Keine Zwangsbegutachtung in Sorgerechtsstreitigkeiten

Der BGH hat entschieden (Beschluss vom 17. Februar 2010, XII ZB 68/09), dass eine Zwangsbegutachtung eines Elternteils in einem Sorgerechtsverfahren nicht zulässig ist:

a) In Verfahren nach § 1666 BGB kann ein Elternteil mangels einer gesetzlichen Grundlage nicht gezwungen werden, sich körperlich oder psychiatrisch/psychologisch untersuchen zu lassen und zu diesem Zweck bei einem Sachverständigen zu erscheinen (im Anschluss an BVerfG FamRZ 2009, 944 f.; 2004, 523 f.).
b) Verweigert in Verfahren nach § 1666 BGB ein Elternteil die Mitwirkung an der Begutachtung, kann dieses Verhalten nicht nach den Grundsätzen der Beweisvereitelung gewürdigt werden.
c) In Betracht kommt allerdings, den die Begutachtung verweigernden Elternteil in Anwesenheit eines Sachverständigen gerichtlich anzuhören und zu diesem Zweck das persönliche Erscheinen des Elternteils anzuordnen und gegebenenfalls gemäß § 33 FGG durchzusetzen (vgl. auch § 33 FamFG).

Das Gericht darf also keine zwangsweise Begutachtung eines Elternteils anordnen, weil das ein Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht wäre und es dafür keine gesetzliche Grundlage gibt. Die Elternteile sind nicht verpflichtet, sich begutachten zu lassen, daher darf ihre Weigerung auch nicht zu ihrem Nachteil ausgelegt werden – freilich auch nicht zu ihrem Vorteil. Der körperlich, psychiatrische und psychologische Zustand des Elternteils wird also insoweit überhaupt nicht zur Entscheidung herangezogen.

Zulässig wäre dagegen folgende Vorgehensweise:

Das Beschwerdegericht hat es versäumt, die Mutter in Anwesenheit eines psychiatrischen – und auch eines psychologischen – Sachverständigen gerichtlich anzuhören und hierzu das persönliche Erscheinen der Mutter anzuordnen und gegebenenfalls gemäß § 33 FGG zu erzwingen. Ein derartiges Vorgehen wäre vorliegend im Rahmen der Amtsermittlung geboten gewesen. Insbesondere ist die beschriebene Vorgehensweise grundsätzlich zulässig. Der Senat schließt sich insofern der ganz herrschenden Meinung in der obergerichtlichen Rechtsprechung und in der Lehre an (KG OLGZ 1988, 418, 421 ff.; BayObLG BayObLGZ 1972, 201, 204; 1970, 114, 116; OLG Hamm OLGZ 1968, 239, 242 f.; Bassenge/Roth FGG 11. Aufl. § 15 Rdn. 34; Böhm DAVorm 1985, 731, 733, 736; Bumiller/Winkler FGG 8. Aufl. § 33 Rdn. 7; Keidel/Kuntze/Winkler/Schmidt FGG 15. Aufl. § 15 Rdn. 49; Säcker FamRZ 1971, 81, 83; Sauer FamRZ 2005, 1143, 1144; a. A. noch Jansen FGG 2. Aufl. § 12 Rdn. 68). Zwar ist auch mit einer Erzwingung des persönlichen Erscheinens vor Gericht zum Zwecke der Anhörung in Anwesenheit eines Sachverständigen ein Eingriff in grundrechtlich geschützte Positionen des Betroffenen – insbesondere in dessen Allgemeines Persönlichkeitsrecht – verbunden. Allerdings ist dieser Eingriff vorliegend gerechtfertigt, insbesondere ist hierfür eine gesetzliche Grundlage vorhanden.

Dies ist zulässig, da das persönliche Erscheinen im Gesetz über die Freiwillige Gerichtsbarkeit vorgesehen ist. Damit ist die notwendige Grundlage für einen Grundrechtseingriff geschaffen und dieser ist auch verhältnismäßig, um eine bedeutende gerichtliche Entscheidung zu treffen.

Eine solche „Vernehmung zur Begutachtung“ wäre also zulässig gewesen, die Richter hätten die Vernehmung also anordnen dürfen. Mehr noch, da im Bereich der Freiwilligen Gerichtsbarkeit der Amtsermittlungsgrundsatz herrscht, nach dem das Gericht selbst die Wahrheit erforschen muss, hätten die Richter diese Vorgehensweise auch anordnen müssen. Da sie dies nicht getan haben, beruhte das Urteil auf einer unvollständigen Tatsachenbasis und musste aufgehoben werden.

Insoweit ist die Entscheidung also – wie so oft – keine absolute. Zwar kann keine Begutachtung erzwungen werden, aber das Verhalten der beteiligten Personen im Prozess kann begutachtet werden. Ob einem das lieber ist, kann jeder selbst entscheiden.

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