Die Wahrheit vor Gericht – Teil II

Teil I dieses Beitrags finden Sie hier.

Es gibt aber auch Fälle, in denen Menschen die Wahrheit wohl kennen, sie aber nicht akzeptieren wollen, in denen sie eine eigene Wahrheit aufbauen, mit der sie besser leben können.

Ein Mandant (Hinweis auf Detailverfremdungen wie oben) befindet sich seit Jahren in verschiedenen Rechtsstreitigkeiten mit vielerlei Personen. Ein Schlüsselerlebnis für ihn war, dass ihn sein früherer Geschäftspartner wohl betrogen hat. Es gibt durchaus starke Indizien, dass dies tatsächlich so war, der schlussendliche Beweis konnte aber nie erbracht werden.

Nun wurde dieser Mandant wegen einer Straftat verurteilt, die in keiner Weise mit seinem Geschäftspartner zusammenhing. Da in seiner Anschauung aber alles mit allem zusammenhängt, macht das für ihn keinen Unterschied. Dieses Urteil sei aber, wie er ganz freudig betont, eigentlich ein Sieg für ihn. Die Geldstrafe sei für ihn nicht so schlimm, die Urteilsgründe sind das Entscheidende. Denn dort stünde ja, dass er damals betrofen worden sei – endlich, nach so vielen Jahren hat die Justiz ihm doch noch Recht gegeben!

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Die Wahrheit vor Gericht – Teil I

Bevor ein Gericht das Recht auf einen Sachverhalt anwenden kann, muss es erst einmal feststellen, von welchem Sachverhalt es ausgehen muss, was also tatsächlich passiert ist. Dies geschieht in der Regel im gerichtlichen Verfahren, das man insoweit auch als Erkenntnisverfahren bezeichnet.

Um den Sachverhalt nicht völlig aus dem luftleeren Raum schöpfen zu müssen, verlässt sich das Gericht auf Beweismittel. Diese Beweismittel sind in den meisten Prozessordnungen genau aufgezählt:

  • Sachverständige
  • Augenschein
  • Parteivernehmung/Einlassung des Angeklagten
  • Urkunden
  • Zeugen

Recht viel mehr an Erkenntnisquellen gibt es auch einfach nicht.

Ziel des Erkenntnisverfahrens ist es also, die Wahrheit herauszufinden. Das sagt z.B. § 244 Abs. 2 StPO und einige andere Vorschriften nehmen darauf Bezug, was der Richter zur „Erforschung der Wahrheit“ alles tun darf oder muss. In der Zivilprozessordnung findet man dieses Verhandlungsziel nirgends so deutlich niedergeschrieben, aber auch hier sind bspw. die Parteien (§ 138 Abs. 1 ZPO) und die Zeugen (§ 395 Abs. 1) an die Wahrheit gebunden.

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Der Münchner Dashcam-Fall aus meiner Sicht als Verteidiger

Normalerweise äußere ich mich ja nicht zu Verfahren, an denen ich selbst beteiligt bin. Da das „Dashcam-Urteil“ des Amtsgerichts München (1112 Owi 300 Js 121012/17 vom 09.08.2017) aber in den Medien doch recht erheblichen Widerhall gefunden hat, wollte ich doch noch – mit ausdrücklicher Zustimmung meiner Mandantschaft – einige erklärende Worte dazu loswerden:

Worum ging es?

Das Auto meiner Mandantin wurde vor einige Zeit erheblich beschädigt, offensichtlich durch Vandalismus. Auf dem Schaden (einige tausend Euro) blieb sie sitzen, weil die Täter nicht zu ermitteln waren.

Damit das nicht wieder passiert, hat sie sich zwei Dashcams angeschafft, die das Geschehen vor der Windschutzscheibe und hinter der Heckscheibe aufzeichnen sollten.

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Die Top Ten für den Oktober 2016

Auch Radfahrer sind natürlich den allgemeinen Vorschriften des Verkehrsrechts und speziellen Regeln unterworfen. Und wie war das nochmal, darf man als Radfahrer Musik über Kopfhörer hören?

Das BGB hat eine lange Geschichte. Die Sklaverei hat es aber, entgegen einem Gerücht, nicht erst verbieten müssen. Mehr dazu auf rechtshistorie.de.

Zwischen „Recht haben“ und „Recht bekommen“ steht nicht selten die Frage, ob man sein Recht wirklich beweisen kann. Auch in der ZPO spielt die Darlegungslast eine erhebliche Rolle. „Die Top Ten für den Oktober 2016“ weiterlesen

Umständliche Ausdrucksweise

Juristen sind eigentlich dafür bekannt, sich umständlich auszudrücken – das denkt zumindest die Allgemeinheit. Tatsächlich pflegt die Juristerei (meistens) eine ziemlich präzise Sprache. Ein bestimmter Begriff mag nicht gleich verständlich sein, aber wenn man ihn einmal verstanden hat, kann man Gesetze, an denen dieser Begriff wiederum verwendet wird, sehr einfach interpretieren. Zumindest sollte das so sein, leider hat die Begriffsschärfe bei neuen Gesetzen in den letzten Jahren und Jahrzehnten etwas nachgelassen.

Aber auch der Satzbau von Rechtsnormen ist nicht immer leicht zu verstehen. Wenn dem so ist, dann mag das aber nicht nur daran liegen, dass man sich einer absichtlich verkomplizierten juristischen Geheimsprache bedient. Manchmal hat das schon seinen Sinn.

So sagt § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB (eine der wichtigsten Grundnormen des neuen Schuldrechts):

Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen.

Satz 2 schränkt das Recht auf Schadenersatz aber wieder ein:

Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

„Zu vertreten“ bedeutet hier ganz einfach „fahrlässig oder vorsätzlich“ und wird normalerweise mit dem Begriff „schuldhaft“ zusammengefasst. Man hätte also theoretisch den zweiten Satz ganz weglassen und einfach schreiben können:

Verletzt der Schuldner schuldhaft eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen.

Dass man es anders gelöst hat, liegt nicht nur daran, dass man den unschönen Zusammenprall dreier Wörter mit „Schuld“ vermeiden wollte. Auch das doppelte „nicht“ im zweiten Satz hat eine Funktion. Dadurch wird das Verschulden des Schuldners vermutet. Kann er nichts dafür, muss er seine Schuldlosigkeit vermeiden. Man muss diesen Satz also so lesen:

Dies gilt nur dann nicht, wenn der Schuldner beweisen kann, dass er die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

Warum man es dann nicht so ins Gesetz geschrieben hat? Nun ja, das ist dann wohl doch wieder Teil einer absichtlich verkomplizierten juristischen Geheimsprache.