Bundesrecht bricht Landesrecht

Bundesrecht bricht Landesrecht.

So kurz diese Vorschrift des Grundgesetzes ist, so schwer wiegt doch ihre Bedeutung. Sie normiert, dass das Recht des Bundes dem der Länder vorgeht. Mehr noch, es wird in ungewohnt metaphorischer Sprache gar „gebrochen“ – zerstört, vernichtet, ausgelöscht. Aber auch, wenn man sich solcher Bilder nicht bedient, bringt der Artikel doch das Blut jedes ausgewiesenen Föderalisten zum Kochen: Der unbedingte und ausnahmslose Vorrang des Bundesrechts unterdrückt die Gliedstaaten und verringert ihre Rechtssetzungsbefugnis quasi bis auf null. Und das alles wird mit drei einfachen Worten ausgedrückt. Könnte man meinen.

Es ist natürlich keine Frage, dass das Bundesrecht dem Landesrecht vorgeht. Nur kann dafür der Artikel nichts. Der Vorrang des Bundesrechts ist das Wesen jeder Föderation. Wenn man – unabhängig von der genauen Ausgestaltung – nicht davon ausgeht, dann braucht es eigentlich keinen Bundesstaat. Mit dem Zusammenschluß geben die Länder gewisse Kompetenzen an den Bund ab (pragmatischerweise in einem Vertrag oder einer Verfassung) und insoweit kann dieser dann Recht setzen. Einer allgemeinen Norm hierfür bedarf es dann im Grunde nicht.

Anders gesagt: Würde das Bundesrecht dem Landesrecht nicht vorgehen, dann könnte der Bund gar keine Vorschrift erlassen, die vorsieht, dass Bundesrecht dem Landesrecht vorgeht. Allerdings könnte das Bundesrecht durchaus den umgekehrten Fall anordnen, also dass das Landesrecht Vorrang genießt. Bekanntestes historisches Beispiel ist wohl die Reichskammergerichtsordnung von 1495, nach der die Richter (des Reiches) zuerst das Landesrecht anwenden sollten und nur, wenn dieses keine Regelung enthielt, auf das allgemeine (römische) Reichsrecht zurückgreifen sollten.

Im Grundgesetz war eine solche Subsidiarität gänzlich unbekannt, bis man vor einigen Jahren im Zuge der Föderalismusreform in Art. 73 Abs. 3 GG den Ländern die Möglichkeit zum Abweichen von Bundesgesetzen in einigen wenigen Fällen eröffnete. Art. 73 Abs. 3 ist also eine Ausnahme zu Art. 31 GG, könnte man wiederum meinen. Aber auch das ist falsch. Denn einen Rückgriff auf Art. 31 braucht es schon deswegen nicht, weil die Gesetzgebungszuständigkeiten in Art. 70 Abs. 1 abschließend geregelt sind: Die Länder sind zuständig, soweit nicht laut Grundgesetz der Bund zuständig ist. Wann der Bund zuständig ist, steht in Art. 71 bis 74. Über Art. 70 Abs. 1 kann es also immer nur entweder eine Zuständigkeit des Bundes oder der Länder geben. Wenn der Bund nicht zuständig ist, ist ein trotzdem erlassenes Bundesgesetz nichtig; dito für die Länder. Dass es sich widersprechende Bundes- und Landesgesetze gibt und dann Art. 31 einen Vorrang des Bundesrechts anordnen würde, kann nicht vorkommen. Die einzige Ausnahme ist der oben erwähnte Art. 73 Abs. 3, aber auch der braucht den 31er nicht, da er eine eigene spezielle Regelung trifft.

Nun geht es aber insgesamt um „Bundesrecht“, also nicht nur um Gesetze. Recht sind bspw. auch Verordnungen oder Verwaltungsvorschriften. Aber auch die haben ihre eigenen Regelung in den Art. 84 bis 86, die der Gesetzgebung weitgehend angepaßt sind. Recht sind auch die Verfassungen. Deren Grundrechte bleiben gem. Art. 142 GG nur insoweit in Kraft, als sie mit denen des Grundgesetzes identisch sind, sie werden also faktisch abgeschafft; warum dies explizit als Abweichung von Art. 31 bezeichnet wird, bleibt freilich ein Geheimnis. Recht sind auch Gerichtsurteile. Deren Wirkungsbereich wird wiederum durch Art. 100 Abs. 1 GG sowie durch den Instanzenzug der Prozeßordnungen zurechtgestutzt; ein zusammenhangloses Nebeneinander von Bundes- und Landesgerichten, das eine Vorrangregelung bräuchte, existiert auch hier nicht.

Einen echten Geltungskonflikt gibt es also nirgends. So verwundert es auch nicht, dass man in Urteilsdatenbanken relativ wenige Entscheidungen zu dieser Norm findet. Und dort, wo sie zitiert wird, kommt es beim Urteil in aller Regel nicht darauf an. (Allenfalls wird im Zusammenspiel mit erwähntem 142 darüber gestritten, ob man nun vor dem Landesverfassungsgericht klagen kann, was allenfalls prozeßtaktisch zu verstehen ist.) So fragt man sich dann doch, wie der Artikel überhaupt dereinst ins Grundgesetz gekommen ist. Ich nehme an, dass man einer derartigen Vorschrift wohl einen größeren Anwendungsbereich zugeschrieben hatte oder zumindest einen Basisgedanken des Bundesstaates deklarieren wollte. Vielleicht wollte man, und dafür spricht auch der resolute Wortlaut, im Hinblick auf die entstehende Republik auch den Vorrang des Bundes allgemein kodifizieren. Einfacher gesagt: Den Ländern zeigen, wo der Hammer hängt.

Italienische Forscher verurteilt: Ein großes Beben

In Italien sind mehrere Forscher wegen fahrlässiger Tötung zu teils erheblichen Haftstrafen verurteilt worden. Die heftige Empörung darüber folgte schnell, sowohl südlich als auch nördlich der Alpen. Man könne Wissenschaftler doch nicht dafür verurteilen, dass sie keine Hellseher sind. Das sei sogar empörend und gefährlich.

Sieht man sich das Urteil näher an, so kommt man jedoch zu dem Schluss, dass genau diese Unwägbarkeit bei der Vorhersage von Naturkatastrophen, die man zur Verteidigung der verurteilten Forscher anführt, das ist, was sie in Wirklichkeit belastet. „Italienische Forscher verurteilt: Ein großes Beben“ weiterlesen

Three Strikes

Das „Three Strikes“-Konzept kommt aus dem Baseball. Wer dreimal den Ball nicht trifft, ist draußen. Seit längerer Zeit steht es aber auch für ein sicherheitspolitisches Konzept. Der Staat reagiert in drei Strikes auf Verbrechen und beim dritten ist man dann für sehr lange Zeit weg – zumindest im „Land of the free“, hierzulande hat sich das noch nicht durchgesetzt. Zulauf hat die Idee dagegen im Zuge der Diskussion um Internetsperren bekommen. Quasi als Retourkutsche dafür gab es dann eine Forderung, die „Three Strikes“ auch gegen Politiker anzuwenden: Wer dreimal einem verfassungswidrigen Gesetz zustimmt, ist sein Mandat los. Das ganze ist, nehme ich an, durchaus ernst gemeint. dass es aber nicht umgesetzt werden wird, dürfte dem Verfasser auch klar gewesen sein. Meine Meinung vorweg: Prinzipiell kein schlechter Ansatz, aber so sicher nicht umsetzbar. Dem war sich wohl auch der Verfasser bewusst, siehe die abschließenden „Anregungen für die Online-Diskussion“. Wie würde das Parlamentsgeschäft mit so einem Gesetz in der Praxis ausschauen? „Three Strikes“ weiterlesen

Die Berufung im Strafverfahren

Jedes Urteil kann falsch sein. Darum kann man (fast) jedes Urteil mit einem Rechtsmittel angreifen. Das wohl bekannteste und umfassendste Rechtsmittel ist die Berufung.

Umfassend ist die Berufung deswegen, weil die Berufungsverhandlung eine völlig neue Hauptverhandlung darstellt. Die Beweise werden erneut erhoben, Zeugen noch einmal befragt, Gutachter tragen ein zweites Mal vor. Dabei wird das erstinstanzliche Urteil zwar verlesen (§ 324 Abs. 1 Satz 2 StPO), im Übrigen wird es aber praktisch als nichtexistent betrachtet. Es ist also nicht zulässig, einfach frühere Aussagen vor dem ersten Gericht zu verlesen (§§ 323 Abs. 2 Satz 1, 325 Satz 2).

Das Berufungsgericht bildet sich also eine komplett eigene Meinung, es kann die Beweise anders gewichten, es muss neu entscheiden, wem der Beteiligten es glaubt, es muss feststellen, welche Gesetzesvorschriften heranzuziehen sind und es muss aufgrund seiner Erkenntnisse zu einem Urteil kommen. Das Urteil kann selbstverständlich trotzdem mit dem der Vorinstanz identisch sein, wenn das Berufungsgericht zu denselben Schlussfolgerungen kommt wie das Ausgangsgericht.

Die Berufung kann dabei nur gegen Urteile des Amtsgerichts (Strafrichter oder Schöffengericht) eingelegt werden. Diese sind für kleine bis mittlere Kriminalität zuständig, also beispielsweise nicht für Tötungsverbrechen. Theoretisch kann das Amtsgericht Freiheitsstrafen bis zu vier Jahren verhängen, die allermeisten Urteile bewegen sich aber im Bereich der Geld- oder Bewährungsstrafen (bis zu zwei Jahre Haft). Für „große Kriminalität“ ist das Landgericht (oder ganz selten: das Oberlandesgericht) im ersten Rechtszug zuständig zuständig. Gegen diese Urteile gibt es keine Berufung, sondern nur die Revision, um die es hier aber nicht geht.

Und es ist tatsächlich irritierend, dass ausgerechnet bei bedeutenden Tatvorwürfen, die regelmäßig eine lange bis lebenslange Freiheitsstrafe nach sich ziehen, keine Berufung möglich ist. Was das Landgericht als Tatsache feststellt, ist grundsätzlich in Stein gemeißelt. Die offizielle Begründung dafür ist, dass die Tatsachenaufklärung bei diesen Urteilen ohenhin besonders gründlich passiert ist. Das ist wenig überzeugend: Zum einen ist der damit einhergehende Vorwurf gegenüber Amtsrichtern, man könne ihnen weniger trauen, kaum nachzuvollziehen. Zum anderen wäre es für eine detaillierte Erforschung der Wahrheit sicher nicht verkehrt, wenn auch die höheren Gerichte eine Kontrollinstanz über sich hätten.

Der Rechtsgedanke, dass die Berufung bei weniger schweren Delikten nicht unbedingt notwendig ist, ist dem Gesetz dabei auch gar nicht fremd: So bedarf die Berufung bei Geldstrafen von höchstens 15 Tagessätzen (das entspricht einem halben Monatsgehalt) der besonderen Zulassung durch das Berufungsgericht, die relativ selten erfolgt. Die Berufung ist also bei ganz leichter und bei schwerer Kriminalität nicht vorgesehen, nur für den „eher leichten“ bis mittleren Bereich gibt es sie. Diese Logik verstehe, wer will.

Und ein weiteres Problem existiert: Angeklagter und Staatsanwaltschaft sind waffengleich. Beide können die Berufung gleichermaßen einlegen. (Eine kleine Einschränkung gibt es: Die Staatsanwaltschaft kann nicht gegen einen Freispruch vorgehen, wenn sie selbst nicht mehr als 30 Tagessätze Geldstrafe, also ein Monatsgehalt, gefordert hat.) Das bedeutet also, dass die Staatsanwalt aus einem Freispruch des Angeklagten durch die Berufung zum Landgericht eine Verurteilung machen kann. Kommt die Strafkammer beim Landgericht zu einer anderen Beurteilung der Angelegenheit, steht am Ende auf einmal ein Schuldspruch. Dieser Schuldspruch ist dann nur noch aus Rechtsgründen durch die Revision anfechtbar.

Der Grundsatz „in dubio pro reo“ (im Zweifel für den Angeklagten) wird dadurch erheblich eingeschränkt. Auch, wenn das Berufungsgericht gerade keinen Zweifel gesehen und darum verurteilt hat: Die erste Instanz war anderer Meinung. Und das allein sollte reichen, die Sicherheit des Urteil, die man von einem Rechtsstaat erwarten können sollte, verneinen.

Noch eine Sache wirft ein eher problematisches Licht auf diese Konstellation: Wäre der Angeklagten in erster Instanz verurteilt und in der zweiten freigesprochen worden, würde der Freispruch bestehenbleiben. Dabei ist auch diese Situation nichts wesentlich anderes. Von zwei Gerichten hat eines so und eines so entschieden. Dafür, dass sich das landgerichtliche Urteil durchsetzt, gibt es keinen durchschlagenden Grund. Ein Richter am Landgericht mag länger im Amt sein und über mehr Erfahrung verfügen. Bei der Feststellung von Tatsachen ist er kaum kompetenter als sein Kollege am Amtsgericht.

Sinnvoller wären daher folgende Änderungen:

Nur der Angeklagte kann Berufung einlegen. Hat eine von beiden Tatsacheninstanzen Zweifel an seiner Schuld, so reicht das. Die Staatsanwaltschaft bleibt auf eine Rechtskontrolle (Revision) beschränkt.

Berufung ist nur gegen Urteile mit erheblicher Strafzumessung möglich. Wo man die Grenze zieht, ist Sache des Gesetzgebers, aber gerade bei Schwerverbrechen muss Berufung möglich sein.

Keine Zwangsbegutachtung in Sorgerechtsstreitigkeiten

Der BGH hat entschieden (Beschluss vom 17. Februar 2010, XII ZB 68/09), dass eine Zwangsbegutachtung eines Elternteils in einem Sorgerechtsverfahren nicht zulässig ist:

a) In Verfahren nach § 1666 BGB kann ein Elternteil mangels einer gesetzlichen Grundlage nicht gezwungen werden, sich körperlich oder psychiatrisch/psychologisch untersuchen zu lassen und zu diesem Zweck bei einem Sachverständigen zu erscheinen (im Anschluss an BVerfG FamRZ 2009, 944 f.; 2004, 523 f.).
b) Verweigert in Verfahren nach § 1666 BGB ein Elternteil die Mitwirkung an der Begutachtung, kann dieses Verhalten nicht nach den Grundsätzen der Beweisvereitelung gewürdigt werden.
c) In Betracht kommt allerdings, den die Begutachtung verweigernden Elternteil in Anwesenheit eines Sachverständigen gerichtlich anzuhören und zu diesem Zweck das persönliche Erscheinen des Elternteils anzuordnen und gegebenenfalls gemäß § 33 FGG durchzusetzen (vgl. auch § 33 FamFG).

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Kriegsverräter

Der Bundestag hat vor drei Jahren die Verurteilungen von Wehrmachtssoldaten wegen Kriegsverrats aufgehoben. Auch, wenn das formell erst so spät passiert ist, so kann man derartige Urteile doch mindestens seit vielen Jahrzehnten als gewohnheitsrechtlich nichtig betrachten. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass irgendjemand einem mittlerweile mindestens 80-Jährigen vorwirft, dass er im Zweiten Weltkrieg etwas verächtliches über den Führer gesagt hat…

Gar so selbstverständlich ist das freilich auch wieder nicht. In der Spielbankenaffäre hat der Innenminister Geiselhöringer von der mit der CSU konkurrierenden Bayernpartei wahrheitsgemäß ausgesagt, er habe nichts Negatives über einen anderen Beteiligten, Herrn Simon Gembicki, gewusst. Dabei konnten ihm nachgewiesen werden, daß er von einer wirklich schrecklichen Vorstrafe Gembickis wusste: Dieser war 1938 wegen ungesetzlicher Flucht aus dem Deutschen Reich verurteilt worden – Gembicki war übrigens Jude. Daß man eine derartige Vorstrafe auch 1959 noch als Makel empfinden konnte, lässt sich nur mit der Person des Richters erklären: Landgerichtsdirektor Paul Wonhas hat eineinhalb Jahrzehnte vorher als Feldkriegsgerichtsrat in Rußland zahlreiche Soldaten erschießen lassen – aber das waren wohl auch lauter Kriegsverräter…

Schlüsselgewalt

Die Schlüsselgewalt ist ein Institut des Eherechts. § 1357 des Bürgerlichen Gesetzbuchs definiert sie folgendermaßen:

Jeder Ehegatte ist berechtigt, Geschäfte zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie mit Wirkung auch für den anderen Ehegatten zu besorgen. Durch solche Geschäfte werden beide Ehegatten berechtigt und verpflichtet, es sei denn, dass sich aus den Umständen etwas anderes ergibt.

Um die Bedeutung dieser Vorschrift zu erfassen, muss man wissen, dass sich Recht und allgemeines Verständnis über die Wirkungen der Ehe hier sehr unterscheiden. Für Normalsterbliche ist es klar, dass die Ehepartner eine wirtschaftliche Einheit sind. Es gibt ein Familieneinkommen, das vom einen oder anderen oder von beiden erwirtschaftet wird. Und es gibt Familienausgaben, die vom einen oder anderen oder von beiden getätigt werden, um die Bedürfnisse der Familie zu decken. Eine strikte Trennung in „dein“ und „mein“ findet in aller Regel nicht statt.

Anders sieht es aber das BGB. Es gibt einen sogenannten „ehelichen Güterstand“, der normalerweise derjenige der Zugewinngemeinschaft ist. Das bedeutet, dass „das Vermögen des Mannes und das Vermögen der Frau nicht gemeinschaftliches Vermögen der Ehegatten werden; dies gilt auch für Vermögen, das ein Ehegatte nach der Eheschließung erwirbt“ (§ 1363 Abs. 2 Satz 1 BGB). Jeder behält also alles, was er verdient oder sonst erwirbt, für sich.

Nun geht das Ende des 19. Jahrhunderts konzipierte BGB noch von einer sehr klassischen Rollenverteilung aus. Der Mann arbeitet und bringt das Geld nach Hause, die Frau kümmert sich um die Kinder und den Haushalt. Nun stünde die Frau aber vor dem Problem, dass sie die mit dem Haushalt zusammenhängenden Alltagsgeschäfte gar nicht erledigen könnte, da sie ja kein Geld verdient und das Geld ihres Mannes eben nicht das ihre ist.

Um dem abzuhelfen, gibt es zunächst einen Unterhaltsanspruch. Der verdienende Ehepartner muss dem anderen so viel Geld zukommen lassen, wie es „nach den Verhältnissen der Ehegatten erforderlich ist, um die Kosten des Haushalts zu bestreiten und die persönlichen Bedürfnisse der Ehegatten und den Lebensbedarf der gemeinsamen unterhaltsberechtigten Kinder zu befriedigen“ (§ 1360a Abs. 1 BGB).

Ergänzend hierzu existiert aber noch die genannte Schlüsselgewalt, über die Mann und Frau zu Vertragspartnern werden, egal, wer von beiden das Geschäft abgeschlossen hat. Bei Haushaltsgeschäften wird also die Vermögenstrennung durchbrochen, weil das Geschäft eben beide gleichermaßen angeht.

Dadurch, dass beide Ehegatten verpflichtet und berechtigt werden, kann sich der Vertragspartner also direkt an den Berufstätigen halten, der in aller Regel einfach zu belangen ist. Und eine weitere Wertung ist historisch zu beachten: Da (auch) der Mann sämtliche Rechte aus dem Vertrag geltend machen kann, ist die Frau nicht in der misslichen, dass sie selbst vor Gericht ziehen muss, wenn der neue Geschirrspüler nicht funktioniert. Hier kann der Mann selbst klagen, ohne dass er eine Abtretung, Bevollmächtigung oder ähnliche Erlaubnis seitens seiner Frau bräuchte.

Die Schlüsselgewalt nimmt eine Schlüsselstellung im Rahmen des Eherechts ein. Sie hat sicherlich archaische Wurzeln, ist aber auch heute noch von einiger Bedeutung. Zumindest verhindert sie (neben einigen anderen Vorschriften), dass sich die Eheleute einig sind, stets den möglichst mittellosen Partner teure Verträge abschließen zu lassen.

Die Passauer Giftfalle (BGH, 12. August 1997, 1 StR 234/97)

Die „Passauer Giftfalle„, über die der BGH heute vor 15 Jahren entschieden hat, ist ein wahrhaft kurioser Fall, der aber auch juristisch einigen Gehalt hat. Das Urteil bedarf keiner großen Erklärungen, der Tatbestand spricht für sich:

Nach den Feststellungen waren Anfang März 1994 Unbekannte in das Einfamilienhaus des Angeklagten eingedrungen, hatten sich in der im Erdgeschoß gelegenen Küche warme Speisen zubereitet und auch dort vorhandene Flaschen mit verschiedenen Getränken ausgetrunken. Weiter waren Geräte der Unterhaltungselektronik in das Dachgeschoß des Hauses verbracht worden. Die vom Angeklagten am 6. März 1994 verständigte Polizei ging deshalb davon aus, die Täter könnten an den folgenden Tagen noch einmal zurückkehren, um die zum Abtransport bereitgestellte Diebesbeute abzuholen. In der Nacht vom 8. auf den 9. März 1994 hielten sich deshalb vier Polizeibeamte in dem Haus auf, um dort mögliche Einbrecher ergreifen zu können. „Die Passauer Giftfalle (BGH, 12. August 1997, 1 StR 234/97)“ weiterlesen

Bundeswahlgesetz: Alle Gesetze ungültig (?)

book-2775281_1920Das Bundesverfassungsgericht hat neuerlich das Bundeswahlgesetz für verfassungswidrig erklärt. Damit ist festgestellt, dass der derzeit amtierende Bundestag nach einem nichtigen Gesetz gewählt wurde. Aber nicht nur der aktuelle Bundestag ist betroffen, sondern auch alle vorherigen, denn das Gesetz ist im Wesentlichen – zumindest, was das Verhältnis von Direktmandaten, Listensitzen und die ausgleichenden Überhangmandate betrifft – seit 1956 unverändert. Alle Bundestage von 1957 bis 2009 wurden also auf verfassungswidriger Grundlage gewählt.

Das legt den Schluss nahe, dass auch alle in den letzten Jahrzehnten verabschiedeten Gesetze ungültig sind. Schließlich kann ein verfassungswidrig gewähltes Parlament ja keine verfassungskonformen Gesetze beschließen. „Bundeswahlgesetz: Alle Gesetze ungültig (?)“ weiterlesen

Das Integritätsinteresse der Staaten

Unter dem staatlichen Integritätsinteresse versteht man das Recht derzeit existenter Staaten, als solche bestehen zu bleiben und die Sezession von Staatsteilen nicht anzuerkennen. Das Integritätsinteresse ist also gewissermaßen der Antagonist des Selbstbestimmungsrechts. Letzteres zu begründen fällt nicht schwer: Es ist gerade ein Ausfluss des Demokratieprinzips, dass sich die Menschen nicht nur die Machthaber in ihrem Staat, sondern auch den Staat an sich auswählen können. Wie begründet man aber nun das Recht eines Staates, so zu bleiben, wie er ist?

Im Völkerrecht kann man das in erster Linie utilitaristisch beantworten: Wenn Staaten miteinander auf internationaler Ebene interagieren, dann gestehen sie sich gerne gegenseitig die Befugnis zu, als Gesamtstaat erhalten zu bleiben. Andernfalls würden sie ihre politischen Partner und auch sich selbst juristisch einengen. Wenn, anders gesagt, die Bundesrepublik ihr Integritätsinteresse gegen die Unabhängigkeit Bayerns ausspielen will, dann ist es für andere Nationen erst einmal pragmatischer, den bewährten Partner Deutschland zu unterstützen als sich auf die bayerische Seite zu schlagen und für die theoretische Chance auf kommende gute Beziehungen die bestehenden zur Bundesrepublik zu riskieren. Und wenn es die Gesamtstaaten sind, die untereinander internationale Politik machen, dann verwundert es nicht, dass diese auch allgemein das Integritätsinteresse gerne in den Kanon des Völkerrechts aufnehmen.

Die KSZE-Schlussakte von Helsinki betont so auch mehrfach die „territoriale Integrität der Staaten“. An anderer Stelle dagegen findet man ein derart klares und umfassendes Bekenntnis zum Selbstbestimmungsrecht der Völker, dass es zunächst wie ein Widerspruch wirkt:

Kraft des Prinzips der Gleichberechtigung und des Selbstbestimmungsrechts der Völker haben alle Völker jederzeit das Recht, in voller Freiheit, wann und wie sie es wünschen, ihren inneren und äußeren politischen Status ohne äußere Einmischung zu bestimmen und ihre politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung nach eigenen Wünschen zu verfolgen.

Wie es mit internationalen Verträgen so ist, bestehen sie ganz gern aus gut gemeinten Absichtserklärungen ohne größeren Bezug zur Realität. Insofern darf man weder das Selbstbestimmungsrecht noch das Integritätsinteresse unmittelbar für ernst nehmen. Dazu kommt, dass Helsinki 1975 ein Kind des Kalten Kriegs war. Es ging weniger um eine Verfassung des Völkerrechts auf rechtsphilosophischer Ebene als um einen Katalog von Absichtserklärungen zur praktischen Friedenserhaltung. Beide Prinzipien werden durch die Schlußakte auch keineswegs erfunden, sondern waren im Völkerrecht auch vorher schon anerkannt und wurden nur noch einmal bekräftigt und kodifiziert. Sie bekommen insoweit aus der Spannungssituation des Kalten Kriegs heraus eine eigene Bedeutung, indem sich die Staaten gegenseitig, ob verbündet oder feindlich gesinnt, ihr Existenzrecht zuerkennen. Sie beziehen sich also in erster Linie auf die Abwehr einer von außen kommenden Macht; insoweit sind sich Integrität und Selbstbestimmung näher als man dem antithetischen Ansatzpunkt zunächst entnehmen könnte.

Wenn uns die Begriffsgenese in der KSZE-Schlußakte zu einer Synthese von Integrität und Selbstbestimmung im Bezug auf bestehende Staatsgebilde führt, dann löst dies den Konflikt beider Prinzipien im Verhältnis zwischen Glied- und Bundesstaat, wo sich Integrität der oberen und Selbstbestimmung der unteren Ebene entgegenstehen, noch nicht sofort. Spinnt man diese Ideen jedoch weiter, so würde dies bedeuten, dass der Gesamtstaat beides für sich beanspruchen kann, der Teilstaat jedoch weder noch: Er ist nicht selbstbestimmt, weil er sich nicht aus der Föderation und damit auch nicht aus der Mitbestimmung anderer Bundesländer lösen kann; und sein Staatsgebiet besteht zwar als geographische Einheit, hat aber jede Bedeutung verloren. Eine solche Herabstufung und derartige Geringschätzung ist zumindest der deutschen Bundesstaatskonzeption völlig fremd. Aber auch allgemeiner gesprochen vernachlässigt dieses Stufenverhältnis, dass es innerhalb des föderalen Staates aber auch ein inneres „Außen“ gibt: Ein Angriff seitens des Gesamtstaates auf seine Glieder wäre nichts anderes als die angemaßte Fremdbestimmung zwischen verschiedenen Staaten, die das internationale Recht auch schon vor Helsinki ablehnte. Dieses „Außen“ mag freilich eine andere Qualität haben. Aber beide Konstellationen drehen sich um dieselbe Systematik aus Integrität und Selbstbestimmung.

Auch der Teilstaat muss also, wenn man wenigstens seine rudimentäre Staatlichkeit anerkennen will, zumindest die Möglichkeit zur Abwehr von Angriffen des Zentralstaats haben. Dieses „defensive Selbstbestimmungsrecht“ ist wohl auch durchaus anerkannt. Ein aktives, auf Sezession gerichtetes Recht dagegen räumt bspw. der Völkerrechtler Matthias Herdegen einem Teilvolk nur für den Fall einer tiefgreifender Diskriminierung und eines Ausschlusses vom demokratischen Prozeß ein. Wenn also ein Volk einfach nur in der Minderheit ist und von seinen Bundesbrüdern zwar demokratisch, aber dennoch permanent überstimmt wird, hat es kein Recht auf einseitige Loslösung. Und wenn die Föderation auf diese formell korrekte Weise ihre eigenen Befugnisse zu Lasten der Glieder immer weiter ausdehnt, dann könnten sich diese nach Herdegen nicht aus der Umklammerung befreien. Das wirft dann schließlich die Frage auf, wo denn der Unterschied zwischen einer außer- und einer innerföderalen Einmischung liegen soll. Einen solchen könnte man nur annehmen, wenn man – wie oben bereits ausgeführt – die Staatlichkeit des Teilstaats völlig im Gesamtstaat aufgehen lassen würde. Der Teilstaat hätte sich damit enteignet, Selbstbestimmungs- und Integritätsrecht würden dabei zentralisiert, mit der Folge, dass der Angriff eines ausländischen Staates auf ein Teilgebiet nur durch die Föderation abwehrbar wäre, nicht aber durch die Betroffenen selbst. Dem Teilstaat würde nicht einmal Unrecht geschehen, wenn der Gesamtstaat ihn verkaufen oder sonst einem anderen Staat einverleiben würde. Sogar das defensive Selbstbestimmungsrecht bekäme damit einen neuen Adressaten, taugt also nicht einmal als Minimalgarantie. Diese Theorie ist nunmehr wohl ausreichend ad absurdum geführt.

Nicht völlig abwegig ist jedoch die These, dass das Selbstbestimmungs- nur eine Art Notrecht darstellt: Die sezessionswillige Region wurde ja in irgendeiner Form in den umgebenden Staat geführt und hat somit bewußt seine Rechte aufgegeben. Wenn sie das – unveräußerliche – Selbstbestimmungsrecht ausüben will, dann muss sie dafür Schadenersatz leisten. Der Gesamtstaat hat dies hinzunehmen, kann jedoch eine Rechnung dafür ausstellen („dulde und liquidiere“). Diese Ansicht halte ich jedoch nicht (mehr) für richtig. Denn sie setzt, indem sie überhaupt einen Schaden annimmt, ein monetäres und nicht nur, wie im Integritätsinteresse, moralisches Interesse des Gesamtstaates am Erhalt aller seiner Teile voraus. Insoweit ist die Frage nach der Natur dieses Interesses auch jenseits der – zu verneinenden – Frage des Schadensersatzanspruchs relevant.

1. Dieses Interesse kann zum einen ein Planungsinteresse sein. Der Staat braucht ein gewisses Vertrauen auf die Stabilität des derzeit bestehenden Gefüges. Nur so kann er Entscheidungen treffen, die auch morgen noch Bestand haben. Dem muss man entgegenhalten, dass ein Austritt nicht aus dem Nichts heraus und ohne Vorlauf geschieht. Wenn der sezessionswillige Teil eine gewisse Frist einhält, dann kann sich der zurückbleibende Reststaat auf die neue Situation einstellen – so, wie es in der Tagespolitik bei Neuerungen in sozialer, wirtschaftlicher oder wissenschaftlicher Hinsicht geschieht.

2. Denkbar wäre auch ein Machtinteresse des Staates. Die internationale Position eines Landes ist in hohem Maße von seiner Bedeutung in vielerlei Hinsicht abhängig, die durch jede Verkleinerung Schaden nehmen würde. Dem muss entgegengehalten werden, dass der Ausbau der Machtposition des Gesamtstaates dann gerade durch völlige Ausschaltung jeglicher zwischenstaatlicher Bedeutung der Teilstaaten geschieht. Das Interesse nach überhaupt stattfindender Repräsentation überwiegt wohl sogar den Anspruch auf quantitativen Machterhalt. (Ganz davon abgesehen, dass die Evolution der Staaten momentan eher auf Dezentralisierung, Subsidiarität und Regionalismus dringt und die Zeit der starken Großreiche der Vergangenheit angehört.)

3. Das ökonomische Interesse wäre auf die Nutzung der Ressourcen des Gebietes sowie auf die Steuern der betreffenden Bürger gerichtet. Würde man das bejahen, dann wäre dies wiederum eine völlige Preisgabe jeder Integrität des Teilstaats. Dieser würde in dieser Anschauung zum Objekt der Ausbeutung durch die Zentralregierung – ein Zustand, der möglicherweise sogar das defensive Selbstbestimmungsrecht auslösen würde.

4. Das Argument der Friedenssicherung kann zumindest als durch die Praxis überholt gelten. Das Geschehenlassen der Sezession ist jedenfalls der unblutigere Weg gegenüber dem oft jahrzehntelangen Scharmützel von Aggression und Repression.

5. Möglicherweise kann sich eine – präsumptiv demokratisch – gewählte Staatsmacht auf den Volkswillen stützen. Sie ist aus Wahlen im gesamten Land hervorgegangen und kann damit Geltung auch im gesamten, ungeschmälerten Land beanspruchen. Dies verkennt aber bspw. die Sezession der amerikanischen Südstaaten, die gerade aufgrund eines geographisch höchst gespaltenen Wahlergebnisses ihre Unabhängigkeit erklärten. Zum anderen stellt das Argument die in der Sache weiter entfernte (und häufig genug exterritoriale) Zentralgewalt über die Regionalgewalt. Die Staatsmacht, ob nun eine allgemein akzeptierte Verfassung, eine gewählte Volksvertretung oder eine Regierung, ist zudem nur funktional in ihrem Wirkungsbereich eingesetzt und mit der Frage der Unabhängigkeit nicht weiter befaßt. Wenn nun der regional und sachlich spezifische Wille nach Eigenstaatlichkeit vorhanden ist, wie kann dann eine allgemeinpolitisch begründete und gesamtstaatliche Abstimmung dem vorgehen?

6. Erhaltung des Status quo: Im Recht hat grundsätzlich der bestehende Zustand im Zweifel die Vermutung der Richtigkeit für sich. Wer eine Sache, die sich im Besitz eines anderen befindet, für sich will, braucht einen Anspruch und muss diesen beweisen. So kann man auch begründen, dass ein bestehender Staat keine Rechtfertigung für sich braucht. Jedoch ist dieser Zustand nicht sakrosankt. Mehrheiten ändern sich, Rahmenbedingungen ändern sich und überhaupt ändert sich auch das Verhältnis der Staaten zueinander. Dass ein einmal erfolgter Beitritt, gleich einem unkündbaren Vertrag, für alle Ewigkeit Geltung beanspruchen können soll, würde die Realpolitik ausblenden. Wie könnte sich ein Volk aus Bürgern natürlich begrenzter Lebensdauer oder gar eine Regierung mit gesetzmäßig zeitlich begrenztem Mandat anmaßen, für alle Zeiten eine Entscheidung zu treffen, die alle Nachfolgenden bindet? Welche Vereinbarung Gliedstaat und Bund auch geschlossen haben, sie kann nur innerhalb der Handlungsbefugnis der Beteiligten geschehen sein. Es gibt kein Recht, über seine eigene Wirkungsspanne hinaus Festlegungen zu treffen. Es gibt kein Recht für den so gebildeten, vergänglichen Staat auf ewiges, unverändertes Bestehen; und wenn dem Status quo ein wirksam ausgeübtes Selbstbestimmungsrecht entgegensteht, dann wird er eben reformiert.

Wenn man nach all dem überhaupt ein Integritätsinteresse des Staates annehmen will, dann ist auch dieses nur eine Vermutung, die durch qualifizierte demokratische Willensäußerung (und auf die will ja kaum ein Separatist verzichten) entkräftet werden kann. Das Recht eines Staates, sich mit keiner Änderung abfinden zu müssen, ist jedenfalls nicht beachtlicher als das Recht einer Regierung, wiedergewählt zu werden: Wenn der Volkswille anderes wünscht, dann ist dieser Wille nicht nur sein Himmelreich, sondern rechtlich und demokratiepolitisch maßgeblich.