Der Münchner Dashcam-Fall aus meiner Sicht als Verteidiger

Normalerweise äußere ich mich ja nicht zu Verfahren, an denen ich selbst beteiligt bin. Da das „Dashcam-Urteil“ des Amtsgerichts München (1112 Owi 300 Js 121012/17 vom 09.08.2017) aber in den Medien doch recht erheblichen Widerhall gefunden hat, wollte ich doch noch – mit ausdrücklicher Zustimmung meiner Mandantschaft – einige erklärende Worte dazu loswerden:

Worum ging es?

Das Auto meiner Mandantin wurde vor einige Zeit erheblich beschädigt, offensichtlich durch Vandalismus. Auf dem Schaden (einige tausend Euro) blieb sie sitzen, weil die Täter nicht zu ermitteln waren.

Damit das nicht wieder passiert, hat sie sich zwei Dashcams angeschafft, die das Geschehen vor der Windschutzscheibe und hinter der Heckscheibe aufzeichnen sollten.

Schließlich kam es tatsächlich zu einem Unfall: Ein anderer Verkehrsteilnehmer fuhr mit seinem Wagen das geparkte Auto meiner Mandantin an und setzte seine Fahrt fort. Da sein Nummernschild gut erkennbar war, ließ sich der Halter schnell herausfinden und der Schaden regulieren.

Die Polizei nahm die Dashcam-Aufnahmen gerne entgegen. Die Bilder führten auch dazu, dass der Unfallverursacher vom Vorwurf einer möglichen Fahrerflucht (Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, § 142 StGB) entlastet wurde, da er den leichten Zusammenstoß offensichtlich nicht bemerkt hatte.

Nun wurde meiner Mandantin aber der Vorwurf gemacht, unerlaubt gefilmt und die Aufnahmen unerlaubt verwendet zu haben. Das soll gegen das Bundesdatenschutzgesetz verstoßen. Als der Anhörungsbogen im Bußgeldverfahren eintraf, kam sie in meine Kanzlei und seitdem verteidige ich sie nun, zum einen gegenüber der Datenschutzbehörde, danach vor dem Amtsgericht und nun auch noch im Rechtsmittelverfahren.

Wie geht es nun weiter?

Gegen das Urteil des Amtsgerichts gibt es in OWiG-Sachen nur das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde. Dabei handelt es sich um eine Art Revision, also nur um eine Nachprüfung des Urteils auf Rechtsfehler. Eine erneute Beweisaufnahme o.ä. findet nicht statt.

Da es sich um ein relativ niedriges Bußgeld (unter 250 Euro) handelt, ist die Rechtsbeschwerde nicht automatisch zulässig, sondern muss erst durch das Amtsgericht zugelassen werden. Zulassungsgründe sind bspw. eine unklare Rechtslage und eine besondere Bedeutung der Sache.

Da einerseits Dashcams immer populärer werden, andererseits die rechtliche Einordnung noch höchst umstritten ist, gehe ich davon aus, dass die Rechtsbeschwerde zugelassen wird und das OLG München entscheiden wird.

Gibt es nicht schon einige Urteile zu Dashcams?

Doch, die gibt es. Verschiedene Gerichte haben sich bereits dazu geäußert, meist aber nur in prozessualer Hinsicht: Ist eine Dashcam-Aufnahme als Beweismittel zulässig oder nicht? Schon diese Entscheidungen sind alles andere als einheitlich und widersprechen sich oft sogar in den ganz grundsätzlichen Wertungen.

Außerdem ging es eben fast immer nur um die Frage der Beweisverwertung. Verurteilt wurde meine Mandantin aber wegen der Beweiserhebung.

Muss man zwischen Beweisverwertung und Beweiserhebung unterscheiden?

Das ist hier genau die Frage. Zwar ist allgemein anerkannt, dass auch unzulässig erlangte Beweismittel in Prozessen verwendbar sein können. Also macht die (mögliche) Verwertbarkeit im Prozess die Aufzeichnung mit Dashcams noch lange nicht legal.

Was bedeutet das dann für einen Prozess?

Im Zivilprozess gibt es keine staatliche Ermittlung der Wahrheit. Es liegt an den Parteien, dem Gericht ihre Sicht der Dinge vorzutragen und ggf. zu bestreiten, was der Gegner sagt. Der Richter muss seine Überzeugung aufgrund der ihm vorgelegten Beweise bilden. Und noch dazu muss der Kläger, also die Person, die etwas vom Beklagten will (hier eben Schadenersatz wegen eines Unfalls), den Beweis erbringen, dass sein Anspruch berechtigt ist.

Und wie hätte meine Mandantin das hier machen sollen? Soll sie auf einen glücklichen Zufall und einen geistesgegenwärtigen Zeugen hoffen, der schnell die Autonummer aufschreibt? Hier ist es also so, dass der gleiche Staat, der ihr einerseits eine vollumfängliche Beweislast auferlegt, ihr andererseits wieder verbieten will, schlagkräftige Beweise überhaupt erst zu sammeln.

Das Bundesdatenschutzgesetz erlaubt daher auch das Filmen, soweit es zur Aufkärung von Straftaten (§ 6b Abs. 3 BDSG) oder zur Durchführung von Schuldverhältnissen (§ 28 Abs. 1 Nr. 1 BDSG) erforderlich ist.

Je weiter sich Dashcams verbreiten, umso eher werden sie zum Goldstandard bei Verkehrsunfällen werden. Richter werden sich immer mehr auf Aufnahmen verlassen, die nunmal ziemlich objektiv sind. Gerade in Verkehrsunfallsachen hat jeder eine eigene Sicht der Dinge. Jeder ist bei Grün gefahren und keiner hat die Fahrspur unachtsam gewechselt. Zeugen sagen ganz häufig nur, dass es gekracht hat und sie dann erst auf den Unfall aufmerksam geworden sind. Darum wird sehr oft ein 50/50-Verschulden angenommen, bei dem jeder die Hälfte des Schadens zahlt.

Die Rechtslage, wenn sich dieses Urteil durchsetzt, würde also dahin gehen, dass der Dashcam-Filmer sich seine Aufnahmen daheim erst einmal ansieht, dann abwägt, ob diese für ihn positiv sind und schließlich ein geringes Bußgeld in Kauf nimmt, um den Rechtsstreit zu gewinnen. Und wenn ihn die Aufnahmen eher belasten, erzählt er nichts von der Kamera und geht mit relativ offenen Chancen in das Gerichtsverfahren. Die Ordnungswidrigkeit wird also zur Prozesstaktik.

Wie wird es weitergehen?

Zunächst einmal wird (wahrscheinlich) das OLG München entscheiden. Dessen Entscheidung ist dann in Bayern datenschutzrechtlich wohl das vorerst letzte Wort.

Wie es prozessual weitergeht, ist aber völlig offen. Vielleicht wird hier der BGH einmal das entscheidende Wort zur Verwertbarkeit der Aufnahmen sprechen.

Im Ergebnis wird aber nur der Gesetzgeber für Klarheit sorgen können. Er müsste dann definitiv regeln, ob und in welcher Form Dashcams erlaubt sind. Dann wäre aber auch ziemlich klar, dass die Aufnahmen, die erlaubt angefertigt wurden, im Prozess verwendet werden können.

Verbietet er sie komplett, dann wäre das zumindest eine klare Rechtslage. Nur würde es der Tendenz des Staates, den Bürger immer mehr zu überwachen, widersprechen. Dass man, wie das Amtsgericht meinte, staatlich überwachte Plätze ja einfach meiden könnte, ist insofern nur ein ganz geringer Trost.

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