BGH zu Abschleppkosten

Der Bundesgerichtshof hat ein Urteil (4. Juli 2014, V ZR 229/13) zu Abschleppkosten gefällt. Im Grundsatz ändert sich nichts an der Tatsache, dass der Eigentümer eines Parkplatzes ein rechtswidrig geparktes Auto abschleppen lassen darf. Die Kosten muss der Falschparker ersetzen. Allerdings wurde die Ersatzpflicht auf die ortsüblichen Kosten beschränkt.

Das Urteil liegt derzeit noch nicht vor, aus der Pressemitteilung des BGH geht aber folgendes hervor: „BGH zu Abschleppkosten“ weiterlesen

Fall Peggy: Schuldspruch gegen Freispruch

Im Fall Peggy wurde Ulvi K. zunächst vom einen Gericht als Mörder verurteilt, dann vom anderen freigesprochen. Wie kann es nun sein, dass derselbe Sachverhalt derart gegensätzlich bewertet wird? Wenn die Entscheidungen so unterschiedlich ausfallen, ist es dann nicht von Vornherein ein Glücksspiel, welchen Richter man bekommt? „Fall Peggy: Schuldspruch gegen Freispruch“ weiterlesen

Fall Peggy: Welchen Beweiswert hat ein Geständnis?

Eines der bedeutendsten Beweismittel im „Fall Peggy“ war das (später widerrufene) Geständnis des zunächst Verurteilten und jetzt Freigesprochenen Ulvi K. Aber was genau bedeutet ein Geständnis für den Prozess?

Wenn jemand eine Tat gestanden hat, dann war er der Täter. Das dürfte zumindest in den Medien und in der landläufigen Meinung anerkannt sein. Wer in einem Zivilprozess zugibt, dass eine fremde Sache unrechtmäßiger Weise zerstört hat, und sich bereit erklärt, den Schadenersatz leisten, wird unweigerlich dazu verurteilt. Und im US-Strafprozess, den wir aus Filmen und Serien kennen, ist es nicht anders: Wer sich schuldig bekennt, ist schuldig. „Fall Peggy: Welchen Beweiswert hat ein Geständnis?“ weiterlesen

Fall Peggy: Freispruch für Ulvi K.

Ulvi K.*, vor neun Jahren als Mörder im „Fall Peggy“ verurteilt, ist heute im Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen worden. Neben der sich aufdrängenden Frage, wer nun tatsächlich der Mörder ist, sind aber auch noch andere Dinge zu interessant:

Diesen Fragen werden wir uns in den nächsten Tagen widmen.

* Der volle Name wird in den Medien in schönem Wechsel mit der Abkürzung genannt, sodass er mittlerweile sich kein Geheimnis mehr ist. Wir begnügen uns trotzdem damit, die Abkürzung zu verwenden.

Die nachträgliche Gesamtstrafe (I)

Über Sinn, Berechnung und Verhängung der Gesamtstrafe haben wir bereits geschrieben. Diese kommt zur Anwendung, wenn mehrere Straftaten desselben Angeklagten vor demselben Gericht verhandelt werden. Daneben gibt es aber noch die Möglichkeit der nachträglichen Gesamtstrafe, § 55 StGB. Diese ist zwar sehr viel seltener, wirft aber ganz eigene Probleme auf.

§ 55 StGB sagt:

Die [Vorschriften über die Bildung der Gesamtstrafe] sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat.

Es geht also um die Situation, dass mehrere Straftaten zusammentreffen, die eigentlich in einem Verfahren und damit mit einer Gesamtstrafe hätten abgeurteilt werden müssen. Dies ist aber nicht geschehen – warum auch immer; häufig wohl deswegen, weil das Gericht nicht wusste, dass noch ein anderes Verfahren anhängig ist, oder, weil die Straftat noch nicht einmal entdeckt war. Allein dieser Aspekt macht das Urteil, das wegen „nur“ eines Teils der Taten erfolgt ist, aber keineswegs ungültig.

Vielmehr versucht man, die Situation herzustellen, die bei Berücksichtigung aller Straftaten erfolgt wäre. Daher wird eine sogenannte nachträgliche Gesamtstrafe gebildet. Der Verurteilte soll also weder besser noch schlechter dastehen als wenn er „im normalen Verfahren“ verurteilt worden wäre.

Prozessual erfolgt dies durch Beschluss des zuständigen Gerichts ohne mündliche Verhandlung, § 462 Abs. 1 Satz 1. Der Verurteilte hat ein Recht darauf, angehört zu werden (schriftlich oder auf Anordnung des Gerichts auch mündlich), mehr aber auch nicht. Ein Austausch von Argumenten wie in der Hauptverhandlung findet nicht statt. Dies ist schon deswegen ungewöhnlich, weil der Grundsatz der mündlichen Verhandlung ein eherner Pfeiler des Strafrechts ist und davon nur abgewichen werden kann, wenn der Angeklagte zumindest schlüssig zustimmt, z.B. durch Verlassen der Hauptverhandlung oder durch Annahme eines Strafbefehls. Dass er hier zwingend auf den Beschlussweg verwiesen wird, ist nicht unproblematisch.

Die Sache wird dadurch etwas abgemildert, dass es ja bereits mindestens zwei in ordentlicher Verhandlung gefällte Urteile gibt, gegen die er alle für ihn sprechenden Gesichtspunkte einwenden konnte. Auch wird die Gesamtstrafe zwangsläufig niedriger als die Einzelstrafen, sodass der Verurteilte davon in jedem Fall profitiert. Trotzdem ist die Höhe der Gesamtstrafe ein rechtlicher Gesichtspunkt, zudem der Verurteilte auch entsprechendes Gehör verdient hätte.

Schwer erträglich sind aber auch die Rahmenbedingungen für die Bildung der Gesamtstrafe. Dass die Zahl der Tagessätze der Gesamtstrafe die höchste Einzelstrafe überschreiten muss, haben wir bereits festgestellt. Nach der Rechtsprechung muss aber auch die Summe der Einsatzstrafe erhöht werden. Und dies kann zu Problemen führen, wenn sich das Einkommen des Angeklagten verändert.

Die Wiederaufnahme des Verfahrens (II)

In letztem Artikel habe ich die Gründe für eine Wiederaufnahme eines Strafverfahrens beschrieben. Heute soll es darum gehen, wie das Verfahren zur Wiederaufnahme konkret abläuft.

Zuständiges Gericht

Für die Frage der Zuständigkeit des Gerichts verweist § 367 Abs. 1 Satz 1 StPO auf das Gerichtsverfassungsgesetz. § 140a GVG sieht vor, dass das „ein anderes Gericht mit gleicher sachlicher Zuständigkeit als das Gericht, gegen dessen Entscheidung sich der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens richtet“, zuständig ist. Wird also ein Urteil des Landgerichts Augsburg angefochten, kann bspw. das Landgericht München zuständig sein. Die genaue Zuständigkeitsverteilung wird durch das Präsidium des jeweiligen Oberlandesgerichts festgelegt.

Antrag

Der Antrag des Verurteilten muss von einem Anwalt unterzeichnet sein (§ 366 Abs. 2 StPO) und den Wiederaufnahmegrund sowie die Beweismittel dafür angeben (§ 366 Abs. 1 StPO). Es muss also ganz konkret gesagt werden, dass das Urteil bspw. wegen Urkundenfälschung aufgehoben werden soll, und zudem, woraus sich ergibt, dass die Urkunde gefälscht war. Das ist ein Gegensatz zu einem normalen Rechtsmittel das in der Regel nicht extra begründet werden muss.

Das zuständige Gericht entscheidet dann zunächst darüber, ob der Antrag überhaupt zulässig ist, also ob er formell korrekt ist, ein vorgesehener Wiederaufnahmegrund geltend gemacht wurde und dafür ein Beweismittel angeboten wird (§ 368 Abs. 1 StPO). Dabei geht es aber noch nicht darum, ob der Wiederaufnahmeantrag Erfolg haben wird – es findet also keine prozessmäßige Prüfung des Beweises statt. Das Gericht weist den Antrag also nur dann als unzulässig zurück (es „verwirft ihn“), wenn es nicht einmal aus Sicht des Antragstellers (wenn also alles, was er beweisen will, als bewiesen vorausgesetzt wird) eine Erfolgsaussicht gibt. Das ist z.B. dann der Fall, wenn er einfach nur behauptet, das Urteil wäre falsch, oder wenn eine angeblich falsche Zeugenaussage moniert wird, ohne einen Beweis anzubieten, aus dem sich das ergeben soll.

Beweisaufnahme

Ist der Antrag zulässig, bestimmt das Gericht einen Richter, der die Beweisaufnahme durchführt, § 369 Abs. 1 StPO. Dabei hat er ziemlich freie Hand, wie er dies bewerkstelligt. Ein „richtiger“ Prozess unter Anwesenheit der Beteiligten findet dabei nur statt, um Zeugen und Sachverständige zu vernehmen. Im Übrigen werden hauptsächlich schriftliche Stellungnahmen und Erklärungen ausgetauscht.

Kommt das Gericht zu dem Schluss, dass ein Wiederaufnahmegrund vorliegt, ordnet es eine neue Hauptverhandlung an (§ 370 Abs. 2 StPO). Nur, wenn absolut klar ist, dass das Urteil nicht anders als Freispruch lauten kann, kann das Wiederaufnahmegericht den Angeklagten selbst freisprechen (§ 371 Abs. 2 StPO).

Neue Hauptverhandlung

Die neue Hauptverhandlung ist durchzuführen wie jede andere Hauptverhandlung auch. Dabei ist nicht ausgeschlossen, dass zwar der Wiederaufnahmegrund bestätigt wird, das Urteil aber dasselbe bleibt. Wenn ein Zeuge der Falschaussage überführt ist, kann es trotzdem sein, dass die übrigen Beweismittel immer noch die Schuld des Angeklagten belegen.

Da es theoretisch sein könnte, dass das neue Gericht die Angelegenheit gravierender beurteilt als das ursprüngliche, darf die Strafe nicht schwerer ausfallen als beim ursprünglichen Urteil. Der Angeklagte soll also kein Risiko eingehen müssen, wenn er sich schon auf den beschwerlichen Weg der Wiederaufnahme macht. Dementsprechend gilt dies nur, wenn der Antrag vom Verurteilten selbst oder von der Staatsanwaltschaft zu seinen Gunsten gestellt wurde.

Die Wiederaufnahme des Verfahrens (I)

„Ne bis in idem“ lautet ein schöner lateinischer Rechtsspruch. Er bedeutet wörtlich (wenig erhellend) „Nicht zweimal im selben“ und meint, dass niemand wegen derselben Tat mehrfach verurteilt werden kann. Mehr noch, es kann auch niemand mehrfach angeklagt werden. Ein einmal ergangenes Urteil ist also endgültig, sobald es rechtskräftig ist. Das schließt freilich nicht die normalen Rechtsmittel (Berufung, Revision) aus, da diese nur das erste Urteil modifizieren. Sind aber alle Rechtsmittel durchlaufen oder wurde auf diese verzichtet, so ist das Urteil grundsätzlich in Stein gemeißelt. Freigesprochen ist freigesprochen und verurteilt ist verurteilt.

Die einzige Ausnahme ist ein sogenanntes Wiederaufnahmeverfahren. Mit ihm wird das Verfahren „wiederaufgenommen“, also neu durchgeführt. Da hierdurch die eigentliche Endgültigkeit des Urteils und die durch dieses hergestellte Rechtssicherheit durchbrochen wird, sind die Voraussetzungen, die das Gesetz vorsieht, sehr eng und wirkliche Ausnahmetatbestände. Dass ein Urteil einfach nur falsch ist, reicht in aller Regel nicht aus. Fehler im Urteil hätten im Rahmen der vorgesehenen Rechtsmittel gerügt werden müssen.

Die Gründe, um ein Urteil zulasten des Angeklagten aufzuheben, also ihn anstelle des Freispruchs zu verurteilen oder ihn anstelle der Verurteilung wegen einer leichteren Tat nun eines schwereren Vergehens oder Verbrechens anzuklagen, sind in § 362 StPO geregelt:

  1. Im Prozess wurde eine gefälschte Urkunde als Beweismittel verwendet.
  2. Ein Zeuge oder Sachverständiger hat vorsätzlich oder fahrlässig unter Eid oder vorsätzlich uneidlich falsch ausgesagt. (Die fahrlässige uneidliche Falschaussage genügt also nicht!)
  3. Ein Richter oder Schöffe hat sich durch das Urteil der Rechtsbeugung schuldig gemacht.
  4. Ein Freigesprochener hat die Tat nachträglich gestanden.

Zugunsten des Angeklagten sind die möglichen Gründe in den Punkten 1 bis 3 identisch wie oben, aber es gibt noch weitere Möglichkeiten (§ 359 StPO):

  1. Gefälschte Urkunde.
  2. Falschaussage.
  3. Rechtsbeugung.
  4. Das Strafurteil basierte auf einem Zivilurteil und dieses Zivilurteil wurde aufgehoben – äußerst selten.
  5. Es sind bisher unberücksichtigte Beweismittel oder Tatsachen aufgetaucht.
  6. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat das Urteil für unrechtmäßig erklärt.

Ergänzend muss man sagen, dass diese ohnehin schon sehr strengen Voraussetzungen durch die Gerichte noch einmal enger ausgelegt werden und ein erfolgreicher Wiederaufnahmeantrag wirklich ganz, ganz selten ist.

Außerdem muss die Änderung des Urteils wesentlich sein. Gemäß § 363 StPO darf es nicht nur darum gehen, wegen der Tat eine niedrigere oder schwerere Strafe zu erreichen. Es muss also zumindest eine Verurteilung einer anderen Tat stattfinden. Beispiele:

  • Angeklagter wurde freigesprochen. Staatsanwalt will Verurteilung erreichen. => zulässig
  • Angeklagter wurde wegen Diebstahls zu einer Geldstrafe verurteilt. Staatsanwaltschaft will Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe erreichen. => unzulässig, da es um dasselbe Strafgesetz geht
  • Angeklagter wurde wegen Totschlags verurteilt. Staatsanwaltschaft will Verurteilung wegen Mordes erreichen. => zulässig, da es um ein anderes Strafgesetz geht

Wie ein BGH-Urteil aussieht

Heute kann man ohne Weiteres die Urteile auch der höchsten Gerichte ohne große Umstände einzusehen – das Internet macht’s möglich und ist auch an der Justiz nicht spurlos vorbeigegangen. Darum möchten wir heute einmal ein echtes BGH-Urteil vorstellen und es erläutern.

Es geht um das Urteil mit dem Aktenzeichen 5 StR 41/14 vom 18. Februar 2014, das als Original-PDF auf den Seiten des BGH abrufbar ist.

BESCHLUSS

Die übliche Einleitungsformel einer Entscheidung. Daran, dass hier „Beschluss“ drübersteht, erkennt man schon, dass es keine mündliche Verhandlung gegeben hat, sondern nach Aktenlage entschieden wurde. Eine richtige Hauptverhandlung findet äußerst selten statt (in ca. 5 % der Fälle), da es ja nur noch um Rechtsfragen geht, die man meistens anhand der Akten entscheiden kann und keine Zeugenvernehmungen o.ä. notwendig sind. Wird nach einer mündlichen Verhandlung entschieden, wird die Entscheidung mit „Urteil“ überschrieben.

5 StR 41/14
vom
18. Februar 2014

Das Aktenzeichen verrät einiges über die Entscheidung:

  • StR bedeutet, dass es sich um eine Revision in Strafsachen vor dem Bundesgerichtshof handelt.
  • Die vorangestellte 5 sagt aus, dass der fünfte Strafsenat des BGH entschieden hat. Wie alle Gerichte ist auch der BGH in verschiedene „Abteilungen“ gegliedert, es entscheiden also nicht immer die gleichen Richter über alle Fälle. Der fünfte Senat ist bspw. für den Osten Brandenburgs, für Berlin, für den Westen des Saarlands, für Bremen, für Schleswig-Holstein und für den Norden Niedersachsens zuständig.
  • Das Verfahren war das 41. des Jahres, in dem der Fall eingereicht wurde, und
  • dieses Jahr war 2014.

Die Aktenzeichen dienen also nicht nur der Durchnummerierung der Urteile, sondern erlauben auch gleich eine rechtliche Einordnung. Bei einem Urteil mit „StR“ im Aktenzeichen wird es also in aller Regel nicht um zivilrechtliche Fragen gehen und ein Urteil mit „/21“ am Ende hat schon bald 100 Jahre auf dem Buckel und entspricht möglicherweise nicht mehr dem aktuellen Stand der Rechtsprechung.

in der Strafsache
gegen
(…)
wegen besonders schweren Raubes u.a.

Das Urteil ist anonymisiert, darum wird der Name des Verurteilten in diesem „Rubrum“ (das „Rotgeschriebene“, weil früher für den Kopf des Urteils tatsächlich rote Farbe verwendet wurde) vollständig ausgeblendet. Im weiteren Text des Urteils werden die Namen meist abgekürzt wiedergegeben, damit man die Akteure auseinanderhalten kann.

1. Auf die Revision des Angeklagten W. wird das Urteil des Landgerichts Zwickau vom 30. Oktober 2013 – auch soweit es die Mitangeklagte B. betrifft – nach § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Das Gericht hat nach § 349 Abs. 4 StPO entschieden, also die Revision einstimmig für begründet befunden. Daher wurde das vorherige Urteil des Landgerichts aufgehoben, und zwar „mit den Feststellungen“. Das bedeutet, dass auch die Tatsachenfeststellungen von der Aufhebung betroffen sind und nicht lediglich die rechtlichen Schlussfolgerungen. Blieben die Feststellungen erhalten, müsste nur noch aufgrund dieser Tatsachen eine juristische Wertung erfolgen, also Freispruch oder Verurteilung wegen einer bestimmten Straftat sowie ggf. die Festlegung des Strafmaßes.

Übrigens kommt dieser Erfolg auch der „Mitangeklagten B.“ zugute, obwohl sie selbst gar kein Rechtsmittel eingelegt hat. Dazu aber später mehr.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Der Bundesgerichtshof hat nur das bisherige Urteil aufgehoben, er entscheidet nicht selbst in der Sache. Das Landgericht muss also nun eine neue Verhandlung durchführen. Gegen dieses Urteil könnte dann übrigens wiederum Revision zum BGH eingelegt werden.

Das Landgericht hat den Angeklagten W. wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt; die nichtrevidierende Mitangeklagte B. hat es wegen Raubes in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt.

Hier wird ganz knapp dargestellt, wie das vorherige Urteil lautete.

Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.

Das Ergebnis des Verfahrens: Die Revision hat Erfolg.

Dabei handelte es sich um die sogenannte „Sachrüge“, mit der eine falsche Anwendung des Strafrechts moniert wird. Konkret soll das Landgericht also Fehler bei der Bestimmung dessen, was ein Raub laut StGB ist und ob sich die Angeklagten dessen schuldig gemacht haben, gemacht haben. Der Gegenbegriff ist die Verfahrensrüge, mit der Fehler bei der Prozessführung geltend gemacht werden. Außerdem gibt es noch die Aufklärungsrüge, die dann greift, wenn das Gericht den Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt hat und es noch Lücken in den Feststellungen gibt.

1. Nach den Feststellungen besuchten am 20. April 2013 der Angeklagte W. und die Angeklagte B. , die von ihrer Tochter und deren Freund, dem gesondert Verfolgten S. begleitet wurde, die geschädigten Eheleute F. in deren Wohnung (…) entwendeten der Angeklagte W. und S. aus der Wohnung der Eheleute F. „ungestört in Ausnutzung der fortwirkenden Gewalt“ Gegenstände im Gesamtwert von ca. 100 €. Die Angeklagte B. machte sich die Wegnahme zu eigen, indem sie half, die entwendeten Sachen in ihre Wohnung zu tragen (Fall II.2 der Urteilsgründe).

Eine Rekapitulation der Tatsachen, die das Ausgangsgericht festgestellt hat. Damit wird praktisch die Grundlage gelegt, auf der die Entscheidung erst getroffen werden kann.

2. Diese Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten W. wegen Raubes und besonders schweren Raubes (§ 249 Abs. 1, § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB) nicht.

Welcher Fehler lag vor? Die Feststellung („W hat das gemacht, B hat das gemacht“) sind nicht mit dem Urteil („W und B sind des Raubes schuldig“) vereinbar. Warum das so ist, wird danach näher ausgeführt. Das ist der sogenannte Urteilsstil, weil er von Gerichten angewandt wird: Das Ergebnis wird vorweg gestellt, danach wird es begründet.

Nach ständiger Rechtsprechung muss zwischen der Drohung mit oder dem Einsatz von Gewalt und der Wegnahme beim Raub eine finale Verknüpfung bestehen; Gewalt oder Drohung müssen das Mittel zur Ermöglichung der Wegnahme sein.

Die allgemeine (Teil-) Definition des Raubs.

An einer solchen Verknüpfung fehlt es, wenn eine Nötigungshandlung nicht zum Zwecke der Wegnahme vorgenommen wird, sondern der Täter den Entschluss zur Wegnahme erst nach Abschluss dieser Handlung fasst

Nähere Spezifizierung: Wann sind die Voraussetzungen des Raubs gerade nicht erfüllt?

(vgl. BGH, Urteil vom 22. September 1983 – 4 StR 376/83, BGHSt 32, 88, 92; Urteil vom 20. April 1995 – 4 StR 27/95, BGHSt 41, 123, 124; Urteil vom 16. Januar 2003 – 4 StR 422/02, NStZ 2003, 431, 432; Beschluss vom 24. Februar 2009 – 5 StR 39/09, NStZ 2009, 325; MünchKomm/Sander, StGB, 2. Aufl., § 249 Rn. 31 mwN)

Eine äußerst umfangreiche Übersicht über Gerichtsurteile und juristische Kommentare (hier: der „Münchner Kommentar“, Autor des zitierten Abschnitt ist ein Herr Sander), die die Ansicht zur Raubdefinition stützen. Das „mwN“ bedeutet „mit weiteren Nachweisen“, also stehen im Münchner Kommentar wieder andere Quellen, die man sich auch noch zu Gemüte führen kann.

Hier hatte sich der Angeklagte nach den Feststellungen jeweils erst nach seiner letzten Gewaltanwendung zur Wegnahme entschlossen. Eine Äußerung oder sonstige Handlung des Angeklagten vor der Wegnahme, die eine auch nur konkludente Drohung mit weiterer Gewalt beinhaltete, ist nicht festgestellt.

Übertragung der Rechtslage auf den konkreten Fall. Ein Raub liegt demnach nicht vor.

3. Die Sache bedarf deshalb insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Landgericht in neuer Hauptverhandlung Feststellungen zu treffen vermag, die eine Verurteilung wegen Raubdelikten stützen.

Es könnte aber sein, dass bei einer erneuten Prüfung weitere Tatsachen zu Tage gefördert werden, auf die man bisher keinen Wert gelegt hat, weil der Raubvorwurf aus Sicht des Landgerichts bereits bewiesen war. Nun weiß man, die rechtlichen Voraussetzungen eines Raubs doch nicht gegeben sind. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass es weitere, bisher unberücksichtigte Fakten gibt, die doch eine Verurteilung wegen Raubes ergeben. Daher können die Täter nicht einfach freigesprochen werden, sondern es muss eine neue Verhandlung stattfinden, die der Sache weiter auf den Grund geht.

Da der aufgezeigte materiellrechtliche Fehler des Urteils die nicht revidierende Mitangeklagte B. in gleicher Weise betrifft, ist die Aufhebung auf sie zu erstrecken, nachdem sie – zum Antrag des Generalbundesanwalts auf Entscheidung nach § 357 StPO über ihren Verteidiger angehört – einer solchen Erstreckung nicht widersprochen hat.

Auch Frau B. wurde angeklagt und vom Landgericht verurteilt. Möglicherweise hat sie aber eine untergeordnete Rolle gespielt oder es gab Gesichtspunkte zu ihren Gunsten. Jedenfalls wurde sie nicht zu einer längeren Freiheitsstrafe verurteilt, sondern bekam lediglich 21 Monate auf Bewährung. Wenn sich ein Verurteilter denkt „Damit bin ich ja noch glimpflich davongekommen“ oder er die Kosten eines Revisionsverfahren scheut, dann kann er das Urteil selbstverständlich einfach auf sich beruhen lassen und kein Rechtsmittel einlegen.

Hier war es jedoch so, dass der Mitangeklagte in Revision ging und daraufhin das Urteil aufgehoben wurde. Damit wäre es eigentlich so, dass gegen ihn neu verhandelt werden müsste, während es für die Komplizin beim alten Urteil bleibt. Das würde aber bedeuten, dass ein vom zuständigen Gericht als falsch bezeichnetes Urteil Bestand hätte. Das ist mit rechtsstaatlichen Prinzipien schwer vereinbar, darum wirkt gemäß § 357 StPO eine Revisionsentscheidung grundsätzlich zugunsten aller Angeklagter.

Einen Nachteil kann die Angeklagte B darauf nicht haben, denn das neue Urteil darf nicht schwerer wiegen als das alte (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO)

Basdorf Sander Schneider Berger Bellay

Und schließlich noch die Unterschriften aller beteiligter Richter. Wichtig ist, dass diese Unterschriften auf dem Originalurteil (das in den Gerichtsakten bleibt) handschriftlich unterzeichnen müssen. Erfolgt das nicht innerhalb der gesetzlichen Frist, ist das Urteil fehlerhaft.

Auf den Ausfertigungen, die den Beteiligten zugeschickt werden, werden die Unterschriften (wie hier) durch die maschinenschriftliche Namenswiedergabe bezeugt. Der Urkundsbeamte prüft also (zumindest theoretisch), ob die Richter unterschrieben haben und setzt deren Namen unter das Urteil. Anschließend stempelt und unterschreibt er selbst zum Beweis der Übereinstimmung mit dem Original.

Dieser Prüfvorgang muss sich aber auch aus der Ausfertigung ergeben. Bereits in den 1920er-Jahren wurde festgestellt, dass eine bloße Wiedergabe mit „gez. Richter“ nicht ausreichend ist, da daraus nicht hervorgeht, dass tatsächlich alle Richter einzeln unterschrieben haben.

Fazit

So ein Urteil ist kein Hexenwerk. Man kann es einigermaßen gut lesen und wenn man gewisse Konventionen kennt, ist auch einigermaßen verständlich, warum ein Urteil genau so formuliert ist und welche Folgen sich daraus ergeben.

Staatsanwaltschaft vergisst Unterschrift

Manchmal kann eine simple Unterschrift eine riesige Bedeutung haben. Diese Erfahrung musste nun die Leipziger Staatsanwaltschaft machen, die beim Dresdner Oberlandesgericht (Beschluss vom 13. Februar 2014, Az: 2 Ws 658/14) eine Niederlage einstecken musste.

Die Staatsanwaltschaft hatte Verantwortliche der sächsischen Landesbank wegen angeblicher Untreue angeklagt. Das zuständige Landgericht lehnte es ab, den Prozess zu eröffnen, höchstwahrscheinlich, weil es die Vorwürfe nicht für ausreichend hielt (§§ 199 Abs. 1, 204 Abs. 1 StPO). Hiergegen hat die Staatsanwaltschaft Beschwerde eingelegt (§ 210 Abs. 2 StPO), sie wollte also, dass das Oberlandesgericht das Landgericht anweist, die Anklage doch zuzulassen.

Diese Beschwerde hätte nach § 306 Abs. 1 StPO eigentlich schriftlich eingelegt werden müssen. Schriftlich bedeutet in dem Fall nicht nur „auf Papier“, sondern auch mit handschriftlicher Unterschrift oder Beglaubigungsvermerk. Der Grund dafür ist, dass für besonders wichtige (sog. „bestimmende“) Schriftsätze sichergestellt sein muss, dass diese wirklich authentisch und endgültig sind, also bspw. nicht lediglich ein Entwurf versehentlich gefaxt wurde.

Die Unterschrift fehlte in diesem Fall allerdings, weswegen das OLG die Beschwerde als unzulässig aufgrund Formfehlers verwarf. Somit wird es also zu keinem Prozess in der Sache kommen.

In der Diskussion hierüber wurde nun gemutmaßt, dass dieser Fehler möglicherweise Absicht gewesen sei. Die Staatsanwaltschaft (bzw. die dahinterstehende Politik) hätte gar kein Interesse gehabt, einen öffentlichen Prozess anzustrengen, sondern man wollte das Ganze lieber unter den Teppich kehren.

Diese Unterstellung hat aber einige ganz gewichtige Haken. Zum einen hat die Staatsanwaltschaft ja tatsächlich Anklage erhoben. Hätte das Gericht (was die absolute Regel ist) die Anklage zugelassen, wäre es unmittelbar zum Prozess gekommen. Und normalerweise lassen die Gerichte die Anklage auch in Zweifelsfällen zu, wenn es zumindest denkbar erscheint, dass die Angeschuldigten verurteilt werden – ob es dann wirklich für einen Schuldspruch reicht, muss das Gericht nach umfangreicher Beweisaufnahme feststellen. Mit Einreichung der Anklageschrift hatte die Staatsanwaltschaft also an sich schon den Prozess in Gang gesetzt.

Und wenn der Staatsanwalt die Angelegenheit stillschweigend hätte beerdigen wollen, dann hätte er es sicher nicht an so einem Fehler scheitern lassen. Denn wenn ein Prozess wegen einer fehlenden Unterschrift platzt, dann wirkt das nach außen sicher alles andere als souverän. Da wäre es sehr viel einfacher und unverfänglicher gewesen, die Nichtzulassung der Anklage einfach zu akzeptieren. „Wir sind nach wie vor der Überzeugung, dass hier die Durchführung eines Hauptverfahrens geboten wäre, aber wir halten die Auffassung des Gerichts ebenfalls für vertretbar und akzeptieren diese aus Respekt vor der richterlichen Unabhängigkeit“ – und damit läge der Schwarze Peter beim Gericht und man selbst wäre aus dem Schneider. Dass es die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss gegeben hätte, ist in der Öffentlichkeit ziemlich unbekannt und kaum jemand hätte den Strafverfolgern hier vorgeworfen, dieses Rechtsmittel nicht ergriffen zu haben. Ganz anders sieht es dagegen aus, wenn man die Beschwerde einlegt, sie aber an einer Petitesse scheitern lässt.

Diese fehlende Unterschrift war mit Sicherheit ganz einfach ein Fehler, wie er überall passiert, wo Menschen arbeiten.

Nach Karlsruhe gehen (II)

Neben dem einen Karlsruhe gibt es aber auch das andere Karlsruhe: Das Bundesverfassungsgericht. Wenn Sie wissen, dass die Abkürzung für dieses Gericht „BVerfG“ und nicht etwa „BVG“ lautet und Sie es zudem weder mit dem Bundesgerichtshof noch mit dem Bundesverwaltungsgericht verwechseln, haben Sie schon einmal mehr Ahnung von der Materie als 90 % der Deutschen. Und das ist auch in PISA-Zeiten noch ein Kompliment.

Das Bundesverfassungsgericht beschäftigt sich in erster Linie getreu seinem Namen mit „richtigen“ verfassungsrechtlichen Streitigkeiten. Da geht es um die Auslegung des Grundgesetzes und die Rechte und Pflichten der Verfassungsorgane untereinander. Beteiligte sind dementsprechend auch nur eben diese Verfassungsorgane, also zum Beispiel die Bundesregierung, der Bundesrat oder Peter Gauweiler.

Dann gibt es aber auch noch die Verfassungsbeschwerde. Und da kommen Sie ins Spiel: Wenn Sie sich durch die „öffentliche Gewalt“ in einem Ihrer Grundrechte verletzt sehen, können Sie nach Karlsruhe gehen. Nehmen wir also an, die haben sich vom Amtsgericht Hintertupfing aus hochgeklagt und sind bis Karlsruhe (in dem Fall Karlsruhe I, also zum Bundesgerichtshof) gekommen. Dessen Urteil gefällt Ihnen aber auch nicht. Also ziehen Sie weiter zum Bundesverfassungsgericht und schreiben (höchstpersönlich, denn ihren nichtsnutzigen Anwalt, der Ihnen diese Niederlage vor dem BGH schließlich eingebrockt hat, haben Sie längst gefeuert) eine gesalzene Verfassungsbeschwerde: „Das Urteil des BGH ist eine Sauerei! Es ist falsch, völlig falsch sogar! Unmöglich, sowas! Bitte, liebes BVerfG, hilf mir und verschaffe mir mein Recht!“ Sie werden kein Gehör finden. Denn das Bundesverfassungsgericht ist nicht dafür da, falsche Urteile richtigzustellen. Prinzipiell ist es natürlich schon so, dass man auch gegen Urteile Verfassungsbeschwerde erheben kann. Wenn der Rechtsweg (auch derjenige, der unterhalb von Karlsruhe endet) ausgeschöpft ist, dann kann man immer noch Verfassungsbeschwerde einreichen. Aber diese muss eine Grundrechtsverletzung zumindest behaupten. Ein Urteil, das einfach nur falsch ist, interessiert das BVerfG nicht.

Diese Verfassungsbeschwerden, die eigentlich nur ein untergeordneter Aspekt der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung sind, machen quantitativ den Löwenanteil der BVerfG-Verfahren aus. Dass eine Verfassungsbeschwerde den Weg zu einer Verhandlung in Karlsruhe findet, ist dagegen recht unwahrscheinlich. Die allermeisten Klagen werden schon im Anfangsstadium abgeblockt und als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen. Dass sich die gerade einmal 16 Verfassungsrichter nicht mit jährlich etwa 6000 Verfassungsbeschwerden beschäftigen können, ist sicher einleuchtend. Daher gibt es mittlerweile eine enorme Zahl wissenschaftlicher Mitarbeiter, die hier eine Vorprüfung vornehmen und deren Expertise auch in aller Regel die Marschrichtung vorgibt. Diese Mitarbeiter sind aber keine gewöhnlichen „Hiwis“, sondern meist gestandene Juristen. Schließlich lassen sich die Karlsruher Richter ja nicht von irgendjemandem die Arbeit vom Hals schaffen!