Handelns festzustellen. Ist ein Eingriff jedoch rechtmäßig, kommt eine Entschädigung nur noch unter erheblichen Hürden in Betracht.

Insgesamt ist der Schutz des Bürgers gegen Schädigungen durch den Staat noch immer unzureichend ausgeprägt.

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