Die Prüfung von Verfahrenshindernissen in der strafrechtlichen Revision

Am Anfang jeder zulässigen Revision prüft das Revisionsgericht, ob die Verfahrensvoraussetzungen für den Strafprozess der Vorinstanz (erste Instanz beim Landgericht oder erste Instanz beim Amtsgericht und Berufungsinstanz beim Landgericht) vorlagen. Dies geschieht auch ohne expliziten Antrag des Beschwerdeführers, wobei es dem Anwalt natürlich unbenommen bleibt, hierzu Ausführungen zu machen, damit das Gericht nichts übersieht.

Es gibt im Wesentlichen folgende Verfahrensvoraussetzungen bzw. -hindernisse: „Die Prüfung von Verfahrenshindernissen in der strafrechtlichen Revision“ weiterlesen

Sittensen-Urteil: Bundesgerichtshof muss entscheiden

Im Sittensen-Prozess haben sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Verteidigung Revision eingelegt. Beide (also auch die Staatsanwaltschaft) wollen erreichen, dass der Verurteilte nunmehr freigesprochen wird.

Die Entscheidung darüber fällt in zweiter und letzter Instanz der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe. Dieser ist für die Revisionen gegen alle erstinstanzlichen Urteile der Strafkammern beim Landgericht (hier der Schwurgerichtskammer, weil es um ein Tötungsdelikt geht) zuständig. „Sittensen-Urteil: Bundesgerichtshof muss entscheiden“ weiterlesen

Herr Richter, unterschreiben Sie!

Das Urteil ist von den Richtern, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben, zu unterschreiben.

Das sagt § 315 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Und dennoch wird kaum ein Beteiligter an einem Rechtsstreit jemals die handschriftliche Unterzeichnung des Richters gesehen haben. Dabei verlangt § 317 Abs. 1 Satz 1 ZPO doch:

Die Urteile werden den Parteien (…) zugestellt.

Wenn das Urteil vom Richter unterschrieben ist und das Urteil zugestellt wird, dann muss doch auf dem, was zugestellt wird, die Unterschrift des Richters sein.

Das Problem dabei ist nur, dass das Gesetz mit dem einheitlichen Begriffe „Urteil“ ganz verschiedene Dinge meint, die sich erst aus dem Zusammenhang ergeben. „Herr Richter, unterschreiben Sie!“ weiterlesen

BGH zu Abschleppkosten

Der Bundesgerichtshof hat ein Urteil (4. Juli 2014, V ZR 229/13) zu Abschleppkosten gefällt. Im Grundsatz ändert sich nichts an der Tatsache, dass der Eigentümer eines Parkplatzes ein rechtswidrig geparktes Auto abschleppen lassen darf. Die Kosten muss der Falschparker ersetzen. Allerdings wurde die Ersatzpflicht auf die ortsüblichen Kosten beschränkt.

Das Urteil liegt derzeit noch nicht vor, aus der Pressemitteilung des BGH geht aber folgendes hervor: „BGH zu Abschleppkosten“ weiterlesen

Wie ein BGH-Urteil aussieht

Heute kann man ohne Weiteres die Urteile auch der höchsten Gerichte ohne große Umstände einzusehen – das Internet macht’s möglich und ist auch an der Justiz nicht spurlos vorbeigegangen. Darum möchten wir heute einmal ein echtes BGH-Urteil vorstellen und es erläutern.

Es geht um das Urteil mit dem Aktenzeichen 5 StR 41/14 vom 18. Februar 2014, das als Original-PDF auf den Seiten des BGH abrufbar ist.

BESCHLUSS

Die übliche Einleitungsformel einer Entscheidung. Daran, dass hier „Beschluss“ drübersteht, erkennt man schon, dass es keine mündliche Verhandlung gegeben hat, sondern nach Aktenlage entschieden wurde. Eine richtige Hauptverhandlung findet äußerst selten statt (in ca. 5 % der Fälle), da es ja nur noch um Rechtsfragen geht, die man meistens anhand der Akten entscheiden kann und keine Zeugenvernehmungen o.ä. notwendig sind. Wird nach einer mündlichen Verhandlung entschieden, wird die Entscheidung mit „Urteil“ überschrieben.

5 StR 41/14
vom
18. Februar 2014

Das Aktenzeichen verrät einiges über die Entscheidung:

  • StR bedeutet, dass es sich um eine Revision in Strafsachen vor dem Bundesgerichtshof handelt.
  • Die vorangestellte 5 sagt aus, dass der fünfte Strafsenat des BGH entschieden hat. Wie alle Gerichte ist auch der BGH in verschiedene „Abteilungen“ gegliedert, es entscheiden also nicht immer die gleichen Richter über alle Fälle. Der fünfte Senat ist bspw. für den Osten Brandenburgs, für Berlin, für den Westen des Saarlands, für Bremen, für Schleswig-Holstein und für den Norden Niedersachsens zuständig.
  • Das Verfahren war das 41. des Jahres, in dem der Fall eingereicht wurde, und
  • dieses Jahr war 2014.

Die Aktenzeichen dienen also nicht nur der Durchnummerierung der Urteile, sondern erlauben auch gleich eine rechtliche Einordnung. Bei einem Urteil mit „StR“ im Aktenzeichen wird es also in aller Regel nicht um zivilrechtliche Fragen gehen und ein Urteil mit „/21“ am Ende hat schon bald 100 Jahre auf dem Buckel und entspricht möglicherweise nicht mehr dem aktuellen Stand der Rechtsprechung.

in der Strafsache
gegen
(…)
wegen besonders schweren Raubes u.a.

Das Urteil ist anonymisiert, darum wird der Name des Verurteilten in diesem „Rubrum“ (das „Rotgeschriebene“, weil früher für den Kopf des Urteils tatsächlich rote Farbe verwendet wurde) vollständig ausgeblendet. Im weiteren Text des Urteils werden die Namen meist abgekürzt wiedergegeben, damit man die Akteure auseinanderhalten kann.

1. Auf die Revision des Angeklagten W. wird das Urteil des Landgerichts Zwickau vom 30. Oktober 2013 – auch soweit es die Mitangeklagte B. betrifft – nach § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Das Gericht hat nach § 349 Abs. 4 StPO entschieden, also die Revision einstimmig für begründet befunden. Daher wurde das vorherige Urteil des Landgerichts aufgehoben, und zwar „mit den Feststellungen“. Das bedeutet, dass auch die Tatsachenfeststellungen von der Aufhebung betroffen sind und nicht lediglich die rechtlichen Schlussfolgerungen. Blieben die Feststellungen erhalten, müsste nur noch aufgrund dieser Tatsachen eine juristische Wertung erfolgen, also Freispruch oder Verurteilung wegen einer bestimmten Straftat sowie ggf. die Festlegung des Strafmaßes.

Übrigens kommt dieser Erfolg auch der „Mitangeklagten B.“ zugute, obwohl sie selbst gar kein Rechtsmittel eingelegt hat. Dazu aber später mehr.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Der Bundesgerichtshof hat nur das bisherige Urteil aufgehoben, er entscheidet nicht selbst in der Sache. Das Landgericht muss also nun eine neue Verhandlung durchführen. Gegen dieses Urteil könnte dann übrigens wiederum Revision zum BGH eingelegt werden.

Das Landgericht hat den Angeklagten W. wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt; die nichtrevidierende Mitangeklagte B. hat es wegen Raubes in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt.

Hier wird ganz knapp dargestellt, wie das vorherige Urteil lautete.

Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.

Das Ergebnis des Verfahrens: Die Revision hat Erfolg.

Dabei handelte es sich um die sogenannte „Sachrüge“, mit der eine falsche Anwendung des Strafrechts moniert wird. Konkret soll das Landgericht also Fehler bei der Bestimmung dessen, was ein Raub laut StGB ist und ob sich die Angeklagten dessen schuldig gemacht haben, gemacht haben. Der Gegenbegriff ist die Verfahrensrüge, mit der Fehler bei der Prozessführung geltend gemacht werden. Außerdem gibt es noch die Aufklärungsrüge, die dann greift, wenn das Gericht den Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt hat und es noch Lücken in den Feststellungen gibt.

1. Nach den Feststellungen besuchten am 20. April 2013 der Angeklagte W. und die Angeklagte B. , die von ihrer Tochter und deren Freund, dem gesondert Verfolgten S. begleitet wurde, die geschädigten Eheleute F. in deren Wohnung (…) entwendeten der Angeklagte W. und S. aus der Wohnung der Eheleute F. „ungestört in Ausnutzung der fortwirkenden Gewalt“ Gegenstände im Gesamtwert von ca. 100 €. Die Angeklagte B. machte sich die Wegnahme zu eigen, indem sie half, die entwendeten Sachen in ihre Wohnung zu tragen (Fall II.2 der Urteilsgründe).

Eine Rekapitulation der Tatsachen, die das Ausgangsgericht festgestellt hat. Damit wird praktisch die Grundlage gelegt, auf der die Entscheidung erst getroffen werden kann.

2. Diese Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten W. wegen Raubes und besonders schweren Raubes (§ 249 Abs. 1, § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB) nicht.

Welcher Fehler lag vor? Die Feststellung („W hat das gemacht, B hat das gemacht“) sind nicht mit dem Urteil („W und B sind des Raubes schuldig“) vereinbar. Warum das so ist, wird danach näher ausgeführt. Das ist der sogenannte Urteilsstil, weil er von Gerichten angewandt wird: Das Ergebnis wird vorweg gestellt, danach wird es begründet.

Nach ständiger Rechtsprechung muss zwischen der Drohung mit oder dem Einsatz von Gewalt und der Wegnahme beim Raub eine finale Verknüpfung bestehen; Gewalt oder Drohung müssen das Mittel zur Ermöglichung der Wegnahme sein.

Die allgemeine (Teil-) Definition des Raubs.

An einer solchen Verknüpfung fehlt es, wenn eine Nötigungshandlung nicht zum Zwecke der Wegnahme vorgenommen wird, sondern der Täter den Entschluss zur Wegnahme erst nach Abschluss dieser Handlung fasst

Nähere Spezifizierung: Wann sind die Voraussetzungen des Raubs gerade nicht erfüllt?

(vgl. BGH, Urteil vom 22. September 1983 – 4 StR 376/83, BGHSt 32, 88, 92; Urteil vom 20. April 1995 – 4 StR 27/95, BGHSt 41, 123, 124; Urteil vom 16. Januar 2003 – 4 StR 422/02, NStZ 2003, 431, 432; Beschluss vom 24. Februar 2009 – 5 StR 39/09, NStZ 2009, 325; MünchKomm/Sander, StGB, 2. Aufl., § 249 Rn. 31 mwN)

Eine äußerst umfangreiche Übersicht über Gerichtsurteile und juristische Kommentare (hier: der „Münchner Kommentar“, Autor des zitierten Abschnitt ist ein Herr Sander), die die Ansicht zur Raubdefinition stützen. Das „mwN“ bedeutet „mit weiteren Nachweisen“, also stehen im Münchner Kommentar wieder andere Quellen, die man sich auch noch zu Gemüte führen kann.

Hier hatte sich der Angeklagte nach den Feststellungen jeweils erst nach seiner letzten Gewaltanwendung zur Wegnahme entschlossen. Eine Äußerung oder sonstige Handlung des Angeklagten vor der Wegnahme, die eine auch nur konkludente Drohung mit weiterer Gewalt beinhaltete, ist nicht festgestellt.

Übertragung der Rechtslage auf den konkreten Fall. Ein Raub liegt demnach nicht vor.

3. Die Sache bedarf deshalb insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Landgericht in neuer Hauptverhandlung Feststellungen zu treffen vermag, die eine Verurteilung wegen Raubdelikten stützen.

Es könnte aber sein, dass bei einer erneuten Prüfung weitere Tatsachen zu Tage gefördert werden, auf die man bisher keinen Wert gelegt hat, weil der Raubvorwurf aus Sicht des Landgerichts bereits bewiesen war. Nun weiß man, die rechtlichen Voraussetzungen eines Raubs doch nicht gegeben sind. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass es weitere, bisher unberücksichtigte Fakten gibt, die doch eine Verurteilung wegen Raubes ergeben. Daher können die Täter nicht einfach freigesprochen werden, sondern es muss eine neue Verhandlung stattfinden, die der Sache weiter auf den Grund geht.

Da der aufgezeigte materiellrechtliche Fehler des Urteils die nicht revidierende Mitangeklagte B. in gleicher Weise betrifft, ist die Aufhebung auf sie zu erstrecken, nachdem sie – zum Antrag des Generalbundesanwalts auf Entscheidung nach § 357 StPO über ihren Verteidiger angehört – einer solchen Erstreckung nicht widersprochen hat.

Auch Frau B. wurde angeklagt und vom Landgericht verurteilt. Möglicherweise hat sie aber eine untergeordnete Rolle gespielt oder es gab Gesichtspunkte zu ihren Gunsten. Jedenfalls wurde sie nicht zu einer längeren Freiheitsstrafe verurteilt, sondern bekam lediglich 21 Monate auf Bewährung. Wenn sich ein Verurteilter denkt „Damit bin ich ja noch glimpflich davongekommen“ oder er die Kosten eines Revisionsverfahren scheut, dann kann er das Urteil selbstverständlich einfach auf sich beruhen lassen und kein Rechtsmittel einlegen.

Hier war es jedoch so, dass der Mitangeklagte in Revision ging und daraufhin das Urteil aufgehoben wurde. Damit wäre es eigentlich so, dass gegen ihn neu verhandelt werden müsste, während es für die Komplizin beim alten Urteil bleibt. Das würde aber bedeuten, dass ein vom zuständigen Gericht als falsch bezeichnetes Urteil Bestand hätte. Das ist mit rechtsstaatlichen Prinzipien schwer vereinbar, darum wirkt gemäß § 357 StPO eine Revisionsentscheidung grundsätzlich zugunsten aller Angeklagter.

Einen Nachteil kann die Angeklagte B darauf nicht haben, denn das neue Urteil darf nicht schwerer wiegen als das alte (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO)

Basdorf Sander Schneider Berger Bellay

Und schließlich noch die Unterschriften aller beteiligter Richter. Wichtig ist, dass diese Unterschriften auf dem Originalurteil (das in den Gerichtsakten bleibt) handschriftlich unterzeichnen müssen. Erfolgt das nicht innerhalb der gesetzlichen Frist, ist das Urteil fehlerhaft.

Auf den Ausfertigungen, die den Beteiligten zugeschickt werden, werden die Unterschriften (wie hier) durch die maschinenschriftliche Namenswiedergabe bezeugt. Der Urkundsbeamte prüft also (zumindest theoretisch), ob die Richter unterschrieben haben und setzt deren Namen unter das Urteil. Anschließend stempelt und unterschreibt er selbst zum Beweis der Übereinstimmung mit dem Original.

Dieser Prüfvorgang muss sich aber auch aus der Ausfertigung ergeben. Bereits in den 1920er-Jahren wurde festgestellt, dass eine bloße Wiedergabe mit „gez. Richter“ nicht ausreichend ist, da daraus nicht hervorgeht, dass tatsächlich alle Richter einzeln unterschrieben haben.

Fazit

So ein Urteil ist kein Hexenwerk. Man kann es einigermaßen gut lesen und wenn man gewisse Konventionen kennt, ist auch einigermaßen verständlich, warum ein Urteil genau so formuliert ist und welche Folgen sich daraus ergeben.

Nach Karlsruhe gehen (I)

Wer Recht sucht, für den gibt es das gelobte Land: Karlsruhe. Die Phrase „Ich geh nach Karlsruhe“ ist mittlerweile ins sprachliche Allgemeingut eingegangen. Wannimmer man sich juristisch übervorteilt fühlt, funkelt doch ein Silberstreif am Horizont: Karlsruhe. In Karlsruhe gibt es immerhin gleich zwei Gerichte, den Bundesgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht. Bei einem von beiden muss man doch Erfolg haben. Und in der Theorie stimmt das auch. Nicht umsonst hören wir desöfteren in den Medien (von trockenen, nicht publikumswirksamen juristischen Fachzeitschriften einmal abgesehen) von Karlsruher Urteilen. Nur sollte man sich nicht der Illusion hingeben, man selbst könnte einmal Protagonist vor diesen Gerichten sein.

Der Bundesgerichtshof zum Beispiel urteilt grundsätzlich erst in der dritten Instanz. Sie müssen also zunächst einmal die Niederungen des Landgerichts und des Oberlandesgerichts (von den Amtsgerichten wollen wir hier einmal gar nicht reden) durchlaufen haben. Dafür braucht man aber einen langen Atem und einen vollen Geldbeutel. So kostet ein Prozess über 10.000 Euro bereits in der ersten Instanz ca. 3500 Euro. Wem es hier die Schuhe auszieht, der muss sich vor Augen führen, dass (in der Regel) drei Volljuristen an der Sache beteiligt sind. Der Richter möchte etwas verdienen, darum zahlt ihm der Staat ein Gehalt und verlangt seinerseits Prozesskosten. Und Anwälte brauchen grundsätzlich immer Geld. Die ganzen schönen Roben der Juristen wollen bezahlt werden, die hin und her geschickten Briefe brauchen Briefmarken, von Büros, Kanzleien und Rechtsanwaltsfachangestellten mal ganz abgesehen. Insofern sind 3500 Euro doch richtiggehend geschenkt.

Was aber, wenn man das ganze schöne Geld gezahlt hat und trotzdem mit dem Urteil nicht zufrieden ist? Die Servicequalität deutscher Gerichte ist bekanntermaßen nicht die höchste, angeblich ist fast immer mindestens eine Partei mit dem Ergebnis unzufrieden. Darum gibt es ja auch Karlsruhe. Aber soweit sind wir noch nicht. Wir sind noch, wie gesagt, in den Niederungen der Juristerei.

Legt man gegen diese erste Urteil (des Landgerichts) Berufung ein, landet man zunächst nur vor dem Oberlandesgericht. Das ist in unserem Falle (wir wollen ja nach Karlsruhe!) zwar nur eine lästige Durchgangsinstanz, aber die muss eben sein. Allein für die Berufung vor dem OLG kommen noch einmal 4000 Euro auf unsere Gesamtrechnung drauf. Mit den 3500 Euro für das noch überflüssigere Landgerichtsurteil liegen wir also bereits bei drei Vierteln der ursprünglichen Klageforderung. Aber dafür kommen wir nach der durchlaufenen Berufung endlich unserem eigentlichen Ziel näher: Karlsruhe.

Und Karlsruhe bietet uns nicht nur die Chance, endlich das wohlverdiente Recht zu bekommen. Nein, wir können uns nebenbei auch ruinieren. Für die BGH-Verhandlung fallen dann noch einmal um die 5500 Euro an. Wir liegen nun also bereits bei 13.000 Euro Anwalts- und Gerichtskosten.

Nun mag mancher einwenden, dass dieser Betrag bereits den Streitwert von 10.000 Euro deutlich übersteigt. Was haben wir also davon, wenn wir schlussendlich (in Karlsruhe!) gewinnen? Die Antwort ist: Sehr viel. Denn die Prozesskosten trägt der Unterlegene. Insofern sind die 13.000 Euro also nicht so schlimm, denn wir zahlen sie ja nicht.

Wer aber nach Karlsruhe geht, der muss sich seiner Sache schon sehr sicher sein. Er muss fest davon ausgehen können, dass er vor dem Bundesgerichtshof Recht bekommt. Dass er selbst (ggf. mit seinem Anwalt) die juristische Situation besser einschätzen kann als die Richter des Landgerichts und des Oberlandesgerichts. Wenn man diese Selbstsicherheit mitbringt, dann kann man den Gang nach Karlsruhe wagen. Ansonsten hat man neben dem Ärger in der Sache auch noch horrende Zahlungsverpflichtungen für das Verfahren.

Dazu kommt aber noch eines: Karlsruhe will uns gar nicht sehen. Die Richter des BGH reißen sich nicht unbedingt darum, möglichst viele Urteile zu fällen. Und der Bundestag ist da ganz auf ihrer Seite. In den letzten Jahren gab es zahlreiche Änderungen im Prozessrecht, die großenteils sicherstellen wollten, dass möglichst wenige Fälle „ganz oben“ landen.
Die Revision ist dementsprechend nach aktueller Rechtslage nur noch zulässig, wenn die zugelassen wird. Man braucht also erst einmal eine Erlaubnis, um bis nach Karlsruhe zu kommen. Die Zulassung der Revision geschieht entweder durch das Gericht, das das Urteil gefällt hat, selbst. Das Gericht muss also von Haus aus sagen: „Na ja, so ganz sicher bin ich mir mit dem Urteil nicht. Geh mal ruhig in Revision dagegen.“ Hat sich das Gericht hierzu nicht herabgelassen, kann man dagegen den BGH anrufen. Man ist also immerhin schon mal in Karlsruhe. Nun muss man die Richter dazu bewegen, dass sie die Revision doch noch zulassen – sich also neue Arbeit aufbürden. Diese Regelung hat, kurz gesagt, das erreicht, was sie wollte: Die Zahl der Revisionen ist ziemlich gering. Zwar gibt es viele Verwegene, die nach Karlsruhe wollen. Über die Nichtzulassungsbeschwerde kommen die meisten aber nicht hinaus.

Vielleicht sollte man an der Stelle auch noch erwähnen, wann die Revision überhaupt zulässig ist. Dazu werden wir mal einen Blick ins Gesetz: „Die Revision ist zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.“ (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO) Steht da irgendwo etwas von „falsches Urteil“? Von „ungerecht“? Von „Lasst den Beklagten zu seinem Recht oder den Kläger zu seinem Geld kommen“? Nein, die Revision ist nur noch dazu da, das Recht weiterzuentwickeln. Das potentielle Urteil muss also irgendwie „interessant“ für das Gericht sein, sonst beschäftigt es sich gar nicht mit dem Fall.

Im übrigen darf man sich auch nicht der Illusion hingeben, der BGH würde die ganze Sache komplett neu aufrollen. Die Revisionsinstanz interessiert sich nur dafür, ob das Urteil rechtlich korrekt ist. Ob eine Zeugenaussage falsch war, ob die vorherigen Gerichte dem Falschen geglaubt haben, ob das Auto tatsächlich einen Kratzer im Lack hatte oder wie schlimm eine Verletzung war, ist nicht mehr relevant. Um derartige Dinge kümmert sich höchstens noch die Berufungsinstanz und sogar dort gibt es schon die Tendenz, Tatsachenfehler weitgehend aus dem Fokus des Gerichts herauszunehmen. Wenn Sie Ihren Prozess gewinnen wollen, dann hoffen Sie also nicht auf Karlsruhe, sondern versuchen Sie, gleich den ersten Prozess zu gewinnen – auch, wenn der vor dem Amtsgericht Hintertupfingen stattfindet.

464 Tage sind ein Monat

Der Bundesgerichtshof musste im Verfahren 2 StR 115/12 über die Revision eines Angeklagten entscheiden, der wegen schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt wurde. Die Entscheidung selbst ist nicht übermäßig spannend, die Revision wurde als unbegründet zurückgewiesen, das erstinstanzliche Urteil also bestätigt.

Interessant ist aber ein Nebenaspekt: Dafür, dass das Revisionsverfahren eher lang dauerte (das Landgerichts-Urteil stammte vom 19.12.2011, das BGH-Urteil vom 27.03.2013), wird dem Angeklagten ein Monat seiner Freiheitsstrafe erlassen. An der Straffestsetzung ändert sich dabei eigentlich nicht, lediglich dieser eine Monat wird „für verbüßt erklärt“.

Die lange Bearbeitungszeit seines Rechtsmittels und das damit schwebende Verfahren wirkt, so die Rechtsprechung, wie eine Strafe und ist daher zu berücksichtigen. Eine feste Regel, ab welcher Dauer eine solche Entschädigung stattfinden muss, oder gar eine Tabelle mit dem zu gewährenden Strafrabatt gibt es aber nicht. Hier sind die Gerichte relativ frei in der Rechtsfindung.

Der hier angewandte Maßstab erscheint jedenfalls eher großzügig. Zwischen den beiden Urteilen lagen gut 15 Monate oder 464 Tage, die ja beileibe nicht auf richterliches Nichtstun zurückzuführen sind, da auch die Begründung des ersten Urteils und die Ausarbeitung der Revision ihre Zeit brauchen.

Das Rechtsmittel der Zurückweisung

recycle-bin-146275_1280Im Internet kursieren seit Längerem diverse „Ratgeberseiten“, die dazu aufrufen, man solle ungewünschte behördliche Akte (Verwaltungsakte, Bescheide, Urteile) einfach „zurückweisen“. Eine solche Zurückweisung, die nicht mit üblichen Rechtsbehelfen und Rechtsmitteln vergleichbar sei, würde dazu führen, dass die Sache abgeschlossen sei. Aber man müsse es eben ausdrücklich zurückweisen und nicht etwa Einspruch, Widerspruch, Berufung o.ä. einlegen.

Es gibt natürlich keinen Paragraphen in keinem Gesetz, der eine solche Zurückweisung regeln würde. Aber wer eine gewisse Ahnung von juristischen Prinzipien hat, den muss diese Theorie befremden. Wie kann es in einem Rechtsstaat sein, dass es ein „Zauberwort“ gibt, mit dem man in jeder beliebigen unangenehmen Situation aus dem Schneider ist? Warum sollte der Staat so etwas einführen? Und warum ist da noch kaum jemand draufgekommen, nicht einmal große Firmen mit noch größeren Rechtsabteilungen, die immense Vorteile davon hätten, vor deutschen Gerichten narrenfrei zu sein? „Das Rechtsmittel der Zurückweisung“ weiterlesen

Der Rechtsweg in Zivilsachen

In zivilrechtlichen Streitigkeiten beginnen die meisten Prozesse beim Amtsgericht. Dieses ist grundsätzlich zuständig für Streitwerte bis 5000 Euro sowie für verschiedene anderen Angelegenheiten, z.B. bei Mietwohnungen oder Reiseverträgen. Berufungsinstanz ist das Landgericht, Revisionsinstanz der Bundesgerichtshof.

Bei höherem Streitwert sowie bei ihnen besonders zugewiesenen Angelegenheiten, z.B. aus dem Beamten- und Wertpapierrecht, sind die Landgerichte zuständig. Berufungsinstanz ist das Oberlandesgericht, Revisionsinstanz der Bundesgerichtshof.

Der bayerische BGH-Senat

Die Strafsenate des Bundesgerichtshofs sind geographisch gegliedert. Für Bayern (und Baden-Württemberg) ist der erste Senat unter Armin Nack zuständig. Und gerade dieser Senat ist es, der – unstreitig – die mit Abstand niedrigste Erfolgsquote bei Revisionen gegen die Urteile der Strafkammern bei den Landgerichten aufweist.

Das ist aber mehr als ein statistisches Ergebnis. Jede zurückgewiesene Revision bedeutet, dass Urteil (meistens ein solches zum Nachteil des Angeklagten, das häufig auf eine mehrjährige Freiheitsstrafe lautet) bestehen bleibt. Oliver Garcia vom hervorragenden De-Legibus-Blog kommt zu einer Bewertung, die einen noch nachdenklicher stimmen sollte:

Es wäre nur geringfügig übertrieben, die beiden Auswertungsergebnisse dahingehend zu kommentieren, daß die Rechtsprechungspraxis des 1. Strafsenats einem Stillstand der (Revisions-)Rechtspflege nahekommt.

(…)

Die dortige Justiz hat verinnerlicht, daß sie mit einer Rückendeckung durch den BGH immer rechnen kann und geht damit selbstbewußt um wie mit einer Blankovollmacht

Zum ganzen Text: http://blog.delegibus.com/2011/12/04/bundesgerichtshof-die-schiere-freude-am-strafen/